NOTARZT 2001; 17(6): 194-195
DOI: 10.1055/s-2001-18906
Fortbildung
Der toxikologische Notfall
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Rückkehr von einer Sommerreise

F.  Martens1
  • 1Charité, Campus Virchow Klinikum, Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin (Direktor: Prof. Dr. Ulrich Frei), Berlin
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Publication Date:
06 December 2001 (online)

Der Fall

In den Abendstunden wird die Notärztin in ein Einfamilienhaus gerufen, wo ein 67-jähriger Mann unter zunehmenden Atembeschwerden leidet. Aus seiner Anamnese wird ein milder Hypertonus, behandelt mit einem Betablocker und eine mäßige Hyperlipidämie bekannt. Seit drei Jahren sei er Rentner, körperlich gut leistungsfähig, versorge seinen Garten ohne Einschränkungen. Vor zwei Tagen seien er und seine Frau von einer dreiwöchigen Urlaubsreise von der Ostsee zurückgekommen. Am Vorabend hätte es ein Familientreffen mit ihren zwei Kindern, den drei Enkeln und seinem Bruder gegeben. In den nachfolgenden Nachtstunden hätte er wiederholt Übelkeit mit Bauchkrämpfen, zweimalig Durchfall und Schwindel verspürt und dies auf den Genuss von Wein anlässlich der Familienfeier zurückgeführt. Außerdem berichtete der Patient über eine merkwürdiges, verschwommenes Sehen - er habe seine ganze Post, die sich während des Urlaubes angesammelt habe, nur mühsam lesen können. Zur Zeit habe er zeitweise Doppelbilder, die ihn an den Zustand heftigen Betrunkenseins erinnere.

Der sitzende Patient hat beide Arme auf den Lehnen seines Sessels aufgestützt und atmet sichtbar erschwert. Es fällt eine deutlich erhöhte Atemfrequenz von 20/min auf; die pulsoxymetrisch gemessene Sättigung liegt bei 90 %. Die Herzfrequenz ist mit 110/min erhöht; der Blutdruck liegt mit 150/85 in ähnlicher Höhe, wie es dem Patienten bekannt ist. Die Auskultation der Lungen ergibt keinen pathologischen Befund, auch der Perkussionsbefund ist seitengleich sonor. Im anschließend abgeleiteten EKG zeigt sich lediglich eine Sinustachykardie ohne Hinweise für koronare Durchblutungsstörung.

Unter der Gabe von Sauerstoff via Gesichtsmaske normalisiert sich die Sauerstoffsättigung, die Atemfrequenz und die subjektive Luftnot bleiben jedoch unbeeinflusst. Schließlich entschließt sich die Notärztin nach dem Legen einer periphervenösen Verweilkanüle zum Transport des Patienten auf die Intensivstation ihres eigenen Krankenhauses.

Dort werden die gleichen Befunde wie zuvor durch die Notärztin erhoben. In der arteriellen Blutgasanalyse findet sich ein pO2 von 98 mm Hg und ein pCO2 von 46 mm Hg. In den nachfolgenden zwei Stunden wird eine zunehmende CO2-Retention nachweisbar, so dass der weiterhin bewusstseinsklare Patient nach Analgosedierung intubiert und beatmet wird. Kurz darauf treten bei der Ehefrau des Patienten, die besorgt um ihren Mann im Krankenhaus weilt, ähnliche Symptome auf. Jetzt wird die Anamnese erneut erhoben und es ergibt sich, dass das Ehepaar an der Ostsee frischen Fisch gekauft und in einer Kunststoffdose mit nach Hause genommen hatte. Hier hatten sie die Fische mit Essig, Öl und Gewürzen mariniert und am darauffolgenden Tag anlässlich der Familienfeier verspeist. Die Sehstörungen, die Übelkeit, der Durchfall und die zunehmende Atemschwäche lenkten schließlich den Verdacht auf eine Vergiftung mit Botulinustoxin. Anrufe bei den Kindern der Patienten und dem Bruder ergeben zunächst keine Hinweise auf eine Vergiftung. Alle weiteren Personen, die an der Familienfeier beteiligt waren und möglicherweise Fisch gegessen haben könnten, werden gebeten, sich im Krankenhaus zur Untersuchung vorzustellen.

Der Ehemann und seine Ehefrau erhalten jeweils wiederholt Botulismus-Antitoxin nach vorheriger Testung auf Verträglichkeit im Konjunktivaltest. Nach elf Tagen kann der Patient extubiert werden; seine Ehefrau musste nicht beatmet werden, sondern erholte sich unter Masken-CPAP-Atmung und der Antitoxingabe.

Priv.-Doz. Dr. Frank Martens

Charité, Campus Virchow Klinikum · Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin · Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin

Augustenburger Platz 1

13353 Berlin

Email: frank.martens@charite.de

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