Laryngorhinootologie 2000; 79(11): 625-626
DOI: 10.1055/s-2000-8283
HAUPTVORTRAG
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Therapie des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels

K.-F.  Hamann
  • München
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Eine erste exakte Beschreibung des gutartigen Lagerungsschwindels (BPPV = benign paroxysmal positional vertigo) erfolgte 1921 durch Bárány. Man versteht darunter einen systematischen Schwindel, im Allgemeinen einen Drehschwindel, der nur bei Kopfbewegungen für einige Sekunden auftritt. Spekulativ äußerte Bárány bereits den Gedanken, dass diesem Schwindel eine Störung im Otolithenapparat zugrunde liegt. Diese Vermutung sollte sich, allerdings anders als von Bárány gedacht, später bestätigen.

Zu einem entscheidenden Durchbruch für das Verständnis der Pathophysiologie und schließlich auch der Therapie kam es, als Schuknecht 1968 zwei pathologisch-anatomisch aufgearbeitete Fälle von Patienten veröffentlichte, die an einem typischen Lagerungsschwindel gelitten hatten. Er fand an der Cupula anorganisches Material, das er als Otolithenpartikel identifizieren konnte. Diesen Befund, Cupulolithiasis genannt, sah er als pathologisch-anatomisches Korrelat für den BPPV an. Einige Phänomene des BPPV konnte er durch die Hypothese erklären, aber, wie er selbst einräumte, nicht alle.

Dennoch führten die von Brandt und Daroff aufgrund von Schuknechts pathophysiologischen Vorstellungen entwickelten Lagerungsübungen zu einer Verbesserung der Therapie. Nach 14-tägiger Behandlung erreichten 90 % der Patienten eine Heilung.

Ausgelöst durch intraoperative Beobachtungen von frei im Bogengang herumschwimmenden Partikeln kam es zu einer gering erscheinenden Modifikation der Cupulolithiasishypothese, die schließlich zur endgültigen Aufklärung des BPPV führte. Danach liegt der eigentliche pathophysiologische Vorgang in einer Canalolithiasis, nicht in einer Cupulolithiasis. Das bedeutet, dass sich versprengte Otolithen, mehr oder weniger fixiert, in einem der Bogengänge ansammeln, ohne an der Cupula zu kleben. Eine physiologische Kopfdrehung führt so durch die zusätzlich vorhandenen Otolithen in der Endolymphe zu einer unphysiologischen Endolymphströmung und damit zu einer überstarken Deflektion der Kinozilien der Haarzellen. Dies wird vom Patienten als heftiger Drehschwindel empfunden.

Mit der Canalolithiasishypothese sind die Latenzzeit des Lagerungsschwindels und die ihm eigene Zeitcharakteristik erklärt.

Entscheidend ist aber, dass sich auch die durch die unphysiologische Bogengangsreizung hervorgerufenen Augenbewegungen voraussagen lassen. Aus Tierexperimenten ist bekannt, welche Augenbewegungen bei selektiver Reizung eines Bogenganges ausgelöst werden. So ist für den hinteren vertikalen Bogengang typisch, dass bei seiner Reizung horizontal rotierende Augenbewegungen auftreten.

Als endgültiger Beweis der Canalolithiasishypothese ist der elektronenmikroskopisch geführte Nachweis von Otolithen im hinteren vertikalen Bogengang zu werten, die von Welling u. Mitarb. intraoperativ an Patienten mit Lagerungsschwindel entnommen werden konnten.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist die genaue Bestimmung des Bogenganges, in welchem die Canalolithiasis vorliegt. In über 90 % ist einer der beiden hinteren vertikalen Bogengänge betroffen, ein horizontaler BG seltener, der vordere fast nie.

Ist erst einmal der Bogengang mit der Canalolithiasis identifiziert, versucht man durch sog. Befreiungsmanöver, die verirrten Otolithen aus den Bogengängen wegzubefördern und an einen Ort im Vestibularapparat zu bringen, wo sie nicht mehr zu pathologischen Erregungen führen können.

Die weltweit am meisten benutzen Befreiungsmanöver sind das Befreiungsmanöver nach Semont und das Befreiungsmanöver nach Epley, die sich in ihrem Ablauf unterscheiden, aber zu denselben Ergebnissen führen, wenn man den anatomischen Weg verfolgt, den die Otolithen während der Befreiungsmanöver zurücklegen. Auch sind die therapeutischen Erfolge gleich.

Mit einer regelrecht durchgeführten Behandlung gelingt es, bereits 70 % der Patienten durch eine einmalige Behandlung von der Canalolithiasis zu heilen, bei den verbleibenden 30 % werden die Befreiungsmanöver im Abstand von mehreren Stunden wiederholt. Die Erfolgsrate erreicht dann fast 100 %. Für die extrem seltenen Fälle einer Therapieresistenz gegenüber dem Befreiungsmanöver kommt eine selektive Neurektomie infrage.

Es ergibt sich aus dem dargestellten pathophysiologischen Konzept, dass die dislozierten Otolithen nicht aufgelöst werden, Rezidive also möglich sind, die sich aber gleichfalls wieder erfolgreich behandeln lassen.

Eine pharmakologische Therapie ist beim gutartigen Lagerungsschwindel nicht angezeigt.

Literatur

  • 1 Brandt T, Steddin S, Daroff R B. Therapy for benign paroxysmal positioning vertigo, revisited.  Neurology. 1994;  44 796-800
  • 2 Semont A, Freyss G, Vitte E. Curing the BPPV with a liberatory maneuver. Adv.  Otorhinolaryngology. 1988;  42 290-293
  • 3 Welling D B, Parnes L S, O Brien B, Bakaletz L O, Brackman D E, Hinojosa R. Particulate matter in the posterior semicircular canal.  Laryngoscope. 1977;  108 90-94
  • 4 Bárány R. Diagnose von Krankheitserscheinungen im Bereiche des Otolithenapparates.  Acta Otolaryngol (Stockh.). 1921;  2 334-347
  • 5 Epley J M. The canalith repositioning procedure for treatment of benign paroxysmal positional vertigo.  Otolaryngol Head Neck Surg. 1992;  107 399-404
  • 6 Schucknecht H F. Cupulolithiasis.  Arch Otolaryngol. 1969;  90 765-778

Prof. Dr. Dr. med. K.-F.  Hamann

Univ.-HNO-Klinik rechts der Isar

Ismaninger Straße 22

81 675 München

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