Viszeralchirurgie 2000; 35(2): 92-94
DOI: 10.1055/s-2000-7408
AKTUELLE CHIRURGIE
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Mikrosatellitenanalytik als Instrument der Identitätsbestimmung in der Routinepathologie

I. Melzner, P. Möller
  • Institut für Pathologie und Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Ulm
Further Information

Publication History

Publication Date:
31 December 2000 (online)

Hintergrund

Unter Mikrosatelliten versteht man einfach repetetive DNA-Sequenzen mit einer Motivlänge von bis zu 6 Basen. Von den verschiedenen Repetitionstypen (Mono-, Di-, Tri-, Tetra-, Penta- sowie Hexa-Nuklid Repeats) kommen (A)n-Repeats gefolgt von (CA)n-Repeats mit ca. 50 000 bis 100 000 Loci am häufigsten im menschlichen Genom vor, wobei n normalerweise zwischen 10 und 60 schwankt. Mikrosatelliten-DNA ist überwiegend in nicht kodierender DNA lokalisiert, kommt aber auch in Genen vor. Die Repeatlängen unterliegen starken interindividuellen Schwankungen, sind also polymorph. Diese Längenpolymorphismen sind ein ideales Instrument, um molekulargenetisch u.a. über die Mikrosatellitenanalytik den Heterozygotieverlust zu bestimmen (loss of heterocygozity, LOH). Die väterlichen und mütterlichen Allele sind im Bereich vieler Mikrosatelliten heterozygot. Ein Verlust dieser Heterozygotie entspricht in der Regel dem Verlust eines Allels. Mit der gleichen Methode kann auch die Mikrosatelliteninstabilität (MSI) bestimmt werden. Darunter versteht man Replikon-Irrtümer innerhalb der Mikrosatelliten-Sequenz, deren Entstehung bei der Replikation der DNA in Abb. [1] beispielhaft gezeigt wird. Der obere Strang repräsentiert die neu synthetisierte komplementäre DNA, während der untere Strang die Matritzen DNA zeigt. Durch rückwärtiges Verschieben einer repetitiven Einheit (CAG) entsteht eine nicht komplementäre Region (CAG 1), die eine oder mehre „repeats” des neu synthetisierten Strangs ausmachen kann. Hierdurch resultiert eine Zunahme der repetitiven Einheiten die eine Insertion darstellen. Durch ein Vorwärtsverschieben eines CAG-Tripletts entsteht eine nicht komplementäre Region (GTC 1), wodurch die Anzahl der repetitiven Einheiten in dem neu synthetisierten DNA-Strang verringert wird. Dies wirkt sich als eine Deletion aus.

In den letzten Jahren sind Mikrosatelliteninstabilitäten mit LOH bei unterschiedlichen Tumorarten besonders in Genen für DNA-Reparatur-Enzyme und Tumorsuppressor-Proteine nachgewiesen worden. Mutationen beruhend auf Basenfehlpaarungen (mismatches), die akzidentiell bei der Zellteilung vorkommen, werden in gesunden Zellen von speziellen Mismatch-Repairproteinen erkannt und beseitigt. Mittlerweile sind beim Menschen 6 Mismatch-Repairgene bekannt: hMSH2, hMLH1, PMS1, PMS2, hMSH3, hMSH6. Abb. [2] zeigt schematisch solch einen durch MisMatch-Repair-Protein vermittelten DNA-Reparatur Mechanismus. Sobald das MMR-Protein (hier MSH 6) einen Mismatch des neu synthetisierten und nicht methylierten DNA-Strangs erkannt hat, bindet es an dieser Stelle und in Zusammenwirkung mit MLH 3 und MED 1, wird in dem neu synthetisierten DNA-Strang in der Nähe des Mismatchs ein Nukleotid entfernt. Die Mismatch-Region wird mittels einer Helikase entspiralisiert und durch eine Exonuclease ausgeschnitten. Die resultierende Lücke füllt eine DNA Polymerase wieder auf.

In neoplastisch transformierten Zellen ist hingegen dieser Mismatch-Repair-Mechanismus häufig defekt. Daraus folgt eine neue, von der somatischen Sequenz abweichende Nukleotidsequenz, die auf die Tochtergenerationen der devianten Zelle weitervererbt wird und somit als genetischer Fingerabdruck eines neoplastischen Klons erkannt und benutzt werden kann.

Die Abb. [3] zeigt beispielhaft das Ergebnis einer Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR) mit dem Mikrosatelliten Marker D2S123 der MSI auf Chromosom 2p16, Lokus des G/T Mismatch-Binding Proteins MSH6, anzeigen kann. Die DNA stammt von einem Patienten mit einem kolorektalen Karzinom (A) aus gesundem Kontrollgewebe, (B) dem Tumorgewebe und (C) aus Zellen, die aus dem Tumor kultiviert wurden. Aus dem gesunden Normalgewebe ergeben sich zwei PCR-Produkte mit einer Länge von 206 Basenpaaren (bp) und 220 bp und gleicher Intensität (A). Das Bandenmuster der PCR aus dem Tumorgewebe (B) zeigt eine deutliche Abnahme der Intensität der kürzeren Bande und eine weitere um 8 bp verkürzte Mikrosatellitenbande, die unter Verwendung der DNA aus den kultivierten Tumorzellen neben der 220 bp Bande mit identischer Intensität erscheint.

Es handelt sich bei diesem Tumor folglich um eine Mikrosatelliteninstabilität eines Allels auf Chromosom 2p16 ohne Verlust der Hetrozygotie.

Die bekannten MMR-Gene sind kloniert worden, und es konnte gezeigt werden, dass Keimbahnmutationen vorkommen können, die zu Funktionseinbußen des Genprodukts führen. So sind Keimbahnmutationen im hMSH2-Gen und auch solche im hMSH2-Gen bei Familien mit HNPCC-Syndrom gefunden worden. Aber auch bei sporadischen malignen Tumoren sind Mikrosatelliteninstabilitäten beobachtet worden, wobei die Frequenzen je nach Tumortyp und auch innerhalb der Tumortypen in der aktuellen Literatur noch sehr schwanken. Dabei ist aber zu bedenken, dass die Anzahl der zu untersuchenden Mikrosatelliten noch nicht verbindlich vorgegeben und auch noch nicht definiert ist, ab wievielen MSI ein Tumor als MSI-positiv zu bewerten ist. Folglich sind Versuche, MSI als Prognosefaktor zu benutzen, derzeit als noch verfrüht zu bewerten. Über die epidemilogische Bedeutung des MSI-Nachweises ist aus kompetenter Feder schon viel geschrieben worden. Es sind familiäre Risikogruppen definiert worden (Bethesda-Kriterien) und es ist, was das kolorektale Karzinom angeht, eine Stufendiagnostik in Hinblick auf HNPCC vorgeschlagen worden. So werden in Zentren Tumoren von Patienten, die die Bethesda-Kriterien erfüllen, auf MSI untersucht, wobei mehr als 2 von 5 definierten Genloki MSI zeigen müssen. Diese Tumorträger werden dann als HNPCC-Risikopersonen betrachtet. Im Rahmen einer tumorgenetischen Beratung wird sodann eine Keimbahnmutationsanalyse in Hinblick auf Mismatch-Repairgendefekte angeboten. Wird bei diesem Screenings ein entsprechender Gendefekt in der Keimbahn gefunden, wird der Patient zur HNPCC-Indexperson, muss folglich einer besonderen Tumorvorsorge zugeführt werden, die sich auch auf seine Nachkommen erstrecken sollte. Auch diese Vorsorge ist bereits standardisiert, z. B. von der HNPCC-Studiengruppe Deutschland. Als einschlägige Literatur zu dieser Thematik empfehlen wir:

Beckmann J.S., Weber J.L., Survey of human and rat microsatellites. Genomics 1992; 12:627-631

Britten R.J., Kohne D.E., Repeated sequences in DNA. Science 1968;161: 529-540

Bocker T., Diermann J., Friedl W., Gebert J., Holinski-Feder E., Karner-Hanusch J., von Knebel-Doeberitz M., Moeslein G., Schackert H.K., Wirtz H.C., Fishel R., Rüschoff J. Microsatellite instability analysis: a multicenter study for reliability and quality control. Cancer Res. 1997; 21:4739-4743

Boland C.R., Thibodeau S.N., Hamilton S.R., Sidransky D., Eshleman J.R. Burt R.W., Meltzer S.J., Rodrigues-Bigas M.A., Fodde R., Ranzani G.N., Srivastava S. A National Cancer Institute Workshop on Microsatellte Instability for cancer detection and familial predisposition: development of international criteria for the determination of microsatellite instability in colorectal cancer. Cancer Res. 1998; 58: 5248-5257

Gebert J., Sun M., Ridder R., Hinz U., Lehnert T., Möller P., Schackert H.K., Herfarth C., von Knebel-Doeberitz M. Molecular profiling of sporadic tumors by microsatellite analysis. Int. J. Oncol. 2000; 16: 169-179

De la Chapelle A., Peltomäki P. Genetics of hereditary colon cancer. Annu. Rev. Genet. 1995; 29: 329-348

Aaltonen L.A., Salovaara R., Kristo P., Canzian F., Hemminski A., Peltomäki P. Chadwick R.B., Kaariainen H., Eskelien M., Jarvinen H., Mecklin J.P., de la Chapelle A. Incidence of hereditary nonpolyposis colorectal cancer and the feasibility of molecular screening for the disease. New Engl. J. Med. 1998; 338: 1481-1487

Dunlop M.G., Farrington S.M., Carothers A.D., Wyllie A.H., Sharp L., Burn J., Lui B., Kinzler K.W., Vogelstein B. Cancer risk associated with germline DNA mismatch repair gene mutations. Hum. Molec.Genet. 1997; 6: 105-110

Lynch H.T. Smyrk T., Lynch J.F., Overview of natural history, pathology, molecular genetics and management of HNPCC (Lynch syndrome). Int. J. Cancer 1996; 69: 38-43

Dietmaier W., Wallinger S., Bocker T., Kullmann F., Fishel R., Rüschoff J. Diagnostic microsatellite instability: definition and correlation with mismatch repair protein expression. Cancer Res. 1997; 57: 4749-4756

Lynch H.T., Smyrk T.C., Identifying hereditary nonpoliposos colorectal cancer. New Engl. J. Med. 1998; 338: 1537-1538

Fishel R., Wilson T. DNA repair and molecular carcinogesis. Curr. Opin. Genet. Dev. 1997; 7: 105-113

Ionov N.R., Peinado M.A., Malkhosyan S., Shibata D., Perucho M. Ubiquitous somatic mutations in simple repeated sequences reveal a new mechanism for colon carcinogesis. Nature 1993; 363: 558-561

I. Melzner

Institut für Pathologie und Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Ulm

Albert-Einstein-Allee 11

89081 Ulm

Phone: 0731-50-23320

Fax: 0731-50-23884

    >