Aktuelle Dermatologie 2001; 27(5): 155-157
DOI: 10.1055/s-2001-13104
KASUISTIK
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Erythema exsudativum multiforme majus mit vorwiegendem Schleimhautbefall (Fuchs-Syndrom) nach Ibuprofen

Erythema Exsudativum Multiforme Majus with Predominant Mucous Membrane Involvement (Fuchs' Syndrome) Triggered by IbuprofenP. Gruner1 , A. Happ1 , N. Haas2
  • 1Hautklinik des Humaine Klinikums Bad Saarow (Leiter: Dr. A. Happ)
  • 2Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie mit Asthmapoliklinik, Universitätsklinikum Charité der Humboldt-Universität Berlin (Direktor: Prof. Dr. W. Sterry)
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PD Dr. N. Haas

Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie mit Asthmapoliklinik, Universitätsklinikum Charité der Humboldt-Universität Berlin

Schumannstraße 20/21
10117 Berlin

Publication History

Publication Date:
31 December 2001 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Das Fuchs-Syndrom stellt eine Sonderform des Erythema exsudativum multiforme majus (EEMM) mit vorwiegendem Schleimhautbefall dar. Wir berichten über eine 46-jährige Frau, bei der dieses schwere Krankheitsbild durch Ibuprofen ausgelöst wurde.

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Erythema Exsudativum Multiforme Majus with Predominant Mucous Membrane Involvement (Fuchs' Syndrome) Triggered by Ibuprofen

Fuchs' syndrome is a subtype of erythema exsudativum multiforme majus (EEMM). We report on a 46-year old woman who developed this severe disease pattern following Ibuprofen medication.

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Einleitung

Nach der heutigen Klassifikation werden schwere bullöse Hautreaktionen unterschieden in Erythema exsudativum multiforme majus (EEMM), Stevens-Johnson-Syndrom (SJS), Überlappungssyndrom (EEMM-SJS) sowie toxische epidermale Nekrolyse (TEN), wobei die Zuordnung im Einzelfall weiterhin Schwierigkeiten bereiten kann [1] [2] [3]. Das EEMM ist durch gestörtes Allgemeinbefinden mit Hauterscheinungen, welche zu hämorrhagischer und bullöser Entwicklung neigen, charakterisiert. Schleimhautbeteiligung ist dabei obligat. Eine sehr seltene Sonderform des EEMM mit ganz überwiegendem Schleimhautbefall ist das Fuchs-Syndrom, das vom Wiener Augenarzt E. Fuchs 1876 erstmals beschrieben wurde.

Wir berichten über einen schweren Erkrankungsfall, bei dem das Syndrom nach Einnahme von Ibuprofen auftrat und recherchieren über die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses.

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Fallbericht

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Anamnese

Eine 46-jährige Frau, die seit 2 Monaten an Diarrhöe litt, bemerkte 4 Tage vor der stationären Aufnahme eine schmerzhafte Entzündung am äußeren Genitale. Tags darauf entwickelten sich eine Stomatitis und eine Konjunktivitis mit rascher Progredienz. Das Allgemeinbefinden verschlechterte sich zunehmend und die Patientin wurde unter dem Verdacht einer Gingivostomatitis herpetica in die Hautklinik eingewiesen. Sie berichtete, in unregelmäßigen Abständen wegen Rückenschmerzen Dolormin® Brausetabletten (Ibuprofen) eingenommen zu haben, letztmalig eine Woche vor der stationären Aufnahme. Ein Herpes simplex wurde verneint.

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Aufnahmebefund

Es bestand eine hämorrhagische Konjunktivitis mit Erosionen der Cornea (Abb. [1]). Die Mundschleimhaut zeigte flächige Erosionen und Ulzerationen, die mit fibrinösen Membranen bedeckt waren (Abb. [2]). Die Lippen wiesen Rhagaden und Blutkrusten auf. An der Genitalschleimhaut fanden sich aphthöse Ulzera und schmerzhafte flächige Erosionen. Bis auf zwei unscheinbare, blasse, urtikarielle Herde mit kokardenartigem Aspekt am linken Handgelenk war das Integument frei. Das Allgemeinbefinden war deutlich reduziert, es bestand ein ausgeprägtes Krankheitsgefühl.

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Abb. 1Hämorrhagische Konjunktivitis bei EEMM (Fuchs-Syndrom).

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Abb. 2Von fibrinösen Membranen bedeckte Ulzerationen der Mundschleimhaut und Lippen bei EEMM (Fuchs-Syndrom).

Untersuchungsbefunde: Leukozytose von 11,0 Gpt/l. Transaminasenanstieg auf ASAT 1,03 ukat/l und ALAT 1,04 ukat/l. Deutliche Erhöhung der renalen Parameter wie Kreatinin auf 186 mmol/l und Harnstoff auf 17,2 mmol/l bei gleichzeitiger Leukozyturie, Erythrozyturie und Proteinurie von 3665 mg/l. Eine Stuhluntersuchung auf okkultes Blut war negativ. Der kulturelle Nachweis von Herpes simplex von der Mundschleimhaut war negativ. Ebenso die serologischen Untersuchungen auf HSV 1 und 2, Hepatitis B, Chlamydien und Yersinien. Die röntgenologische Untersuchung zeigte einen altersentsprechenden, regelrechten Thoraxorganbefund.

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Therapie und Verlauf

Aufgrund des typischen Schleimhautbildes und der angedeuteten kokardenartigen Effloreszenzen am Handgelenk wurde die Diagnose des Fuchs-Syndroms gestellt. Die Patientin erhielt initial 250 mg Prednisolon/d. Zusätzlich begannen wir eine Behandlung mit 3 x 250 mg Aciclovir/d und Ciprofloxacin 2 x 500 mg/d. Lokal behandelten wir mit Povidon Jodlösung, Amphotericin Lutschtabletten, Lidocain Spray, 0,5 % Methylrosanilinumchlorid Lösung, Ol. Zinci, Dexamethason-, Aureomycin- und Panthenolaugensalbe.

Darunter kam es zu einer Progredienz der Schleimhautveränderungen. Das Allgemeinbefinden verschlechterte sich weiter, die Temperatur stieg bis 38,7 °C. Die eingeschränkte Nahrungs-und Flüssigkeitsaufnahme bei quälender Salivation erforderte eine parenterale Substitution. Wegen der sich verschlechternden Nierenparameter mit Makrohämaturie wurden die potenziell nephrotoxischen Medikamente Aciclovir und Ciprofloxacin abgesetzt. Ab dem 6. Tag stabilisierte sich der Allgemeinzustand, die Prednisolondosis konnte langsam reduziert werden, aber erst nach 5 Wochen kam es zu einer restitutio ad integrum.

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Diskussion

Die Zuordnung der schweren bullösen Hautreaktionen zu den Krankheitsbildern EEMM, SJS und TEN wurde kürzlich durch eine Consensuskonferenz erleichtert [1]. Trotzdem ist es nicht immer einfach, einen Erkrankungsfall einzuordnen, denn fließende Übergänge kommen vor. Außerdem verbleiben historisch gut dokumentierte Sonderformen wie das Fuchs-Syndrom. Liegen die Hautveränderungen wie in unserem Fall im Hand- und Fußbereich, so ist es als eine Unterform des EEMM einzustufen [3].

Wurden früher vornehmlich Infekte als Auslöser angeschuldigt, so sieht man diese heute eher als Kofaktoren an, wobei weiterhin EEMM nach Infektionen ohne Medikamenteneinnahme beschrieben werden [2] [4]. Infektionen bleiben aber differenzialdiagnostisch von Bedeutung, wie die Herpesstomatitis, die in unserem Fall vor schwierige therapeutische Entscheidungen stellte. Mittlerweile steht die Auslösung durch Arzneimittel ganz im Vordergrund der pathogenetischen Überlegungen. Man nimmt an, dass es durch Pharmaka zu Oberflächenveränderungen an den Keratinozyten mit anschließender Zerstörung kommt [5].

Die Reihenfolge der angeschuldigten Medikamente wird wie folgt angegeben: mit Abstand am häufigsten Antibiotika (Sulfonamide, Amoxicillin), dann Antiepileptika (Carbamacepin), erst dann folgen NSA und andere Stoffgruppen. Die Häufigkeit schwerster Reaktionen ist insgesamt selten: Sie wurde nach neuesten Erhebungen mit 2/Million Einwohner im Jahr angegeben [6].

Nach Untersuchungen in den USA, wo Ibuprofen frei verkäuflich ist, soll die Nebenwirkungsrate (an allen Organsystemen) nicht höher als bei Paracetamol liegen [7]. Von anderen Autoren wurde sie mit einer dokumentierten Nebenwirkung auf 5 - 25 Millionen verkaufte Tabletten angegeben [8]. Wir haben die Literatur daraufhin durchgesehen, ob ein EEMM nach Ibuprofen beschrieben wurde. In Zusammenstellungen über schwere Hautreaktionen aus Asien [9], den USA [4] und in der großen deutschen Studie [1], auch in augenärztlichen Berichten [10], fanden sich keine Berichte über Ibuprofen. In einer landesweiten italienischen Studie zu Hautreaktionen auf Analgetika/Antipyretika und NSA fanden sich unter 354 Fällen lediglich je ein Bericht über ein EEM und ein SJS nach Ibuprofen [11]. Eine zusammenfassende Dokumentation aus Frankreich, Deutschland, Italien und Portugal über 245 Fälle von TEN und SJS verzeichnete über die beiden aus Italien berichteten Fälle hinaus keine weiteren schweren Hautreaktionen nach Ibuprofen [12]. Ein Fuchs-Syndrom nach diesem Medikament dürfte demnach ein äußerst seltenes Ereignis sein. Aufgrund des schweren Verlaufes verzichteten wir auf eine Reexposition und bescheinigten eine Unverträglichkeit auf Arylpropionsäurederivate.

Wie in der Literatur beschrieben, war auch bei unserer Patientin trotz sofortiger, adäquater Therapie der klinische Verlauf nicht vorhersehbar [3]. Komplikationen wie tubuläre Nekrosen mit Nierenversagen, Pneumonien oder toxisches Kreislaufversagen traten glücklicherweise jedoch nicht auf.

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Literatur

  • 1 Mockenhaupt M, Schöpf E. Epidemiology of drug-induced severe skin reactions.  Semin Cutan Med Surg. 1996;  15 236-243
  • 2 Petter G, Haustein U F. Stevens-Johnson-Syndrom mit Übergang in eine toxisch epidermale Nekrolyse nach Carbamazepin-Einnahme, Heroin- und Alkoholabusus.  Hautarzt. 1999;  5 884-888
  • 3 Rzany B, Mockenhaupt M, Baur S, Stocker U, Schöpf E. Schwere Hautreaktionen.  Hautarzt. 1993;  44 549-555
  • 4 Chan H L, Stern R S, Arndt K A, Langlois J, Jick S S, Jick H, Walker A M. The incidence of erythema multiforme, Stevens-Johnson syndrome and toxic epidermal necrolysis. A population-based study with particular reference to reactions caused by drugs among outpatients.  Arch Dermatol. 1990;  126 43-47
  • 5 Bruynzeel I, Van der Raaij E M, Boorsma D M, De Haan P, Willemze R. Increased adherence to keratinocytes of peripheral blood mononuclear leucocytes of a patient with drug-induced erythema multiforme.  Br J Dermatol. 1993;  129 45-49
  • 6 Rzany B, Mockenhaupt M, Baur S, Schroder W, Stocker U, Mueller J, Hollander N, Bruppacher R, Schöpf E. Epidemiology of erythema exsudativum multiforme majus, Stevens-Johnson syndrome, and toxic epidermal necrolysis in Germany (1990 - 1992): structure and results of a population-based registry.  J Clin Epidemiol. 1996;  49 769-773
  • 7 Johnson J H, Jick H, Hunter J R, Dickson J F. A follow-up study of ibuprofen users.  J Rheumatol. 1985;  12 549-552
  • 8 Moore N, Noblet C, Breemeersch C. Mise au point sur la securité de l'ibuprofene a dose antalgique-antipyretique.  Therapie. 1996;  51 458-463
  • 9 Chan H L. Observations on drug-induced toxic epidermal necrolysis in Singapore.  J Am Acad Dermatol. 1984;  1 973-978
  • 10 Kuper K, Pleyer U, Zierhut M, Thiel H J. Erythema exsudativum multiforme majus.  Ophthalmologe. 1995;  92 823-888
  • 11 Gruppo Italiano Studi Epidemiologici in Dermatologia . Cutaneous reactions to analgesic-antipyretics and nonsteroidal anti-inflammatory drugs.  Dermatology. 1993;  186 164-169
  • 12 Roujeau J C, Kelly J P, Naldi L, Rzany B, Stern R S, Anderson T, Auquier A, Bastuji Garin S, Correia O, Locati F, et al. Medication use and the risk of Stevens-Johnson syndrome or toxic epidermal necrolysis.  N Engl J Med. 1995;  333 1600-1607

PD Dr. N. Haas

Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie mit Asthmapoliklinik, Universitätsklinikum Charité der Humboldt-Universität Berlin

Schumannstraße 20/21
10117 Berlin

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Literatur

  • 1 Mockenhaupt M, Schöpf E. Epidemiology of drug-induced severe skin reactions.  Semin Cutan Med Surg. 1996;  15 236-243
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  • 12 Roujeau J C, Kelly J P, Naldi L, Rzany B, Stern R S, Anderson T, Auquier A, Bastuji Garin S, Correia O, Locati F, et al. Medication use and the risk of Stevens-Johnson syndrome or toxic epidermal necrolysis.  N Engl J Med. 1995;  333 1600-1607

PD Dr. N. Haas

Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie mit Asthmapoliklinik, Universitätsklinikum Charité der Humboldt-Universität Berlin

Schumannstraße 20/21
10117 Berlin

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Abb. 1Hämorrhagische Konjunktivitis bei EEMM (Fuchs-Syndrom).

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Abb. 2Von fibrinösen Membranen bedeckte Ulzerationen der Mundschleimhaut und Lippen bei EEMM (Fuchs-Syndrom).