NOTARZT 2001; 17(4): 137-138
DOI: 10.1055/s-2001-16340
DER TOXIKOLOGISCHE NOTFALL
Der toxikologische Notfall
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Steinstaub

T. Hildebrandt, F. Martens
  • Charité, Campus Virchow Klinikum, Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin (Direktor: Prof. Dr. Ulrich Frei), Berlin
Further Information

Publication History

Publication Date:
31 December 2001 (online)

Der Fall

Unter dem Einsatzstichwort „MANV 1” (Massenanfall von Verletzten Stufe 1) wurden ein RTW und ein NAW zu einem bekannten öffentlichen Gebäude in der Berliner Innenstadt gerufen. Vor dem Gebäude wurde von Zeugen berichtet, dass zwei Bauarbeiter durch einen Deckeneinsturz verletzt worden seien. Während des Gesprächs kam der offenbar leichter Verletzte den Rettungskräften zu Fuß entgegen und wurde mit dem RTW in ein Krankenhaus gebracht. Der zweite Verletzte hätte sich angeblich befreien können, sei aber nicht in der Lage, von seinem Gerüst herunterzukommen. Er klage über Brust- und Rückenschmerzen sowie über Atemnot. Daher entschloss sich das Rettungsteam, bestehend aus Notarzt, Notarzt in Ausbildung und Rettungsassistent, zur Besichtigung des Verletzten vor Ort.

Dieses Vorgehen erwies sich als unerwartet schwierig:

Wegen der Asbestbelastung der Luft in dem Gebäude musste sich das Rettungsteam zunächst komplett (!) entkleiden und erhielt dann einen Ganzkörperschutzanzug inklusive eines Atemschutzgerätes mit speziellen Luftfiltern. Der verletzte Arbeiter vor Ort war bei Bewusstsein und klagte über atemabhängige, linksseitige Thoraxschmerzen, Schmerzen im Bereich der BWS und leichte Atemnot. Der Puls war kräftig und normfrequent. Eine weitere klinische Untersuchung inklusive Auskultation war wegen des starken Lärms auf der Baustelle und der extremen Geräuschentwicklung der Atemschutzturbinen nicht möglich. Die grobe neurologische Untersuchung ergab jedoch keine Hinweise auf eine Querschnittsymptomatik. Unter Verwendung der Schaufeltrage wurde der Patient von insgesamt sechs Rettungskräften langsam vom Gerüst gehoben. Aufgrund der widrigen Umstände vor Ort und des offenbar geringen Verletzungsausmaßes entschied der Notarzt, alle weiteren medizinischen Maßnahmen erst nach der Ausschleusung aus dem Gebäude vorzunehmen.

In der Schleuse angekommen wurde der Patient komplett entkleidet und auf der Vakuummatratze und dem Tragegestell liegend ausgeschleust und von außen verbliebenen Rettungskräften entgegengenommen. Das Rettungsteam musste sich hingegen einer vollständigen Dekontamination unterziehen:

Wasserabwaschung der Gummischuhe, Luftdusche, komplette Entkleidung (erneut !) des Schutzanzuges bis auf die Atemschutzturbine, Wasserdusche 15 Sekunden mit Atemschutzgerät, 30 Sekunden ohne, Ankleiden.

Diese Prozedur dauerte ca. 30 Minuten, so dass der Einsatzleiter C der Feuerwehr zwischenzeitlich den Patienten im NAW mit RTW-Besatzung ins Krankenhaus hatte bringen lassen.

Dort wurden nach ausführlicher Untersuchungen die Diagnosen einer Thorax-, Wirbelsäulen- und Schultergelenkprellung gestellt.

Alle Rettungsmaterialien (Notfalkoffer, Defibrillator, Stethoskope) verblieben zur Spezialdekontamination und rasterelektronenmikroskopischen Untersuchung auf Asbestfaserreste für insgesamt 48 Stunden vor Ort.

Priv.-Doz. Dr. Frank Martens

Charité, Campus Virchow Klinikum
Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin
Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin
Giftinformation

Augustenburger Platz 1

13353 Berlin

Email: frank.martens@charite.de

    >