Rehabilitation (Stuttg) 2002; 41(2/3): 201-208
DOI: 10.1055/s-2002-28445
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Wirtschaftliche Aspekte der ambulanten Rehabilitation - Methodische Ansätze und Zwischenergebnisse aus einem Projekt zur Wirtschaftlichkeit ambulanter Rehabilitation in Mecklenburg-Vorpommern

Economic Aspects of Outpatient Rehabilitation - Methods and Results of a Study about Economic Efficiency of Outpatient Rehabilitation
in Mecklenburg-Vorpommern
H.  E.  Klingelhöfer, A.  Lätzsch
  • 1Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Betriebliche Finanzwirtschaft, insbes.
    Unternehmensbewertung, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
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Publication Date:
08 May 2002 (online)

Zusammenfassung

Seit der Änderung des œ 15 Abs. 2 Satz 1 SGB VI und insbesondere mit Inkrafttreten des SGB IX gewinnt die ambulante Rehabilitation zunehmend an Bedeutung. Während der medizinische Erfolg solcher Rehabilitationsmaßnahmen schon seit einiger Zeit Gegenstand vieler Untersuchungen ist, sind Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen bisher eher selten anzutreffen. Vor diesem Hintergrund geht der vorliegende Artikel zunächst auf die grundsätzlich anzuwendende Methodik bei der ökonomischen Beurteilung ambulanter Rehabilitationsmaßnahmen ein, bevor er näher ein Projekt im Förderschwerpunkt Rehabilitationswissenschaften vorstellt, das die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit ambulanter Rehabilitation in Mecklenburg-Vorpommern untersucht. Im Rahmen einer Vollerhebung aller für eine ambulante Rehabilitation hinsichtlich aller Kriterien geeigneten Reha-Antragsteller der dortigen LVA mit orthopädisch-traumatologischen Indikationen prüft es als randomisierte und kontrollierte Studie zuerst, ob der Rehaerfolg und das Niveau der wiederhergestellten Arbeitsfähigkeit bei ambulanten und stationären Rehamaßnahmen zumindest vergleichbar sind. Ist diese Bedingung erfüllt, so wendet sich die Untersuchung anschließend der bisher nur rudimentär behandelten Frage zu, ob es durch die Wahl einer ambulanten Rehamaßnahme zu nach Höhe und Zeit veränderten Beitragsausfällen und/oder Zahlungen für erwerbsminderungsbedingte Lohnersatzleistungen kommt und ob die Maßnahme selbst mit anderen Kosten für die gesetzliche Rentenversicherung verbunden ist. Nach den bislang erzielten Ergebnissen scheint sich zu bestätigen, dass die ambulante Reha für dazu geeignete Patienten einen ungefähr vergleichbaren Rehaerfolg mit deutlich weniger Mitteln als stationäre Maßnahmen erzielen kann. Der Rehaerfolg liegt kurzfristig, d. h. zum Ende der Rehabilitation, zwar etwas tiefer, ist dafür aber mit besseren Ergebnissen noch 1 Jahr nach Beendigung der Maßnahme nachhaltiger.

Abstract

Since the recent changes in the German social code the outpatient rehabilitation system gains importance. While more and more studies investigate the medical outcomes of outpatient rehabilitation, the economic effects have hardly been examined so far. This article first presents fundamental methods to use for economic evaluation of outpatient rehabilitation and subsequently outlines the findings of a project comparing the economic effects of outpatient and inpatient rehabilitation in Mecklenburg-Vorpommern. The study statistically covers the total population of applicants for orthopaedic-traumatologic rehabilitation who are suitable for outpatient rehabilitation. A randomized and controlled study, it investigates outcome parameters of the two variants of rehabilitation compared. If the results are approximately equal, the differences between amounts and periods of payments and costs for the pension insurance agency are analyzed. And in fact, the results obtained so far from the investigation confirm that, in suitable patients, outpatient rehabilitation can achieve approximately the same outcomes as inpatient rehabilitation - but at distinctly lower costs. Although in the short term (i. e., at the end of treatment) outcome levels are somewhat lower, better results found even one year later however indicate a more sustained effect.

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1 Vgl. zu einer ausführlichen Diskussion der Anwendbarkeit von Methoden der Nutzen-Kosten-Untersuchungen [10]; vgl. außerdem [15] [16] [18] und [2], S. 111 - 114.

2 Beim Modell von Weingartner und Hax geht es darum, die mit bestimmten (individuellen) Faktoren gewichteten Entnahmen der einzelnen Perioden t insgesamt zu maximieren, wobei über Liquiditätsnebenbedingungen sicherzustellen ist, dass die Summe aller Auszahlungen (inkl. der Entnahmen) in keiner Periode t die Summe der Einzahlungen übersteigt. Ein solches lineares Optimierungsproblem ist beispielsweise mit Hilfe des Simplexalgorithmus lösbar und liefert dann die tatsächlich durchzuführenden Investitions- und Finanzierungsalternativen und ihren jeweiligen Umfang. Zum Modell von Weingartner und Hax vgl. [19], S. 16 ff. und [7], S. 435 ff. Vgl. ferner [5], S. 742 ff., [9], S. 75 - 88, [13], S. 213 - 220.

3 Im Rahmen einer mehrperiodigen Rechnung verwendet man keine Erfolgs- (wie Gewinne, Kosten etc.), sondern Zahlungsgrößen, denn der Opportunitätskostenanteil an den Kosten ergibt sich aus vorhandenen Beschränkungen und alternativen Verwendungen und kann erst bei Lösung des alle alternativen Verwendungen und alle Beschränkungen enthaltenden Totalproblems (d. h. etwa auf Basis des Modells von Weingartner und Hax) korrekt bestimmt werden. Über den gesamten Betrachtungszeitraum hinweg führt die zahlungsbasierte Rechnung aber zum gleichen Ergebnis wie eine die theoretisch richtigen wertmäßigen Kosten und Leistungen zugrunde legende Betrachtung (Lücke-Theorem). Vgl. zu diesen Zusammenhängen [1], S. 25 - 42 (insbes. S. 34 ff.), 44 f., 53, 164, 177 f.; [8], S. 755 f.; [17], S. 4 und 86; [6] [11]; [9], S. 152 - 154.

4 Als theoretisch richtiger Diskontierungszinsfuß ist die Initialverzinsung der jeweils besten Alternative der einzelnen Perioden des Zahlungsanfalls heranzuziehen; aus Vereinfachungsgründen nimmt man in der Praxis freilich häufig auch nur den internen Zins der besten Vergleichsalternative, wenn das Totalproblem aufgrund seiner Komplexität nicht zu lösen ist und die Anwendungsvoraussetzungen des internen Zinses erfüllt sind (vgl. dazu etwa [9], S. 48 f., 55, 58 - 60, 130 - 132). Im Reha-Bereich werden dies zumeist die Kapitalmarktzinsen sein, die als Alternative in Frage kommen - nämlich der Habenzins, wenn die Opportunität in einer Anlage am Kapitalmarkt liegt, oder der Sollzins, wenn Geld am Kapitalmarkt aufgenommen werden soll oder Schulden getilgt werden können.

5 Ist der Diskontierungszinsfuß iτ in den betrachteten Perioden τ unterschiedlich, so ist im Nenner statt des Exponentialterms das Produkt aller t + 1 periodenspezifischen Abzinsungsfaktoren (1 + iτ) zu setzen, wobei der periodenspezifische Laufindex τ in diesem Produkt die Werte von 0 bis t durchläuft und (1 + i0) = 1 gilt.

6 Dass indes auch eine solche Vorgehensweise gerade im Gesundheitsbereich nicht frei von Problemen ist, sei hier nicht verschwiegen: Eine Variabilisierung der Vergütungen ist zwar unerlässlich für eine verursachungsgerechte Zuordnung, bietet aber zugleich den Anreiz, im Falle nicht ausgelasteter Kapazitäten den Patienten als kränker darzustellen, als er ist, und nicht erforderliche Maßnahmen durchzuführen, um auf diese Weise höhere Einzahlungen zu erzielen.

7 Hierunter fiele etwa der Fall, dass der Bau einer stationären Klinik politisch als Strukturmaßnahme verstanden und entsprechend durch Fördergelder unterstützt wird. Für eine ambulante Einrichtung hingegen wird dies in der Regel nicht gelten. Während diese Fördergelder bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtung häufig insofern investitionsneutral sind, als sie nur eine andere Finanzierungsquelle des ansonsten gleichen Investitionsbetrages darstellen (die Gelder werden nicht vom Einrichtungsbetreiber, sondern von der Allgemeinheit aufgebracht), werden sie für den konkreten Einrichtungsbetreiber zumeist von immenser Wichtigkeit sein, weil sich die von ihm zu tragenden Investitionsausgaben um einen entsprechenden Betrag verringern.

8 Dazu muss sichergestellt werden, dass in der Interventionsgruppe wie in der Kontrollgruppe die Mischung der Patienten keine systematisch bedingten Einseitigkeiten aufweist.

9 Eine solch einschränkende Betrachtung ist mit Blick auf wirtschaftliche Fragestellungen keinesfalls zwingend. Denn aus rein ökonomischer Sicht könnte eine besser zu beurteilende Situation auch schon dann vorliegen, wenn ein verschlechterter medizinischer Reha-Erfolg auf der Basis eines weit geringeren Mitteleinsatzes möglich wäre. Dieser weiten Auslegung wird jedoch hier ausdrücklich nicht gefolgt. Ökonomische Überlegungen gehen medizinisch nicht zu Lasten der Patienten.

10 Vom Funktionsfragebogen Hannover (FFbH) waren indikationsbezogen die Ausprägungen R für Rückenerkrankungen, P für polyartikuläre Gelenkerkrankungen und OA für Erkrankungen der großen Gelenke vorgesehen. Im Endeffekt beschränkte sich der Einsatz aber auf die Versionen R und OA, da der einzige tatsächlich infrage kommende Patient mit polyartikulären Gelenkerkrankungen seine Maßnahme nicht antrat.

11 Die Berechnung von Krankengeld aus den zugehörigen Zahlungszeiträumen und dem gezahlten Übergangsgeld ist möglich, weil sich die Bemessungsgrundlage für das Übergangsgeld bei medizinischen Leistungen auf das Regelentgelt nach œ 47 Abs. 1 und 2 SGB V bezieht, das seinerseits vorrangig der Krankengeldberechnung dient. Die Bemessungsgrundlage für das Übergangsgeld beträgt i. d. R. 80 % des Regelentgeltes (œ 21 SGB VI), während Krankengeld in Höhe von 70 % desselben gezahlt wird (œ 47 Abs. 1 SGB V). Für die Übergangsgeldzahlung werden ggf. von der Bemessungsgrundlage noch Abzüge nach œ 24 SGB VI vorgenommen, sofern das Übergangsgeld nicht aus Arbeitslosengeld o. Ä. berechnet wird.

12 Während in t1 weder seitens der LVA noch der Projektmitarbeiter direkt Einfluss auf das Ausfüllverhalten in den Einrichtungen genommen werden konnte und insofern nicht mit einer so guten Datenlage wie in t0 zu rechnen sein wird, stabilisiert sich nach Einführung von wiederholten Erinnerungen und Zusenden von Fragebogen etc. sowie dem Überwinden erster Anlaufschwierigkeiten die Datensituation für t2 trotz Freiwilligkeit der Teilnahme auf zunehmend höherem Niveau.

13 Die Summenskalen des SF-12 sind gem. [3], S. 68, schon dann nicht mehr errechenbar, wenn ein Item fehlerhaft oder gar nicht ausgefüllt wurde.

14 Vorhanden sind sogar 99 Kostendatensätze von 37 stationär und 62 ambulant therapierten Patienten. 9 von diesen haben aber aufgrund eines Widerspruchs gegen die ursprünglich geplante Form die jeweils andere Variante angetreten, so dass ihre Daten für die Auswertungen im Rahmen des Projektes nur eingeschränkt brauchbar sind. Im Hinblick auf die Kostenauswertung hätte ihr Einbezug freilich nur marginale Änderungen gegenüber den nachfolgend im Text vorgestellten Ergebnissen zur Folge.

15 In Abb. [4] ist aus Maßstabsgründen auf die Darstellung eines nur bei der stationären Rehabilitation angefallenen Blocks sonstiger Nebenkosten in Höhe von durchschnittlich 7,73 Euro verzichtet worden. Die im Text anschließend dargestellten Gesamtkosten der stationären Rehabilitation sind in den Kontenblättern der LVA noch nicht um die von den Patienten zu leistenden Zuzahlungen in Höhe von durchschnittlich 28,86 Euro bereinigt. Möchte man also bloß die tatsächlich von der LVA zu tragenden Kosten ermitteln, so hätte außerdem eine Kürzung um diesen Wert stattzufinden.

Dr. Heinz Eckart Klingelhöfer

Universität Greifswald

Friedrich-Loeffler-Straße 70

17489 Greifswald

Email: hekling@uni-greifswald.de

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