Deutsche Zeitschrift für Akupunktur 2000; 43(3): 198-200
DOI: 10.1055/s-2000-8119
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Karl F. Haug Verlag in MVH Medizinverlage Heidelberg GmbH & Co. KG

Anmerkungen zu Aristolochia - eine Recherche in chinesischen Originaltexten

PhytotherapieMichael G. Hammes
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Aus welchen Gründen kommt es zu Unsicherheiten über den Gehalt von Aristolochia- und Stephania-Arten in chinesischen Arzneimitteln? Die Gefährlichkeit einer solchen Situation erkannte bereits der historische Arzt Li Shizhen, der mit Hilfe seiner Familie und ausgedehnten Feld- und Literaturstudien über zwei Generationen das Werk ”Ben Cao Gang Mu“ (Abriss der Wurzeln und Kräuter, ”Materia medica“) in 52 Bänden verfasste. Diese epochale Sammlung von Wissen wurde 1596 gedruckt und enthielt Aufzeichnungen über 1892 Arzneien und 11096 Rezepturen. Die Verwirrung seiner Zeit über die unterschiedlichen Drogenbezeichnungen und Anwendungen konnte jedoch auch Li Shizhen nicht vollständig auflösen.

Die Zusammenstellung der [Tabelle] zeigt, dass bis heute diese Probleme der Benennung und Identifikation chinesischer Arzneien in den einschlägigen chinesischen Handbüchern nicht befriedigend gelöst sind. Weiterhin werden in ganz China oder einzelnen Provinzen verschiedene Arzneien bzw. Rohdrogen mit identischen Namen bezeichnet und teilweise wird zwischen den einzelnen in einer Droge möglicherweise enthaltenen Rohdrogen nicht klar unterschieden.

Die aus dem Internet abrufbare Aufstellung des Center for Food Safety and Applied Nutrition der U. S. Food and Drug Administration bezüglich der Aristolochiasäure-haltigen botanischen Produkte ist in diesem Punkt nicht sehr hilfreich.

Die in der [Tabelle] verzeichneten Informationen stammen aus den Nachschlagewerken Quanguo Zhongcaoyao Huibian Band 1 und Band 2 (”Nationale Enzyklopädie der chinesichen Heilkräuter“; Abkürzung: QGZCYHB1+2) sowie dem Zhongyao Dacidian (”Großes Lexikon der chinesischen Heilkräuter“; Abkürzung: ZYDCD).

Im QGZCYHB2 werden unter die Familie der Fangji-Gewächse noch folgende Arten gezählt: Stephania graciliflora Yamamoto, Stephania rotunda Lour., Cyclea polypetala Dunn, Hypserpa nitida Miers, Pericampylus glaucus (Lam.) Merr., Stephania elegans Hook. f. et Thoms., Stephania herbaceae Gagnep., Tinomiscium tonkineanse Gagnep. QGZCYHB1+2 führen insgesamt 21 Aristolochia-Arten auf, die hier nicht einzeln erwähnt werden sollen.

Aus der [Tabelle] wird ersichtlich, dass einige Unklarheiten hinsichtlich der chinesischen Drogenbezeichnungen bestehen. Nach dem ZYDCD ist ”Fang ji“ eine Sammelbezeichnung für insgesamt vier verschiedene Rohdrogen. Zwei der Drogen gehören zur Aristolochia-Familie und enthalten potenziell Aristolochia-Säure. Das ZYDCD bezeichnet Stephania tetrandra S. Moore als ”Fen fang ji“, Aristolochia fangchi Wu als ”Guang fang ji“, Cocculus trilobus (Thunb.) DC. als ”Mu fang ji“ und Aristolochia heterophylla Hemsl. als ”Han zhong fang ji“ bzw. ”Yi ye ma dou ling“. Das deutschsprachige Arzneibuch der Chinesischen Medizin von 1991 bezeichnet nur die Stephaniae tetrandrae radix als ”Fang ji“.

Das QGZYHB1 führt Aristolochia fangchi Wu unter der Bezeichnung ”Guang fang ji“, Stephania tetrandra S. Moore unter der Bezeichnung ”Fen fang ji“ und Cocculus trilobus (Thunb.) DC. unter der Bezeichnung ”Mu fang ji“ (Eintrag-Nr. 183) jeweils als Einzeldroge.

Unter dem Eintrag zu ”Fen fang ji“ führt das Nachschlagewerk aus: ”Seit dem Altertum wird ’Fang ji‘ in zwei große Gruppen, nämlich ’Han fang ji‘ und ’Mu fang ji‘ eingeteilt. Allgemein wird das sogenannte ’Han fang ji‘ als das heutige ’Fen fang ji‘ und nicht als das ’Han zhong fang ji‘ (Aristolochia heterophylla Hemsl.) betrachtet. Das im Altertum sogenannte ’Mu fang ji‘ wird heute unter den Bezeichnungen ’Guang fang ji‘ und ’Han zhong fang ji‘ verkauft; zuweilen kann darin auch ’Mu fang ji‘ enthalten sein. Die aktuelle Erfahrung in der Anwendung von ’Fang ji‘ besagt, dass ’Han fang ji‘ hauptsächlich die Diurese fördert und sich nach innen bewegt, damit harntreibend und abschwellend wirkt, während ’Mu fang ji‘ hauptsächlich den Wind austreibt und sich nach außen bewegt, damit Wind- und Feuchtigkeit-austreibend und schmerzstillend wirkt.“

Auch dieser Passus ist eher verwirrend denn klärend, da er zwar drei mögliche Bedeutungen des Ausdrucks ”Mu fang ji“ angibt (im Altertum, als Einzeldroge und als Bezeichnung einer Mischware), jedoch nicht erläutert, woran der Leser erkennen soll, wann dem Ausdruck welche mögliche Bedeutung zukommen soll. Die Bezeichnung ”Han fang ji“ scheint ein überkommener Ausdruck aus der früheren chinesischen Arzneiliteratur zu sein.

In der westlichen Welt sollte streng zwischen Radix Aristolochiae als ”Qing mu xiang“ (verschiedene Aristolochia-Arten als mögliche Rohdroge) und Radix Aristolochia Fangchi als ”Guang fang ji“ unterschieden werden. Als ”Fen fang ji“ werden in China Produkte aus der Rohdroge Stephania tetrandra bezeichnet, in bestimmten Provinzen jedoch aus den Rohdrogen Stephania japonica, Stephania elegans und Stephania rotunda.

Botanischer Name der Rohpflanze Lateinischer Drogenname in Rezepturen Chinesischer Drogenname in Rezepturen Eintrags-Nr. im QGZCYHB1 Einrtags-Nr. im ZYDCD Ebenfalls benutzte Spezies Möglichkeit der Verwechslung mit Stephania delavayi Diels. Radix Stephaniae delavayi ”Di bu rong“ 352 1620 Stephania brachyandra Diels. Stephania hernandifolia (Willd.) Walp. Stephania cephrantha Hayata Stephania disciflora Hand.-Mazz. Radix Stephaniae cephraranthae ”Bai yao zi“ 316 1448 Radix Stephaniae sinicae (z.T. gleicher Drogenname in China) Stephania japonica (Thunb.) Miers. Radix Stephaniae japonicae ”Oian jin teng“ 136 0447 Stephania elegans Hook. f. et Thoms. [in Tibet] Radix Stephaniae tetrandrae (z. T. gleicher Drogenname in China Stephania longa Lour. Herba Stephaniae longae ”Fen ji du“ 857 5050 Stephania sinica Diels. Radix Stephaniae sinicae ”Jin bu huan“ ”Hua qian jin teng“ 402 2855 Stephania tetranda S. Moore Radix Stephaniae tetrandrae ”Fen fang ji“ ”Fang ji 701 1984 Stephania japonica (Thunb.) Miers [in den Provinzen Zhejiang und Fujian als ”Fen fang ji“ Stephania elegans Hook. f. et Thoms. und Stephania rotunda Lour. [in Tibet als ”Fen fang ji“] QGZCYHB1 führt diese Droge separat als ”Fen fang ji“ auf; der Eintrag Nr. 1984 im ZYDCD steht für ”Fang ji“; darunter werden die Spezies Stephania tetrandra S. Moore (”Fen fang ji“), Aristolochia fangchi Wu (”Guang fang ji“), Cocculus trilobus (Thunb.) DC. (”Mu fang ji“) und Aristolochia heterophylla Hemsl. (”Yi ye ma dou ling“ bzw. ”Han zhong fang ji“) gerechnet Aristolochia fangchi Wu Radix Aristolochiae Fangchi ”Guang fang ji“ 24 1984 vgl. die Ausführungen zu Stephania tetrandra S. Moore Aristolochia debilis Sieb. et Zucc. Radix Aristolochiae ”Qing mu xiang“ 510 2496 Aristolochia calcicola C. Y. Wu, Aristolochia transsecta (Chatterjee) C. Y. Wu [in der Provinz Yunnan] Aristolochia fangchi Wu (Überschneidung im lateinischen Drogennamen) Aristolochia autroszechuanica S. P. Chien et C. Y. Cheng (gleicher Drogenname in der Provinz Sichuan) Aristolochia moupinensis Franch., Aristolochia heterophylla Hemsl., Aristolochia cucurbitifolia Hayata und Aristolochia recurvilabra Hance (z. T. gleicher Drogenname in China)

Abb. 1: Fang ji (Eintrag im Text: Stephania tetranda S. Moore).

Aus: Shiyong zhong caoyao tupu (Bildatlas der chinesischen Heilkräuter), Renmin weisheng chubanshi, Beijing 1970

Abb. 2: Guang fang ji (Eintrag im Text: Aristolochia westlandi Hemsl., in einigen chinesischen Provinzen auch als Aristolochia debilis Sieb. et Zucc. geführt). Aus: Shiyong zhong caoyao tupu (Bildatlas der chinesischen Heilkräuter), Renmin weisheng chubanshi, Beijing 1970

Wird nur mit dem chinesischen Ausdruck ”Fang ji“ rezeptiert, können prinzipiell die oben genannten vier Rohdrogen oder auch andere Stephania-Arten oder eine beliebige Mischung daraus geliefert werden.

Wie die [tabellarische Aufstellung] zeigt, gelingt die Abgrenzung der einzelnen Stephania-Arten hinsichtlich ihrer chinesischen Bezeichnungen nicht eindeutig. Trotz präziser botanischer Bezeichnungen herrscht in China aufgrund historischer und geographischer Differenzen im Gebrauch der Drogennamen noch ein heilloses Durcheinander. Der damit verbundene Verlust an Klarheit ist kaum für einen chinesischen Apotheker auszugleichen. Ein westlicher Apotheker wird mit dieser Aufgabe unweigerlich überfordert.

Die traditionelle chinesische Pharmakopoe muss die eindeutige Identifizierbarkeit der angewandten Produkte gewährleisten. Arzneimittel, die nicht eindeutig zugeordnet werden können, dürfen nicht angewandt werden. Falls dennoch Produkte ohne zuverlässige und eindeutige Identifikation der enthaltenen Rohdrogen angewandt werden sollen, sind diese immer auf den Gehalt an Aristolochiasäuren zu überprüfen. Alle als Aristolochia-Art deklarierten Produkte und Produkte mit chinesischen Bezeichnungen, die den Ausdruck ”Fang ji“ (oder Fangchi) enthalten, wie ”Fang ji“, ”Fen fang ji“, ”Guang fang ji“ und ”Mu fang ji“, sowie Produkte mit chinesischen Bezeichnungen wie ”Yi ye ma dou ling“, ”Ma dou ling“ und ”Qing mu xiang“ sollten in jedem Fall auf Aristolochiasäuren untersucht werden.

Literatur

  • 1 «Quanguo zhongcaoyao huibian» (Hrsg.) Bianxiezu. Quanguo zhongcaoyao huibian, shang/xia ce. Renmin weisheng chubanshe, Beijing. 1992
  • 2 Jiangsu xinyi xueyuan (Hrsg.). Zhongyao dacidian, shang/xia ce. Shanghai kexue jishu chubanshe, Shanghai 1991
  • 3 Stöger (Hrsg.) E. A.. Arzneibuch der chinesischen Medizin. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 1991

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Michael G. Hammes

Neurologische Klinik der TU München, Ambulanz, Klinikum rechts der Isar

Möhlstr. 28

D-81675 München

Email: Michael.G.Hammes@t-online.de