Zentralbl Gynakol 2002; 124(2): 79-83
DOI: 10.1055/s-2002-24242
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Geburtshilfe und Frauenheilkunde

Sicht eines deutschen HerausgebersMidwifery and GynaecologyView of a German EditorH. P. G. Schneider
  • Westfälische Wilhelms-Universität
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Publication Date:
04 April 2002 (online)

Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie versammelte sich erstmals im Juni 1886 in München. Im Vordergrund dieser ersten Versammlung stand die Operative Gynäkologie und Geburtshilfe wie auch die Bakteriologie. Erst später nahm die Gynäkologische Endokrinologie Gestalt an, obwohl auf der Gründungsversammlung viele ihrer Pioniere anwesend waren. Zu den herausragenden Gestalten dieser Epoche gehören vor allem Rudolf Chrobak (1843-1910), sein Schüler Emil Knauer (1867-1935); aber auch Friedrich Schauta (1849-1919) mit seinen Weggefährten Fritz Hitschmann (1870-1926) und Ludwig Adler (1876-1978). Schließlich gehörte hierzu auch Ernst Fraenkel (1844-1921), der seinen Neffen Ludwig F. (1870-1951) in seiner Privatklinik in Breslau aufnahm und ihm so die klassischen Versuche ermöglichte. Auf dem zweiten Kongress der deutschen Gynäkologen im Jahre 1888 in Halle an der Saale wurden Vorträge und Diskussionen über die bestmögliche Behandlung der Myome gehalten. Der Freiburger Alfred Hegar (1830-1914) hatte schon 1876 die Kastration zur Myombehandlung befürwortet. Der Hallenser Ordinarius Rudolf Kaltenbach (1872-1993), ein Schüler Hegars, wies auf die geringere Gefahr der Eierstockentfernung im Vergleich zu den direkten Eingriffen am myomatösen Uterus hin. Heinrich Fritsch (1844-1915), Breslauer Ordinarius, plädierte für die Enukleation der Myome als einen Eingriff, der die Kastration mit nachfolgendem „Klimakterium” erübrigen sollte.

Im Interim dieser ersten beiden Versammlungen der deutschen Gesellschaft für Gynäkologie wurde von dem o. g. Breslauer Heinrich Fritsch das „Centralblatt für Gynäkologie” begründet. Der Kieler Zeitgenosse Richard Werth, dessen Pionierarbeit für die Chirurgie mit Einführung der Schichtnaht in der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit zögernd und behutsam publiziert wurde und der bereits vor über einem Jahrhundert die medizinische Vielschreiberei als Unsinn betrachtete, ließ seinen Mitarbeiter Mond 1896 in der Münchener Medizinischen Wochenschrift vom 7. April über die Behandlung von drei Frauen mit Ausfallserscheinungen nach Ovarektomie und zwei Frauen mit natürlichem Klimakterium berichten. Die Patientinnen erhielten vier bis sechs Tabletten eines von E. Merck hergestellten Trockenpräparates aus Kuhovarien, für deren Zubereitung entweder die Substanz ganzer Ovarien oder ein Präzipitat des Follikelinhaltes verwendet wurde. Die Therapie war in allen Fällen mäßig bis ausgezeichnet wirksam. Fünf Wochen später berichtete Rudolf Chrobak, Vorstand der Wiener Frauenklinik, im Centralblatt für Gynäkologie vom 16. Mai 1896 „über Einverleibung von Eierstockgewebe”. Darin klagt der erfahrene Operateur, „dass selbst nach der bestgelungenen Operation das subjektive Befinden der Kranken nicht besser, häufig viel schlechter als vor der Operation geworden sei. Der Löwenanteil dabei komme sicher dem Ausfallen der Eierstöcke zu.” Des Weiteren führte Chrobak aus, dass er in anderer Richtung dieser Frage der „Ausfallserscheinungen” näher getreten sei und glaubte, den Versuch einer innerlichen Darreichung von Eierstocksubstanz rechtfertigen zu können, besonders nach den Erfolgen der Thyreoidea-Behandlung. Einer 47-jährigen Frau wurde am 30. November 1889 frisches Ovarialgewebe vom Kalbe per os versucht zu geben. Das Ovarium wurde roh, feingehackt oder in einer Menge von etwa 1 bis 2 g verabreicht. Der Erfolg war kein aufmunternder. Chrobak veranlasste daraufhin die K. K. Hofapotheke in Wien, aus unverdächtigem Eierstockgewebe erwachsener Rinder (statt wie zuvor Kälber) mit Äther und Alkohol zu waschen, luftpumpenzutrocknen, zu pulverisieren und aus dem Pulver Pastillen zu formen, die 0,2 g Ovarialsubstanz enthielten. Bei diesen Pastillen wurden in sieben Fällen täglich zwei bis drei, auch vier, entsprechend 0,8 g trockenen Ovariums, verabreicht. In sechs Fällen waren es ovarektomierte Frauen, in einem Fall klimakterische Molimina. Bei den drei Ovarektomierten ergaben sich rasch Besserungen nach 12 bis 20 Pastillen, gleiches auch bei einer Patientin im physiologischen Wechsel. Chrobak wies jedoch auch hin auf die noch fehlende Sicherheit zur Beurteilung der tatsächlichen Wirkung, und dies umso mehr, als ihm noch keine Gelegenheit geboten war, „die nöthigen Kontrollversuche anzustellen”.

Zu gleicher Zeit wie Werth in Kiel wirkte Löhlein (1847-1921) in Gießen. Er wurde 1888 dorthin berufen und hob in seiner akademischen Antrittsrede den gegenwärtigen Stand und die Ziele der Gynäkologie, des gynäkologischen Unterrichtes und der Selbständigkeit des Faches Gynäkologie und Geburtshilfe hervor, das in Gießen 1837 von der Chirurgie getrennt worden war. Löhlein verwies auf den enormen Rückgang der Mortalität im Wochenbett und nannte ursächlich hierfür strikt angewandte Asepsis und Antisepsis in der Geburtshilfe. Als Löhlein 1901 aus dem Amte ausschied, wurde Hermann Johannes Pfannenstiel am 16. April 1902 in Gießen sein Nachfolger. Pfannenstiel war Berliner, studierte gegen den Willen seines wohlhabenden Vaters Medizin und wurde 1885 mit seiner Dissertation „Exstirpatio uteri carcinomatosi”, das reiche Krankengut der Frauenklinik der Berliner Charité darlegend, mit summa cum laude zum Doctor medicinae promoviert. Die Fortsetzung seiner wissenschaftlichen Entwicklung vollzog sich in Breslau, wo er sich unter Heinrich Fritsch mit Ovarial- und Parovarialtumoren befasste, die Pseudomucine der zystischen Ovarialgeschwülste beschrieb und vor ständig wachsendem Auditorium gut frequentierte Kurse abhielt. Schließlich ermunterte ihn sein Chef und väterlicher Freund Heinrich Fritsch, der ständig angespannten Finanzlage wegen eine gynäkologische Privatpraxis in seinem Wohnhaus im Breslauer Klosterviertel zu eröffnen. Pfannenstiel blieb während dieser Zeit als Lehrer und Examinator in akademischer Betätigung, war ein gynäkologisch- chirurgisch erfolgreicher Kliniksleiter und allseits anerkannt als ständiger Schriftführer der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie seit 1891 und als Mitherausgeber des Archives für Gynäkologie seit 1896. Es blieb jedoch sein ständiger Wunsch, in der akademischen Medizin tätig zu bleiben. Über Gießen als Nachfolger Löhleins wurde er in Kiel Nachfolger von R. Werth. Dort konnte er nur vier Semester wirken. Eine kleine Stichverletzung am Mittelfinger der Hand, die er sich bei der Entfernung einer mit Streptokokken infizierten Ovarialzyste zugezogen hatte, wurde zur Eingangspforte der todbringenden Krankheit.

Die Kieler Klinik wurde 1910 bis 1922 von Walter Stoeckel übernommen. Zu seinem atemberaubenden Lebensweg sei Folgendes bemerkt: 1871 in Insterburg in Ostpreußen geboren, studierte Stoeckel in Königsberg, promovierte dort zum Dr. med. im Jahre 1896, war dann an der Bonner Frauenklinik und am Institut für Pathologische Anatomie in Marburg tätig, verbrachte Oberarztjahre bei Fritsch in Bonn und wurde Privatdozent bei Veit in Erlangen, arbeitete 1904 unter Bumm an der Charité in Berlin und erhielt mit 36 Jahren den ersten Ruf nach Greifswald als ordentlicher Professor und Nachfolger von August Martin. Ein Jahr später folgte ein Ruf an die Marburger Fakultät als Nachfolger von Ahlfeld. Diese Tätigkeit zog Stoeckel einer Alternative in Greifswald vor. Aber auch in Marburg hielt es ihn nicht lange. Nach dreijähriger Tätigkeit wurde er 1910 nach Kiel berufen. Ein großer Kliniker und Operateur, ein begeisterter Lehrer, vielseitiger Wissenschaftler, großartiger Organisator, Gestalter und Bauherr. Und über allem ein den wissenschaftlichen Fortschritt unseres Faches über vier Jahrzehnte bestimmender Redakteur und Herausgeber des Zentralblattes für Gynäkologie.

„Es gibt wohl keine Stadt in Deutschland, in der der Stolz und die Dankbarkeit, Deutscher zu sein, gleich stark und angeregt empfunden wird wie in Kiel. Wer auf der Höhe von Bellevue oder aus Richtung der Kuppe des Düsternburger Gehölzes auf die im Abendsonnenglanz ankernden Geschwader und über sie hinweg auf das den Horizont füllende Bild sieht, dem wird das Herz weit, den überkommt wie ein Schauer das Hochgefühl der deutschen Weltgeltung, den überschüttet förmlich die heiße Liebe zum deutschen Vaterland, so dass sich die Brust hebt und der Blick wortlos diese stolze Herrlichkeit in sich einsaugt.” - „Diesen überschwänglichen Satz”, schreibt Stoeckel in seinen Memoiren, „finde ich in meinem Tagebuch aus dem Jahre 1911”, also geschrieben im Alter von 39 Jahren. Später fand er nicht nur das durch Krieg und Revolution sehr veränderte Kiel wieder, sondern noch viel später war er wiederum Gast in der während des Zweiten Krieges weitgehend zerstörten Kieler Frauenklinik.

Der Würzburger Heinrich Wulf als Herausgeber des Archivs für Gynäkologie, der Gießener Wolfgang Künzel als Herausgeber des European Journal of Obstetrics and Gynecology waren mein Oberarzt beziehungsweise mein Konassistent in Kiel. Meinhard Breckwoldt, Herausgeber der „Geburtshilfe und Frauenheilkunde” hat mit uns zusammen in Kiel studiert. Wir alle können uns als Enkel und Urenkel einer am Beispiel Kiels besonderen deutschen Tradition unseres Faches betrachten. Stoeckel leitete in Kiel eine wirklich moderne Klinik und war 1924 nach dem bedrückenden Ergebnis einer Besichtigung der Leipziger Frauenklinik nur bereit dort hinzugehen, weil die dortige Medizinische Fakultät als eine der berühmtesten in Deutschland galt. Er setzte einen Neubau in Leipzig durch und schrieb: „Es ist erstaunlich, wie wenig manche klinischen Direktoren sich der Pflicht bewusst sind, ihre Arbeitsstätten nicht nur zu erhalten, sondern im Niveau ständig zu verbessern. Ein Neubau, der nach seiner Einweihung als Prachthaus gepriesen wird, ist es ja bald nicht mehr. Er kann es nicht bleiben, denn die Technik geht weiter, der medizinische Fortschritt tritt nicht auf der Stelle. Ein Direktor, der das Glück hat, bauen zu können, darf nichts dem Architekten allein überlassen. Wer nur für die Gegenwart baut, verliert sehr bald das Interesse am Fortschritt. Unbegreiflich sind mir jene Kollegen, die behaupten, man könne auch in einem Schweinestall aseptisch operieren. Solche senilen Phrasen sind mir ein Gräuel.” In Leipzig wirkte Stoeckel nur vier Jahre, dann war er auf dem Gipfel seiner Laufbahn angelangt, in Berlin als „Kaiser”. Mit 55 Jahren erhielt er den Ruf an die Frauenklinik der Charité. Stoeckel wirkte in Berlin bis zum 31. August 1950, zunächst als Ordinarius für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Friedrich-Wilhelms-, später Humboldt-Universität und als Direktor der Universitäts-Frauenklinik in der Artilleriestraße. Beide Teile Deutschlands ehrten ihn. Die Deutsche Demokratische Republik verlieh ihm 1951 den Nationalpreis erster Klasse und übertrug ihm 1960 den Ehrentitel eines hervorragenden Wissenschaftlers des Volkes. Im gleichen Jahr erhielt er in der Bundesrepublik die Paracelsus-Medaille in einem Festakt, dem Bundespräsident Lübke beiwohnt. In einem Nachruf schrieb Mikulicz Radecky: „Mit ihm geht einer der letzten großen Mediziner nach der Jahrhundertwende, einer der noch gynäkologischen Grand Seigneurs dahin, dem der Ruhm zukam, in vieler Beziehung einzigartig in Deutschland, Europa und zugleich in der ganzen Welt zu sein. Im Zeitalter der Vermassung und der Nivellierung werden derartige Persönlichkeiten immer seltener. Wir jüngeren, die wir zuerst als Schüler und Studenten mit ihm in Berührung kamen, durch seine weit verbreiteten Lehrbücher, das der Gynäkologie in 14 Auflagen, das der Geburtshilfe in dreizehn Auflagen, ist praktisch jeder deutsche Arzt Schüler Stoeckels geworden, waren fasziniert von diesem begnadeten akademischen Lehrer, der seine Zuhörer nicht nur unterhielt oder beschäftigte, sondern sofort fesselnd in seinen Bann schlug und für das Fach der Geburtshilfe und Gynäkologie begeisterte.” Dann führte Mikulicz Radecky weiter aus, dass für ihn Stoeckel der Grund war, nicht den väterlichen Spuren in die Chirurgie zu folgen, sondern sich der Frauenheilkunde zuzuwenden. Stoeckel ist nie müde geworden, darauf hinzuweisen, und er hat es in seiner Klinik immer vorgelebt, dass die Heilung kranker Menschen, die Behütung des im Mutterleib werdenden Kindes ständig höchstes Ziel bei einem Arzt sein und bleiben müssen. In diesen der Chronik der Kieler Frauenklinik entnommenen Passagen (W. Künzel) wird darauf verwiesen, dass die heute angewandten gynäkologischen chirurgischen Standardmethoden auf einer breiten Basis einer hundertjährigen Erfahrung beruhen. Es spiegelt sich am Beispiel der Entwicklung der Kieler Klinik in der Tat das gynäkologische Jahrhundert wider, das in unverwechselbarer Weise vom Zentralblatt für Gynäkologie als international führender wissenschaftliche Fachzeitschrift repräsentiert wurde. In den 20er Jahren hatte mit dem Stoeckel-Nachfolger Robert Schröder (1924-1936) ein ausgezeichneter Histologe und klinischer Beobachter seine Zelte an der Kieler Förde aufgeschlagen, der bereits in jungen Jahren während seiner Rostocker Zeit entscheidend zur Aufklärung der zyklischen Veränderungen des Endometriums und der zeitlichen Korrelation mit den histo-morphologischen Veränderungen im Ovarium beigetragen hatte. Es waren Fritz Hitschmann und Ludwig Adler, Robert Meier und Robert Schröder, denen wir die anatomisch- histologischen Zusammenhänge dessen verdanken, was wir den Menstruationszyklus nennen. Bezeichnungen wie „Intermenstruum” oder „Postmenstruum” oder „Prämenstruum” waren Begriffe mehr oder weniger rein zeitlichen Inhalts, die als festen Anhalts- oder Ausgangspunkt den Termin der bei der Frau so offensichtlichen, in regelmäßigen Abständen wiederkehrenden Blutung haben. Das Endometrium beim persistierenden Follikel beschrieb Schröder als „eigentümliche Unruhe im mikroskopischen Bilde, von der man nicht wisse, in welche Phase des Zyklus eine derartige Schleimhaut einzureihen sei”. Er gebraucht das in die Augen springende „Schweizer-Käse- Muster”, einen von Emil Nowak geprägten Begriff, und weist dann im Detail auf zystische Erweiterungen der Drüsenstreifen, auf die großen, saftigen, hochzylindrischen Zellen der Oberfläche und dicht beeinander gedrängt stehende Schläuche mit Wechselständigkeit der Kerne und dem Eindruck einer Doppel- oder Mehrreihigkeit hin. Auch Kernteilungsfiguren in verschiedenen Phasen hat er beobachtet, dagegen niemals typische Bilder, wie sie für die Sekretionsphase beschrieben wurden. Gerade der Wechsel in der Dichte des Stromas gehört zu den besonderen Erkennungszeichen einer von Schröder ausführlich photodokumentierten glandulär-zystischen Hyperplasie. In den zugehörigen Ovarien fand er die Fälle einer persistierenden, prolongierten Follikelreifungsperiode und neben anderen atresierenden zystischen, prolongierten Follikeln auch reife Follikel, jedoch kein Corpus luteum.

Zu den profilierten Schröder- Schülern der Kieler Epoche gehörte auch Carl Clauberg, der die Follikelhormonwirkung am Endometrium in detaillierten histologischen Studien sowie am Gesamtuterus durch uterosalpingographische Größenvergleiche ausführlich charakterisierte. Clauberg hatte für das Follikelhormon gesehen, wie sich von den Ausdrucksformen seiner proliferativen Wirkung diejenigen der Schollenbildung in der Vaginalschleimhaut der Maus am deutlichsten heraushebt und dort mit einer einfachen Methode erfassbar ist. Das seinerzeit zur Verfügung stehende Corpus-luteum-Hormon, das Carl Kaufmann dann zum Aufbau einer sekretorisch umgewandelten Schleimhaut nach Vorbehandlung mit Follikelhormon (Progynon) verwandte, für dieses Luteum-Hormon sah Clauberg die am leichtesten und einwandfreiesten erkennbaren Veränderungen der Uterusschleimhaut, und zwar an derjenigen des Kaninchens mit ihrer so typischen drüsigen Umwandlung. Am Uterus des mit 8 × 10 ME Follikelhormon vorbehandelten infantilen, um 600 g schweren Kaninchens wird die Luteum-Hormonwirkung in folgender Weise testiert: Am neunten Tage, dem nächsten Tage nach der letzten Follikelhormoninjektion, beginnt die erste Injektion des zu testierenden luteumhaltigen Extraktes. Die Injektionen werden in der gleichen Dosis täglich einmal vorgenommen und fünf Tage lang fortgesetzt, am sechsten Tage, dem nächsten Tage nach der letzten Behandlung, wird das Tier getötet und der Uterus histologisch untersucht. Bei voller Luteum-Hormonwirkung muss dann eine vollständige prägravide Umwandlung der Uterusschleimhaut, eine gut ausgebildete Transformationsphase vorhanden sein, wie sie beim normalen Tier dem sechsten Tag der Corpus-luteum-Phase entspricht. Mit Hilfe dieses biologischen Nachweisverfahrens musste sich nach Claubergs Berechnungen eine Kanincheneinheit Luteum-Hormon in etwa der gleichen Menge Blut nachweisen lassen, in der sich 80 ME Follikelhormon befinden. In der zur Verfügung stehenden Menge von 40 ccm Blut ein und derselben Patientin wurde jedoch im positiven Fall nur eine einzige oder höchstens einige ME Follikelhormon gefunden. Deshalb betrug die erforderliche Blutmenge, die 80 ME Follikelhormon enthalten sollte, mehrere Liter. Es war also die biologische Wirkung des Luteum-Hormons nachgewiesen, seine Quantifizierung jedoch nicht gelungen.

Nachdem für das Follikelhormon und das Dehydro-Follikelhormonbenzoat von der Internationalen Standardisierungskommission die internationale Einheit festgelegt worden war, wurde auf einer Tagung im Juli 1939 auch für das Luteum-Hormon als internationale Einheit die spezifische Wirkung von 1 mg des bei 122° schmelzenden Kristallinats Betaprogesteron angenommen. Ein in London aufbewahrtes Progesteron- Standardpräparat musste in Tierversuchen an der Uterusschleimhaut des erwachsenen (nach Corner-Allen) oder infertilen, mit Follikelhormon vorbehandelten (nach Clauberg) Kaninchens erfolgen. Zur gleichen Zeit ist in London der einheitliche Name für das chemisch reine Produkt festgelegt worden. Während die Kristallisate von den verschiedenen Arbeitsgruppen bis dahin Progesten (Compound B und C) oder Luteosteron (C und D) genannt wurden, sollen jetzt die chemisch reinen Produkte als Progesteron, und zwar der hochschmelzende Stoff als Alpha-Progesteron, der niedriger schmelzende Stoff als Beta-Progesteron einheitlich bezeichnet werden. Das war die letzte Teilnahme der deutschen Gynäkologie auf dem Rostrum des internationalen wissenschaftlichen Fortschrittes. Dann folgte die zerstörerische Wut des Zweiten Weltkrieges und der mühevolle Weg des Wiederaufbaus aus dunkler Nacht.

Was ist heute anders mit unseren Medizinischen Fakultäten als vor hundert Jahren, als sie Vorbild für die akademische Entwicklung von Amerika bis Japan waren? Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den 20er und frühen 50er Jahren als Folge der zwei Kriege, sicherlich. Aber es ist mehr! Peter von Wichert (Forschung und Lehre 10/2001) hat zur Entwicklung der akademischen Medizin ausgeführt, dass vor hundert Jahren die deutschen Medizinischen Fakultäten internationale Spitze waren, vor 50 Jahren am Boden lagen. Mit unerhörtem persönlichen Einsatz und vielen Improvisationen haben sie sich wieder emporgearbeitet, der Rückstand gegenüber dem Ausland nahm ab besonders mit Hilfe solcher Institutionen wie der DFG, in vielen Bereichen der Medizin gäbe es auch wieder einen besseren Kenntnisstand in der Bundesrepublik als zum Beispiel auch in den USA. Für unser Fach mag dies für die endoskopische Chirurgie gelten, für die Ultraschallanwendung in Geburtshilfe und Gynäkologie und für einzelne herausragende Entwicklungen wie zum Beispiel die Synthese spezifischer Gestagene (Cyproteronacetat, Dienogest, Drosperinone) oder die Ätiologie der hypertensiven Schwangerschaftserkrankung als episodisches feto-maternales Transfusionsphänomen. Es bedarf aber keiner Prophetie, so Wichert, den explodierenden Bürokratismus, der in Zukunft auch vor den wissenschaftlichen Strukturen nicht Halt machen wird, als Ursache einer tief greifenden Gefährdung unserer Universität auszumachen. Wenn der Staat beziehungsweise die Bundesländer wirklich der Auffassung wären, dass die Ausbildung der Medizinstudenten zu teuer kommt, dann sollten sie einige Medizinische Fakultäten schließen, damit die verbleibenden überleben können, sonst werden alle Fakultäten verlieren. In Deutschland sind in den letzten 50 Jahren zwölf Medizinische Fakultäten neu gegründet, aber nur eine geschlossen worden. Heute ist die entscheidungslose Politik nicht in der Lage, entsprechende Empfehlungen abzugeben. Quantität ersetzt nicht Qualität, und nur Qualität in Lehre, Forschung und Krankenversorgung wird die Fakultäten retten.

Eine solche grundlegende Kenntnis des quantitativ überbordenden akademischen Betriebes wird auch den traditionellen Fachzeitschriften zum Verhängnis. Der Versuch der Medizinischen Fakultäten, das Niveau wissenschaftlicher Leistungen zu steigern durch Erstellen von Impact-Faktoren als Voraussetzung für einen Aufstieg in der akademischen Karriere (Habilitation) beantwortet die heutige Nachwuchsgeneration mit einer noch ausgeprägteren Flucht in das angelsächsische Schrifttum. Veröffentlichungen in internationalen Zeitschriften mit hohem Impact-Faktor werden auch zur Grundlage für die leistungsbezogene Mittelverteilung herangezogen. In der Folge wird Deutsch als Wissenschaftssprache in den internationalen 10-%-Bereich zurückgedrängt. Bei weiteren Nachforschungen erfährt man, dass es fast keine wissenschaftliche deutsche Zeitschrift mehr gibt, die nicht gerne Manuskripte in englischer Sprache annimmt. Neben herkömmlichen Diplom-Studiengängen werden angelsächsische Bachelor- und Master-Studiengänge in wachsender Zahl angeboten. Vorlesungen werden immer häufiger auch in Englisch gehalten, wobei viele deutsche Hochschullehrer ihre Schwierigkeiten haben, die Feinheiten ihres Faches in der Nicht-Muttersprache darzulegen. Dieser Trend wird sich fortsetzen, bis es logisch erscheint, den deutschen akademischen Betrieb in englischer Sprache ablaufen zu lassen. Viele sehen als Zukunftsvision diese Entwicklung nicht nur auf dem Gebiete der Wissenschaft, sondern in der ganzen Gesellschaft. Auch bei internationalen Tagungen wird immer mehr ein rudimentäres „Küchenenglisch” gesprochen, das sich mit dem sprichwörtlichen „Küchenlatein” des Mittelalters vergleichen lässt. Die muttersprachlichen Angelsachsen beherrschen überall das Geschehen, denn nur sie können ohne Mühe die Nuancen auch wirklich zum Ausdruck bringen (Wolfgang Hilberg, Forschung und Lehre 12/2000). Die Wissenschaftler einer anderen Muttersprache bleiben in beachtlicher Menge publizistisch zweitklassig. Einen Ausweg, die Muttersprache als kulturelle Heimat zu bewahren, sehen Techniker wie Hilberg in dem Einsatz von künstlichen neuronalen Netzwerken, die ohne menschliches Zutun die Struktur einer sprachlichen Übersetzung aufbauen. Lernen ohne Grammatikanalyse und einen Text erzeugen ohne Grammatikregeln sei möglich im Sinne eines Spracherwerbes wie bei kleinen Kindern. Der Einsatz solcher intelligenten Sprachmaschinen würde es dann erlauben, in Deutsch in ein Mikrofon zu sprechen, während der japanische Gesprächspartner das Gesagte in seinem Hörer auf Japanisch hört. Umgekehrt kann der Japaner in seiner Muttersprache sprechen, und der Deutsche hört in seiner Muttersprache zu. Science-Fiction?

Wir haben auch als deutsche Herausgeber darüber gesprochen, unsere deutschen Originalartikel englischsprachig ins Internet zu stellen. Aber auch hierfür bedürfte es einer wirtschaftlich tragfähigen Infrastruktur, zu der sich als einer gebündelten deutschen Aufgabe gegenwärtig kein Verlag bereit findet. Die Kultur des Lesens und das optische Abgreifen von größeren Textpassagen sind aus dem Journal- oder Buchbeitrag einprägsamer. Die Flut ausgebildeter Frauenärzte hat das Anspruchsniveau des Lesers unseres Faches gewiss nicht gehoben. Die Fülle so genannter „Slick Journals”, auf aufwändigem Papier magazingerecht aufgearbeitete Fachnachrichten, nicht selten genug Transmissionsriemen industrieller Produktwerbung, gibt ein lebhaftes Beispiel für den Ausstieg aus der primären Information von Experten überprüfter wissenschaftlicher Artikel (Peer Reviewing). Um nicht missverstanden zu werden, natürlich haben die blitzgescheiten und innovativen Nachwuchskräfte unseres Faches längst die Konsequenzen gezogen, sitzen selber in den Editorial Boards der hochkarätigen internationalen Fachzeitschriften und entziehen sich damit dem deutschen Grundübel eines dem akademischen Betrieb abträglichen Bürokratismus mit ihrer unproduktiven historisierenden Debatte um Wissenschaftssprache und Wissenschaftskommunikation der Zukunft und ihrer geeigneten strukturellen Voraussetzungen. Die Vorschläge, Forschungsleistungen und Leistungen für die Universität aus regionaler und nationaler Sicht zu bewerten, bewegen sich samt und sonders im Vordergründigen und Zweit- bis Drittrangigen. Zahlen von Doktoranden, Stunden in Gremien sowie Impact-Faktoren sollen die Leistung unseres akademischen Nachwuchses messen. Dabei handelt es sich ausschließlich um Sekundärinformation ohne jeden akademischen Hintergrund. Die Kreativität, das heißt die wissenschaftliche Bedeutung der Forschungsleistung für die Zukunft der Gesellschaft wird man auch in Zukunft nicht zeitnah messen können. Zudem besteht die Gefahr, dass langfristig angelegte innovative Forschung dabei auf der Strecke bleibt (Wichert).

Nur Qualität in Lehre, Forschung und Krankenversorgung wird die Fakultäten retten und die akademische Medizin erhalten und weiterentwickeln. Eine Kultur des Wissens, der Wissensvermittlung und der Wissensanwendung ist die jahrhundertealte Tradition unserer Universitäten und Fakultäten. Diese darf nicht gedankenlos reiner Ökonomie und Administration geopfert werden. Deshalb bedarf es wandfester und stabiler Persönlichkeitsstrukturen, die dem Kliniker und Wissenschaftler unseres Faches erlauben, eine Schneise durch das strukturelle Dickicht zu schlagen.

Wenn ich mich heute dankbar der über ein Jahrzehnt währenden Herausgebertätigkeit des Zentralblattes erinnere, dann geschieht dies zunächst gegenüber dem alten Leipziger Barth-Verlag und seiner tragenden Nachkriegsfunktion in der DDR und zur Zeit der Wende. Die DDR-Herausgeber stammten übrigens alle aus der Stoeckel- und Schröder-Schule. Besondere Anerkennung gebührt auch Herrn Dr. Hüthig, der den Barth-Betrieb zunächst übernommen hatte. Schließlich hat sich der im medizinischen Segment sehr erfolgreiche Thieme-Verlag entschlossen, die Tradition der Zentralblätter weiterzuführen. Es soll dies vor allem auch verbunden sein mit einem Wort der Anerkennung und des Dankes gegenüber meinen Mitherausgebern Günter Bastert, Dietrich von Fournier, Wolfgang Holzgreve und Adolf Schindler, vormals auch Dieter Krebs und Peter Husslein. Von überragender Bedeutung für jede wissenschaftliche Zeitschrift ist diese Tätigkeit der Beiräte und vor allem Autorengutachter, ohne deren Einsatz die Überführung des Zentralblattes aus dem „Nachkriegsschicksal DDR” in die freie wissenschaftliche Kommunikation heutiger westlicher Tradition nicht gelungen wäre. Auch meinen Mitarbeitern der Münsteraner Frauenklinik, allen voran dem Redaktionssekretär Frank Louwen, und der Redaktionsleiterin Frau Dr. Kerstin Ullrich, sei besondere Anerkennung für ihren hohen ideellen Einsatz gezollt. Mit Manfred Kaufmann und Jörg Baltzer haben wir zwei neue Verantwortliche Herausgeber gefunden, die ein hohes Maß an Energie und Durchsetzungskraft besitzen. Manfred Kaufmann, dem jetzigen Direktor der Frauenklinik der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, ist der besondere Zugang in den operativ- onkologischen Teil unseres Faches gegeben. Jörg Baltzer zeichnet für interdisziplinäre Themen verantwortlich, ein weiterer Schwerpunkt des neuen Konzeptes der Zeitschrift. Dies erscheint mir insgesamt eine geeignete Basis zu sein, um auch künftig den Stellenwert des Zentralblattes neben der GebFra und der Zeitschrift für Geburtshilfe & Neonatologie im Georg Thieme Verlag, sowie der im Springer Verlag erscheinenden Reproduktionsmedizin zu behaupten. Dem neuen Herausgeberstab ein kräftiges Glückauf, verbunden mit der Übergabe eines historisch bedeutenden Staffelstabes, der das besondere Erkennungsmal Stoeckelscher und im besten Sinne preußischer Tradition trägt.

Münster, den 15. Januar 2002

Univ.-Prof. Dr. med. Dr. h. c. Hermann P. G.  Schneider

em. Direktor der Universitäts-Frauenklinik

Westfälische Wilhelms- Universität

Von-Esmarch-Str. 56, ZMBE

48149 Münster

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