Fortschr Neurol Psychiatr 2001; 69(SH1): 18-22
DOI: 10.1055/s-2001-15932
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Johann Hoffmann, erster ordentlicher Professor für Nervenpathologie in Heidelberg

E. Kuhn
  • Heidelberg
Further Information

Publication History

Publication Date:
31 December 2001 (online)

Johann Hoffmann (Abb. [1]) wurde am 30. März 1857 im rheinhessischen Hahnheim geboren. Dort verbrachte er auch seine Kindheit. Er erhielt Privatunterricht, bevor er das Gymnasium in Worms besuchte. Medizin studierte er in Straßburg, Berlin und Heidelberg, wo er seine Staatsprüfung mit der Note vorzüglich ablegte und mit einer Arbeit „Ein Fall von acuter aufsteigender Paralyse” promovierte. Im Alter von 30 Jahren erfolgte seine Habilitation mit der Schrift „Zur Lehre von der Tetanie”. Es folgten dann die Ernennungen zum außerordentlichen und später zum ordentlichen Honorarprofessor, bevor er der erste ordentliche Professor für Nervenpathologie in Heidelberg wurde.

Noch zu Friedreichs Zeiten war Hoffmann als Assistent in die Medizinische Klinik in Heidelberg eingetreten. Nach dem Tode Friedreichs kehrte Erb von Leipzig nach Heidelberg zurück und machte Hoffmann zu einem seiner engeren Mitarbeiter. Er wurde - mit Erbs Worten - „meine beste Stütze auf dem meinem Herzen am nächsten stehenden Gebiete der inneren Medizin, der Elektrotherapie und Nervenpathologie.”

Als Ludolf Krehl 1907 auf den Lehrstuhl für Innere Medizin berufen wurde, erwirkte er für Johann Hoffmann einen Lehrauftrag für Nervenpathologie und Elektrotherapie und bestellte ihn zum Leiter der schon von Erb errichteten Nervenabteilung. Diese Position hatte er bis zu seinem Tode, am 1. November 1919, inne.

Zu seiner Tätigkeit als Hochschullehrer schreibt ein ehemaliger Heidelberger Medizinstudent, Reinhard von den Velden, in einer Rückschau auf die Heidelberger Medizinische Fakultät [62]: „Der Nerven Hoffmann, wie er hieß, in seiner ruhigen und ungeheuer beherrschten Weise, steht vor uns. Ihm bei der Durchuntersuchung eines Falles zusehen zu dürfen, war ein Genuss. Wortlos erfolgte alles und schloss dann mit einem nach Form und Inhalt gleichmäßig packenden kurzen Resumée.” Wilhelm Erb berichtet über Hoffmanns Lehrtätigkeit [3]: „Er war ein vortrefflicher und beliebter Lehrer, der durch seine vorbildliche Untersuchung, durch die Exaktheit und Klarheit seiner Diagnosen außerordentlich anregend war... Viele seiner Schüler sprachen mit Begeisterung von seinem Unterricht, anderen freilich erschien er manchmal etwas nüchtern und trocken.”

Von Erb [3] erfahren wir auch, dass Johann Hoffmann große Kongresse kaum besuchte, aber sehr aktiv sich an den Sitzungen des Heidelberger naturhistorisch-medizinischen Vereins und der Badener Wanderversammlung südwestdeutscher Neurologen und Irrenärzte beteiligte. Den Versammlungen der Gesellschaft Deutscher Nervenärzte, die 1910 gegründet wurde, blieb er regelmäßig fern, was sehr bedauert wurde.

Zur Charakterisierung der Persönlichkeit kann ich mich ebenfalls auf Erb beziehen. Er schreibt [3]: „Hoffmann war ein vornehmer, lauterer und liebenswürdiger, vielleicht allzu bescheidener Charakter, der von Natur mehr zurückhaltend war, auch manchmal direkt ablehnend sein konnte; dabei besaß er doch einen angenehmen Humor, der freilich sehr treffende kritische und sarkastische Bemerkungen nicht ausschloss.”

Er war als Konsiliarius sehr gesucht und bekam bald eine sehr ausgedehnte konsultative Praxis in der näheren und weiteren Umgebung von Heidelberg, auch ins Ausland wurde er gerufen. Sein Hauptlebensziel jedoch war die wissenschaftliche und praktische Arbeit.

Ein Kuriosum, das zu der oben gegebenen Charakterisierung passt, möchte ich in diesem Zusammenhang erwähnen: Das Hoffmannsche Zeichen, den sogenannten Knipsreflex. Das Kuriose daran ist, dass Hoffmann nichts über diesen Knipsreflex veröffentlicht hat. In der angelsächsischen Literatur aber hat man sich mehrfach mit diesem Hoffmannschen Zeichen beschäftigt. So veröffentlichte 1916 Keyser [58] einen Artikel darüber und bemerkte, dass es ihm unmöglich war, die Originalarbeit zu finden, obwohl er in seinen Bemühungen von berühmten Medizinhistorikern und Bibliothekaren unterstützt wurde. Erst 1937 brachte Bendheim [1] Licht in dieses Dunkel durch eine ausdrücklich der Geschichte des Hoffmannschen Zeichens gewidmeten Arbeit. Darin stellt er fest, dass Hoffmann dieses Zeichen vor 1904 gefunden habe und diesen Reflex auch in seiner Vorlesung und bei der klinischen Visite zu demonstrieren pflegte. Er beruft sich dabei auf eine persönliche Mitteilung von Hans Curschmann, der von 1901 - 1904 Hoffmanns Assistent war.

Hans Curschmann selbst hat dann 1911 in einer Arbeit „Über die diagnostische Bedeutung des Babinskischen Phänomens im praeuraemischen Zustand” als Anmerkung diesen Reflex so beschrieben [2]: „Das J. Hoffmannsche Phänomen (nicht publiziert) besteht darin, dass der Untersucher die leicht gebeugten Finger des Patienten zwischen Daumen und Zeigefinger seiner Hand fasst und an dem Nagel eines dieser Finger mit seinem Zeigefinger energisch „knipst”. Es tritt dann eine schnellende Flexion dieses oder meist aller Finger ein.”

Ich habe die Bemerkungen von Keyser und Bendheim einer Arbeit von Walther Schönfeld in der Ruperto Carola entnommen [59]. Er sah sich veranlasst, an Johann Hoffmann zu erinnern, da er in der 1926 von Eberhard Stübler [60] publizierten Geschichte der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg von 1386 - 1925 „eigentümlicherweise”, wie Schönfeld sagt, nicht erwähnt ist, obwohl er bis heute gültige, international anerkannte Beiträge auf dem Gebiete der Inneren Medizin, ganz besonders aber auf dem Gebiete der Neurologie geleistet hat.

Es ist mir deshalb eine angenehme Aufgabe, hier über sein wissenschaftliches Lebenswerk zu berichten. Da Wilhelm Erb dieses Lebenswerk praktisch von allem Anfang an begleitet hat, scheint mir seine zusammenfassende Meinung am bedeutsamsten. Er schreibt hinsichtlich der wissenschaftlichen Arbeiten [3]: „Es ist mir gelungen, ihrer etwas über 50 zu sammeln; ob ich sie alle erfasst habe, ist mir nicht ganz sicher, da der bescheidene Mann kein Verzeichnis und keine geordnete Sammlung derselben hinterlassen hat. Sie zeichnen sich sämtlich aus durch große Korrektheit und Genauigkeit, durch klare Darstellung der klinischen und pathologisch-anatomischen Befunde, durch eine sehr objektive und nüchterne Würdigung der Schlussfolgerungen, die daraus zu ziehen sind; und durch eine ganze Anzahl neuer Resultate, die dem Namen Johann Hoffmann einen dauernden Platz in der neurologischen Literatur sichern werden.” Wilhelm Erbs Prophezeihung hat sich zwischenzeitlich voll bestätigt.

Bei der Erörterung seiner wissenschaftlichen Arbeiten möchte ich nun die an den Anfang stellen, die seinen internationalen Ruf besonders begründet haben, die Veröffentlichungen also, die das Krankheitsbild beschreiben, das mit Werdnigs Namen gemeinsam seinen Namen trägt. Sie erschienen 1893, 1897 und 1900 allesamt in der Deutschen Zeitschrift für Nervenheilkunde.

Die erste Arbeit [22] trägt den Titel „Über chronische spinale Muskelatrophie im Kindesalter auf familiärer Basis”. In den nächsten beiden Arbeiten [33] [42] sind die Bezeichnungen chronisch durch progressiv und familiär durch hereditär ersetzt. Der Titel heißt nun „Zur Lehre von der hereditären progressiven spinalen Muskelatrophie im Kindesalter”.

Diese Änderungen zeigen, dass er die Progression hervorheben will und hereditär als differenzialdiagnostisches Kriterium zwischen den myogenen und spinalen Erkrankungen, wie bisher häufig angenommen, nicht mehr akzeptiert.

In der ersten Arbeit [22] schildert er auf 22 der 43 Seiten langen Arbeit subtil die Anamnese und den Befund von vier erkrankten Kindern. Dabei ist besonders herauszustellen, dass es sich um Geschwister aus „zwei neuropathisch nicht belasteten und unter sich nicht verwandten Familien” handelt.

Um das klinische Bild der Erkrankten mit Hoffmanns Worten näher zu beschreiben, reihe ich aus dem Resumée herausgehoben gedruckte Passagen aneinander: „In dem ersten Lebensjahre, meistens in der 2. Hälfte desselben, manchmal subakut, meist chronisch Abnahme der Kraft, der Promptheit und Ausgiebigkeit der Bewegungen der Beine gleichzeitig mit oder kurz nach (?) einer ebensolchen Schwäche der Rückenmuskulatur. In diesem Zustande bleiben die Kinder Monate bis Jahre, ehe Lähmungserscheinungen der oberen Extremitäten und in den Hals- und Nackenmuskeln bemerkt werden. Aber auch die Vorderarm- und Handmuskeln partizipieren an der Parese, welche sich auch in stärkerer Weise als hier an den Unterschenkeln ausbildet. Mit dieser Lähmung, völlig schlaff, verband sich ein progressiver, massenhafter Muskelschwund.”

Anatomisch: „Atrophie oder Schwund der meisten Vorderhornganglienzellen durch das ganze Rückenmark hin, sehr starke Atrophie der vorderen Wurzeln, gleichartige Erkrankung in den motorischen oder gemischten peripheren Nerven und den intramuskulären Nervenästchen, Atrophie der zugehörigen Muskeln.”

Am Ende der Publikation werden Werdnigs Beobachtungen an zwei Geschwistern erörtert und festgestellt: „Zwischen den Werdnig'schen und meinen Fällen herrscht fast in allen Punkten, man darf sagen, völlige Übereinstimmung.” - Nicht einverstanden ist Hoffmann jedoch mit Werdnigs Entscheidung, dass es sich bei den Patienten um „eine Form von Dystrophie, des Typus Leyden-Möbius” handelt. Er sagt dazu: „Den schwerwiegendsten Unterschied zwischen der hereditären progressiven spinalen Muskelatrophie und der Dystrophie hat man, abgesehen von den öfter hervorgehobenen klinischen Differenzen, darin zu sehen, dass bei der letzten Krankheit die Vordersäulen des Rückenmarks (nebst den peripheren Nerven) in der Regel intact, bei der ersten schwer afficirt sind.”

Der zweite Beitrag [33] bringt weitere Beobachtungen und das Ergebnis einer Autopsie. Bei einer der Familien waren 3 von 6 Kindern erkrankt und 8 von 11 Geschwistern der Mutter. In diesem zweiten Beitrag wird auch berichtet, dass Werdnig in einer weiteren Mitteilung aus dem Jahre 1894 über den klinischen Verlauf und den anatomischen Befund seiner zweiten Beobachtung von seiner früheren Ansicht bezüglich der Zugehörigkeit dieser Fälle zur Dystrophie Abstand genommen hat und „sich meiner Ansicht, wonach man es von Anfang ab mit einer spinalen Amyotrophie zu thun hat, in allen wesentlichen Punkten angeschlossen” hat.

Im dritten Beitrag [42] wird über zwei sporadische Fälle, einen eigenen und einen zwischenzeitlich publizierten berichtet, die aufgrund der Symptomatologie der hier beschriebenen Krankheit zugeordnet werden.

Dieses wesentliche Teilstück seiner wissenschaftlichen Tätigkeit abschließend hoffe ich, erneut belegt zu haben, dass wir bei der hereditären progressiven spinalen Muskelatrophie im Kindesalter die entscheidende Klärung im Sinne einer vererbten spinalen Erkrankung Johann Hoffmann verdanken und die Krankheit damit verdientermaßen seinen Namen trägt.

Vor diesen drei international berühmt gewordenen Publikationen hatte Hoffmann schon zwei Arbeiten [15] [17] veröffentlicht über eine Krankheit, die ebenfalls in die Gruppe der vererbten Muskelatrophien einzureihen ist. Er nannte sie „Progressive neurotische Muskelatrophie” und beschreibt sie als Entität: „Meist hereditäre oder mindestens familiäre Basis, Entwicklung fast immer an den distalen Muskeln der unteren Extremitäten, speziell an den kleinen Fußmuskeln, mit Deformitäten (Hohl- und Klumpfußbildung), mit weitgehender Atrophie der Unterschenkelmuskeln, später das gleiche auch an den Hand- und Vorderarmmuskeln, mit Atrophie, Paralyse, Krallenstellung; Erlöschen der Reflexe... Gelegentlich auch Beginn an den oberen Extremitäten und auch Weiterverbreitung auf den übrigen Körper, selbst auf das Gesicht.”

Er kommt zu folgenden Schlussbetrachtungen: „Sich stützend auf die nachgewiesenen Nervenveränderungen, darf man einen Schritt weiter gehen und an Stelle des Wortes ‚neurotisch’, womit ein mehr allgemeiner Begriff in der Nervenpathologie verbunden ist, das Wort neural setzen... Als progressive neurale Muskelatrophie wäre die Krankheit genügend von den gewöhnlichen polyneuritischen, wie den anderen progressiven Muskelatrophien unterschieden.”

Im Jahre 1912 hat Hoffmann dann noch eine dritte Form von Muskelatrophie beschrieben, die hereditärer Natur und zweifellos peripheren Ursprungs ist [53]. Er nannte das Krankheitsbild „Progressive hypertrophische Neuritis”.

Ich möchte mich nun einer Publikation zuwenden, die mich seit 50 Jahren immer wieder beeindruckt [41]. Sie erschien vor genau 100 Jahren und trägt den Titel: „Zur Lehre von der Thomsen'schen Krankheit mit besonderer Berücksichtigung des dabei vorkommenden Muskelschwundes”. Hoffmann widmete sie Wilhelm Erb zum 60. Geburtstag.

Diese Arbeit ist durch den Titel in eine falsche Richtung gelenkt worden und hat bedauerlicherweise deshalb nie den ihr gebührenden Stellenwert bei der Etablierung des Krankheitsbildes bekommen, das wir heute myotonische Dystrophie nennen.

Daran änderten leider auch Hoffmanns am Anfang der Arbeit ausgeführten Bemerkungen zu den atypischen Fällen der Thomsenschen Krankheit nichts. Er formuliert die bisherigen Erfahrungen so: „Es stellte sich immer mehr heraus, dass neben den typischen Fällen mit dem klassischen Krankheitsbilde andere vorkommen, welche atypisch genannt werden können, und dass dieselben gar nicht selten sind. Als atypisch können sie bezeichnet werden, insofern die charakteristischen Erscheinungen unvollständig ausgebildet sind; atypisch sind sie auch hinsichtlich des zeitlichen Manifestwerdens des Leidens und durch das Auftreten oder Hinzutreten von Symptomen, welche der reinen Thomsen'schen Krankheit nicht zugehören. Diese können hier und da so in den Vordergrund treten, das Krankheitsbild so beherrschen, dass die Myotonie dem Kranken als unwesentlich erscheint, auch unbeachtet bleibt und erst zufällig vom Arzte bei der Untersuchung erkannt wird.”

Er begründet dann seine Ausführungen, indem er die Befunde zweier Geschwister mitteilt, welche zunächst den Eindruck des progressiven Muskelschwundes machten und in welchen erst bei genauerer Untersuchung die Myotonie aufgedeckt wurde. Er fasst die Befunde in ihren Hauptzügen kurz zusammen:

„Myotonie. Dieselbe war bei dem Bruder in der oberen Körperhälfte incl. Zunge und Unterlippe, bei der Schwester am ganzen Körper wenigstens elektrisch nachweisbar. Bei den Kranken war bis zur ärztlichen Untersuchung diese Krankheit nicht zum Bewusstsein gekommen.” „Muskelschwund bei beiden Geschwistern von genau derselben Localisation und von progressivem Charakter, a) im Gesicht nach der Art des Gesichtstypus der Myopathie, b) Atrophie der Vorderarmmuskeln, besonders der Beuger, c) der Mm. sternocleidomastoidei.”

Schon vorher hatte Johann Hoffmann über einen Patienten mit Thomsenscher Krankheit berichtet, bei dem eine Muskelatrophie lediglich der Vorderarme und Hände mit Schmerzen bestand [37]. Er hielt die Atrophie mit Schmerzen durch eine komplizierende Neuritis bedingt. Erb [3] bemerkte 25 Jahre später zu diesem Bericht: „ob aber darin nicht doch schon ein Fall von ‚atrophischer Myotonie’ zu erkennen ist, darf man füglich fragen.” 1903 und 1906 erschienen weitere Arbeiten zur Thomsenschen Krankheit [45] [46]. Über Katarakt bei atrophischer Myotonie hat Hoffmann 1912 berichtet [54].

Hier sei im Zusammenhang mit der Thomsenschen Krankheit noch ein Beitrag aus Hoffmanns Feder erwähnt [38]. Er notierte bei einem 18 Jahre alten Patienten nach weitgehender Entfernung der Schilddrüse alle objektiven Erscheinungen der Tetanie in hohem Grade und außerdem Symptome, welche bei der Tetanie nicht beobachtet sind. Er beschreibt sie so: „Lässt man den Kranken die Zähne fest aufeinander beissen, so erfolgt trotz großer Anstrengung das Oeffnen des Mundes nur ganz langsam und mühevoll; bei jedem folgenden Versuch wird die Bewegung freier, und nach 4 - 6maligem Wiederholen erfolgen Oeffnen und Schließen des Mundes rasch und ohne jedwede Schwierigkeit. Ganz genau das Gleiche tritt nach den ersten Willkürbewegungen an den Extremitäten ein. Nach dem ersten kräftigen Händedruck erfolgt das Oeffnen der Hand langsam, bei jedem folgenden Versuch rascher... Der Gang des Kranken ist direct nach dem Aufstehen sehr erschwert, steif, plump; wenn er 2 - 3 Meter gegangen ist, werden die Bewegungen freier... Ein Schlag mit dem Percussionshammer auf die verschiedenen Muskeln der oberen und unteren Extremitäten wie auch der Rumpfmuskeln erzeugte eine tonische Contraction; die Nachdauer betrug zwischen 8 - 18”... Kneten, Quetschen, Drücken der Muskeln verursachten die gleiche Erscheinung.” Thyreoidin beseitigte diese Störungen.

Hoffmann kommt zu folgendem Schluss: „Da die subjectiven wie die objectiven Erscheinungen der Myotonie mit der Tetanie zu- und abnahmen, vor der Totalexstirpation der Schilddrüse Anzeichen der Thomsen'schen Krankheit weder beim Patienten, noch bei den Angehörigen vorkamen, ist der abnorme Muskelzustand wie die Tetanie und das Myxödem auf die Ausschaltung der Schilddrüsenfunktion zurückzuführen.”

Hoffmanns Syndrom nennt Thomasen in seiner 1948 erschienenen Monographie „Myotonia” [61] dieses Phänomen einer besonders gearteten Form gestörter Muskelfunktion und will damit zum Ausdruck bringen, dass es zuerst von Johann Hoffmann beschrieben wurde.

An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass Johann Hoffmann in seiner Zeit als besonders ausgewiesen auf dem Gebiet der Tetanie galt. Mit ihr befasste sich damals vorwiegend der neurologisch Interessierte. So ist es nicht zufällig, dass die Tetanie zum Thema einiger Publikationen wurde [7] [12] [38]. In gleicher Weise beachtet waren seine Publikationen über Syringomyelie [20] [21], Tabes dorsalis [5] [11], periphere Facialislähmung [23], multiple Sklerose [43] [56], Dystrophia muscularis progressiva [39], hereditäre spinale Ataxie [49] und den Arbeitsparesen an den unteren Extremitäten [36]. 1910 berichtete Hoffmann über eine Epidemie von Poliomyelitis anterior acuta in der Umgebung Heidelbergs im Sommer und Herbst 1908 [48]. Auch seine Beobachtungen und Bemerkungen zur traumatischen Neurose [16] fanden großes Interesse, ebenso wie seine Fallbeschreibungen in der ihm eigenen Präzision und Sorgfalt [4] [6] [8] [9] [13] [14] [18] [19] [24] [25] [26] [27] [28] [29] [30] [31] [32] [33] [34] [35] [37] [40] [44] [ 47] [50] [51] [52] [55] [57].

„Auf dem engeren Gebiet der Elektrotherapie findet sich trotz der ungezählten und exakten elektrischen Untersuchungen und ihrer zum Teil sehr interessanten Ergebnisse nur eine kleine Arbeit”, schreibt Erb [3]. In ihr wird die Diffusionselektrode von Adamkiewicz und die Chloroformkataphorese als unbrauchbar dargestellt [10].

Meinen Bericht möchte ich mit Paul Vogels Feststellung am Schluss seiner Publikation über die Heidelberger Neurologische Schule Friedreich - Erb - Hoffmann abschließen [63]. Er schreibt: „Mit dem Tode Johann Hoffmanns ist in der neurologischen Tradition eine Epoche zu Ende gegangen. Denn Friedreich, Erb und Hoffmann waren verbunden durch die gleiche Art des Forschens und Fragens. Ihr Programm war: Innerhalb der vagen Rubrik der Nervenkrankheiten durch sorgfältige Beschreibung und Beobachtung wohlcharakterisierte, abgrenzbare, typische Erkankungsformen herauszuarbeiten und diese durch einen entsprechenden pathologisch-anatomischen Befund zu begründen. In der Durchführung und Erfüllung dieses Programms hat diese Heidelberger Schule ihre bedeutendsten Erfolge erzielt.”

Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, Johann Hoffmann als eine der tragenden Säulen der Heidelberger Neurologischen Schule darzustellen und gebührend aus dem mächtigen Schatten von Erb heraus ins rechte Licht zu rücken.

Abb. 1Johann Hofmann (1857 - 1919).

Literatur

  • 1 Bendheim O L. On the History of Hoffmanns Sign. The John Hopkin's Univ., zit. nach 59.  Bull Inst History Med. 1937;  5 684-686
  • 2 Curschmann H. Über die diagnostische Bedeutung des Babinskischen Phänomens im praeuraemischen Zustand.  Münchner Med Wochenschr. 1911;  39 2054-2057
  • 3 Erb W. Johann Hoffmann.  Deutsch Z Nervenheilk. 1920;  65 1-24
  • 4 Hoffmann J. Ein Fall von acuter aufsteigender Paralyse.  Arch Psychiat Nervenkrankh. 1884;  15 140-150
  • 5 Hoffmann J. Zur Casuistik der trophischen Störungen bei der Tabes dorsalis.  Berliner Klin Wochenschr. 1885a;  22 178-181
  • 6 Hoffmann J. Drei Fälle von Brown - Séquard'scher Lähmung mit Bemerkungen über das Verhalten der Sehnenreflexe usw. bei derselben.  Dtsch Arch Klin Med. 1885b;  38 587-606
  • 7 Hoffmann J. Über das Verhalten der sensiblen Nerven bei der Tetanie.  Neurol Centralblatt. 1887;  6 169-172
  • 8 Hoffmann J. Isolierte peripherische Lähmung des Nervus suprascapularis sinister.  Neurol Centralblatt. 1888a;  7 254-257
  • 9 Hoffmann J. Über einen Fall von progressiver Muskelatrophie.  Neurol Centralblatt. 1888b;  7 427-428
  • 10 Hoffmann J. Über die Diffusionselektrode von Adamkiewicz und die Chloroformkataphorese.  Neurol Centralblatt. 1888c;  7 585-593
  • 11 Hoffmann J. Beitrag zur Aetiologie, Symptomatologie und Therapie der Tabes dorsalis.  Arch Psychiat Nervenkrankh. 1888d;  19 438-464
  • 12 Hoffmann J. Zur Lehre von der Tetanie.  Dtsch Arch Klin Med. 1888e;  43 53-119
  • 13 Hoffmann J. Über Chorea chronica progressiva (Huntington'sche Chorea, Chorea hereditaria).  Arch path Anatomie und Physiologie und Klin Medicin. 1988f;  111 513-548
  • 14 Hoffmann J. Über einen Fall von progressiver Muskelatrophie.  Arch Psychiat Nervenkrankh. 1889a;  20 580-581
  • 15 Hoffmann J. Über progressive neurotische Muskelatrophie.  Arch Psychiat Nervenkrankh. 1889b;  20 660-713
  • 16 Hoffmann J. Erfahrungen über die traumatische Neurose.  Berliner Klin Wschr. 1890;  27 655-660
  • 17 Hoffmann J. Weiterer Beitrag zur Lehre von der progressiven neurotischen Muskelatrophie.  Dtsch Z Nervenheilk. 1891a;  1 95-120
  • 18 Hoffmann J. Ein Fall von subakuter atrophischer Spinallähmung bei einem Kinde.  Dtsch Z Nervenheilk. 1891b;  1 165-168
  • 19 Hoffmann J. Ein Fall von chronischer Bulbärparalyse im Kindesalter.  Dtsch Z Nervenheilk. 1891c;  1 169-172
  • 20 Hoffmann J. Syringomyelie. Sammlung klinischer Vorträge (1890 - 1894), Neue Folge 20.  Innere Medizin. 1891d;  Nr. 8 179-212
  • 21 Hoffmann J. Zur Lehre von der Syringomyelie.  Dtsch Z Nervenheilk. 1892;  3 1-136
  • 22 Hoffmann J. Über chronische spinale Muskelatrophie im Kindesalter auf familiärer Basis.  Dtsch Z Nervenheilk. 1893;  3 427-470
  • 23 Hoffmann J. Zur Lehre von der peripherischen Facialislähmung.  Dtsch Z Nervenheilk. 1894a;  5 72-95
  • 24 Hoffmann J. Gleichzeitig vereinigt congenitale, durch Amnionstränge verursachte Verstümmelungen, Entwicklungshemmung der linken Seite, Epilepsie, tuberculöse Lungenaffektion und Neuritis multiplex.  Münchner Med Wochenschr. 1894b;  41 1044-1045
  • 25 Hoffmann J. Über halbseitige mehrfache Hirnnervenlähmung durch Geschwülste an der Schädelbasis.  Münchner Med Wochenschr. 1894c;  41 1045
  • 26 Hoffmann J. Der Symptomenkomplex der sog. spastischen Spinalparalyse als Teilerscheinung einer hereditär syphilitischen Affection des Centralnervensystems.  Neurol Centralblatt. 1894d;  13 470-475
  • 27 Hoffmann J. Über acute Neuromyositis.  Neurol Centralblatt. 1894e;  13 501-502
  • 28 Hoffmann J. Muskelwogen in einem Falle von chronischer doppelseitiger Ischias.  Neurol Centralblatt. 1895a;  14 244-251
  • 29 Hoffmann J. Über einen Fall von allgemeiner Alkohollähmung mit dem anatomischen Befunde der Polioencephalitis sup haemorrhagica (Wernicke).  Neurol Centralblatt. 1895b;  14 618-619
  • 30 Hoffmann J. Ein Fall von Friedreich'scher Krankheit.  Münchner Med Wochenschr. 1895c;  42 175
  • 31 Hoffmann J. Hereditäre Neigung zu traumatischer Blasenbildung (Epidermolysis bullosa hereditaria: Köbner).  Münchner Med Wochenschr. 1895d;  42 45-47, 73-75
  • 32 Hoffmann J. Über einen eigenartigen Symptomenkomplex, eine Combination von angeborenem Schwachsinn mit progressiver Muskelatrophie, als weiteren Beitrag zu den erblichen Nervenkrankheiten.  Dtsch Z Nervenheilk. 1895e;  6 150-166
  • 33 Hoffmann J. Weiterer Beitrag zur Lehre von der hereditären progressiven spinalen Muskelatrophie im Kindesalter nebst Bemerkungen über den fortschreitenden Muskelschwund im Allgemeinen.  Dtsch Z Nervenheilk. 1897a;  10 292-320
  • 34 Hoffmann J. Ein in ätiologischer wie symptomalogischer Hinsicht bemerkenswerter Fall von chronischer progressiver Bulbärparalyse.  Dtsch Z Nervenheilk. 1897b;  9 264-266
  • 35 Hoffmann J. Contralaterale elektrische Reflexzuckungen in einem Falle linksseitiger (corticaler?) Facialislähmung.  Dtsch Z Nervenheilk. 1897c;  9 266-268
  • 36 Hoffmann J. Zur Lehre von den Arbeitsparesen an den unteren Extremitäten.  Dtsch Z Nervenheilk. 1897d;  9 269-272
  • 37 Hoffmann J. Ein Fall von Thomsen'scher Krankheit, complicirt durch Neuritis multiplex.  Dtsch Z Nervenheilk. 1897e;  9 272-278
  • 38 Hoffmann J. Weiterer Beitrag zur Lehre von der Tetanie.  Dtsch Z Nervenheilk. 1897f;  9 278-290
  • 39 Hoffmann J. Klinischer Beitrag zur Lehre von der Dystrophia muscularis progressiva.  Dtsch Z Nervenheilk. 1898a;  12 418-445
  • 40 Hoffmann J. Ein Fall von isolirter Lähmung des N. musculocutaneus.  Dtsch Z Nervenheilk. 1898b;  12 473-475
  • 41 Hoffmann J. Zur Lehre von der Thomsen'schen Krankheit mit besonderer Berücksichtigung des dabei vorkommenden Muskelschwundes.  Dtsch Z Nervenheilk. 1900a;  18 198-216
  • 42 Hoffmann J. Dritter Beitrag zur Lehre von der hereditären progressiven spinalen Muskelatrophie im Kindesalter.  Dtsch Z Nervenheilk. 1900b;  18 217-224
  • 43 Hoffmann J. Die multiple Sklerose des Centralnervensystems.  Dtsch Z Nervenheilk. 1901;  21 1-27
  • 44 Hoffmann J. Gleichseitige Lähmung des Halssympathicus bei unilateraler apoplectiformer Bulbärparalyse.  Dtsch Arch Klin Med. 1902;  73 335-350
  • 45 Hoffmann J. Zur Lehre von der Thomsen'schen Krankheit.  Arch Psychiat Nervenkrankh. 1903;  37 668-669
  • 46 Hoffmann J. Über Myotonie.  Neurol Centralblatt. 1906;  25 576
  • 47 Hoffmann J. Direkte neuro-myotonische und paradoxe galvanische Reaktion in einem Fall von Hemispasmus facialis (Kleinhirn-Brückenwinkeltumor).  Dtsch Z Nervenheilk. 1910a;  38 137-145
  • 48 Hoffmann J. Über eine Epidemie von Poliomyelitis anterior acuta in der Umgebung Heidelbergs im Sommer und Herbst 1908 und bemerkenswerte Beobachtungen aus früheren Jahren.  Dtsch Z Nervenheilk. 1910b;  38 146-166
  • 49 Hoffmann J. Zur Lehre von der hereditären spinalen Ataxie. Verhandlg. Dtsch. Kongr. Innere Medizin, 28. Kongr. München: J.F. Bergmann Verlag 1911
  • 50 Hoffmann J. Über syphilitische Polyneuritis.  Neurol Centralblatt. 1912a;  31 1075-1084
  • 51 Hoffmann J. Diplegia brachialis neuritica.  Münchner Med Wochenschr. 1912b;  59 458-460
  • 52 Hoffmann J. Über paroxysmale Lähmung.  Münchner Med Wochenschr. 1912c;  59 2840
  • 53 Hoffmann J. Über progressive hypertrophische Neuritis.  Dtsch Z Nervenheilk. 1912d;  44 65-94
  • 54 Hoffmann J. Katarakt bei und neben atrophischer Myotonie.  v. Gräfes Arch Ophth. 1912e;  81 512-517
  • 55 Hoffmann J. Klinischer Beitrag zur Kenntnis der familiären (hereditären) spastischen Spinalparalyse.  Dtsch Z Nervenheilk. 1913a;  47/48 241-246
  • 56 Hoffmann J. Über familiäres Vorkommen der Sclerosis multiplex.  Dtsch Z Nervenheilk. 1913b;  47/48 247-254
  • 57 Hoffmann J. Pyramiden-Seitenstrang Symptome bei der hereditären Friedreich'schen Ataxie. Sektionsbefund.  Dtsch Z Nervenheilk. 1918;  60 179-188
  • 58 Keyser T S. Hoffmann's Sign or the „Digital Reflex”, zit. nach 59.  J Nerv and Ment Dis. 1916;  44 51-62
  • 59 Schönfeld W. Johann Hoffmann (1857 - 1919), der Heidelberger Neurologe, Schüler und Freund Wilhelm Erbs.  Ruperto Carola. 1962;  31 184-188
  • 60 Stübler E. Geschichte der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg 1386 - 1925. Heidelberg: Carl Winters Universitätsbuchhandlung 1926
  • 61 Thomasen E. Myotonia. Aarhus: Universitetsforlaget 1948
  • 62 von den Velden. Von den deutschen hohen Schulen, Heidelberg.  Deutsche Med Wochenschr. 1936;  62 1350-1353
  • 63 Vogel P. Die Heidelberger Neurologische Schule Friedreich - Erb - Hoffmann.  Heidelberger Jahrbücher. 1970;  14 73-84

Prof. Dr. E. Kuhn

Wilckenstr. 13

69120 Heidelberg

    >