Psychotrauma und Gedächtnis
Die neurobiologische Grundlage der PTBS ist Gegenstand der Forschung
und wurde bereits in einer Vielzahl von Übersichtsarbeiten diskutiert
[10] [11]
[12]. Befunde aus der funktionellen Bildgebung,
Elektrophysiologie und Molekularbiologie haben zu übergreifenden
neurobiologischen bzw. psychobiologischen Modellvorstellungen geführt. In
diesem Zusammenhang hat die Hippokampusformation eine besondere Bedeutung. Sie
spielt für die Funktion des Kurzzeitgedächtnisses und der
Konsolodierung des Langzeitgedächtnisses eine entscheidende Rolle
[13]. Zahlreiche Studien an PTBS Patienten haben ein
defizitäres Profil der Gedächtnisleistung bei Vietnamveteranen
[14] [15]
[16] und Opfern von sexuellem Missbrauch in der
Kindheit beschrieben [17].
Die Hippokampusformation spielt bei der räumlichen und zeitlichen
Erfassung von Sinneseindrücken eine entscheidende Rolle. Die massive
Ausschüttung von Neurohormonen - wie es in traumatischen Situationen
der Fall ist - führt nach neurobiologischen Modellvorstellungen u.
a. zu einer Fehlfunktion der Hippokampusformation. Wahrnehmungseindrücke
werden nicht mehr kategorial erfasst, sondern als zusammenhanglose
Sinneseindrücke olfaktorischer, visueller, akustischer oder
kinästhetischer Art wahrgenommen. Bessel van der Kolk
[10] [12] hat dieses
Phänomen so zusammengefasst:
„Because the hippocampus has not played its usual role in
helping to localize the incoming information in time and space, these fragments
continue to lead to isolated existence. Traumatic memories are timeless and
ego-alien.”
Hiernach kommt es zu einer Desynchronisation im Zusammenspiel des
sog. impliziten und expliziten Gedächtnisses. Die Hippokampusformation ist
für das explizite Gedächtnis von zentraler Bedeutung. Es steht
für die bewusste Wahrnehmung und Initialisierung von
Handlungen. Das implizite Gedächtnis ist sublaminal (unbewusst)
organisiert. Das Corpus amygdaloideum (Mandelkern) hat für das implizite
Gedächtnis und für die affektive Bewertung von Sinneseindrücke
eine wichtige Funktion. Im Kontext von Psychotraumastörungen wird
spekuliert, dass die ankommenden traumatischen Reize nicht hippokampal in das
Bewusstsein eingespeist (im expliziten Gedächtnis) und gespeichert,
sondern amygdaloid (im impliziten Gedächtnis) fragmentiert werden.
Im Flashback werden fragmentierte Gedächtnisinhalte reaktualisiert,
die sich in der traumatischen Situation verfestigt haben.
Atrophie der Hippokampusformation bei der posttraumatischen
Belastungsstörung
Modellvorstellungen zur hippokampalen Fehlfunktion bei
Psychotraumastörungen sind empirisch nur lückenhaft belegt. Die
Befunde stützen sich auf heuristische Modelle von Gedächtnis bzw.
Gedächtnisleistung, elektrophysiologische Befunde und Untersuchungen mit
Hilfe der funktionellen Bildgebung. Mit der Kernspinresonanztomographie
können Daten zur Volumetrie der Hippokampusformation bei PTBS Patienten
erhoben werden. In Tab. [1] sind 4 Studien
zusammengefasst, die sich mit diesem Thema auseinandergesetzt haben.
Kernspinresonanztomographie der
Hippokampusformation bei Patienten mit einer PTBS |
Autoren |
Probanden |
Kontrolle |
Ergebnis |
Bremner et al. [18]
|
26 männliche
Vietnamveteranen mit einer chronischen PTBS |
Parallelisierung in Bezug
auf Alter, Geschlecht, Rasse und Körpergröße
(N = 22) |
→Volumenminderung des
rechten Hippocampus um 8 % (signifikant) und des linken
Hippokampus um 3,8 % (nicht signifikant) → Nach
Kontrolle für sozioökonomischen Status, Schulbildung und
Alkoholkonsum besteht nur noch ein Trend für dieses
Ergebnis → Rechtshirnige Hippokampusatrophie korrelierte mit
verbalen Kurzzeitgedächtnisstörungen
|
Gurvits et
al. [19]
|
7 männliche
Vietnamveteranen mit einer chronischen PTBS |
7 Vietnamveteranen ohne
PTBS und 8 Probanden ohne Kriegseinsatz und Psychotraumatisierung in der
Vorgeschichte
|
→ Es bestand kein
signifikanter Unterschied zwischen den beiden Kontrollgruppen →
Signifikante bilaterale Volumenminderung der Hippokampi (26 %
links/22 % rechts) → Berücksichtigung von
Alkoholkonsum führte zur Abschwächung des Signifikanzniveaus
→ Hippokampusatrophie korrelierte mit dem Ausmaß des
Gefechtstraumas |
Stein et
al. [20]
|
21 Frauen mit sexuellem
Missbrauch in der Vorgeschichte. Nur 15 Frauen dieser Population wiesen eine
PTBS auf
|
→Kontrollgruppe
(N = 21) wies kein Psychotrauma in der Anamnese auf
→ Parallelisierung in Bezug auf Alter, Geschlecht,
Körpergröße, Körpergewicht, Händigkeit und
sozioökonomischer Status → Kontrollgruppe weist weniger
Alkoholgenuss in der Vorgeschichte auf, jedoch vergleichbarer Konsum zum
Untersuchungszeitpunkt
|
→ Frauen mit einem
sexuellen Missbrauch in der Vorgeschichte hatten eine signifikante
Volumenminderung um 4,9 % des linken Hippokampus. Rechts zeigte
sich eine Atrophie um 2,9 % ohne Signifikanz →Das
linke Hippokampusvolumen korrelierte signifikant mit dissoziativen Symptomen
(rs = -0.73) → Hippokampusatrophie zeigte
sich bei Frauen mit Hinweisen auf eine erhöhte
Glukokortikoidrezeptorsensitivität [21]
|
Bremner et
al. [22]
|
17 Opfer (5w/12m) von
schwerer physischer und sexualisierter Gewalt in der Kindheit mit einer
PTBS |
→ Parallelisierung
(N = 17) mit Alter, Geschlecht, Rasse, Schulbildung,
Körpergröße, Händigkeit und Jahre des
Alkoholkonsums |
→Signifikante
Atrophie (12 %) des linken Hippokampus, Atrophie des rechten
Hippokampus (5 %) ohne einen statistischen Nachweis auf
Signifikanz |
Tab. 1: Kernspinresonanztomographie der
Hippokampusformation
Alle 4 Studien weisen auf eine Atrophie der Hippokampusformation
hin. Im Vergleich der Ergebnisse bleibt offen, ob dieses Phänomen
bilateral oder unilateral auftritt.
Alle Studien [18] [19] [20]
[22] stimmen in der Volumenminderungen der
Hippokampusformation zwischen 5,0 % und 26,0 % bei
Patienten mit einer PTBS und/oder Psychotrauma in der Vorgeschichte
überein. Uneinheitlich sind die Ergebnisse, ob dieses Phänomen
bilateral [19] oder unilateral [18] [20]
[22] auftritt. Eine unidirektionale Lateralisation
besteht nicht.
Eine Atrophie der Hippokampusformation ist regelmäßig bei
Anfallsleiden, Erkrankungen des ischämischen Formenkreises
[23] und der Demenz vom Alzheimer Typ
[24] anzutreffen. Auch bei schizophrenen
[25] [26] und depressiven
Störungsbildern [27] [28] [29] konnte eine
Hippokampusatrophie nachgewiesen werden. Der M. Cushing zeichnet sich durch
einen Hyperkortisolismus und eine Hippokampusatrophie aus, die nach
therapeutischer Intervention reversibel ist [30].
Rezidivierende Depressionen weisen endokrinologisch ebenfalls einen
Hyperkortisolismus auf. Im Gegensatz hierzu ist bei der PTBS der
Kortisolspiegel erniedrigt und das Cortico-Releasing-Hormon (CRH) erhöht
[31]. Dieses Phänomen ist als paradoxe
Dysregulation der Stressachse (HPA-Paradox) bei der PTBS bekannt geworden.
Aus diesen Befunden lassen sich folgende Fragen ableiten:
-
Ist die Atrophie der Hippokampusformation als Ursache, Folge
oder sekundäre Begleiterscheinung der PTBS zu werten?
-
Handelt es sich bei der Hippokampusatrophie um eine selektive
Vulnerabilität bestimmter Zellpopulationen bzw. Regionen?
-
Welche Botenstoffe bzw. welche Rezeptoren sind an dem
Pathomechanismus der Hippokampusatrophie beteiligt?
Ist die Atrophie der Hippokampusformation als Folge, Ursache
oder sekundäre Begleiterscheinung der PTBS zu werten?
Diese Frage betrachten wir, indem wir das Verlaufsmodell der psychischen Traumatisierung nach
Fischer und Riedesser [32] heranziehen (siehe Abb.1).
Es umfasst im einzelnen die Phasen der prätraumatischen Antezendenzbedingungen -
traumatische Situation - Reaktion und traumatischer
Prozess. Ein traumatischer Prozess tritt ein,
wenn der Übergang in die postexpositorische Erholungsphase dauerhaft
scheitert. Er kann näher untergliedert werden in die zeitnahe
Einwirkungsphase des Traumas (bis ca. 14 Tage bis 4
Wochen postevent) und die Phase der Verfestigung. Der
traumatische Prozess kann auf der Zeitachse unterschiedliche
Symptomkonstellationen hervorbringen, die sich durch ein breitgefächertes
Komorbiditätsspektrum auszeichnen (s. o.). Nathan und Fischer
[33] haben typische Verlaufsmuster der PTBS im
traumatischen Prozess beschrieben (siehe Abb. [1]) und einen PTBS Angst-, Sucht-, Dissoziations- und
leistungskompensatorischen Typ identifizieren können.
Als Ursache für die Atrophie des Hippokampus werden in der
Literatur 3 Hypothesen diskutiert, die schematisch in Abb. [1] dargestellt sind (I, II,
III).
Abbildung 1: Atrophie der
Hippokampusformation im Verlaufsmodell der Psychotraumatisierung: Zur
Darstellung kommt ein adaptiertes Verlaufsmodell der Psychotraumatisierung
(modifiziert nach Fischer & Riedesser, 1999). 3 Hypothesen (I,II,III) zur Atrophie des Hippokampus werden dargestellt.
Erklärung siehe Text.
ad 1:
Die erste Hypothese (I, siehe
Abb. [1]) besagt, dass die Atrophie der
Hippokampusformation bereits vor der Psychotraumatisierung bestanden hat und
als Risikofaktor für die Entwicklung einer PTBS gewertet werden kann.
Für diese Hypothese sprechen sowohl Zwillingsstudien als auch Befunde aus
der Intelligenzforschung. Zwillingsstudien haben eine signifikante Konkordanz
zur Entwicklung einer PTBS unter Vietnam Veteranen ergeben
[34]. Ein niedriger Intelligenzquotient gilt als
gesicherter Risikofaktor für die Entwicklung einer PTBS
[35]. Retrospektiv konnte gezeigt werden, dass
Vietnamveteranen, die eine PTBS entwickelt haben, zum Zeitpunkt der Musterung
einen niedrigeren Intelligenzquotient [36] und
häufiger sogenannte neurologische „soft signs” (z. B.
Aufmerksamkeitsdefizite, Hyperaktivität, Lernschwäche usw.)
aufgewiesen haben [37]. Ursache für diese
neurologischen und neuropsychologischen Merkmale kann hypoxischer Stress unter
der Geburt sein, der eine selektive Schädigung u. a. der
Hippokampusformation nach sich zieht.
ad 2:
Die zweite Hypothese besagt, dass die Atrophie der
Hippokampusformation ursächlich mit dem Psychotrauma verknüpft ist
und unabhängig von der Entwicklung einer PTBS auftritt (II, siehe Abb.1). Diese Hypothese wurde von Sapolsky
[38] aufgegriffen, indem er auf die Bedeutung der
Schwere des Kriegstraumas als entscheidende Kovariable in den Untersuchungen
von Gurvits et al. [19] aufmerksam gemacht hat.
Ebenso ist zu bedenken, dass in der Studie von Stein et al.
[20] lediglich 15 von 21 missbrauchten Frauen an
einer PTBS leiden.
Leider fehlen Studien, die, analog zum Verlaufsmodell der
Psychotraumatisierung [32], die Psychodynamik der
traumatischen Situation in neurobiologische Fragestellungen einbeziehen.
ad 3:
Die dritte Hypothese besagt, dass die Atrophie der
Hippokampusformation als Folge der PTBS zu werten ist (III, siehe Abb.1). Für diese Überlegung sprechen
Prävalenzraten der PTBS und Untersuchungen im Tiermodell. Die
Wahrscheinlichkeit, eine PTBS nach einem belastenden Lebensereignis zu
entwickeln, ist von der Art der Traumatisierung abhängig (s. o) und
divergiert zwischen 57 % (sexueller Missbrauch) und ca.
10 % (Verkehrsunfälle). Dies spricht gegen die
Hippokampusatrophie als Risikofaktor, da die Wahrscheinlichkeit Opfer einer
Vergewaltigung zu werden, kaum von der Größe des Hippokampus
abhängig sein kann. Darüber hinaus wird die Hypothese
III tierexperimentell gestützt. So konnten Czeh et
al. [39] an Halbaffen (Tupaia belangeri), die einem
chronischem Stressmodell ausgesetzt waren, einen Rückgang des
N-Acetyl-Aspartat (sensibler Marker für Neuronenschaden)
in vivo um 13 % nachweisen. Passend
hierzu gelang es Schuff et al. [40] an
Vietnamveteranen, die an einer PTBS erkrankt waren
(N = 7), eine Reduktion von N-Acetyl-Aspartat im rechten
Hippokampus um 18,2 % im Proton-Magnet-Resonanz-Spektroskopie
darzustellen. Untersuchungen von McEven & Magarinos [41] konnten in einem Stressmodell eine reversible,
selektive Vulnerabilität apikaler Dendriten in der CA3 Region des
Hippokampus nachweisen; diese Befunde werden uns noch beschäftigen.
In der Summe überwiegen die Argumente, die den
Prozessverlauf der PTBS als primäre Ursache der Hippokampusatrophie sehen.
Hieraus ergeben sich wichtige Implikationen für die Prävention der
PTBS. Sie sollte nach zielgruppenorientierten Kriterien, wie es z. B. im Rahmen
der Opferhilfe [42] und im militärischen Bereich
[43] vorgeschlagen wurde, erfolgen.
Dennoch müssen Einwände geltend gemacht werden,
welche die Vermutung eines strengen Zusammenhanges von traumatischem Prozess
und Hippokampusatrophie relativieren. Bremner et al. [22] haben darauf aufmerksam gemacht, dass das
Ausmaß der Atrophie nicht mit der Zeit korreliert, die seit dem
Psychotrauma vergangen ist. Bisher blieb in einer prospektiven Untersuchung
von
Bonne et al. [44] der Nachweis einer
Hippokampusatrophie bei Patienten mit einer PTBS 6 Monate nach einem
ernsthaften Autounfall aus. De Bellis et al. [45]
konnten bei 44 Kindern und Jugendlichen mit der Diagnose einer PTSD lediglich
ein kleineres zerebrales Volumen im Vergleich zur Kontrollgruppe
(N = 61) nachweisen; eine selektive Hippocampusatrophie
zeigte sich nicht. Darüber hinaus haben Yehuda [46] und Sapolsky [38] darauf
hingewiesen, dass der Alkoholkonsum als Begleiterscheinung der PTBS als
primäre Ursache für die Atrophie in den aufgeführten Studien in
Betracht gezogen werden muss [47]. Neben diesen
Unebenheiten, die es erschweren, dem Forschungsstand eine klare Richtung zu
geben, ist die Übertragbarkeit von Tiermodellen auf den Menschen
grundsätzlich problematisch. Dies gilt besonders für die PTBS, da ein
kleinster gemeinsamer Nenner dessen fehlt, was einer PTBS im Tiermodell
entspricht.
Handelt es sich bei der Hippokampusatrophie um eine selektive
Vulnerabilität bestimmter Zellpopulationen bzw. Regionen?
Diese Fragestellung ist unmittelbar mit den anatomischen
Besonderheiten des synaptischen Verschaltungsmusters der Hippokampusformation
verknüpft. Topographisch handelt es sich bei der Hippokampusformation um
eine bilaterale subkortikale Struktur im Temporallappen, die trilaminär
organisiert ist. Sie besteht aus der Area dentata und dem Hippokampus (Cornu
ammonis) im engeren Sinne. Area dentata und Hippokampus sind über eine
dreisynaptische Verschaltung [48] in besonderer Weise
verbunden (siehe Abb. [2] und Abb. [4]).
Abbildung 2: Dreisynaptische
Verschaltung der Hippokampusformation (Ratte): Axone des entorhinalen Cortex
(TP = Tractus perforans) bilden mit den Dendriten der
Körnerzelle (g) im S. molekulare (M) die erste glutaminerge Synapse. Die
Axone der Körnerzellen, sogenannte Moosfasern, sind über eine zweite
Schaltstelle mit den Pyramidenzellen der CA3-Region verbunden. Dieser Zelltyp
steht über Schafferkollateralen und kommissuralen Projektionen mit den
CA1-Pyramidenzellen in Verbindung. Abkürzungen:
O = Stratum oriens, P = S.
pyramidale, R = S. radiatum, LM = S.
lakunosum molekulare, M = S. molekulare,
AD = Area dentata, H = Hilus
dentatus
Vom entorhinalen Cortex erreichen die Axone des Tractus perforans
das äußere Stratum (S) molekulare der Area dentata und bilden mit
den Dendriten der Körnerzelle die erste Synapse. Die Axone der
Körnerzelle, sogenannte Moosfasern, haben synaptische Kontakte mit den
Pyramidenzellen der CA3-Region im S. lucidum. Bevor die Axone der
CA3-Pyramidenzelle den Hippokampus über die Fimbrie verlassen, geben sie
die Schafferkollateralen ab, welche die CA1-Pyramidenzelle innervieren. Die
Schafferkollateralen bilden mit den Pyramidenzellen der CA1-Region die dritte
glutaminerge Synapse. Die exzitatorische Neurotransmission dieser 3
hintereinander geschalteten glutaminergen Synapsen wird durch ein System von
Rückwärts- und Vorwärtshemmung der Zwischenneurone reguliert.
Die Zwischenneurone werden zytomorphologisch [49] und
histochemisch durch ihren Gehalt an Neuropeptiden charakterisiert
[50] [51]
[52] [53]. Cholinerge
reziproke Verbindungen bestehen insbesondere zwischen Hippokampusformation und
dem Septum im basalen Vorderhirn.
Die Ursache für die Ähnlichkeit des histopathologischen
Bildes im Hippokampus bei Epileptikern [54] und
Krankheiten des ischämischen Formenkreises wurde schon Anfang dieses
Jahrhunderts kontrovers diskutiert. Spielmeyer [23]
sieht in den „ungünstigen vaskulären Zirkulationsverhältnissen”
den „lokalen Faktor für die elektive Vulnerabilität” dieses Gebietes im
Ammonshorn. Das ortsbestimmende Moment ist die Gefäßversorgung. Vogt
und Vogt [55] sind die Hauptvertreter der
Gegenhypothese und suchen die Ursache für die selektive
Vulnerabilität in den inneren Bedingungen der Gewebsteile. Vogt und Vogt
sprechen von „Pathoklise” und verstehen darunter die Neigung
topistischer Einheiten, auf spezifische Schädlichkeiten leicht mit
bestimmten Veränderungen zu reagieren. Die Ursache der Pathoklise liegt in
den „physikochemischen Eigenschaften” dieser Einheiten.
Abbildung 3 : Ischämische
Hippokampusformation infolge einer Kreislaufstörung beim Menschen
(Orginalabbildung aus Spielmeyer, 1925). Örtlich selektiver
Neuronenausfall im Sommerschen Sektor (CA1). Zu beachten ist die scharfe
Abgrenzung zur CA3-Region (siehe Pfeilspitze). Abkürzungen:
AD = Area dentata
Nachdem gezeigt werden konnte, dass diese Hirngebiete eine
besonders hohe Blutzirkulation in der frühen Reperfusionsphase nach einer
vorübergehender Ischämie haben [56]
[57], sind die Modellvorstellungen von einer
vaskulären Ursache der selektiven Hirngewebsschädigung
abgerückt.
Abhandlungen, welche sich mit der Vulnerabilität von
Subregionen in der Hippokampusformation im Stress beschäftigt haben, sind
- im Gegensatz zur Epilepsie und Ischämieforschung-
Einzelfälle. McEven und Magarinos [41] konnte
eine reversible Atrophie der apikalen Dendriten in der CA3-Region des
Hippokampus nachweisen. Czeh et al. [39] gelang es,
in einem Stressmodell an Halbaffen einen Rückgang der Proliferationsrate
von Vorläufern der Körnerzellen (-33 %) in der Fascia
dentata post mortem immunhistochemisch zu zeigen.
Auch wenn diese Befunde ein vollständiges Bild vermissen
lassen, so ist doch davon auszugehen, dass die Atrophie der
Hippokampusformation auch bei Stress auf einen Pathomechanismus
zurückzuführen ist, der - im Sinne einer Pathoklise an
neurobiologische Besonderheiten des Krankheitsbildes und charakteristische
physikochemische Eigenschaften bestimmter Zellpopulationen in der
Hippokampusformation gebunden ist.
Welche Botenstoffe bzw. Rezeptoren sind an dem Pathomechanismus
der Hippokampusatrophie beteiligt?
Um diese Frage aufzugreifen, ist es hilfreich, einen Blick auf
Befunde der molekularbiologischen Ischämie- und Epilepsieforschung zu
werfen. Die Entdeckung des exzitatorischen Neurotransmitters Glutamat hat die
Entdeckung seiner Neurotoxizität mit sich geführt
[58]. Diese Beobachtung ist die Grundlage des
exzitotoxischen Konzepts von Olney [59], nach dem die
präsynaptische Freisetzung von Glutamat potentiell in der Lage ist,
postsynaptisch Zellen zu schädigen.
Jørgensen und Diemer [60]
vermuteten eine extensive Freisetzung von Glutamat in der CA1-Region unter der
Ischämie, welche sich 1984 mit Hilfe der Mikrodialysetechnik
[61] bestätigt hat [62] [63]. Diese extensive
Freisetzung von Glutamat könnte somit die Ursache für die topistische
Neurodegeneration der Pyramidenzellen in der CA1-Region des Hippokampus sein.
Ergänzend zu dieser Vorstellung vermuten andere Autoren z. B.
[64], dass die Ursache für die selektive
Vulnerabilität bei Ischämie und Epilepsie in einer gemeinsamen
pathophysiologischen Endstrecke liegt. Durch die Beschädigung des
inhibitorischen Systems entstehen paroxysmale Entladungen, die eine
Störung des osmotischen Gleichgewichts der Zelle verursachen. Erhöhte
intrazelluläre Kalziumkonzentration leitet eine Vielzahl von Mechanismen
ein, an deren Ende der Zelltod steht. Nach dieser Theorie soll die
Gamma-Amino-Buttersäure (GABA) Inhibition der Interneurone in der
Hippokampusformation in dem Zeitraum vor dem CA1-Pyramidenzellverlust
geschwächt sein und zu einer Übererregung der CA1-Pyramidenzellen
beitragen. Übererregung wäre somit Ausdruck einer geschwächten
Inhibition.
McEven et al. [65] haben im Stressmodell
eine Atrophie der apikalen Dendriten der CA3-Pyramidenzellen 21 Tage nach einer
täglichen Applikation von Kortikosteroiden beschrieben. Auch
psychosozialer Stress verursacht diese morphologischen Veränderungen
sowohl bei Ratten [66] als auch bei Halbaffen
[67]. Elektronenmikroskopische Untersuchungen konnten
zeigen, dass diese Atrophie mit Alterationen der Moosfasernterminalen im S.
lucidum der CA3-Region einhergeht [68].
Dieses histopathologische Bild kann durch die Applikation von
folgenden Pharmaka verhindert werden:
-
NMDA-Rezeptorblocker
-
Glukokortikoid-Synthese-Blocker
-
Benzodiazepine
-
Tianeptine
Hieraus lassen sich Rückschlüsse ziehen, die auf ein
Störung des Gleichgewichtes zwischen dem inhibitorischen und
exzitatorischen System unter extremem Stress hindeuten. Die Freisetzung von
Glutamat ist unter Stress im Hippokampus und anderen Hirnregionen erhöht
[65]. Durch die Applikation von N-Methyl-D-Aspartat
(NMDA)-Glutamat-Rezeptorantagonisten kann die Atrophie der apikalen Dendriten
abgewendet werden. Darüber hinaus bleiben die morphologischen
Veränderungen in der CA3-Region nach Gabe eines Glukokortikoid-Syntheseblockers
aus. Dieser Befund schließt den Kreis zum exzitatorischen System,
da die Rezeptorbindung von Glutamat von der Kortisolkonzentration beeinflusst
wird [69]. Die Kaskade endet via NMDA-Rezeptoren
in einer neurotoxischen intrazellulären Kalziumkonzentration.
Möglicherweise trägt eine Dysfunktion des inhibitorischen Systems
ebenfalls zu diesem Pathomechanismus bei, da Benzodiazepine
(z. B. Adinazolam) eine Atrophie der Dendritenbäume
in der CA3-Region verhindern.
Tianeptin - ein atypisches trizyklisches Antidepressivum-,
welches die Serotonin-Wiederaufnahme steigert, ist ebenfalls in der Lage, die
Atrophie abzuwenden. Eine mögliche Erklärung besteht darin, dass
Serotonin - wie Kortisol - die Rezeptorbindung von Glutamat am
NMDA-Rezeptor steigert [70] [71]. Sinkt die extrazelluläre
Serotoninkonzentration durch die Gabe von Tianeptin, verringert sich indirekt
die Rezeptorbindung von Glutamat. Diese Überlegung widerspricht sich
jedoch mit pharmakologischen Studien, die den
Selektiven-Serotonin-Rückaufnahmehemmern bei der Behandlung der PTBS eine
besondere Bedeutung beimessen [72].
Abbildung 4: Verschaltungsmuster
einer CA3-Pyramidenzelle und eines Interneuron des Hippokampus im Stressmodell
(modifiziert nach Johansen, 1993 und McEven & Magarinos, 1997).
Die CA3-Pyramidenzellen werden u. a. durch die glutaminergen
Moosfasern, welche im Stratum lucidum enden, innerviert. Axonkollateralen
innervieren GABAerge Interneurone. Axone der CA3-Pyramidenzelle verlassen den
Hippokampus über die Fimbrie. Zuvor geben sie Schafferkollateralen ab, die
CA1 Pyramidenzellen innervieren. Durch Glukokortikoide und psychosozialen
Stress kommt es zu einer Atrophie der apikalen CA3-Dendritenbäume.
NMDA-Antagonisten, Benzodiazepine, Glukokortikoidrezeptorantagonisten und
Tianeptine wirken protektiv.
Zusammenfassend weisen die Befunde aus der experimentellen
Pharmakologie darauf hin, dass im Stressmodell Glukokortikoide und Glutamat
synergistisch das exzitatorische System hypersensibilisieren und hierdurch im
Tiermodell an der Atrophie der Dendritenbäume in der CA3-Region beteiligt
sind. Das Gleichgewicht von Exzitation und Inhibition wird zusätzlich vom
serotonergen, GABAergen und cholinergen System (Afferenzen aus dem Septum)
beeinflusst.
Wirft man einen Blick auf die molekurarbiologischen Stress-,
Ischämie- und Epilepsiemodelle, so zeigen die Befunde in der
Hypersensibilisierung des exzitatorischen Systems eine gemeinsame
pathophysiologische Endstrecke.
Wie lassen sich diese Befunde mit einem erniedrigten
Kortisolspiegel bei PTBS-Patienten in Einklang bringen, der möglicherweise
sogar schon in der akuten traumatischen Situation besteht
[46]? Das Phänomen des erhöhten CRH-Spiegels
[73] in Kombination mit einem erniedrigten
Kortisolspiegel [31] ist als paradoxe Dysregulation
der Stressachse (HPA-Paradox) bekannt geworden. Dies steht im Gegensatz zum
Stressmodell, das sich durch einen Hyperkortisolismus auszeichnet. Yehuda
[46] hat hierzu eine Hypothese entwickelt, welche die
hippokampale Veränderung über eine Hypersensibilsierungskaskade des
exzitatorischen Systems erklärt. Ihre Arbeitsgruppe konnte zeigen, dass
PTBS-Patienten eine erhöhte Anzahl und Empfindlichkeit von
Glukokortikoidrezeptoren aufweisen [21]. Darüber
hinaus konnte im Dexamethasontest eine erhöhte negative
Feedback-Regulation des Kortisolspiegels nachgewiesen werden
[46]. Diese Befunde haben zur Überlegung
geführt, dass das HPA-Paradox auf eine erhöhte negative
Feedback-Regulation zurückzuführen ist. Eine Hypersensibilisierung des
Glukokortikoidrezeptors könnte eine Erklärung sein, warum ein
niedriges Kortisol bei PTBS-Patienten die Vulnerabilität hippokampaler
Neuronenverbände steigert. Es bleibt unklar, warum im Ischämie- und
Epilepsiemodell vorzugsweise die CA1-Region einen Verlust an Pyramidenzellen
aufweist und das Stressmodell primär morphologische Alterationen in der
CA3 nach sich zieht.
Ausblick
Wir schlussfolgern, dass die Ursache für die
Hippokampusatrophie bei der PTBS einer heterogenen Ätiologie entspringt
und aus der Verlaufsgestalt der Psychotraumatisierung interpretiert werden
sollte. Hierbei sind prätraumatische Faktoren, Situationsfaktoren des
Psychotraumas und der traumatische Prozess zu berücksichtigen. Die
prätraumatischen Faktoren beziehen sich nach derzeitigen Forschungsstand
auf z. B. Konstrukte der Intelligenzforschung. Da die Schwere des Traumas mit
der Hippokampusatrophie Korrelationen aufweist, sollte die psychodynamische
Mikroanalyse der traumatischen Situation in zukünftige Untersuchungen
systematisch einbezogen werden, vgl. [74].
Tierexperimentelle und empirische Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren
deuten darauf hin, dass die PTBS selbst den größten
ätiologischen Anteil an der Hippokampusatrophie hat. Aus diesem Grunde
sollte der traumatische Prozess durch eine Verlaufsdiagnostik ergänzt
werden vgl. [33]; [75], da
komorbide Störungsbilder (z. B. Alkoholabhängigkeit als
traumakompensatorische Strategie) die Hippokampusatrophien begünstigen
können.
Metakonzepte deuten auf eine gemeinsame pathophysiologische
Endstrecke im Stress-, Epilepsie- und Ischämiemodell hin, die in der
Aktivierung der Hyperexzitabilitätskaskade besteht. Auf
molekularbiologischer Ebene fehlt der gemeinsame Nenner dessen, was einer PTBS
im Tiermodell entspricht. Derzeitige Modellvorstellungen orientieren sich am
Stresskonzept, welches von einem Hyperkortisolismus geprägt ist. Im
Gegensatz hierzu zeichnet sich die PTBS durch einen erhöhten CRH bei
erniedrigtem Kortisolspiegel aus. Yehuda [46] geht
bei der PTBS von einer Hypersensibilisierung der Glukokortikoidrezeptoren im
Hippokampus aus, die - auch bei erniedrigtem Kortisol -
Glutamatrezeptorbindung und -expression begünstigt und via NMDA-Rezeptoren
die intrazelluläre Kalziumkonzentration erhöht. Proteolyse mit
Verlust von Neuropil und Zelluntergang können die Folge sein.
Unser Diskurs zum Forschungsstand und Forschungshypothesen der
Hippokampusatrophie bei der PTBS macht deutlich, dass interdisziplinäre
Konzepte aussichtsreich erscheinen, die psychische Traumatisierung als einen
komplex-kybernetischen Verlaufsprozess erfassen. Eine Abstimmung und
Integration der klinischen, bildgebenden, molekularbiologischen und
psychodynamischen Zugangsweise ist somit erforderlich, um die Verlaufsgestalt
der PTBS aus der Perspektive unterschiedlicher Forschungstraditionen zu
betrachten.