Deutsche Zeitschrift für Akupunktur 2001; 44(1): 40
DOI: 10.1055/s-2001-12236
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Karl F. Haug Verlag, in MVH Medizinverlage Heidelberg GmbH & Co. KG

Der besondere Fall

FortbildungThe Special CaseMichaela  Bijak
  • Österreichische Gesellschaft für Akupunktur, A-1150 Wien
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
31. Dezember 2001 (online)

Eine Domäne der Akupunktur liegt sicher in der Behandlung von Schmerzzuständen des Bewegungsapparates. Daher scheint die Problematik des Schulter-Arm-Syndroms, das ich anhand der Krankengeschichte einer 73-jährigen Patientin vorstellen möchte, nur ein Fall unter vielen gleichartigen zu sein. Trotzdem zeigt gerade dieser „besondere Fall” sehr schön die von der TCM schon sehr lange postulierten Zusammenhänge zwischen Soma und Psyche.

Besagte Patientin suchte unsere Ambulanz im Jahr 1996 auf. Zum Zeitpunkt des Erstgesprächs litt die Patientin schon seit etwa 10 Monaten an ständigen, nahezu unerträglichen Schmerzen im Bereich der linken Schulter. Die weitere Anamnese ergab sonst keinerlei Auffälligkeiten. Die Patientin gab an, immer gesund gewesen zu sein, sie achte auf ihre Ernährung, habe auch immer regelmäßig Sport betrieben, in ihrer Jugend war sie sogar Leistungssportlerin. Bedingt durch ihre Schulterschmerzen könne sie momentan keinen Sport betreiben, worunter sie sehr leide.

Die mitgebrachten Befunde ergaben keinen Hinweis auf ein traumatisches Geschehen, bis auf altersentsprechende Veränderungen der HWS und eine geringe Omarthrose beidseits zeigten sich keinerlei Auffälligkeiten. In der klinischen Untersuchung fiel die massiv eingeschränkte Abduktion des Armes auf, die HWS war frei beweglich. Als druckschmerzhaft empfand die Patientin die Akupunkturpunkte Di 15 und Di 14.

Befragt nach diversen Modalitäten verneinte die Patientin eine Abhängigkeit des Schmerzes von äußeren Einflüssen, wie Wetterwechsel, Wind, Feuchtigkeit ... Die Ursache ihrer Beschwerden sei ihr selbst völlig unklar. Auf die Frage nach ihrer derzeitigen psychischen Situation antwortete sie, dass sie momentan sehr traurig sei, weil ihre beste Freundin an einer unheilbaren Krankheit leide. Es stellte sich dann noch heraus, dass der Zeitpunkt der Erkrankung der Freundin mit dem Auftreten des Schulter-Arm-Syndroms der Patientin in unmittelbarem Zusammenhang zu sehen war.

Damit fanden wir und auch die Patientin eine Ursache ihrer Beschwerden. In der TCM kennt man den Satz: „Trauer schädigt die Lunge”, in diesem Fall den Funktionskreis Lunge/Dickdarm, was sich in einem Schmerz entlang des Dickdarmmeridians bemerkbar machte. Die Behandlung gestaltete sich nun sehr einfach, zusätzlich zu den schmerzhaften Punkten Di 15 und 14 wurden als Fernpunkte noch Di 4 und Lu 7 gewählt. Auch der Alarmpunkt der Lunge, Lu 1, erwies sich als drucksensibel und wurde gemeinsam mit dem LG 13 in das Programm aufgenommen.

Schon nach der 3. Behandlung gab die Patientin eine deutliche Besserung der Beschwerden um mehr als 50 % an. Obwohl während der Behandlungsdauer von insgesamt zehn Wochen leider die Freundin ihrer Karzinomerkrankung erlegen ist, konnte bei unserer Patientin nach neun Sitzungen eine Schmerzreduktion um 90 % erzielt werden. Die Trauer selbst blieb natürlich weiterhin groß, doch mit Hilfe der Akupunktur konnte die Patientin ihre Trauer besser verarbeiten. Es war nun nicht mehr nötig, ihren seelischen Schmerz als körperlichen Schmerz auszudrücken.

Dr. Michaela Bijak

Österreichische Gesellschaft für Akupunktur

Huglgasse 1-3

A-1150 Wien