Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2002; 37(8): 493-495
DOI: 10.1055/s-2002-33163
Die Kontroverse
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Antimikrobiell beschichtete
Venenkatheter - ein Muss? Kontra

Antimicrobically coated Venous Catheters - a Must? ContraB.  Jansen
  • Abteilung für Hygiene und Umweltmedizin,
    Johannes Gutenberg-Universität Mainz
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Publication Date:
07 August 2002 (online)

Einleitung

Innerhalb der Fremdkörperinfektionen haben die Katheter-assoziierten Infektionen mittlerweile die größte Bedeutung erlangt, vor allem deshalb weil Katheter von allen Biomaterialien am häufigsten verwendet werden. Neuere Daten aus den USA gehen von 15 Millionen zentralvenösen Katheter-Tagen pro Jahr auf Intensivstationen aus. Zentralvenöse Katheter (ZVK) sind generell mit einem höheren Infektionsrisiko behaftet als periphere Venenverweilkatheter. Dies trifft vor allem für Intensiv-Patienten und immunsupprimierte Patienten zu. In US-amerikanischen Intensiveinheiten muss mit durchschnittlich 5,3 ZVK-assoziierten Blutstrominfektionen pro 1.000 Katheter-Tagen gerechnet werden, wohingegen in Deutschland im Rahmen der KISS-Studie 1,8 ZVK-assoziierte Sepsisfälle pro 1000 ZVK-Tage ermittelt wurden. In den USA wird die Häufigkeit von ZVK-assoziierten Blutstrominfektionen auf etwa 16 000 pro Jahr geschätzt. Die zusätzliche Mortalität schwankt zwischen 12 und 25 % in prospektiven Studien, und die geschätzten jährlichen Kosten für die Pflege von Patienten mit ZVK-assoziierter Blutstrominfektion bewegen sich zwischen 60 und 460 Millionen US-Dollar [1].

In der Pathogenese von Katheterinfektionen stellt die Adhäsion von Mikroorganismen an den Katheter den ersten wichtigen Schritt dar. Unspezifische physikalisch-chemische Faktoren wie van der Waals-Kräfte, elektrostatische Interaktionen und hydrophobe Wechselwirkungen, und spezifische Faktoren wie bakterielle Oberflächenproteine (z. B. staphylococcal surface proteins 1 und 2) sind an der primären Adhäsion beteiligt. Im Anschluss an diese initiale Adhäsion kommt es zur Akkumulation, d.h. zur Zellproliferation, interzellulärer Adhäsion und schließlich zur Biofilmbildung. An der Biofilmbildung sind vor allem koagulasenegative Staphylokokken (z. B. S. epidermidis) beteiligt, die gleichzeitig auch die häufigsten Erreger darstellen. Weitere wichtige Erreger von Katheterinfektionen sind Staphylococcus aureus, Enterobakterien, Pseudomonas aeruginosa und Candida sp. Der Biofilm bietet den darin eingelagerten Mikroorganismen Schutz vor der körpereigenen Abwehr und vor dem Angriff durch Antibiotika, was die Persistenz und erschwerte Therapierbarkeit dieser Infektionen erklärt.

Wegen der nicht unbeträchtlichen Morbidität und Mortalität bei Infektionen durch intravasale Katheter und den damit verbundenen Kostensteigerungen hat die Prävention solcher Infektionen einen hohen Stellenwert. Schon seit längerem wird versucht, essentielle Schritte in der Pathogenese wie Adhäsion von Mikroorganismen und Biofilmbildung durch Entwicklung antimikrobieller Materialien zu verhindern. Das Spektrum derart modifizierter Biomaterialien reicht von Kunststoffen, die Antibiotika, Antiseptika oder antimikrobiell wirkende Metallsalze (z. B. Silber) enthalten, bis hin zu Ansätzen, die durch Anlegen eines elektrischen Feldes im Kunststoffmaterial eine Adhäsion durch elektrostatische Abstoßung verhindern sollen.

In letzter Zeit haben sich vor allem zwei Systeme antimikrobieller Katheter etabliert, die auch kommerziell erhältlich sind und seit einigen Jahren (vor allem in den USA) klinisch eingesetzt werden. Dies sind zum einen der die Antibiotika Minocyclin und Rifampicin enthaltende Spectrum-Katheter (Cook Critical Care, USA), zum anderen der Arrowgard-Blue-Katheter (Arrow, USA) der Chlorhexidin und Silbersulfadiazin enthält. Diese Systeme setzen die antimikrobiellen Wirkstoffe über einen Zeitraum von etwa 2 - 3 Wochen frei, hohe lokale Konzentrationen an der Katheteroberfläche sollen die Adhäsion von Mikroorganismen und Biofilmbildung verhindern.

In einer Metaanalyse von Veenstra et al., in der 12 klinische Studien mit Patientenzahlen zwischen 26 und 288 analysiert wurden, konnte für den Chlorhexidin/ Silbersulfadiazin-Katheter eine um die Hälfte verminderte Wahrscheinlichkeit zur Katheterbesiedelung sowie zur Entstehung einer Katheter-assoziierten Blutstrominfektion festgestellt werden. Darouiche at al. verglichen in einer prospektiven Multicenter-Studie den mit Minocyclin und Rifampicin beschichteten Katheter mit dem Chlorhexidin/Silbersulfadiazin-Katheter. Die Kolonisationsraten betrugen 22,8 % beim Chlorhexidin/Silbersulfadiazin-Katheter und 7,9 % beim Minocyclin/Rifampicin-Katheter. Die Häufigkeit Katheter-assoziierter Blutstrominfektionen betrug 0,3 pro 1.000 Katheter-Tage im Falle des Minocyclin/Rifampicin-Katheters und 4,1 pro 1.000 Katheter-Tage beim Chlorhexidin/Silbersulfadiazin-Katheter (p = 0,001). Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass der mit Minocyclin und Rifampicin beschichtete Katheter sowohl außen wie auch innen behandelt ist, der zur Zeit verfügbare Chlorhexidin/Silbersulfadiazin-Katheter dagegen nur außen beschichtet ist. Gerade bei längerer Liegedauer eines Katheters spielt der intraluminale Kontaminationsweg über Manipulationen am Kathetersystem eine größere Rolle als die Kontamination während der Katheterinsertion.

Weiterhin kommerziell erhältlich sind mit Benzalkoniumchlorid bzw. Benzalkoniumchlorid-Heparin beschichtete Katheter, die allerdings nicht die Bedeutung erlangt haben, wie die eben besprochenen Katheter. Außerdem wurden Kathetersysteme entwickelt, die Silber bzw. Silber im Gemisch mit edleren Metallen wie Platin enthielten. Bei diesen Systemen kommt es zu einer kontinuierlichen Freisetzung des Silbers in sehr kleinen Konzentrationen, die aber an der Oberfläche eine gute antimikrobielle Wirksamkeit aufweisen.

In Deutschland sind die Erfahrungen mit diesen neuartigen antimikrobiellen Kathetern noch sehr spärlich. Der Gedanke, durch Abgabe einer hohen lokalen Konzentration eines antimikrobiellen Wirkstoffs an der Katheteroberfläche unter gleichzeitiger Vermeidung einer systemischen Wirkung eine Adhäsion oder Akkumulation/Biofilmbildung und damit möglicherweise eine lebensbedrohliche Blutstrominfektion zu verhindern, erscheint natürlich sehr attraktiv. Aber auch wenn die meisten klinischen Studien und Metaanalysen eine geringere Wahrscheinlichkeit zur Kolonisation und Entwicklung von Blutstrominfektionen beim Chlorhexidin/Silbersulfadiazin-Katheter und Minocyclin/Rifampicin-Katheter demonstriert haben, verbleiben einige zur Zeit noch offene Fragen, die vor dem Einsatz solcher Katheter überdacht werden sollten.

1. Alle bislang publizierten Studien über den Chlorhexidin/Silbersulfadiazin-Katheter sind mit nur auf der Außenseite beschichteten Kathetern durchgeführt worden, Infektionen bei diesem Kathetertyp sind überwiegend bei längerer Liegedauer aufgetreten. Da mit zunehmender Verweildauer die intraluminale Besiedlung an Bedeutung gewinnt, ist von der Firma Arrow ein innen und außen beschichteter Katheter mit höherem Chlorhexidin-Gehalt und verbesserter Freisetzungskinetik entwickelt worden. Klinische Studien mit diesem neuen Katheter sind notwendig, um die eventuell verbesserte Wirkung beurteilen zu können.

Wegen der Beschichtung außen und innen erscheint der Minocyclin/Rifampicin-Katheter dem Chlorhexidin/Silbersulfadiazin-Katheter überlegen zu sein, was auch in der o. a. Vergleichsstudie zum Ausdruck kommt. Allerdings ist die Wirksamkeit bei Infektionen durch Candida, Pseudomonas und Enterokokken zweifelhaft wegen des Wirkungsspektrums der verwendeten Antibiotika. Weiterhin ist anzumerken, dass nahezu alle Studien mit diesem Kathetertyp von der Arbeitsgruppe durchgeführt wurden, die auch maßgeblich an der Entwicklung dieses Katheters beteiligt war. Hier wären in Zukunft klinische Studien von unabhängigen Forschergruppen wünschenswert.

2. Bei Chlorhexidin-haltigen Kathetern können allergische Nebenwirkungen auftreten [2]. Vor allem in Japan sind derartige unerwünschte Wirkungen vermehrt beobachtet worden, so dass diese Katheter dort nicht mehr verwendet werden. Der FDA war bis zum April 2000 nur ein solcher Fall aus den USA gemeldet worden. Auch wenn das Risiko angesichts 8 Mio. weltweit verkaufter Chlorhexidin/Silbersulfadiazin-Katheter gering erscheint, sollten die Patienten auf das Auftreten solcher Nebenwirkungen hin streng überwacht werden.

3. Obwohl in den bisher durchgeführten klinischen Studien mit kommerziell erhältlichen antimikrobiellen Kathetern eine Resistenzentwicklung gegenüber den Wirksubstanzen nicht festgestellt werden konnte, bleibt dies ein ernstzunehmendes Problem, das weiterer Untersuchungen bedarf. Mikroorganismen in Biofilmen benötigen wesentlich höhere Antibiotika-Konzentrationen zu ihrer Abtötung als dies normalerweise der Fall ist. Bei einem Abfall der Wirkstoffmenge nach 2 - 3 Wochen (üblich bei den zur Verfügung stehenden antimikrobiellen Kathetern) kann es auch in Biofilmen zu subinhibitorischen bzw. subletalen Konzentrationen kommen, was einer Resistenzentwicklung Vorschub leisten würde.

Bei Pseudomonas stutzeri konnte durch wiederholte Passagen mit subinhibitorischen Mengen Chlorhexidin eine Resistenz gegenüber Chlorhexidin induziert werden; ebenso bestand Resistenz gegenüber quaternären Ammoniumverbindungen, Triclosan und mehreren Antibiotika [3]. Ein Ausbruch von nosokomialen Harnwegsinfektionen mit einem Chlorhexidin-resistenten Proteus mirabilis-Stamm ereignete sich, nachdem Chlorhexidin zur Antisepsis vor Blasenkatheterisierung eingesetzt wurde [4].

Wiederholte Passagen in Gegenwart von subinhibitorischen Konzentrationen von Minocyclin und Rifampicin führten zu einem 4fachen Anstieg der minimalen Hemmkonzentration für Escherichia coli und sogar zu einem 15fachen Anstieg bei Staphylococcus epidermidis [5]. Dies ist bedenklich weil es beim Einsatz der Minocyclin/Rifampicin-Katheter zu einer Exposition der Hautflora mit subinhibitorischen Konzentrationen und nachfolgender Resistenzentwicklung kommen kann, und Rifampicin eine sehr wertvolle Reservesubstanz in der Therapie schwerer Staphylokokkeninfektionen (vor allem bei Fremdkörper-assoziierten Infektionen) darstellt.

Solange diese Probleme, vor allem das der möglichen Resistenzentwicklung, noch weitgehend ungeklärt sind, sollte der Einsatz antimikrobieller Katheter wohl überlegt werden. Im neuen Entwurf des HICPAC-Komittees in den USA zu Empfehlungen für die Prävention Katheter-assoziierter Infektionen (2001) wird u. a. festgestellt :„The decision to use chlorhexidine/silver sulfadiazine or minocycline/rifampin impregnated catheters should be based on the need to enhance prevention of catheter-related bloodstream infection balanced against the concern for emergence of resistant pathogens and the cost of implementing this strategy.”

Der Entwurf der Arbeitsgruppe der RKI-Kommission, die zur Zeit neue Hygieneempfehlungen erarbeitet, sieht bezüglich der Frage der Empfehlung von antimikrobiellen Kathetern Kategorie III vor, d. h. dies wird zur Zeit als ungelöstes Problem angesehen.

Der Stellenwert der antimikrobiellen Katheter kann daher zumindest für Deutschland nicht abschließend eingeschätzt werden. Wegen der möglichen Gefahr einer Resistenzentwicklung bzw. allergischer Nebenwirkungen sollten solche antimikrobiellen Kathetersysteme nur bei strenger Indikationsstellung und in Situationen, wo hohe Infektionsraten bzw. ein hohes Risiko zur Katheterinfektion von Seiten des Patienten bestehen, eingesetzt werden. Beispiele hierfür wären erwachsene Patienten mit totaler parenteraler Ernährung oder Intensivpatienten mit einer erwarteten Katheterliegedauer von mehr als 4 Tagen. Eine Anwendung bei Kindern kann zur Zeit nicht empfohlen werden.

Als nach wie vor wichtigste Maßnahmen in der Prävention von Katheter-assoziierten Infektionen sind daher strikte Asepsis beim Legen von Kathetern sowie strikte Einhaltung von Hygiene-Regeln bei der Pflege und beim täglichen Umgang mit Kathetern anzusehen. Die Suche nach alternativen Möglichkeiten, die Entstehung Katheter-assoziierter Infektionen z. B. durch Eingriff in die molekularen Pathomechanismen zu hemmen, sollte vorangetrieben werden ebenso wie die Entwicklung von Kathetermaterialien, die antiadhäsive oder antimikrobielle Eigenschaften aufweisen, ohne dass hierzu klassische Antibiotika oder Antiseptica verwendet werden müssen.

Literatur

  • 1 Mermel L A. Prevention of Intravascular Catheter-related Infections.  Ann Intern Med. 2000;  132 391-402
  • 2 Oda T, Hamasaki J, Kanda N, Mikami K. Anaphylactic shock Induced by an Antiseptic-coated Central Venous Catheter.  Anaesthesiology. 1997;  87 ((5) 1242-1244
  • 3 Russell A D, Tattawasart U, Maillard J Y, Furr J R. Possible Link between Bacterial Resistance and Use of Antibiotics and Biocides.  Antimicrob Agents Chemother. 1998;  42 ((8) 2151
  • 4 Dance D AB, Pearson A D, Seal D V, Lowes J A. A hospital outbreak caused by a chlorhexidine and antibiotic-resistant Proteus mirabilis.  J Hosp Infect. 1987;  10 10-16
  • 5 Sampath L, Tambe S, Modak S. Comparison of the efficacy of antiseptic and antibiotic catheters impregnated on both their luminal and outer surface (abstract).  In: Programs and Abstracts of the 39th Interscience Conference on Antimicrobial Agents and Chemotherapy. Sept. 26 - 29th, 1999.  San Francisco, CA, ; American Society for Microbiology 1999

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. B. Jansen

Abteilung für Hygiene und Umweltmedizin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Hochhaus Augustusplatz

55131 Mainz

Email: bjansen@mail.uni-mainz.de

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