Problemstellung und Projektbeschreibung
Die Prävention und Behandlung von Psychotraumen erfordern
für die Ausbildung der Helfer didaktische Konzepte der Wissensvermittlung.
Dies gilt insbesondere für staatlich gelenkte Großinstitutionen.
Hierzu gehören Polizei, Feuerwehr und Bundeswehr, die praxisorientierte
und erneuerbare Lehrinhalte und Lehrmedien benötigen. Lehrinhalte umfassen
die akute erste Hilfe am Einsatzort, Früherkennung der posttraumatischen
Belastungsstörung (PTBS) und die Behandlung der Spätschäden. Als
Lehrmedien stehen heutzutage auch elektronische Datenverarbeitungssysteme zur
Verfügung. Hierbei muss die spezifische Personal- und
Organisationsstruktur der Institutionen berücksichtigt und koordiniert
werden. Unterschiedliche Berufsgruppen müssen aufeinander abgestimmt
werden, deren Tätigkeitsfeld im Alltag sonst weit auseinander liegt.
Vor diesem Hintergrund skizzieren wir den Lösungsvorschlag des
Forschungsprojektes „Prävention und Behandlung von
Psychotraumen”, welches vom psychologischen Dienst der Bundeswehr an das
Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität
zu Köln in Auftrag gegeben worden ist.
Im Rahmen dieses Forschungsprojektes soll das Gesamtkonzept der
Kriseninterventionsmaßnahmen nach kritischen Ereignissen bei
Einsätzen der Bundeswehr auf den Prüfstand und im Rahmen einer
wissenschaftlichen Begleitung verbessert werden. Die Kenntnisse der neuesten
Forschungsergebnisse im Bereich Psychotraumatologie bilden die Grundlage
für die Optimierung des sogenannten „Debriefings”. Hierbei
verfolgt die Arbeitsgruppe von Prof. Fischer die Umsetzung der sog.
zielgruppenorientierten Unterstützung (siehe Expertenchat vom 21.2.02 in
dieser Zeitschrift), welche sich am Kölner Opferhilfemodell orientiert
[1 ]. Grundlage dieses Konzeptes ist die Einstufung der
betroffenen Soldaten in „Selbstheiler”, „Wechsler”
und „Risikogruppe” nach kritischen Zwischenfällen mit Hilfe
des Kölner Risikoindex - Bundeswehrversion. Somit steht ein
Datenerhebungsinstrument zur Verfügung, welches am Einsatzort, bei
Reintegrationsseminaren, die für Soldaten nach Auslandeinsätzen
durchgeführt werden, und von Fachabteilungen der
Bundeswehrkrankenhäuser angewendet werden kann. In abgestuften
Interventionsmaßnahmen werden diese Gruppen mit unterschiedlichem
Risikoprofil durch Helfer (peers), ABO-Psychologen und Klinische Psychologen
bzw. Ärzte betreut.
Hierzu ist eine breit gefächerte Ausbildung der verschiedenen
Berufsgruppen notwendig. Im sogenannten Levelsystem werden die Inhalte der
Psychotraumatologie entsprechend Umfang und Komplexität in 3
Schwierigkeitsgrade eingeteilt, so dass hierdurch abgestufte Lehrpläne
für Bundeswehrpsychologen, Ärzte, Vorgesetzte und Helfer entworfen
und erprobt [2 ];[3 ] werden.
Die Schulung der genannten Berufsgruppen basiert auf dem
Multiplikatorenprinzip, bei dem Ausgebildete selbst zu Ausbildern werden, um
die für Großinstitutionen notwendige Reichweite, Flexibilität
und Kontinuität zu gewährleisten.
Um das didaktische Konzept dem Anforderungsprofil der Bundeswehr
anzupassen, wurde von der Arbeitsgruppe ein Schulungsmanual entwickelt, das zum
einen in einer 358 seitigen Papierversion und in einer EDV gestützten
Version als elektronisches Buch „e Reader
2.0” angefertigt wurde [4 ]. Im Folgenden soll
die im e Reader 2.0 realisierte
Informationsaufbereitung unter der an die Forschungsgruppe gestellte
Maßgabe der Leveldifferenzierung und des Multiplikationsprinzips
dargestellt werden.
Praktische Umsetzung
Um die Vorzüge dieses Mediums deutlich zu machen, setzen wir
folgende Akzente:
Was sind die Vorteile eines elektronischen Buches gegenüber
üblichen Schulungsmanualen in Papierversion?
Auf welcher Grundlage der elektronischen Datenverarbeitung
beruht der e Reader 2.0?
Levelarchitektur und weitere Features - wie wurden die
Lehrinhalte aufbereitet?
Das Multiplikatorenprinzip - wie kann der Anwender eigene
Schulungen zusammenstellen?
ad 1: Die Vorteile des elektronischen Buches
Elektronische Bücher können z. B. auf einer
CD-Rom gespeichert werden und sind somit wesentlich billiger als ein
vergleichbarer Druck, da nahezu die gesamt Logistik der Buchproduktion
wegfällt. Die Lesbarkeit bietet entscheidende Vorteile, da durch Zoom- und
Suchfunktionen (siehe Abb. [2 ]) ein beliebiges
und schnelles Springen zwischen und innerhalb von Kapiteln möglich ist.
Unnötiger Papierkrieg entfällt. Der Transport und die
Vervielfältigung erfolgt mit Hilfe von elektronischen Speichermedien; die
Verfügbarkeit kann durch Speicherung an zentralen Orten der
Netzwerkarchitektur (Server) geregelt sein. Elektronische Bücher sind
jederzeit und in kurzen Zeitabständen aktualisierbar und somit flexibler;
hierdurch sind Universalität und Orginalität gewährleistet.
ad 2: Auf welcher Grundlage der elektronischen
Datenverarbeitung beruht der e Reader?
In der Umsetzung des e Readers kam die
Software Adobe® Acrobat®
4.0 zum Einsatz. Mittels des integrierten pdf-Writers bzw. Distillers
können Dokumente jeglichen Ausgangsformats in sog. pdf-Dateien (portable
document format) umgewandelt und im Adobe®
Acrobat® zusammengefügt, strukturiert und
untereinander verknüpft werden. Diese pdf-Dateien haben regelrecht
weltweiten Standard für die Verbreitung elektronischer Dokumente. Dies
liegt in der Universalität dieses Dateiformats begründet, das alle
Schriften, Formatierungen, Farben und Grafiken jeden Ausgangsdokuments
unabhängig von der Anwendung (z. B. Microsoft Word, Power Point oder Star
Office) beibehält. Mittels des frei zugänglichen und kostenlosen
Adobe® Acrobat® Reader® können diese in das pdf-Format konvertierten
Dokumente über alle Plattformen hinweg angezeigt, durchgeblättert und
gedruckt werden. Hierdurch lassen sich die zum Teil leidvollen Erfahrungen
umgehen, die entstehen, wenn elektronische Dokumente weitergegeben oder
ausgedruckt werden sollen, dabei jedoch Textverabeitungsprogramme,
Zeichensätze, Formatierungen und Druckertreiber kollidieren. Diese
Universalität gewährleistet größtmögliche
Kompatibilität des e Readers 2.0 in den
Anwendungsbereichen der Bundeswehr.
ad 3: Levelarchitektur und weitere Features - wie wurden
die Lehrinhalte aufbereitet?
Der e Reader ermöglicht eine
abgestufte Architektur der Schwierigkeitsgrade des Lehrstoffes. Alle enthaltenen Dokumente sind in Levels gegliedert
(siehe Abb. [1 ]), die zwischen
unterschiedlichen Anwendungsgebieten, inhaltlicher Komplexität und Umfang
des Lehrmateriales differenzieren. Dies bietet eine Anpassung an
unterschiedliche Einsatzbereiche der Schulung und Anwendung. Im speziellen Fall
der Bundeswehr entsteht eine 3-schichtige Levelarchitektur:
Level A: Dieser Schwierigkeitsgrad ist auf Helfer der
psychotraumatologischen Soforthilfe zugeschnitten. Es umfasst Grundlagen der
Psychotraumatologie, Einführung in Stabilisierungstechniken und Anwendung
des Kölner Risikoindexes-Bundeswehrversion.
Level B: Die Zielgruppe der graduierten Psychologen wird
darüber hinaus in die psychopathologische und psychometrische Diagnostik
der PTBS eingeführt.
Level C: Allgemeine und spezielle Aspekte der Behandlung und
Prävention der PTBS stehen im Mittelpunkt. Es umfasst z. B. eine
Einführung in die mehrdimensionale psychodynamische Traumatherapie
[5 ], traumaspezifische Behandlungstechniken und
neurobiologische Grundlagen der PTBS.
Mit Hilfe eines Navigators (siehe Abb. [2 ]) kann abgestuft auf Inhalte mit unterschiedlichem
Schwierigkeitsgrad zugegriffen werden. Die Vorzüge des eReaders liegen in der Datenkomprimierung,
Kompatibilität mit dem Intranet der Bundeswehr und
Anwenderfreundlichkeit.
Abb. 1: Levelarchitektur des
elektronischen Schulungsmanuals. Abgebildet ist die Gesamtheit der vorhandenen
Dokumente, die durch eine Signierung in der Kopfzeile den entsprechenden Levels
zugeordnet werden. Die Levelarchitektur ermöglicht eine
berufsgruppenspezifische Zusammenstellung des Lehrmaterials.
Navigation
Adobe® Acrobat® erlaubt, mehrere pdf-Dokumente zusammenzustellen und
mittels der sogenannten Lesezeichen zu gliedern. Mit Hilfe der Lesezeichen kann
der Anwender innerhalb des Dokuments navigieren und die für ihn relevante
Information schnell und ohne langes Blättern finden. Wir haben jede
Informationseinheit (z. B. eine einseitige Grafik oder ein mehrseitigen Text)
mit einem Lesezeichen versehen, so dass jedem Text- oder jeder Foliendatei ein
fester Platz in der Baumstruktur zugewiesen ist (siehe hierzu das linke
Navigationsfenster in Abb. [2 ]).
Abb. 2: Oberflächenstruktur
des elektronischen Readers mit Funktionseigenschaften. Im linken
Navigationsfenster ist das Inhaltsverzeichnis mittels der Lesezeichen in einer
hirarchischen Baumstruktur repräsentiert; im rechten Anzeigefenster werden
die Dokumente mit den Funktionen Verlinkung, Notizen und Hyperlinks
wiedergegeben.
Verlinkungen
Die Inhalte des e Readers 2.0 sind unter
inhaltlichen Gesichtspunkten miteinander verbunden. So kann der Anwender mit
einem Mausklick auf eine hervorgehobene Textpassage oder auf ein einzelnes Wort
- zum Beispiel zur der den Text veranschaulichenden Grafik springen oder
Bezüge zu korrespondierenden Inhalten herstellen. Darüber hinaus
befinden sich Hyperlinks in der einheitlichen Kopfzeile jeden Dokuments, die
den Anwender über das Internet mit der Internetpräsenz der Bundeswehr
und des Projektes (www.ikpp-bundeswehr.de ) verbinden. Zudem sind die
einzelnen Dokumente mit den ursprünglichen (vor der Umwandlung in das
pdf-Format) Dateien verknüpft (s. u.).
Notizen und Anmerkungen
Über die unmittelbaren Inhalte hinausgehende Informationen
werden dem Anwender mittels Notizen bereitgestellt. Diese erscheinen deutlich
kenntlich gemacht an entsprechender Stelle. Durch Anklicken werden in einem
eigenen Fenster beispielsweise die Hinweise zur Anwendung einer
Stabilisierungsübung oder Hilfe angezeigt.
ad 4: Das Multiplikatorenprinzip - wie kann der Anwender
eigene Schulungen zusammenstellen?
Um die umfangreichen Lehrinhalte der Psychotraumatologie flexibel
zu strukturieren und in die beschriebene Levelstruktur zu integrieren, bildeten
wir kleinstmögliche Informationseinheiten. Mittels des Adobe® Acrobat® wurde diese
Information den projektimmanenten Anforderungen durch Ordnen, Gliedern,
Klassifizieren und Verknüpfen entsprechend aufbereitet. Zur Realisierung
des Multiplikatorenprinzips ist eine reine Informationsausgabe bei aller
Vielzahl der Möglichkeiten jedoch unzureichend, da je nach Berufsgruppe
(vgl. Levelarchitektur) und Zielsetzung die Schulungsinhalte flexibel
miteinander zu kombinieren sein müssen. Dies wurde von der Arbeitsgruppe
gelöst, indem die Dokumente im e Reader 2.0 mit
den Ursprungsdateien (vor der Umwandlung in das pdf-Format) verknüpft
wurden, die ebenfalls auf der CD-Rom abgelegt sind. Somit ist es dem Anwender
möglich, selbstständig Schulungen zu konzipieren. Das Schulungsmanual
repräsentiert nahezu 300 einzelne Dokumente in einer sinnvollen Abfolge,
wobei jede Informationseinheit herausgelöst und im Verbund mit anderen neu
strukturiert werden kann.
Gesamtschau
Wir stellen fest, dass sich die Vermittlung von
psychotraumatologischen Fachwissen an didaktischen Konzepten orientieren
sollte, die die Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung
einbeziehen. Hieraus ergeben sich Vorteile für die Orginalität,
Spezifität und Ökonomie der Wissenvermittlung. Insbesondere
können sie auf die spezifischen Rahmenbedingungen von
Großinstitutionen zugeschnitten werden.
eReader 2.0 „Prävention und
Behandlung von Psychotraumen”
Der eReader einschließlich aller seiner
Teile ist urheberrechtlich geschützt und ausschließlich für den
internen Gebrauch innerhalb der Bundeswehr bestimmt.
Danksagung
Wir danken Herrn Ministerialrat Dr. Hansen und seinen Mitarbeitern
im Bundesministerium der Verteidigung für die tatkräftige
Unterstützung der Arbeitsgruppe „Prävention und
Behandlung von Psychotraumen”; bei Frau Dipl.-Psych. W. Pilz bedanken
wir uns für die kritische Durchsicht des Manuskripts.