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DOI: 10.1055/s-2001-19218
10 Jahre Substitutionsbehandlung in der hausärztlichen Praxis
Medical Maintenance of Heroin Addicts in General Practice- Zusammenfassung
- Medical Maintenance of Heroin Addicts in General Practice
- Methodische Vorbemerkung
- Rahmenbedingungen der Substitution in der hausärztlichen Praxis
- Grundsätze und Strategien der Substitutionsbehandlung
- Die substituierten Patienten in der hausärztlichen Praxis
- Behandlungsverläufe
- Infektionsraten
- Gesundheitliche Entwicklung
- Verschreibung von Benzodiazepinen
- Dosierung des Substitutionsmittels
- Beikonsum
- Haltequoten, Unterbrechungen, Beendigung
- Haltequoten
- Unterbrechungen
- Beendigung
- Diskussion
- Literatur
Zusammenfassung
Es wird über die Substitutionsbehandlung bei 352 Patienten berichtet, die in einer hausärztlichen Praxis in der Zeitspanne von 1990 bis 2000 zeitweise substituiert wurden. Die Regelungen dieser Behandlung werden diskutiert. Aussagen werden über die Haltequote, Dosierungsverläufe, Verordnung von Benzodiazepinen, Ergebnisse der Urinkontrollen, den körperlichen Zustand, die Abstinenzrate, Infektionsraten mit HIV und Hepatitis, Neuinfektionen und Todesursachen gemacht.
#Medical Maintenance of Heroin Addicts in General Practice
We report the treatment with opioids of 352 heroin- addicts, treated in general practice. The regulations of this treatment in Germany are discussed. Our report gives data about retention rate, dose of opioids, prescriptions of Benzodiazepines, results of drug testing, prevalence of HIV and hepatitis, infection rates during treatment, abstinence rate, mortality and causes of death.
Schlüsselwörter
Substitutionsbehandlung - Hausärztliche Praxis - Reglementierungen - Infektionsraten bei i. v. Heroinabhängigen
Key words
Opioid Maintenance Treatment - General Practice - Official Regulations - Infection Rates in IVDA
Methodische Vorbemerkung
Wissenschaftler bevorzugen eigene Forschungspläne, selbst erstellte Instrumente der Datenerhebung, kontrollierte Feldarbeit und Autonomie in der Auswertung und Publikation. Im Idealfall ordnet sich die Praxis dem Diktum eines wissenschaftlichen Forschungsprozesses unter. Für klinische Studien ist dies selbstverständlich. Es wäre aber ein Irrtum, zu meinen, allein die Wissenschaftler wären in der Lage, Erkenntnisse zu gewinnen. Die Erfahrungen werden in der Regel in der Praxis gewonnen. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein praktizierender Arzt versucht, die vielfältigen sozialen Rahmenbedingungen und psychischen Besonderheiten seiner Patienten und Patientinnen mit den aus klinischen Prüfungen abgeleiteten Vorgaben in Einklang zu bringen. Ginge es allein um pharmakologische Wirkungen, so entstünden geringe Probleme. Es läge allein in der Geschicklichkeit des Arztes, das erforderliche medizinische Regiment durchzusetzen.
Bestimmt sich jedoch die Komplexität der Behandlung aus einer schwer zu bestimmenden Mischung sozialer, psychischer und medizinischer Faktoren, so liegt es in der „Kunst” des Arztes, die „richtige” Mischung herauszufinden. Dies gilt umso mehr, wenn es chronifizierte Erkrankungen über lange Zeiträume hinweg betrifft, in denen Rückfälle typisch sind und eine starke Wechselwirkung zwischen Einflüssen aus dem sozialen Kontext und psychischer Verfasstheit besteht. Solche interaktive, auf die jeweils aktuelle Situation hin zugespitzte Handlungsweisen erfordern zum Beispiel Entscheidungen darüber, a) ob die Dosis des Substitutionsmittels im Einklang mit den Patienten getroffen werden soll, b) ob bei Beikonsum illegaler Stoffe ein Behandlungsabbruch erfolgen soll, c) ob bei Konsum von illegal erworbenen Benzodiazepinen der Arzt mit dem Rezeptblock einspringen soll, d) ob Abbruchsituationen der Patienten durch großzügige Angebote der Wiederaufnahme der Behandlung konterkariert werden sollen, e) ob einem frühen Verlangen nach dem Ausschleichen nachgeben werden soll oder nach einer bestimmten Zeit der Substitution dies verlangt werden sollte. Diese Liste von Entscheidungsanforderungen ließe sich fast beliebig verlängern. Sie bestimmt die Alltagsarbeit des Arztes. Die jeweiligen Antworten folgen den jeweiligen situativen und psychischen Bedingungen der Patienten und richten sich nach den Maßstäben, was der Arzt noch medizinisch für verantwortbar hält und wann die Grenze zum Therapieabbruch überschritten ist.
Die Substitutionsbehandlung von Heroinabhängigen hängt in der Praxis von einem kaum entwirrbaren Bündel unterschiedlicher und oft widersprüchlicher Entscheidungsfaktoren ab. Diese im Einzelnen einer wissenschaftlichen ursachenbezogenen Analyse zu unterziehen wäre wünschenswert, aber das dazu erforderliche Forschungsdesign wäre nicht nur extrem aufwändig, sondern mit der Alltagspraxis der Ärzte nicht kompatibel. Zugespitzt könnte die Alternative formuliert werden: wissenschaftlich korrekt, aber praxisfern oder praxisgerecht, aber wissenschaftlich nicht verwertbar? Oder anders formuliert: Wo liegt der Nutzen einer systematischen Auswertung der in einer hausärztlichen Praxis anfallenden Daten?
Selbstverständlich wird hier nur ein Fallbeispiel einer hausärztlichen Praxis dargestellt. In dieser von Rainer Ullmann geführten Praxis wurde aber seit vielen Jahren nach den unten dargelegten Strategien und Richtlinien behandelt und nach einheitlichen Standards wurden relevante Parameter systematisch erhoben und dokumentiert. Insofern liegen vollständige Protokolle auch von langen Behandlungsverläufen vor. Deren wissenschaftliche Auswertung zeigt sowohl die Resultate einer komplexen, aber klar strukturierten Behandlung als auch die langfristigen Effekte. Diese Ergebnisse können dann als Ausgangspunkt für Beurteilungen der Erfolge und Misserfolge sowie als Vergleichspunkte für Erwartungen und eigene Erfahrungen genutzt werden.
#Rahmenbedingungen der Substitution in der hausärztlichen Praxis
Die Einführung der Substitutionsbehandlung Heroinabhängiger als medikamentöse Behandlung einer chronisch verlaufenden Krankheit wurde nach einem über 60 Jahre dauernden Verbot der Erhaltungstherapien trotz der international seit langem dokumentierten guten Effekte in Deutschland massiv bekämpft [16]. Immer noch wird Heroinabhängigkeit allein nicht als ausreichende Indikation angesehen [1] [710]. Viele der jetzt geltenden Regelungen der Substitutionsbehandlung (z. B. eingeschränkter Zugang zur Behandlung, eingeschränkte Auswahl der Medikamente) sind nicht durch wissenschaftliche Untersuchungen begründet. Darüber hinaus wird oft gefordert, dass die Behandlung bei Beikonsum abgebrochen werden soll [7] [811], obwohl bekannt ist, dass das Rückfallrisiko nach Behandlungsabbruch von 45 % nach 1-3 Monaten auf 82 % nach 10-12 Monaten ansteigt [12]. Vorbehalte wurden auch gegen die Substitution in der hausärztlichen Praxis geäußert [13] [14]. Jetzt belegen viele Berichte aus dem In- und Ausland deren Durchführbarkeit und Wirksamkeit [1519].
Die Rahmenbedingungen für die Substitutionsbehandlung waren in Hamburg bis 1996 verhältnismäßig günstig (Übernahme der Kosten für DHC-Präparate durch die Sozialbehörde seit 1989, relativ leichter Zugang zur Behandlung mit L-Polamidon®/d,l-Methadon durch den Hamburger Methadonvertrag von 1990, Einbindung der niedergelassenen Ärzte ohne Höchstgrenzen für die Zahl der behandelten Patienten wie in den NUB-Richtlinien, dezentrale Einnahme des Methadons in Apotheken, ausreichende Kapazitäten der PSB-Einrichtungen, die zunehmend mehr auch Psychotherapie und Akupunktur anbieten und nicht primär abstinenzorientiert arbeiten, 3 Drogenambulanzen als Hilfe für die Patienten, die in der hausärztlichen Praxis nicht zu tragen sind, und die Möglichkeit zum Beikonsumentzug in den Entzugsstationen seit 1995). Die Beratungskommmission nach den AUB-Richtlinien akzeptiert - wegen der langen Bearbeitungsdauer - alle Anträge als Eilanträge.
#Grundsätze und Strategien der Substitutionsbehandlung
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Sofortiger Behandlungsbeginn, wenn die Diagnose Heroinabhängigkeit gestellt ist. Eine Wartezeit bis zum Beginn der Behandlung, wie sie in den geltenden AUB-Richtlinien für den Regelfall vorgeschrieben ist, führt nur dazu, dass einige Patienten nicht in Behandlung kommen [20].
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Dosisfindung nach den Angaben der Patienten ohne willkürlich festgesetzte Höchstdosen. Im ursprünglichen Dole-and-Nyswander-Schema waren 10-180 mg d,l-Methadon gegeben worden [21], später gab es in den USA gesetzliche Restriktionen auf 100 bzw. 80 mg täglich. Regelmäßig wird gezeigt, dass höhere Dosen wirksamer in Bezug auf Senkung der Kriminalität [22], des Heroinbeikonsums und Erhöhung der Haltequote sind [12] [23]. Shinderman und Maxwell [24] fanden einen deutlichen Rückgang der positiven Urinbefunde (von 87 auf 3 %) bei Patienten, deren Methadondosis entsprechend ihren Bedürfnissen bis auf 780 mg täglich erhöht worden war.
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Auswahl des Opioids nach Effekt und der Verträglichkeit.
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Dosisteilung, wenn mit einer einmaligen Dosis gleichmäßige Spiegel nicht erreicht werden.
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Verordnung weiterer psychoaktiver Medikamente wie Antidepressiva, Hypnotika, Anxiolytika, Neuroleptika, wenn notwendig.
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Hausärztliches Gespräch als wesentlicher Teil der Behandlung. Gesprächsthemen sind: Dosisanpassung zur sicheren Unterdrückung der Entzugssymptome, aber ohne sedierende Effekte, Kontrolle des Heroinhungers, Behandlung psychischer und körperlicher Krankheiten, Wohnungs-, Schulden-, justizielle, Ausbildungs- und Arbeitssituation.
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Suche nach HIV und Hepatitis B und C; ggf. Impfung gegen Hepatitis A und B.
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In der einige Tage dauernden Einstellungsphase kommen die Patienten ein- bis zweimal täglich in die Praxis. Anschließend nehmen sie das Methadon unter Aufsicht in einer Apotheke ein. Ausführliche Gespräche finden - je nach Stabilität der Patienten - alle 1 bis 3 Wochen statt. Die Patienten werden nicht gedrängt, die Dosis möglichst rasch zu reduzieren. Der Verlauf wird in erster Linie klinisch kontrolliert. Dabei werden Wachheit, Injektionsstellen, Körperpflege und soziale Kompetenz beurteilt. Die Urinbefunde dienen der Sicherung des klinischen Eindrucks.
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Der Urin wird auf Opiate, Kokain, Benzodiazepine und Methadon untersucht und nicht unter Sicht abgegeben, weil das erniedrigend ist [25]. Außerdem ist das Betrugsrisiko gering, weil mit dem Wegfall der Drohung mit Behandlungsabbruch auch die Begründung für viele solcher Betrugsversuche entfällt.
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Nicht kontrollierbarer Beigebrauch wird als Krankheitssymptom gewertet, das intensiv und geduldig behandelt werden muss. Gemeinsam mit den Patienten wird nach Wegen gesucht, den Beigebrauch zu beenden oder zu kontrollieren (Gespräch über die gewünschten Effekte, die auslösenden Situationen, Möglichkeiten, die gewünschten Effekte anders, auch mit verordneten Medikamenten, zu erreichen). Gegebenenfalls wurden die Patienten zu einem stationären Teilentzug gedrängt. Die Behandlung wurde bisher nicht wegen Beigebrauch abgebrochen.
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Besonders wenn die Patienten sozial desintegriert waren, wurden sie auf die Möglichkeiten der psychosozialen Betreuung hingewiesen. Zusätzlich bekamen sie bei Depressionen und Angststörungen Antidepressiva und Anxiolytika. Eine fachpsychiatrische Diagnostik konnte nur selten durchgeführt werden, weil die Patienten - besonders zu Beginn der Behandlung - nur schwer dazu zu bewegen waren, andere Ärzte aufzusuchen, und weil nur wenige niedergelassene Psychiater substituierte Drogenabhängige mitbehandeln. Auch psychotherapeutische Mitbehandlung scheitert oft an dem Desinteresse dieser Fachgruppe, opioidabhängige Patienten zu behandeln.
Die substituierten Patienten in der hausärztlichen Praxis
Bei dem ersten hier dokumentierten Fall begann die Substitutionsbehandlung im 2. Quartal 1990, bei dem letzten im 3. Quartal 2001. Insgesamt konnte in diesem Zeitraum der Behandlungsverlauf von 352 heroinabhängigen Patienten dokumentiert werden. Die fortlaufend geführte Dokumentation umfasst nicht nur die üblichen medizinischen Daten und Verschreibungen während der Behandlung in der Praxis, sondern darüber hinaus, so weit wie möglich, auch Informationen über die Zeit vor Behandlungsbeginn, bei Unterbrechungen während der Behandlung und in der Zeit danach. Diese Zeiten außerhalb des eigentlichen Behandlungsverhältnisses fanden auch deswegen Beachtung, um zu erfahren, was die Patienten „mitbringen” bzw. was danach aus ihnen „wird”. Diese Frage stellt sich bei Heroinabhängigen mit besonderer Eindringlichkeit: Sterben sie, erreichen sie Abstinenz oder bleiben sie zumindest in einer ärztlichen Behandlung?
Für eine kurze Charakterisierung des Behandlungs- und Informationsumfangs mögen folgende Daten genügen: Die 352 Patienten wurden in 1396 Behandlungsjahren substituiert, davon 5 % der Zeit kurzfristig bei einem anderen Arzt: Im Durchschnitt sind dies 4 Jahre Behandlung. Von den 1031 Quartalen, in denen sie zwischenzeitlich nicht in der Praxis behandelt wurden - Krankenhaus, Gefängnis, zeitweiliger Abbruch -, lagen für 55 % dieser Quartale Informationen über ihre gegenwärtige medizinische, psychische oder soziale Situation vor. Nach dem Ausscheiden aus der Praxis gab es über 585 Quartale hinweg noch Informationskontakte. Insgesamt beträgt damit der Behandlungs- und Beobachtungszeitraum im Durchschnitt 5 Jahre. Der kürzeste betrug ein Quartal, der längste erstreckte sich über 11 ¿ Jahre.
Angaben zu den Patienten | Anzahl | |||
Geschlecht | 352 | männlich | weiblich | |
58 % | 42 % | |||
Nationalität | 352 | deutsch | anderes | |
84 % | 16 % | |||
Schulabschluss | 204 | keinen 21 % | Hauptschule 45 % | weiterführende
Schule 34 % |
abgeschlossene Lehre | 195 | nein | ja | Studium begonnen |
56 % | 38 % | 6 % | ||
frühere Abstinenztherapien | 281 | nein | eine | mehrere |
59 % | 29 % | 12 % | ||
Alter bei Beginn der Heroinabhängigkeit | 340 | Durchschnittsalter: 20,6 Jahre | unter 18 Jahren 30 % | über 25 Jahren 22 % |
Alter bei Beginn des i. v. Konsums | 286 | Durchschnitts-alter: 22,1 Jahre | jüngstes Alter 12 | höchstes Alter 44 |
vorbestehende Substitutionsbehandlung | 352 | ja 24 % | durchschnittliche Dauer: 2,4 Jahre | direkte Fortsetzung der Behandlung |
72 % | ||||
Alter bei erstem Substitutionsbeginn | 335 | Durchschnittsalter: 29,2 Jahre | unter 25 Jahren 28 % | über 30 42 % Jahren |
Dauer der Heroinabhängigkeit, bis Substitutionsbeginn | 335 | Durchschnittsdauer | Beginn Heroin-abhängigkeit: unter 18 Jahren | Beginn
Heroinabhängigkeit: über 25 Jahren |
8,2 Jahre | 9,5 Jahre | 5,4 Jahre |
Die wichtigsten sozialstrukturellen Daten zu den Patienten bei der Erstaufnahme können aus Tab. [1] entnommen werden. Systematische Vergleichswerte zu anderen Hausarztpraxen liegen nicht vor, so dass eine vergleichende Beurteilung nicht möglich ist. Aber der Vergleich mit wissenschaftlichen Publikationen über Substituierte ergibt keine wesentlichen Abweichungen, die auf eine besondere soziale Lage dieser Patienten und Patientinnen hinweisen würden.
#Behandlungsverläufe
Substitutionsbehandlung erfordert Kontinuität - oft über viele Jahre hinweg. Unterbrechungen der Behandlung haben aber unterschiedliche Gründe und Bedeutungen. Brechen die Patienten ab, so bedeutet dies oft eine krisenhafte Situation; müssen sie in das Krankenhaus oder eine Haftstrafe antreten, so unterbricht das die Behandlung durch den Hausarzt, aber nicht notwendigerweise die Fortführung der Substitution in der Anstalt; wechseln sie den behandelnden Arzt, so ist dies im Sinne einer fortgeführten Substitution fachgerecht; bemühen sie sich um einen Entzug oder legen Abstinenzphasen ein, so sind dies positive Signale für die Beendigung der „Drogenkarriere”. Aus der Sicht des Hausarztes stellt sich die Frage, ob ihre Patienten nach der Krise, nach den Aufenthalten in Anstalten oder nach den Erfahrungen mit anderen Ärzten zur erneuten Behandlung zurückkommen. Aus dieser Perspektive gibt es also keinen übergreifenden einheitlichen Behandlungszusammenhang eines Patienten, sondern die ärztliche Betreuung ist in kürzere oder längere Behandlungssequenzen unterteilt. Nur für diese ist der Hausarzt allein für die Substitutionsbehandlung zuständig und verantwortlich. Das bedeutet auch bei Wiederaufnahme eine jeweils erneute Einstellung auf das Substitutionsmittel sowie die Überprüfung, ob sich die Patienten und Patientinnen in der Unterbrechungszeit mit HIV oder Hepatitis C evtl. infiziert haben. Von Belang ist natürlich auch, aus welchen Gründen die Behandlung (zeitweilig) unterbrochen wird.
Da im Folgenden vor allem Behandlungsverläufe dargestellt werden sollen, sind nicht die einzelnen Patienten, sondern deren Behandlungssequenzen, die sie in der Praxis jeweils zusammenhängend durchlaufen haben, von Interesse. Die 352 substituierten Patienten verteilen sich auf 602 Behandlungssequenzen. Das entspricht durchschnittlich 4,0 Behandlungsjahren pro Patient und 2,3 Jahren pro Behandlungssequenz. Drei Fünftel der Patienten (58 %) durchliefen nur eine Sequenz, bei 22 % kam es zu einer Wiederaufnahme und 12 % folgten 3 Behandlungssequenzen und bei 9 % kam es zu mehrmaligen Beendigungen und Wiederaufnahmen (bis zu 7). Von den 352 Patienten waren 173 (49 %) zum Stichtag - Ende des 3. Quartals 2001 - noch in Behandlung.
Da zu Beginn der 90er-Jahre die Zulassungspraxis zur Substitutionsbehandlung durch die zentrale Sachverständigenkommission noch zögerlich war, sind die Patientenzahlen für diesen Zeitraum gering. Wenn Behandlungsverläufe dargestellt und analysiert werden, wird in der Regel nur ein fünfjähriger Zeitraum zugrunde gelegt, um eine hinreichend große Fallzahl zu erreichen.
#Infektionsraten
Die Patienten wiesen die bekannten hohen Infektionsraten auf. Bei erstmaliger Behandlungsaufnahme lag die Infektionsrate - soweit getestet worden ist - für Hepatitis A bei 47 %, für Hepatitis B bei 53 %, für Hepatitis C bei 67 % und für HIV bei 6 %. Unter der Behandlung - zum Teil erst in späteren Sequenzen - traten auch Neu-Infektionen auf (Tab. [2]).
Anzahl
der getesteten Patienten (Erstbehandlung) | Infektions-rate in % | Anzahl der Behand-lungs-sequenzen | Anzahl der Neu-infektionen | |
Hepatitis A | 178 | 46,6 | 255 | 3 |
Hepatitis B | 306 | 52,9 | 383 | 7 |
Hepatitis C | 302 | 67,2 | 486 | 22 |
HIV | 299 | 6,0 | 488 | 5 |
Gesundheitliche Entwicklung
IgM und CRP sind einfache, unspezifische Laborparameter, die - wenn andere Ursachen ausgeschlossen sind - die Besserung des Gesundheitszustandes (Abheilung von Abszessen) und den verminderten Konsum von Straßendrogen zeigen [26]. CRP ist bei allen akut entzündlichen Erkrankungen erhöht IgM, zum Beispiel bei chronischer Hepatitis. Der Anteil der Patienten mit erhöhten Werten - IgM und/oder CRP - nahm von 49 % im 1. Jahr relativ kontinuierlich auf 34 % im 5. Jahr ab. Besonders deutlich war der Rückgang von 40 % auf 23 % bei den Patienten, bei denen zum jeweiligen Untersuchungszeitpunkt kein Beikonsum von Heroin und Kokain in den Urinkontrollen nachgewiesen wurde. Wenn Heroin und Kokain konsumiert wurden, fiel der Rückgang von 54 % auf 45 % geringer aus (Tab. [3]).
Jahr der Behandlung | Anteil der Patienten mit erhöhtem Wert CRP und/oder IgM | ||||
ohne Beikonsum von
Heroin/Kokain in % | mit Beikonsum von Heroin/Kokain in % | Insgesamt in % | Anzahl der Behandlungs-sequenzen | ||
1. Jahr | 40,1 | 53,5 | 49,4 | 476 | |
2. Jahr | 33,0 | 53,8 | 44,9 | 207 | |
3. Jahr | 19,3 | 45,2 | 31,4 | 156 | |
4. Jahr | 27,8 | 36,1 | 31,4 | 140 | |
5. Jahr | 23,2 | 45,1 | 33,6 | 107 |
Verschreibung von Benzodiazepinen
Benzodiazepine wurden verordnet, wenn die Patienten sie sonst illegal besorgten, in seltenen Fällen als Schlafmittel, wenn andere Substanzen nicht ausreichend wirkten. Die verordneten Benzodiazepine wurden bei niedrigen Dosierungen (bis 15 mg täglich) in kleinen Packungsgrößen für den Wochenbedarf, bei größeren Tagesdosen täglich von der auch das Substitutionsmedikament ausgebenden Apotheke abgegeben.
Bei 153 von 352 der Patienten (43 %) wurden jemals Benzodiazepine verschrieben. Das betraf 176 Behandlungssequenzen. In 20 % dieser Fälle wurde nur innerhalb eines Quartals verschrieben, bei 48 % überstieg die Verschreibungsdauer nicht ein Jahr. Fast einem Viertel (23 %) wurden Benzodiazepine länger als drei Jahre verschrieben. Hervorzuheben ist dabei der Entwicklungsverlauf: Nach einer durchschnittlichen Anfangsdosierung von 28 mg sinkt sie rasch ab und stabilisiert sich relativ konstant bei ca. 17 mg (Abb. [1]).

Abb. 1 Die Verschreibung von Benzodiazepinen im Rahmen der Substitutionsbehandlung.
Dosierung des Substitutionsmittels
Bei der Analyse der Dosierung des Substitutionsmittels interessiert hier vor allem die Veränderung der Dosierung. Daher gehen in diese Analyse auch nur die Behandlungssequenzen ein, die mindestens zwei Quartale umfassen (n = 435). Da bei der Einstellung der Dosis von dem Grundsatz ausgegangen wurde, Einvernehmen mit dem Patienten herzustellen und keine Höchstmengenbegrenzung vorzunehmen, stellt sich die Frage, ob dies „ausgenutzt” wurde und es zu Dosissteigerungen kommt. Um dies zu überprüfen, wurden die Patienten in vier Gruppen eingeteilt gemäß ihrer höchsten Dosis, die sie im Verlauf eines Behandlungsabschnittes erhalten haben. Maximal 100 mg Methadon haben 43 % erhalten, die Höchstdosis lag bei 22 % zwischen 101 und 150 mg und bei 20 % zwischen 151 und 200 mg. Über 200 mg Methadon nahmen zeitweise 15 % ein. Abb. [2] zeigt die Dosierung im zeitlichen Verlauf.

Abb. 2 Dosierungsverläufe in Abhängigkeit der jemals erhaltenen Maximaldosis.
Bei der ersten Gruppe, die nie mehr als 100 mg erhalten hat, bleiben die Durchschnittswerte über fünf Dosierungsjahre hinweg im Durchschnitt konstant. Bei den beiden Gruppen mit maximalen Dosierungen zwischen 100 und 200 mg sinken die Dosierungen kontinuierlich und erreichen nach ca. vier Jahren das niedrige Niveau der ersten Gruppe. Nur bei der kleinen Gruppe mit sehr hoher Dosierung ist der Effekt der kontinuierlichen Dosisreduktion nicht so ausgeprägt. Nach dem Erreichen des maximalen Niveaus am Ende des ersten Behandlungsjahres (202 mg) sinkt es im fünften Jahr erst um ca. 30 mg.
Die Dosierung sinkt sehr langsam ab. Die wellenförmige Kurve kommt dadurch zustande, dass nicht immer der Durchschnitt aus denselben Patienten berechnet wird.
#Beikonsum
Der Beikonsum eines Substitutionspatienten stellt einen wichtigen Behandlungsparameter für den Arzt dar. Darüber hinaus wird er oft auch als Gütekriterium für die Substitution genutzt und von den Kritikern der Substitution angeführt. Dies mündet in Empfehlungen zum Behandlungsabbruch bei Beikonsum oder der Unverträglichkeit von Substitution bei mehrfacher Abhängigkeit (siehe oben). Bei den hier behandelten Patienten wurde der parallele Konsum insbesondere von Heroin und Kokain als Problem, aber nicht als Grund für die Beendigung der Behandlung genommen. Insofern spiegeln die hier präsentierten Zahlen die „natürliche” Entwicklung des Beikonsums unter Substitution wider.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Substanz nur dann im Urin nicht nachgewiesen werden kann, wenn sie mindestens 5 Tage nicht mehr konsumiert worden ist. Sie ist also nicht oder nur noch kontrolliert im Abstand von mindestens 5 Tagen konsumiert worden. Der Nachweis besagt, dass eine Substanz dieser Substanzgruppe mindestens einmal innerhalb der letzten 5 Tage konsumiert wurde; er sagt nichts über süchtigen Konsum aus. Ein positiver Opiatnachweis im Suchtest kann den Konsum von Heroin oder die Einnahme einer kodeinhaltigen Schmerztablette anzeigen; ggf. muss das Ergebnis des Suchtests mit der GCMS kontrolliert werden. Die Untersuchung auf Barbiturate wurde ab Juli 2000 eingestellt, da nur sehr selten positive Befunde erhoben wurden. Alkoholkonsum wurde klinisch überprüft und nicht quantifiziert.
Die Überprüfung des Beikonsums erfolgt regelmäßig etwa viermal pro Quartal. Bei langjährigen Patienten mit über fünfjähriger Behandlungszeit reduziert sich die Frequenz auf etwa drei pro Quartal. Insgesamt sind 15 346 Urinproben (UK) dokumentiert. Der Test auf das Substitutionsmittel fand bei 14 994 UKs statt und war in 93,2 % positiv, 28,3 % von 15 301 UKs waren positiv bez. Heroin und 28,8 % von 14 621 UKs positiv bez. Kokain.

Abb. 3 Heroinkonsum von substituierten Patienten im Zeitverlauf.

Abb. 4 Kokainkonsum von substituierten Patienten im Zeitverlauf.
Die beiden Abb. [3] und [4] geben die Verlaufsentwicklung des Beikonsums für Heroin und Kokain wieder. Bei der Beurteilung der Verlaufskurven ist Folgendes zu beachten. Die durchgezogenen Verlaufskurven geben an, wieviele der UKs in dem entsprechenden Quartal positiv waren. Die gestrichelten Verlaufskurven geben an, wie viele der Patienten in dem entsprechenden Quartal mindestens einmal positiv getestet worden ist. Der Abstand dieser beiden Werte gibt an, ob die getesteten Patienten regelmäßig konsumieren - dann wären beide Werte weitgehend gleich - oder ob ein gelegentlicher Konsum stattfindet - dann vergrößert sich der Abstand.
Insgesamt zeigt sich, dass sich die Intensität des Konsums von Heroin und Kokain von Anfang an verringert und im Zeitverlauf die Zahl der Patienten immer weniger wird, die überhaupt noch solchen Beikonsum haben. Im ersten Quartal konsumieren noch über drei Viertel der Patienten Heroin, aber nur noch die Hälfte ihrer UKs ist positiv. Im fünften Behandlungsjahr verringert sich der Beigebrauch von Heroin auf ein Drittel der Substituierten, deren UKs aber nur zu einem Fünftel positiv sind. Mit anderen Worten: Nach Beginn der Substitution wird nicht mehr durchgängig Heroin konsumiert und die Zahl der Gelegenheitskonsumenten wird immer geringer.

Abb. 5 Verlauf des Kokainkonsums nach den Patienten mit bzw. ohne Kokainkonsum im ersten Behandlungsquartal.
Analog, aber weniger akzentuiert, verläuft die Entwicklung bei Kokain. Zu Beginn konsumieren 50 % der Patienten Kokain, aber nur ein Drittel ihrer UKs sind positiv, im fünften Behandlungsjahr nehmen noch ein Drittel Kokain, aber nur noch ein Viertel ihrer UKs sind positiv.
Ein genauerer Blick auf den Kokainkonsum von Substituierten zeigt, dass er in hohem Maße von einem vorbestehenden Konsum abhängt. Wenn bereits die ersten UKs bez. Kokain positiv sind, so muss mit einem anhaltenden Konsum von Kokain gerechnet werden. Im Behandlungsverlauf nimmt dieser jedoch kontinuierlich ab. Er erreicht nach vier Behandlungsjahren etwa das Niveau von Gelegenheitskonsum, wie es für ein Fünftel derjenigen angezeigt wird, die zu Behandlungsbeginn kein Kokain konsumierten (Abb. [5]). Dies lässt eher vermuten, dass es Gelegenheitskonsumenten eher gelingt, zeitweise ihren Konsum zu unterbrechen, um ihn dann wieder aufzunehmen, als den Dauerkonsumenten, die erst im Verlauf der Substitutionsbehandlung ihren Konsum reduzieren. In beiden Fällen zeigt dies, dass nicht ein systematischer Anstieg des Kokainkonsums oder Tauscheffekte - Kokain statt Heroin - zu befürchten ist.
In diesem Sinne zeigen die kumulierten Werte positiver und negativer UKs im Verlauf der Substitutionsbehandlung eine klare Tendenz: die Zahl „cleaner” UKs steigt wesentlich schneller als die Zahl der UKs, die noch positiv sind. So steigt der Anteil negativer UKs auf ca. drei Viertel bei Heroin und Kokain im Behandlungsverlauf und auf etwa zwei Drittel, wenn Heroin und/oder Kokain zusammen genommen werden. Je länger die Behandlung, desto größer der Abstand zum Beikonsum bzw. desto größer der Anteil negativer UKs (Abb. [6]).

Abb. 6 Anteil negativer Befunde an der kumulierten Anzahl bisheriger Urinproben im Behandlungsverlauf.
Haltequoten, Unterbrechungen, Beendigung
Alle Untersuchungen zur Substitution zeigen, dass der Behandlungszeitraum lang sein muss, um die erwünschten Effekte der Infektionsprophylaxe, die Verbesserung der psychosozialen Situation und das Ziel der Opiatunabhängigkeit zu erreichen. Hierbei gibt es aus der Sicht der hausärztlichen Praxis viele Stolpersteine. Die Patienten können abbrechen, weil sie mit den Konditionen der Behandlung nicht zurechtkommen, den Arzt nicht akzeptieren oder ihre mangelnde Compliance für den Arzt nicht erträglich ist. Unabhängig von jeglicher Schuldzuweisung sind dies alles Gründe, die auch in der Verantwortung des behandelnden Arztes liegen können. Solche Ursachen des Abbruchs sind unerwünscht, da sie die notwendige Weiterbehandlung verhindern. Aber solche Gründe können auch oberflächlich sein oder Krisensituationen widerspiegeln, so dass der unterbrochene Kontakt zum Arzt schnell wieder aufgenommen wird. Dies wären kurzfristige temporäre Unterbrechungen eines fortlaufenden Behandlungsprozesses.
Ganz anders stellt sich die Situation dar, wenn es gelingt, die Patienten zu einer Entzugsbehandlung, einer Abstinenztherapie oder gar zum Absetzen des Substitutionsmittels zu motivieren. Dann endet die Behandlung, trotz aller Rückfallgefahr, zunächst in einem positiv zu bewertenden Behandlungssetting. Dies trifft auch - mit welchen Gründen auch immer - auf einen Wechsel des Arztes zu, wenn dieser die Substitution fortsetzt.
Aus ärztlicher Sicht gibt es auch „höhere” Gründe, die Behandlung in der Praxis zu beenden: Einweisungen ins Krankenhaus oder (Untersuchungs-)Haft in Gefängnissen. In Hamburg bedeutete dies nicht zwangsläufig die Unterbrechung der Substitutionsbehandlung. Aus der Perspektive des Hausarztes ist damit jedoch in der Regel die Behandlung in der eigenen Praxis unterbrochen oder beendet.
Im schlimmsten Falle sterben sie während der Behandlung. Entscheidend für die Beurteilung solcher Fälle sind die Todesursachen. Sterben sie an einer nicht heilbaren Drogenfolgeerkrankung (AIDS) oder an einem Unfall, so ist dies anders zu bewerten als eine Überdosis oder der Tod unter Drogeneinfluss. Daher werden diese Fälle im Einzelnen aufgeführt.
#Haltequoten
Abb. [7] zeigt zwei Haltequoten auf:
-
Die erste aus der Sicht der behandelnden Praxis (durchgezogene Linie): Wer ist gekommen, wer hätte bis zu diesem Zeitpunkt - theoretisch - bleiben können und wie hoch ist der Prozentanteil der Patienten, die geblieben sind. Unbeachtet bleibt dabei der Grund des Wegbleibens: Krankenhaus, Haft, Entzug, Therapie, Arztwechsel, Abbruch, Tod. Im Sinne konservativer Schätzung bleibt unbeachtet, ob sie nach einer Unterbrechungsphase erneut behandelt wurden. Hier kann man eher von einer generellen Schwundquote aus der Sicht der behandelnden Praxis sprechen - wer bleibt weg, warum auch immer - und nicht von einer Quote, die den Abbruch der Behandlung wiedergibt.
-
Die zweite aus der Sicht der Patienten (unterbrochene Linie): Wer ist gekommen, wer hätte bis zu diesem Zeitpunkt - theoretisch - bleiben können und wie hoch ist der Prozentanteil der Patienten, die geblieben sind und nicht durch außerärztliche Gründe daran gehindert wurden, der Substitutionsbehandlung in der hausärztlichen Praxis weiter zu folgen. Im Sinne konservativer Schätzung werden dann Abbrüche, Arztwechsel, Tod und unbekannte Informationslagen der Praxis zugeordnet. Diese Kurve gibt genauer die eigentliche spezifische Haltequote wieder, inwieweit die Patienten die Substitutionsbehandlung in der Praxis abbrechen.

Abb. 7 Schwundquote und Haltequote in der hausärztlichen Praxis.
Die hier dokumentierten Haltequoten nehmen einen ungewöhnlichen Verlauf. Seit Beginn der Behandlung sinken sie wie erwartet. Im späteren Verlauf nehmen sie wieder zu. Der Grund liegt darin, dass aus Platzgründen sowie aus Gründen geringer Fallzahlen nicht für jeden Jahrgang des Beginns der Substitutionsbehandlung ein eigener Kurvenverlauf der jeweiligen Haltequote wiedergegeben werden konnte. Insofern dominieren in den ersten Jahren tendenziell diejenigen, die erst seit einigen Jahren in die Substitutionsbehandlung gekommen sind, und für den längeren Zeitverlauf diejenigen, die in den frühen 90er-Jahren gekommen sind. Möglicherweise bestehen hier Selektivitätseffekte. Unabhängig davon zeigen die Daten eine hohe Haltequote von ca. 70 % bis 80 % an. Aus der Sicht der Praxis kann der behandelnde Arzt aber davon ausgehen, im Verlauf von zwei bis drei Jahren etwa die Hälfte seiner Patienten - aus welchen Gründen auch immer - verloren zu haben. Die verbleibenden Patienten weisen aber eine hohe Stabilität auf.
#Unterbrechungen
Während einer fortlaufenden Substitutionsbehandlung können Ereignisse eintreten, welche die Betreuung in der hausärztlichen Praxis unterbrechen - zum Beispiel Krankheit, stationäre Therapien, Haft. Solche Unterbrechungen gelten hier als kurzfristig, wenn spätestens zum Ende des jeweiligen Quartals die Substitution wieder aufgenommen worden ist. Solche Zwischenereignisse traten bei 46 % der 602 Behandlungssequenzen auf (Tab. [4]).
Grund | kurzfristige Unterbrechungen: Anzahl | Beendigung der
Behandlung: Anzahl |
Krankenhausaufenthalt | 128 | 27 |
Haftaufenthalt | 52 | 59 |
(amb.) Entzugsbehandlung | 283 | 111 |
Abstinenztherapie | 31 | 64 |
ausgeschlichen | 50 | 76 |
Arztwechsel | 29 | |
abgebrochen | 91 | 81 |
Tod | 23 | |
weiterhin in Behandlung | 173 | |
Anzahl der Behandlungssequenzen | 274 | 602 |
Am häufigsten kam es zu Entzugsbehandlungen - stationär oder ambulant. Dies zeigt das erhebliche Bemühen, sich von der Abhängigkeit zu befreien. Zusammen mit den Versuchen, einer Abstinenztherapie zu folgen oder sich „ausschleichen” zu lassen, kam es insgesamt zu 364 vergeblichen Ansätzen der Abstinenz. Der kurzfristige Abbruch der Behandlung durch den Patienten (91-mal), Einweisungen in das Krankenhaus (128-mal) oder Haftsituationen (52-mal) kamen in dem langen Behandlungszeitraum, der hier zugrunde liegt, relativ selten vor.
#Beendigung
Zwei Fünftel der beendeten Behandlungssequenzen (602) wurden später wieder aufgenommen (43 %), in 29 % der Fälle kamen die Patienten (bisher) nicht erneut wieder und bei weiteren 29 % dauerte die Behandlung bis zum Stichtag noch an: Das betrifft etwa die Hälfte aller 352 Patienten.
Auch bei den Gründen, aus denen die Behandlung in der Praxis (zeitweise) abgebrochen wurde, dominiert das Bestreben zum Entzug (111), die Abstinenztherapie (64) und die reguläre Absetzung des Substitutionsmittels (76). Abbruch oder Tod des Patienten beendete 104-mal die Behandlung, Krankenhaus oder Haft waren 27- bzw. 59-mal die Ursache (Tab. [4]). Informationen über den Verlauf nach Entzug oder Abstinenztherapie waren leider nur selten zu bekommen.
76 Patienten wurden ausgeschlichen und waren danach sicher mindestens ein halbes Jahr abstinent. Ein Fünftel von ihnen erreichte dies binnen zwei Jahren, ein weiteres Fünftel nach über sechs Jahren Substitution.
Während der Behandlung starben 23 Patienten: 11 an einer Intoxikation, 9 an schweren Krankheiten (Strangulationsileus, Leberzirrhose, Sepsis (2), Pneumonie, Lungenembolie, nekrotisierende Pankreatitis, AIDS (2)). Ein Patient erhängte sich, eine Patientin wurde ermordet, eine erlitt einen tödlichen Verkehrsunfall als Beifahrerin. Weitere 10 Patienten starben nach Beendigung der Behandlung: 5 an Intoxikationen, 2 an schweren Krankheiten (Osteomyelitis, Leberzirrhose), ein Patient wurde ermordet, eine Patientin starb unter ungeklärten Umständen am ersten Tag in der Entzugsstation.
Das Todesalter lag bei durchschnittlich 32,5 Jahren, ein Fünftel war unter 25 Jahren alt und fast ein Drittel über 35 Jahre. Ihre Drogenkarriere bis zum Beginn der ersten Substitutionsbehandlung dauerte 8,2 Jahre. Ein Drittel der Toten war über 10 Jahre heroinabhängig bis zum Substitutionsbeginn.
#Diskussion
Die Daten zeigen, dass Heroinabhängige zu spät in Behandlung kommen. Bei den meisten sind bereits vor Behandlungsbeginn schwere Komplikationen eingetreten - besonders HIV- und Hepatitis-Infektionen. Die hohe Sterblichkeit ist zur Hälfte durch Intoxikationen verursacht. Die meisten schweren Krankheiten, die zum Tode führten, hatten sich die Patienten im Verlauf ihrer nicht behandelten Suchterkrankung zugezogen.
Nachdem die für den Patienten richtige Dosis gefunden worden ist, wünschen viele Patienten, die Dosis in einem monatelangen Prozess zu reduzieren. Obwohl sie nicht gedrängt wurden, waren Entzugsversuche sehr häufig, aber nur zum kleineren Teil erfolgreich. Entzugswünschen sollte also nur sehr zurückhaltend nachgegeben werden, das Rückfallrisiko ist hoch, günstigstenfalls wird die Substitutionsbehandlung rasch erneut aufgenommen. Mehr als 20 % der Patienten haben nach einem monatelangen Abdosierungsprozess Opiatabstinenz erreicht und mindestens 2 Quartale aufrechterhalten. Das entspricht den bekannten Zahlen [20].
Der Konsum von Heroin und Kokain nimmt kontinuierlich in einem mehrjährigen Prozess ab. Es ist also nicht zu vertreten, die Behandlung wegen des Beikonsums frühzeitig abzubrechen.
Für die Diskussion über die zusätzliche Verordnung von Benzodiazepinen ist wichtig, dass ein nennenswerter Teil der Patienten diese besonders zu Beginn der Behandlung wünscht oder benötigt, dass aber bei fast allen die Dosis erheblich reduziert werden kann. Bei der Hälfte der Patienten kann das Benzodiazepin innerhalb von 1 Jahr völlig abgesetzt werden.
Die Substitutionsbehandlung von Heroinabhängigen ist natürlich ein ärztlich kontrollierter Prozess. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Patienten dauernd kontrolliert werden müssen oder die Drohung des Behandlungsabbruchs bei problematischem Verhalten ein Qualitätsmerkmal darstellt. Die Behandlung der Heroinabhängigen als Patienten und das Integrieren ihrer Probleme in die ärztliche Behandlung erreicht Behandlungsergebnisse, wie sie in vielen Untersuchungen dokumentiert worden sind.
#Literatur
- 1 Bühringer G. Analyse des therapeutischen Angebots. In: Medikamentengestützte Rehabilitation bei Drogenabhängigen, Dokumentation über ein internationales Symposium. MAGS NRW. 1987;
- 2 Heinrich K. Das Elend mit dem Methadon. MMW. 1987; 129 677-678
- 3 Keup W. Methadon-Erhaltungsprogramme. DÄ. 1973; 1179-1182
- 4 Täschner K L. Therapie bei Abhängigen von Rauschdrogen. DÄ. 1988; 85 A1707-1711
- 5 Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft . Levomethadon (-Polamidon) - Drogenabhängigkeit ist keine Indikation!. DÄ. 1985; 82 2265
-
6
N.N .
Drogenbeauftragte warnen vor der Methadon-Abgabe an
Süchtige.
Pressedienst des Bundesministers für Jugend,
Familie und Gesundheit Nr. 75 vom 21. Juni 1985.
- 7 Bühringer G. et al .Methadon-Standards. Stuttgart; Enke 1995
-
8 10. und 15. BtMÄndV § 5 Abs. 1 und
2.
-
9 Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und
Krankenkassen zur Methadon-Substitutionsbehandlung bei
I.V.-Heroinabhängigen vom 1.10.1991.
-
10 Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und
Krankenkassen zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger
vom 26.4.1999.
- 11 Soyka M, Naber D, Niederecker M, Hippius H. Methadon- Behandlung HIV-infizierter Opiatabhängiger. MMW. 1990; 132 691-694
- 12 Ball J, Ross A. The Effectiveness of Methadone Maintenance Treatment. Heidelberg; Springer 1991
-
13
Keup W.
Anhörung im hessischen Landtag 1984.
-
14
Wanke K.
Gutachten für die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht
Frankfurt am 4.7.1989.
- 15 Novick D, Joseph H. Medical Maintenance: The Treatment of chronic Opiate Dependence in General Medical Practice. Journal of Substance Abuse Treatment. 1991; 8 233-239
- 16 Caplehorn J. A comparison of private and public methadone maintenance patients. Drug and Alcohol review. 1992; 11 43-49
- 17 Wilson P, Watson R, Ralston G. Methadone maintenance in general practice: patients, workload and outcomes. BMJ. 1994; 309 641-644
- 18 Raschke P. Substitutionstherapie. Freiburg; Lambertus 1994
-
19 Raschke P. et al .Substitution in Hamburg - Methadonbehandlung
Opiatabhängiger von 1990 bis 1995. Hamburg 1996.
- 20 Maddux J, Desmond D. Rapid Admission and Retention on Methadone. Am J Drug Alcohl Abuse. 1995; 21 533-547
- 21 Dole V P, Nyswander M. A Medical Treatment for Diacetymorphine (Heroin) Addiction. JAMA. 1965; 193 646-650
- 22 McGlothlin W, Anglin M. Long-term Follow-up of Clients of High- and Low-Dose Methadone Programs. Arch Gen Psychiatry. 1981; 38 1055-1063
- 23 Strain. et al . Moderate (45-50mg)- vs High (80-100mg)-Dose Methadone in the Treatment of Opioid Dependence. JAMA. 1999; 281 1000-1005
- 24 Shinderman M, Maxwell S. Optimizing Response to Methadone Maintenance Treatment: Higher Dose Methadone. Journal of Psychoactive Drugs. 1999; 31 Heft 2
- 25 Ward J, Hall W, Mattick R. Role of maintenance treatment in opioid dependence. The Lancet. 1999; 353 221-225
- 26 Cushman C, Grieco M. Hyperimmunoglobulinemia Associated with Narcotic Addiction. The American Journal of Medicine. 1973; 54 320-326
Dr. med. Rainer Ullmann
Curschmannstraße 10
20251 Hamburg
Prof. Dr. Peter Raschke
Universität Hamburg
Allende Platz 1
20146 Hamburg
Literatur
- 1 Bühringer G. Analyse des therapeutischen Angebots. In: Medikamentengestützte Rehabilitation bei Drogenabhängigen, Dokumentation über ein internationales Symposium. MAGS NRW. 1987;
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6
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Drogenbeauftragte warnen vor der Methadon-Abgabe an
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Krankenkassen zur Methadon-Substitutionsbehandlung bei
I.V.-Heroinabhängigen vom 1.10.1991.
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10 Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und
Krankenkassen zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger
vom 26.4.1999.
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Keup W.
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14
Wanke K.
Gutachten für die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht
Frankfurt am 4.7.1989.
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19 Raschke P. et al .Substitution in Hamburg - Methadonbehandlung
Opiatabhängiger von 1990 bis 1995. Hamburg 1996.
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- 24 Shinderman M, Maxwell S. Optimizing Response to Methadone Maintenance Treatment: Higher Dose Methadone. Journal of Psychoactive Drugs. 1999; 31 Heft 2
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- 26 Cushman C, Grieco M. Hyperimmunoglobulinemia Associated with Narcotic Addiction. The American Journal of Medicine. 1973; 54 320-326
Dr. med. Rainer Ullmann
Curschmannstraße 10
20251 Hamburg
Prof. Dr. Peter Raschke
Universität Hamburg
Allende Platz 1
20146 Hamburg

Abb. 1 Die Verschreibung von Benzodiazepinen im Rahmen der Substitutionsbehandlung.

Abb. 2 Dosierungsverläufe in Abhängigkeit der jemals erhaltenen Maximaldosis.

Abb. 3 Heroinkonsum von substituierten Patienten im Zeitverlauf.

Abb. 4 Kokainkonsum von substituierten Patienten im Zeitverlauf.

Abb. 5 Verlauf des Kokainkonsums nach den Patienten mit bzw. ohne Kokainkonsum im ersten Behandlungsquartal.

Abb. 6 Anteil negativer Befunde an der kumulierten Anzahl bisheriger Urinproben im Behandlungsverlauf.

Abb. 7 Schwundquote und Haltequote in der hausärztlichen Praxis.