Erfahrungsheilkunde 2001; 50(12): 785-786
DOI: 10.1055/s-2001-19599
Nachlese

Karl F. Haug Verlag, in: MVH Medizinverlage Heidelberg GmbH & Co. KG

Eröffnungsrede zur Medizinischen Woche 2001

Karl-Heinz Gebhardt
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Publication Date:
17 January 2002 (online)

Medizinische Woche 2001 50 Jahre im Rückblick

In diesem Jahr feiert die Ärztegesellschaft für Erfahrungsheilkunde ihren 50. Geburtstag. Dr. Ewald Fischer, einer ihrer Geburtshelfer, hat aus diesem Anlass in der Zeitschrift Erfahrungsheilkunde die historische Entwicklung dieser Jahre dargestellt. Sie ist gekennzeichnet durch eine zunehmende Akzeptanz unserer Heilmethoden nicht nur bei der Bevölkerung, sondern gerade auch bei den Ärzten, was der zahlreiche Besuch der Medizinischen Woche hier in Baden-Baden immer wieder beweist.

Unser diesjähriges Leitthema lautet:

„Heilkonzepte für ein modernes Gesundheitswesen”.

Das ist hochaktuell, denn unser Gesundheitswesen in der Bundesrepublik Deutschland befindet sich in einer Krise. Diese ist vordergründig finanziell, aber auch fachlich bedingt. Die Finanzen sind schon seit Jahren marode. Immer wieder wurden von den verschiedenen Bundesregierungen Kostendämpfungsgesetze und unter Seehofer ein Gesundheitsstrukturgesetz verabschiedet. Als alles nichts half, zog man die Notbremse der Budgetierung nicht nur für die ärztlichen Leistungen, sondern auch für die Arzneimittelausgaben. Die letztere wurde von Frau Schmidt inzwischen als Kollektivregress aufgehoben. Dennoch drohen die gesetzlichen Krankenkassen inzwischen mit Beitragserhöhungen.

Dr. med. Karl-Heinz Gebhardt Vorsitzender der Ärztegesellschaft für Erfahrungskeilkunde e.V.

Deshalb erhebt sich die Frage: Warum ist dieses System so defizitär? Die Gründe sind natürlich wie immer im Leben vielschichtig. Jahrelang dienten die Sozialkassen den Politikern als willkommene Quelle, um daraus Wahlgeschenke zu finanzieren, so dass den Kassen immer mehr versicherungsfremde Leistungen aufgebürdet wurden. Auch der sogenannte „Verschiebebahnhof” ist ja allgemein bekannt.

Der Hauptgrund liegt aber in einem Systemfehler, den die Politiker aus ideologischen Gründen nicht beheben wollen. Ursprünglich war diese Versicherung von Bismarck ja nur für die 10 Prozent Einwohner des Deutschen Reiches gedacht, die sich gegen die Risiken von Krankheit und Alter nicht versichern konnten oder wollten. Sie wurden von den sogenannten Kassenärzten zu einem nicht kostendeckenden Sozialtarif behandelt. Das war akzeptabel, weil ja die übrigen 90 Prozent noch immer Privatpatienten waren. Inzwischen wurden aber durch die laufende Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze 90 Prozent der Bevölkerung zu zwangsweise gesetzlich Krankenversicherten und zwar unter Beibehaltung der nicht kostendeckenden Sozialtarife für Untersuchung und Beratung. Später hinzugekommene technische Leistungen werden dagegen höher vergütet. Deshalb wichen die Ärzte in zunehmendem Maße auf solche Leistungen aus, wodurch die Kosten stiegen. Da in der gesetzlichen Krankenversicherung das Sachleistungsprinzip auf Bezugschein gilt, erfahren die so Versicherten nicht, welche Kosten sie verursachen. Auch eine Kontrolle der ärztlichen Leistungen anhand der Rechnung wie bei den Privatversicherten ist unmöglich, weshalb teure Kontrollinstanzen bei den kassenärztlichen Vereinigungen geschaffen werden mußten. Das ganze System wirkt wie ein Selbstbedienungsladen ohne Kasse am Ausgang. Es erzeugt in manchen Patienten eine Anspruchsmentalität nach dem Motto: Wenn ich so viel Krankenkassenbeitrag zahle, will ich auch etwas herausholen. So gehen viele schon bei Bagatellkrankheiten wie grippalen Infekten zum Arzt, die früher mit Hausmitteln in der Familie kuriert wurden. Das aber treibt die Kosten weiter in die Höhe. Dazu kommt noch die Vergreisung unserer Bevölkerung, wodurch viel mehr teure chronische Krankheiten behandelt werden müssen. Ein weiterer kostentreibender Faktor ist der Fortschritt der modernen Medizin. Dies betrifft die immer kostenaufwändigere Medizintechnik, aber auch extrem teure Therapiestrategien wie die Hochdosis-Chemotherapie mit Stammzelltransplantation bei Krebskranken.

In dieser Situation betont unsere Gesundheitsministerin immer wieder, das solidarisch finanzierte System müsse erhalten bleiben und ihre Staatssekretärin Schaich-Walch weist darauf hin, dass erst die Beitragsfreiheit der Familienangehörigen eine optimale Versorgung gerade auch der Kinder ermögliche.

Nun ist aber natürlich jede, auch private, Versicherung solidarisch finanziert. Die Privatversicherung kann aber der künftige Patient nach seinen Wünschen selbst gestalten, während ihm das bei der gesetzlichen Krankenversicherung nicht möglich ist. Während der Privatversicherer seine Mitglieder durch die finanziellen Rahmenbedingungen zu gesundheitlich vernünftigem Handeln anhält, fällt dies bei der gesetzlichen Krankenversicherung weg. Die Politiker appellieren dafür an den gesetzlich Versicherten sich solidarisch zu verhalten. Sie erwarten von ihm , dass er nach dem Prinzip: „Gemeinnutz geht vor Eigennutz” lebt und sein Handeln am Kantschen Imperativ orientiert. Das ist gute sozialistische Tradition! Schauen wir uns aber um, wieviele solcher idealer Menschen es gibt, so finden wir bestenfalls noch ein paar Restchristen. Die Masse der Menschen verhält sich nur dann vernünftig und solidarisch, wenn sie Verstöße dagegen am eigenen Geldbeutel spürt! Deshalb muss ein sozialistisches System wie die gesetzliche Krankenversicherung immer defizitär bleiben.

Was wäre der Ausweg? Man muss den Kreis der gesetzlich Pflichtversicherten wieder auf die sozial Schwachen, entsprechend der ursprünglichen Bismarckschen Intention, reduzieren. Für diese könnten das bisherige Bezugsscheinsystem und eine kleine Anerkennungspauschale für den Arzt beibehalten werden. Für diesen Personenkreis könnte eine bundesweite AOK zuständig sein. Damit entfiele auch der Risikostrukturausgleich. Defizite muss die Solidargemeinschaft in Gestalt der Steuerzahler decken. Für alle anderen Bundesbürger könnte eine private Pflichtversicherung eingeführt werden, wobei sich die Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten mit ihren Abstufungen entsprechend der wirtschaftlichen Leistungskraft als Vorbild eignet. Der Patient wäre damit wieder Partner des Arztes und würde nicht mehr vom Staat gegängelt. Die kassenärztlichen Vereinigungen könnten ebenso entfallen wie viele teure Verwaltungen der jetzigen Pflichtkassen.

Nun komme ich zum fachlichen Fehler unseres Systems. An der heutigen Massenuniversität ist die ärztliche Ausbildung nicht optimal. Die Techniken einer guten Anamnese und klinischen Befunderhebung werden nur ungenügend vermittelt, weshalb viele Ärzte auf teure technische Untersuchungen ausweichen. Durch die einseitige Lehre der beweisgestützten Medizin mit stark wirkenden Arzneien steigen Arzneinebenwirkungen und -schäden an, wie erst kürzlich der Fall Lipobay belegte. Die Deutsche Medizinische Wochenschrift berichtete in ihrem Heft 37 des Jahres 2000, dass bis zu 36 Prozent aller Klinikeinweisungen durch iatrogene Schäden bedingt sind und dass amerikanische Pharmazeuten mit bis zu 20 000 Todesfällen jährlich allein durch Arzneinebenwirkungen rechnen. In Deutschland dürften die Zahlen vergleichbar sein. Auch dadurch steigen die Kosten!

Dies kann sich nur ändern, wenn bereits an der Universität die Prioritäten umgekehrt werden. Besonders bei den chronischen Krankheiten muss zuerst die Lebensweise im Sinne einer umfassenden Diaita des Hippokrates korrigiert werden. Danach kommen die Mittel der Naturheilkunde und Regulationsmedizin, wie sie von unserer Gesellschaft vertreten werden, z.B. Akupunktur, Neuraltherapie, Homöopathie, Kneippsche Anwendungen, um nur einige zu nennen, zum Einsatz. Dazu gehören auch diagnostische Methoden, wie z.B. Störfeldsuche, Thermoregulationsdiagnostik, Aschoff-Test usw. Erst wenn diese Methoden versagen oder wegen der Schwere und Art der Erkrankung nicht indiziert waren, sollten die drastischen Mittel der naturwissenschaftlichen Medizin angewendet werden. Auch durch ein solches Vorgehen ließen sich mit Sicherheit große Summen einsparen.

Deshalb haben wir das Motto: „Heilkonzepte für ein modernes Gesundheitswesen” gewählt. Die von uns vertretenen Methoden wirken nicht nur therapeutisch, sondern auch prophylaktisch im Sinne einer dauerhaften Verbesserung der Grundgesundheit des einzelnen Menschen. So wird künftigen Erkrankungen vorgebeugt. Sie können überdies durch bestimmte Methoden im Vorfeld bereits erkannt und danach ihr Ausbruch verhindert werden. Ähnlich war es ja im alten China, wo die Ärzte nur bezahlt wurden, solange ihr Patient gesund blieb. Deshalb entwickelten sie eine ausgefeilte Pulsdiagnose zur Früherkennung von Krankheiten und die Akupunktur zur Beseitigung der Regulationsstörungen.

Nur wenn unsere Sozial- und Bildungspolitiker endlich begreifen, dass sie von ihren sozialistischen Utopien Abschied nehmen müssen, wird eine wirklich zukunftweisende Reform unseres Bildungs- und Gesundheitswesens erfolgen können. Alle, Patient, Arzt und Politik, werden davon profitieren.

Unsere diesjährige Medizinische Woche, die ich hiermit eröffne, wird dazu wieder Anstöße geben und einen Beitrag leisten. Dabei wissen wir genau, wie recht die alten Griechen mit ihrer Feststellung hatten:

„Man kann die Fackel der Wahrheit nicht durchs Gedränge tragen, ohne jemandem den Bart zu versengen”

Dr. med. Karl-Heinz Gebhardt

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