Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 1999; 34(7): 396-401
DOI: 10.1055/s-1999-8743
ORIGINALIA
Georg Thieme Verlag Stuttgart ·New York

Den Patienten aufklären - aber wie?

Zur Ethik und Theorie des AufklärungsgesprächsInforming the Patient - But How? Ethics and Theory of Patient Information.G. Maio
  • Institut für Medizin- und Wissenschaftsgeschichte, Medizinische Universität zu Lübeck
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Publication Date:
31 December 1999 (online)

Zusammenfassung:

Als Folge des in den letzten drei Jahrzehnten sich vollziehenden Wandels der Arzt-Patient-Beziehung ist die Patientenaufklärung zunehmend in das Zentrum der medizinethischen Diskussion gerückt. Das erwachte Selbstbewußtsein des mündigen Bürgers forderte eine Aufhebung des traditionellen Paternalismus zugunsten einer symmetrischen und partnerschaftlichen Arzt-Patient-Beziehung, in der der Arzt mehr zu erklären und der Patient mehr zu entscheiden habe. Seine ethische Begründung findet der Aufklärungsanspruch des Patienten im Gebot der Achtung der personalen Autonomie; Autonomie als Respekt vor der Freiheit des Menschen und seiner personalen Würde. Hieraus entspringt die Verpflichtung des Arztes, die Patientenaufklärung als Akt der Kommunikation zu verstehen, die zum Ziele hat, die Entscheidungskompetenz des Patienten zu verbessern. Schlüsselwörter: Aufklärung des Patienten - Autonomie - Arzt-Patient-Beziehung - Medizingeschichte - Medizintheorie - Verstehen - Kommunikation

Informed consent is one of the most discussed topics of bioethics. This new emphasis on seeking patient's consent is due to the fact that since the 1960s there has been a considerable change in the ideal of patient-physician relationship. There has been an important shift from a physician-based commitment of promoting well-being to a patient-based right of information arising from individual autonomy instead of a Hippocratic paternalism. Consent requirement is ethically derived from the duty to treat persons as ends, not merely as means. So the physician has a special moral obligation to assure the patient's moral agency by reducing the inequality in information between patient and physician. Therefore a morally valid consent has to be a continuing process rather than a singular event. Key words: informed consent - autonomy - physician-patient-relationship - medical ethics - history of medicine - medical philosophy - understanding

1 Es versteht sich von selbst, daß viele der auszuführenden Aspekte nicht nur die Beziehung zwischen Patient und Arzt betreffen, sondern daß sie zu einem beträchtlichen Teil auch auf die Beziehung des Patienten zu den anderen Gruppen der heilenden Berufe übertragbar sind, ohne daß dies im folgenden jeweils expliziert werden braucht.

2 In dem Begriff des „therapeutischen Privilegs” lebt auch heute diese Auffassung fort.

3 Siehe hierzu Maio, G.: Das Humanexperiment vor und nach Nürnberg. Überlegungen zum Menschenversuch und zum Einwilligungsbegriff in der französischen Diskussion des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Wiesemann, C. und Frewer, A. (Hrsg.): Medizin und Ethik im Zeichen von Auschwitz. Erlangen: Palm und Enke, 1996, S. 45-78.

4 Siehe hierzu Dworkin, G.: Paternalism. In: Reiser S. J., Dyck A. J., Curran W. J. (Hrsg.) Ethics in Medicine - Historical Perspectives and Contemporary Concerns. Cambridge und London: MIT Press, 1977, S. 190-198; Engelhardt, H. T.: The Foundations of Bioethics. 2. Aufl., New York und Oxford: Oxford University Press, 1996; Beauchamp, T., Childress, J. F.: Principles of Biomedical Ethics. 4. Aufl., New York und Oxford: Oxford University Press, 1994.

5 Siehe hierzu Maio, G.: Der Blick zurück als Zukunft der medizinischen Ethik? Entwicklungen und Grenzen der „Bioethik” und deren Implikationen für einen Beitrag der Geschichte an einer zeitgenössischen Ethik in der Medizin. In: Toellner, R. und Wiesing, U. (Hrsg.) Geschichte und Ethik in der Medizin. Von den Schwierigkeiten einer Kooperation. Stuttgart, Jena, Lübeck u. Ulm: Fischer, 1997, S. 91-110.

6 Wenn der Stellenwert der Aufklärung in letzter Zeit eine größere Bedeutung erhalten hat, so hat auch die Medizin selbst zu diesem Wandel beigetragen. Lange Zeit hatte die Medizin nur wenige Behandlungsalternativen anzubieten, lange Zeit mußte die Diagnose „Krebs” mit Siechtum und Tod gleichgesetzt werden. Doch gerade in den letzten Jahrzehnten sind die therapeutischen Handlungsoptionen ungleich vielschichtiger geworden - und dies nicht nur in der Onkologie. Eine Diagnose fordert heute vielfältige Behandlungsmöglichkeiten heraus, und so gewinnt für die Therapiewahl die Auffassung des Kranken um so mehr an Bedeutung.

7 Kuhlendahl, H.: Die ärztliche Aufklärungspflicht oder der kalte Krieg zwischen Juristen und Ärzten. Deutsches Ärzteblatt 75 (1978) 2003-2007.

8 Laufs, Adolf: Arztrecht., 5. Aufl., München: Beck, 1993.

9 Siehe hierzu näher Weißauer, W.: Aufklärungspflicht und Arzt-Patient-Beziehung. In: Lang, E. und Arnold, K. (Hrsg.) Die Arzt-Patient-Beziehung im Wandel. Stuttgart 1996, S. 113-120.

10 Biermann, E.: Einwilligung und Aufklärung in der Anästhesie. Rechtsgrundlagen und forensische Konsequenzen. Anästhesiologie Intensivmedizin Notfallmedizin Schmerztherapie 32 (1997) 427-452.

11 De facto hat der BGH jedenfalls keinen einzigen Fall entschieden, in dem er den beklagten Arzt von seiner Aufklärungspflicht aufgrund medizinischer Kontraindikationen entlastet hat. Siehe hierzu Willinger, H.: Ethische und rechtliche Aspekte der ärztlichen Aufklärungspflicht. Frankfurt a. M.: Peter Lang, 1996.

12 Siehe hierzu Faden, R. R. und Beauchamp, T. L.: A history and theory of informed consent. New York, Oxford: Oxford University Press, 1986

13 Siehe hierzu wie zu allen diesen Ausführungen die brillante Analyse von Faden und Beauchamp.

14 Hierzu gehören streng genommen aber auch Beeinflussungen, die auf Rollenerwartungen zurückzuführen sind, wie z. B. die Angst des Patienten, den Arzt zu enttäuschen oder seine Zeit zu verschwenden.

15 Siehe hierzu beispielsweise Wear, S.: Informed consent. Patient autonomy and physician beneficence within clinical medicine. Dordrecht [u.a.] : Kluwer Academic Publisher, 1993; Brody, H.: Transparency: Informed Consent in Primary Care. Hastings Center Report 19 (1989) 5: 5-9

16 Siehe hierzu Schöne-Seifert, B.: Medizinethik. In: Nida-Rümelin, J. (Hrsg.) Angewandte Ethik. Die Bereichsethiken und ihre theoretische Fundierung. Stuttgart: Alfred Kröner, 1998, S. 552-648.

17 Ebd.

18 Siehe Faden und Beauchamp, 1986

19 Siehe hierzu White, B. C. und Zimbelman, J.: Abandoning informed consent: An idea whose time has not yet come. Journal of Medicine and Philosophy 23 (1998) 5: 477-499.

20 Siehe als eine der ersten Lankton, J. W.: Emotional responses to detailed risk disclosure for anesthesia: A prospective, randomized study. Anesthesiology 46 (1977) 4: 294-296.

21 Es sei an dieser Stelle die Vermutung gewagt, daß im Zuge der Patientenrechtsbewegungen, die in der gesamten westlichen Welt seit Jahren an Bedeutung gewinnen, diese Regressionstendenzen der Patienten zukünftig immer mehr zur Ausnahmeerscheinung werden könnten.

22 Siehe hierzu wie zu vielen anderen Bereichen unseres Themas die schöne und umfassende Arbeit von Raspe, H.-H.: Aufklärung und Information im Krankenhaus. Medizinsoziologische Untersuchungen. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1983.

23 Siehe hierzu Hull, R. T.: Informed consent: Patient's right or patient's duty? The Journal of Medicine and Philosophy 10 (1985) 183 - 197.

24 Grossmann, W., Maio, G. und Weiberg, A. (Hrsg.) Ethik im Krankenhausalltag - Theorie und Praxis. Bochum 1998 (Medizinethische Materialien 120).

25 Siehe beispielsweise Wieland, W.: Die Aufklärungspflicht des Arztes aus philosophischer Sicht. Medizinische Klinik 72 (1977) 1597 - 1600.

26 Siehe hierzu Byrne, P.: What may a patient properly expect of his doctor? In: Dunstan, G. R., Seller, M. J. (Hrsg.) Consent in Medicine. Convergence and divergence in tradition. London: Hollen Street Press, 1983, S. 26 - 31

27 Siehe Arnold, R. M. und Lidz, C. W.: Clinical Aspects of Consent in Health Care. In: W. T. Reich (Hrsg.) Encyclopedia of Bioethics. 2. Aufl., Bd. 3, New York: Macmillan, 1995, S. 1250 - 1256.

Dr. med. Giovanni Maio

Institut für Medizin- und Wissenschaftsgeschichte Medizinische Universität zu Lübeck

Königstraße 42

23552 Lübeck

Email: maio@imwg.mu-luebeck.de

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