Zusammenfassung
Fragestellung: Darstellung der
Überschneidungen verschiedener Formen von Gewalterfahrung in der Kindheit, Abschätzung
des Schweregrads der körperlichen, sexuellen oder seelischen Misshandlung oder
Vernachlässigung, der gesundheitlichen Folgen, der Komorbidität und bedeutsamer
Risikofaktoren, die zu Kindesmisshandlung und Vernachlässigung führen.
Methoden: Zwischen Januar und Juni 1997 wurden prospektiv alle neu gemeldeten
Fälle in elf deutschen Kinderschutz- Zentren mit Hilfe eines standardisierten Erhebungsbogens
durch die Mitarbeiter/innen dokumentiert und anonymisiert zentral ausgewertet.
Ergebnisse: Berichtet wurden 263 Kinder aus 251 Familien. Die Mehrzahl der
betroffenen Kinder war unter zehn Jahre alt, 63 % waren Mädchen,
37 % Jungen. Von den gemeldeten Kindern und Jugendlichen hatten 134 sexuelle
Misshandlung mit Körperkontakt, 20 sexuelle Misshandlung ohne Kontakt, 77 körperliche
Misshandlung, 62 emotionale Misshandlung und 99 Vernachlässigung erlitten (Mehrfachnennungen
möglich). Die Überschneidungen der verschiedenen Misshandlungsformen war erheblich,
zahlreiche Kinder hatten mehr als eine, über ein Zehntel mehr als zwei Misshandlungsformen
erlitten. Die Mehrzahl der Fälle wurde als schwer und/oder chronisch eingeschätzt.
Die überwiegende Zahl der Kinder und Jugendlichen litten unter einer emotionalen Belastung
oder posttraumatischem Stress, während langfristige körperliche Folgen seltener berichtet
wurden. Intrafamiliäre Beziehungsprobleme und emotionale Störungen der Bezugspersonen
wurden als für die Misshandlung oder Vernachlässigung in der Regel als bedeutsamer
angesehen als sozioökonomische Faktoren. Bei 55 % der Kinder und Jugendlichen
wurde eine Störung der sozialen und emotionalen Entwicklung festgestellt, bei über einem
Viertel eine Entwicklungsretardierung.
Schlussfolgerung:Die derzeit
gebräuchliche Klassifikation verschiedener Misshandlungsformen kann nicht die Komplexität
der Gewalterfahrungen in der Kindheit abbilden; zukünftige Forschungsstrategien sollten sich
an den körperlichen, seelischen und sozialen Folgen der Misshandlungen oder
Vernachlässigungen orientieren und die Ursachen und verantwortlichen Handlungen und
Unterlassungen in einem multifaktoriellen Design berücksichtigen. Prospektive Studien sind
notwendig, um spezifische Effekte verschiedener Gewalterfahrungen zu erfassen.
Abuse and Violence Experienced by Children - Risks and Effects on Health
Objectives: Descriptive study on health outcomes, co-morbidity,
severity and social context in child abuse and neglect.
Methods:
Cross-sectional study of consecutively incoming cases in eleven German Child Protection Centres
between January and July 1997 using a standardised survey instrument.
Results: We report on 263 children from 251 families. The majority of children
was less than ten years old, 63 % were girls, 37 % boys. Of all
children, 134 had suffered sexual abuse with physical contact, 20 sexual abuse without contact, 77
physical abuse, 62 emotional abuse and 99 neglect (multiple responses were allowed). The overlap
between various types of abuse was considerable: many children had suffered more than one, a
quarter more than two types of abuse. The majority of cases was classified as either severe
and/or chronic. Most children and youngsters suffered emotional distress or post-traumatic
stress, long-term consequences of physical injuries were less common. Intrafamiliar relationship
problems and emotional distress of the care-giver had greater impact on the risk for abuse or
neglect compared to socioeconomic risk factors. In 55 % child protection workers
documented a disability in social and emotional development, in a quarter of children developmental
retardation.
Conclusions: The current, exclusive classification of
types of abuse and neglect does not adequately describe the complexity of childrens’
experiences of intrafamiliar violence. Future research should be oriented towards the physical,
emotional and social consequences of child maltreatment and use multifactorial designs to capture
the complex aetiology and multiple acts and omissions responsible for the distress and injuries.
Prospective studies are important to assess specific effects of child abuse and neglect on child
development.
Key words
Child Abuse - Neglect - Developmental Disabilities - Risk Factors