Deutsche Heilpraktiker-Zeitschrift 2018; 13(01): 44-50
DOI: 10.1055/s-0044-100070
Praxis
Behandlung
© Karl F. Haug Verlag in Georg Thieme Verlag KG

Froschlöffel und Tränensammler für den scharfen Blick

Martina Bögel

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Publication Date:
23 February 2018 (online)

 

Summary

Mit Arzneimitteltherapie, Akupunktur, Tuina, Diätetik und Qigong verfügt die chinesische Medizin über wirkungsvolle Instrumente zur Begleitbehandlung und Prävention von Augenerkrankungen. Meist sind nach dem Modell der TCM die Funktionskreise der Leber, Milz und Niere sowie Qi (Lebensenergie) und Xue (Blut) beeinträchtigt, die sich therapeutisch regulieren lassen. In chinesischen Schulen finden spezielle Tuina- und Qigong-Techniken zur Vorbeugung der Kurzsichtigkeit Anwendung, die hier vorgestellt werden.


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Abb. 1 Eine Pflanze aus der Gattung der Froschlöffel. Froschlöffelwurzel gelten in der TCM als Feuchtigkeit ausscheidendes und umwandelndes Arzneimittel. Foto: © AdobeStock / talpik

Häufige Augenerkrankungen aus der Sicht der TCM: wie sie entstehen und welche Möglichkeiten der Begleitbehandlung und Prävention es gibt.

Martina Bögel

OB KATARAKT, Glaukom, Brechungsfehler oder Makuladegeneration: Augenerkrankungen haben Konjunktur. Neben genetischen Faktoren gelten die Lebensweise und demografische Veränderungen als wichtigste Ursachen für diesen Anstieg. Die chinesische Medizin bietet hierbei begleitend zur Schulmedizin vielversprechende Therapiemöglichkeiten aus den Bereichen Akupunktur, Arzneimittellehre, Diätetik, chinesische Massage und Qigong. Häufig bezieht sie sich auf den Funktionskreis der Leber.

TCM-Modell: Funktionskreise, Energie und Körpersäfte

Oftmals sind bei Augenerkrankungen die Funktionskreise der Leber (dieser besitzt einen besonders engen Bezug zu den Augen), Milz und Niere gestört, oder es besteht ein Mangel an Qi oder Xue.

Auch die Körpersäfte beziehungsweise Jin Ye können bei Augenerkrankungen eine Rolle spielen. Sie haben ihren Ursprung in der Nahrung und werden mithilfe des Dreifach-Erwärmers im ganzen Körper verteilt. Bei zu starkem Verbrauch der Körpersäfte werden die Augen nicht mehr ausreichend befeuchtet. Es kann zu verminderter Tränensekretion, Keratokonjunktivitis sicca oder Hornhautnarben kommen. Bei mangelhafter Verteilung oder Trennung von klaren und trüben Flüssigkeiten kann sich Wasser oder trüber Schleim im Auge anreichern und die Sehfähigkeit beeinträchtigen.

DEFINITION

Xue (Blut)

Xue entspricht am ehesten dem westlichen Begriff des Blutes. Durch die regelmäßige Zirkulation des Xue im Körper werden die notwendigen Nährstoffe zu sämtlichen Körperteilen gebracht und alle Organe und Gewebe versorgt (ernährt und befeuchtet).

Das gilt auch für die Augen:

Das Qi bewegt die Säfte und das Blut (Xue), um die Augen zu befeuchten und die Nährstoffe an das Auge zu führen. Das Blut übernimmt eine nährende Funktion für die Augen.

In der chinesischen Medizin differenziert man diagnostisch auf der Basis spezifischer Augensymptome, des Zungenbildes, des Pulses und anhand von Allgemeinsymptomen. Hieraus leitet sich dann das Behandlungsprinzip ab.


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Akupunktur: Kombination aus Nah- und Fernpunkten

Für die Akupunktur bietet sich eine Kombination aus augennahen Punkten und Fernpunkten an. Häufig drückt sich der Bezug zu den Augen durch den Namen aus:

  • Bl 1, Jin Ming, Helles des Auges

  • Ma 1, Cheng Qi, Tränensammler

  • Bl 6, Cheng Guang, Licht erhalten

  • Gb 1, Tong Zi Lao, Kellerloch der Pupille

  • Gb 37, Guang Ming, Glanz und Licht

  • Gb 41, Zu Ling Qi, Am Rand der Tränen des Fußes

Bei energetischer Schwäche oder Kälte erfolgt außerdem in der Regel eine Moxibustion.

Merke: Bei Behandlung augennaher Akupunkturpunkte muss man besonders vorsichtig vorgehen, um Verletzungen zu vermeiden. Moxibustion sollte nur an Fernpunkten und nicht im Gesicht stattfinden. Den Punkt Ma 1 sollten nur Therapeuten anwenden, die eine klinische Supervision erhalten haben.

KURZ GEFASST
  1. Mit Arzneimitteltherapie, Akupunktur, Tuina, Diätetik und Qigong verfügt die chinesische Medizin über wirkungsvolle Instrumente zur Begleitbehandlung und Prävention von Augenerkrankungen.

  2. Meist sind nach dem Modell der TCM die Funktionskreise der Leber, Milz und Niere sowie Qi (Lebensenergie) und Xue (Blut) beeinträchtigt, die sich therapeutisch regulieren lassen.

  3. In chinesischen Schulen finden spezielle Tuina- und Qigong-Techniken zur Vorbeugung der Kurzsichtigkeit Anwendung, die hier vorgestellt werden.


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Arzneimitteltherapie: von Färberdistel bis Zikadenpanzer

Die chinesische Arzneimitteltherapie bietet eine Fülle an Drogen und Rezepturen (Beispiele siehe Kasten, S. 46), deren Auswahl einem erfahrenen Therapeuten vorbehalten sein sollte. Die Anwendung erfolgt in der Regel innerlich als Dekokt (Abkochung), Granulat oder in Tablettenform.


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Diätetik: heiß, feucht oder schwach?

Im Rahmen einer allgemein ausgewogenen Ernährung richtet sich die Auswahl der Lebensmittel nach dem zugrundeliegenden chinesischen Syndrom. Augenerkrankungen aufgrund eines Hitze-Befundes weisen zum Beispiel auf Karotte (kühl-neutral, süß), Sellerie (kühl, süß, etwas bitter) und Tofu (kühl-kalt, süß, salzig) hin. Bei Feuchtigkeit bieten sich Löwenzahn (kalt, bitter), grüner Tee (kühl, bitter) und schwarzer Tee (warm, bitter) an. Treten Augenerkrankungen aufgrund einer energetischen Schwäche der Funktionskreise Niere und Milz auf, kommen unter anderem Esskastanie (warm, süß), schwarze Sojabohnen und Sesam (neutral, süß) zur Anwendung.

Im Folgenden werden einige häufige Augenerkrankungen aus der Sicht der TCM mit entsprechenden Behandlungs- oder Präventionsmöglichkeiten dargestellt.


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Myopie: Schwäche des Ministeriellen Feuers

Die Myopie oder Kurzsichtigkeit entwickelt sich meistens an der Schwelle zur Pubertät und geht mit einer im Verhältnis zur Länge des Augapfels überhöhten Brechkraft einher. Der Seheindruck wird in der Ferne unscharf. Je näher ein Gegenstand hingegen an das Auge geführt wird, desto schärfer wird das Bild. Ist der Augapfel verlängert, kann es zu einer Dehnungsspannung besonders der Ader- und Netzhaut kommen. Dies kann Perfusionsstörungen oder eine Atrophie dieser Schichten zur Folge haben, bis hin zu Netzhautablösung und Erblindung. Konventionell wird die Myopie meist mit Brillen, Kontaktlinsen oder Laser korrigiert.

In der TCM wird für das generelle Nachlassen der Sehschärfe die Schwäche des Ministeriellen Feuers der Niere und damit eine Schwäche des Nieren-Yang verantwortlich gemacht. Eine energetische Milz-, Qi- oder Xue-Schwäche kann zur Symptomatik beitragen. Die Zunge ist unspezifisch, der Puls meist unauffällig oder schlüpfrig.

INFORMATION

Arzneidrogen der TCM bei Augenerkrankungen

Die Oberfläche öffnend, scharf und warm

  • Bai Zhi (Sibirische Engelwurz, Angelicae dahuricae radix): bei Wind-Kälte und Feuchtigkeit in der Oberfläche, besonders bei Schmerzen im Augenbrauenbereich und der Orbita

  • Fang Feng (Saposhnikoviae radix): bei Wind, Kälte, warm und mild, wirkt tiefer, bewegt Feuchtigkeit, Wirkung auf den Funktionskreis Leber, Rötungen und Ulzerationen der Lidränder, Granulome der Lider, Juckreiz der Augen, bei innerem Wind in den Augen

Die Oberfläche öffnend, scharf und kühl

Symptom: Rötungen der Konjunktiven, sowohl akut als auch chronisch

  • Chai Hu (Chinesisches Hasenohr, Bupleuri radix): kühlend, bitter, scharf, bei Glut, trübe Sicht, Rötung, Schmerzen und Schleier vor den Augen, gilt als Meldearznei für den Funktionskreis Leber

  • Chan Tui (Zikadenpanzer, Cicadae periostracum): kühlend, süß und salzig, besonders bei Wind-Hitze-Schädigung, geröteten und schmerzhaften Augen, Schleiersehen, Trockenheit und Spannungsgefühl in den Augen

  • Ju Hua (Chrysantheme, Chrysanthemi flos): kühlend und von süßem und bitterem Geschmack, Bezug zum Funktionskreis Leber, bei akuten Wind-Hitze-Schädigungen mit roten, tränenden und geschwollenen Augen, chronischen Rötungen und beim Sicca-Syndrom, aber auch bei retinalen Durchblutungsstörungen, verschwommener Sicht, Mouches volantes (Glaskörperflocken mit Punkten, Flecken oder fadenartigen Strukturen im Gesichtsfeld, die sich mit der Blickrichtung verschieben)

  • Mu Zei (Winterschachtelhalm, Equiseti hiemalis herba): kühlend, bitter, süß, bei Wind-Hitze, Feuchtigkeit, verbessert die Sicht, Kopfschmerzen mit geröteten Augen und plötzlichem Lidödem, wirkt stützend auf die Funktionskreise Leber und Gallenblase

Feuchtigkeit ausscheidende und umwandelnde Arzneimittel

Ze Xie (Froschlöffel, Alismatis rhizoma): kühlend, süß, wirkt besonders auf die Funktionskreise Niere und Blase, leitet überschüssige Feuchtigkeit aus, stützt aber das Yin, klärt die Augen

Che Qian Zi (Asiatischer Wegerich, Plantaginis semen): kühlend, süß, leitet Hitze und Wind-Hitze aus den Funktionskreisen Leber und Lunge aus, bei Konjunktivitis, nachlassendem Sehvermögen und beginnender Katarakt

Regulieren von Qi und Xue

Hong Hua (Färberdistel, Carthami Flos): warm, scharf, bewegt das Blut, in Kombination mit Sheng Di Huang (Rehmannia, Rehmanniae radix)

Ju Hua (Chrysantheme, Chrysanthemi flos): kühlend, süß und leicht bitter, bei roten, schmerzenden Augen durch Stase und Hitze

Niu Xi (Zweizähniger Amarant, Achyranthis bidentatae): neutrales Temperaturverhalten, bitter, sauer, Yang und Hitze absenkend, Yin des Funktionskreises Niere haltende Wirkung, befeuchtend, bei Stasen des Xue und energetischer Schwäche des Yin sowie emporschlagendem Yang

Nach einer Übersichtsarbeit bei Kindern und Jugendlichen [1] lässt sich das Fortschreiten der Myopie mithilfe der Akupunktur wahrscheinlich nicht aufhalten [2]. Vorbeugende Maßnahmen wie Qigong und Selbstmassagen (Tuina) zählen in China jedoch zu den bewährten Präventionsmaßnahmen (siehe „Gesunderhaltende Tuina-Selbstmassagen und Qigong“, S. 50) und können der Überforderung der Augenfunktion im digitalen Zeitalter entgegenwirken.


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Hyperopie – Yin-Schwäche mit zunehmendem Alter

Bei der Hyperopie oder Weitsichtigkeit besteht ein axialer Brechungsfehler: Der Bildpunkt liegt hinter dem Auge. Meist handelt es sich um eine Altersweitsichtigkeit: Die Fähigkeit zur Akkommodation nimmt mit zunehmenden Lebensalter ab. Dies macht sich zunächst beim Nahsehen bemerkbar.

Im Sinne der Chinesischen Medizin kommt es zur Weitsichtigkeit, wenn das Yin des Funktionskreises Niere schwächer wird und das Yang nicht mehr zu stützen vermag. Die Zunge ist oftmals unauffällig oder zeigt tiefe Risse und Furchen. Der Puls ist unauffällig oder rau und schwach.

In der zweiten Lebenshälfte gilt die Weitsichtigkeit als Teil des physiologischen Alterungsprozesses. Anhand einer gesunden und ausgewogenen Lebensweise mit einer hochwertigen Ernährung, ausreichend Schlaf und einer guten Work-Life-Balance lässt sich das Fortschreiten möglicherweise verlangsamen. Zur Stabilisierung und Prävention werden spezifische Selbstmassagen (Tuina) sowie bewegte und stille Übungen des Qigongs empfohlen.


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Nachtblindheit: nächtliches Autofahren unmöglich

Nachtblindheit bezeichnet ein eingeschränktes oder sogar aufgehobenes Dämmerungssehen, das sich früh im Straßenverkehr bemerkbar macht. Ursächlich ist meist eine Störung der Stäbchen, zum Beispiel durch genetische Defekte, Retinopathie oder Vitamin-A-Mangel. In der TCM führt man die Nachtblindheit auf ein Nachlassen des Ministeriellen Feuers (Feuer der „Pforte des Lebenstores“) zurück. Das Yang des Funktionskreises Niere ist geschwächt.

Zunge und Puls können unauffällig sein. Als Arzneimittelrezeptur kann zum Beispiel Jin Gui Shen Qi Wan oder Ba Wei Di Huang Wan eingesetzt werden. Als Nahrungsmittel bieten sich unter anderem Esskastanie, Walnuss, Hühnerfleisch und Fenchel an. Akupunkturpunkte sind zum Beispiel Bl 23, DM 4, Ni 3, Ma 36 a, M–HN-9 Tai Yang und M-HN-6 Yu Yao.


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Mouches volantes: Spinnweben im Gesichtsfeld

Das Sehen von mücken- oder spinnwebenartigen Gebilden wird in der chinesischen Medizin normalerweise als energetische Schwäche des Yin der Funktionskreise Leber und Niere interpretiert. Die Zunge ist unauffällig oder weist Risse und Furchen auf; der Puls ist ebenfalls unauffällig oder rau, dünn oder leer. Eine sinnvolle Arzneimittelrezeptur ist zum Beispiel Xiao Yao San. Empfehlenswerte Nahrungsmittel sind unter anderem Stangensellerie, Wasserkastanie und Kumquat (Zwergorange). Zu den geeigneten Akupunkturpunkten zählen lokale Punkte der Augen unter anderem mit Bezug zur Leber, zum Beispiel Ma 2, Ma 3, und die Fernpunkte Dü 6, Bl 18, 3E 3, Gb 41 und Le 2.


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Katarakt: Klinik weist den therapeutischen Weg

Eine Katarakt, man spricht auch von Grauem Star, bezeichnet eine Trübung der Linse und tritt meist ab dem sechsten Lebensjahrzehnt auf. Schulmedizinisch wird sie durch ein Linsenimplantat behandelt. Der Betroffene nimmt einen langsamen Verlust der Sehschärfe und eine zunehmende Blendungsempfindlichkeit wahr. Manche Patienten berichten von Lichthöfen. Generell ist die Hell-Dunkel-Adaption des Auges verlangsamt. Auch die Fähigkeit zum räumlichen Sehen kann beeinträchtigt sein. Diabetes mellitus, Medikamente wie Kortison, UV-Strahlung oder Traumata erhöhen das Risiko.

In der chinesischen Medizin führt man die Linsentrübung zum einen auf eine Schwäche des Yin, des Jing (Struktivpotenzial), des Xue und der Funktionskreise Leber und Niere zurück. Diese äußert sich in verschwommener Sicht, trockenen Augen, eventuell Drehschwindel, Ohrensausen, Schlafstörungen, Schwäche und Ziehen im Bewegungsapparat. Die Zunge ist blass und ohne Belag, der Puls tief und schwach. Die Therapie sollte den Funktionskreis Leber nähren und den Funktionskreis Niere befeuchten. Als Beispiel sei hier die Arzneimittelrezeptur Qi Ju Di Huang Wan (Rehmannia-Pille mit Lycii fructus und Chrysanthemi flos [3]) genannt sowie die Nahrungsmittel Weizen, schwarze Sojabohnen und Hühnerfleisch. In der Akupunktur können lokale Punkte der Augen und Fernpunkte wie Bl 18, Bl 23, Ni 5 und Le 3 gewählt werden.

Zum anderen kann eine Schwäche der Funktionskreise Milz und Magen vorliegen. Sie äußert sich in verschwommener Sicht, trockenen Augen, Abgeschlagenheit, Kraftlosigkeit, Appetitlosigkeit und breiigem Stuhlgang. Die Zunge ist blass mit dünnem, weißlichem oder fehlendem Belag. Therapeutisch werden die Funktionskreise Milz und Magen gekräftigt und gestützt. In diesem Fall eignet sich die Arzneimittelrezeptur Bu Zong Yi Qi Tang (Dekokt, das die Energien der Mitte ergänzt und das Qi vermehrt [3]). Als Nahrungsmittel empfehlen sich Reis, Haselnüsse, Hirse und Hühnerfleisch. Beispiele für geeignete Akupunkturpunkte sind lokale Punkte der Augen sowie Ma 36, Mi 6, Bl 20, Bl 21.

Weitere Syndrome der Katarakt sind Qi-Blockaden des Funktionskreises Leber oder eine Yin-Schwäche des Funktionskreises Niere mit Glut im Funktionskreis Herz.


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Glaukom: innere Blockade durch schwarzen Wind

Das Glaukom (grüner Star) geht häufig, aber nicht immer, mit einer Erhöhung des Augeninnendrucks einher und kann den Sehnerv schädigen. Die Prävalenz steigt mit zunehmendem Alter. Unterschieden werden unter anderem Offenwinkel- und Engwinkelglaukome. Erstere kommen weit häufiger vor und verlaufen meist unbemerkt und chronisch. Beim Engwinkelglaukom kann es zum schmerzhaften Glaukomanfall mit akuter Erblindungsgefahr kommen. Die chinesische Medizin kommt hier begleitend zur Schulmedizin zum Einsatz.

Merke: Das Glaukom ist weltweit eine der häufigsten Erblindungsursachen.

Das Glaukom wird in der TCM als „Innere Blockade aufgrund von schwarzem Wind“ bezeichnet. Bei chronischem Verlauf wird in den Netzleitbahnen der Xue-Fluss blockiert. Hierdurch kommt es zu Wasseransammlungen. Sie können die Öffnungen der Augen und die Augenflüssigkeiten blockieren. Der Fluss der Leber-Leitbahn wird behindert und beschädigt. Man unterscheidet beim Glaukom vor allem zwei chinesische Syndrome.

Schwäche der Funktionskreise Leber und Niere

Für eine Schwäche der Funktionskreise Leber und Niere sprechen Kopfschmerzen, Ohrensausen, Schwäche oder Schmerzen im Lumbalbereich und Schlafstörungen, eventuell auch anfängliches Ermüdungsgefühl der Augen und Drehschwindel. Die Zunge ist leicht feucht, der Puls zart und beschleunigt. Therapeutisch steht das Tonisieren und Nähren der Funktionskreise Leber (Leber-Xue) und Niere im Fokus. Dazu eignen sich zum Beispiel die Arzneimitterezeptur Liu Wei Di Huang Wan (Rehmannia-Pille mit sechs Geschmäckern [3]) und im Rahmen der Akupunktur neben den lokalen Punkten die Fernpunkte Di 4, Bl 18, Bl 23, Ni 3 und Gb 37. Diätetisch werden unter anderem Weizen, Karotten, Weintrauben, Hühnerfleisch und Abalone empfohlen.

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Abb. 2 Akupunkturpunkte der Magen-Leitbahn: Ma 1, auch Tränensammler genannt, spielt sowohl in der Begleitbehandlung als auch in der Prävention von Augenerkrankungen eine Rolle. Er befindet sich am Orbitarand auf einer senkrechten Linie durch die Pupillenmitte beim Blick geradeheraus. Cave: Den Punkt Ma 1 sollten nur Therapeuten anwenden, die eine klinische Supervision erhalten haben. Alternativ kann auch ein Akupressur-Pflaster verwendet werden. Quelle: Hecker HU et al. Praxis-Lehrbuch Akupunktur. 2. überarb. und erweit. Aufl. Stuttgart: Haug; 2016. Foto: © Ullrich + Company

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Schleim aus dem Inneren steigt empor …

Das zweite Syndrom wird umschrieben mit: „Schleim aus dem Inneren steigt empor und beeinträchtigt den Kopf und die Augen“. Dafür sprechen verschwommene Sicht, Spannungsgefühl im Augenbereich, eventuell Schwindel, Klumpen- und / oder Druckgefühl im Bereich von Brust- und Oberbauch und Verschleimung. Die Zunge weist einen dick-klebrigen Belag auf. Der Puls zeigt sich variierend, zum Beispiel saitenförmig oder schlüpfrig oder zart und erschöpft. Als Arzneimittelrezeptur bietet sich zum Beispiel Ban Xia Bai Zhu Tian Ma Tang an (Dekokt aus Pinellia, Atractylodis macrocephalae und Gastrodia, siehe Modifikation [3]). Empfohlene Nahrungsmittel sind zum Beispiel Reis, Mais, Sojabohnensprossen, Rettich und grüner Tee. Bei der Akupunktur eignen sich die lokalen Punkte der Augen sowie Fernpunkte wie Lu 9, Ma 40, Mi 6, Dü 4 und Gb 42.

Weitere Syndrome sind Yin-Schwäche der Funktionskreise Leber und Niere und Innerer Wind durch Glut (gestautes Leber-Qi wandelt sich zu Glut und beeinträchtigt die „klaren Körperöffnungen“).


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Makuladegeneration: Sehschwäche durch Yin-Schwäche

Die Makuladegeneration schließt eine Reihe von Netzhauterkrankungen ein. Der zelluläre Funktionsverlust führt hierbei zu teilweise hochgradiger Sehbehinderung bis hin zur Blindheit. Am häufigsten tritt die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) auf, in 80 % der Fälle als trockene, langsam voranschreitende Form. Hier sind vorbeugende Maßnahmen wichtig wie der Verzicht auf Nikotin und Alkohol. Die trockene Variante kann in die feuchte übergehen, die einen deutlich aggressiveren Verlauf nimmt. Beide Formen sollten parallel immer auch schulmedizinisch begleitet werden. Man unterscheidet bei der Makuladegeneration vor allem zwei chinesische Syndrome.

Yin- und Jing-Schwäche der Funktionskreise Leber und Niere

Eine Yin- und Jing-Schwäche der Funktionskreise Leber und Niere zeigt sich durch eine Minderung des Visus, eventuell Metamorphopsie (verzerrte Wahrnehmung der Umgebung, Objekte werden zum Beispiel kleiner oder weiter entfernt wahrgenommen), trockene Augen, eventuell Benommenheit, Ohrensausen, Schwäche und Ziehen in Hüften und Knien. Die Zunge ist rot mit wenig Belag, der Puls zart und schwach. Therapeutisch steht das Befeuchten und Nähren des Yin der Funktionskreise Leber und Niere sowie das Bewegen des Xue im Vordergrund. Als Therapiebeispiel sei der Einsatz der Arzneimittelrezeptur Ming Mu Di Huang Wan (Rehmannia-Pille zur Klärung der Sicht [3]) genannt sowie die Empfehlung von Weizen, schwarzen Sojabohnen, Sesam, Spinat, Tomate, Weintrauben, Leber und Tintenfisch in der Ernährung. Für die Akupunktur lassen sich Lokalpunkte der Augen gut mit Fernpunkten wie Mi 6, Bl 18, Bl 23, Bl 67, Ni 7 oder Le 3 kombinieren.


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Emporschlagende Glut aufgrund energetischer Schwäche des Yin

Für emporschlagende Glut aufgrund einer Yin-Schwäche sprechen Visusminderung, Metamorphopsie, rasch progredienter Verlauf, relativ ausgedehnte Blutungen im Bereich des hinteren Pols (Hinweis auf feuchte Makuladegeneration), eventuell Hitzegefühl an den Fußsohlen, Handflächen und im Brustbereich, trockener Mund, trockene Kehle, Nachtschweiß und subfebrile Temperaturen. Die Therapie besteht im Befeuchten und Nähren des Yin und der Säfte sowie dem Absenken der Glut. Hier bietet sich Liu Wei Di Huang Wan (Rehmannia-Pille mit sechs Geschmäckern beziehungsweise eine Modifikation hiervon an [3], außerdem die Maßnahmen der Ernährung und Akupunktur bei Yin- und Jing-Schwäche der Funktionskreise Leber und Niere.

Weitere Syndrome bei Makuladegeneration sind eine Schwäche von Milz-Qi und Yang sowie des Funktionskreises Niere.


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Gesunderhaltende Tuina-Selbstmassagen und Qigong

In China beginnt man mit gesunderhaltenden Übungen schon in der Schule und setzt sie bis ins hohe Alter fort. Es handelt sich um „Lebenspflege“, Yang Sheng.

Zur Vorbeugung von Fehlsichtigkeit bei Schülern sitzen diese auf ihren Plätzen und bewegen nach rhythmischer Musik ihre Hände. Danach beginnen sie mit der Selbstmassage augennaher Akupunkturpunkte [3], jeweils 72-mal:

  • Bl 2 (Zan Zhu, zusammengelegter Bambus): beidseitig mit seitlich aufgelegten Daumen kneten

  • Bl 1 (Jing Ming, Helles des Auges): mit Daumen und Zeigefinger einer Hand die Nasenwurzel von beiden Seiten zusammenpressen und nach vorne wegziehen

  • Ma 2 (Si Bai, Vier Weiße): beidseitig mit dem Mittelfinger kneten

  • M-HN-9 (Tai Yang, Helles Yang): Daumen beidseitig auflegen, restliche Finger anwinkeln, mit dem Zeigefingermittelglied abwechselnd über und unter dem Auge die Augenhöhle entlang von innen nach außen schieben

Die Selbstmassage erhöht die Blutzirkulation und vertreibt die Müdigkeit. Sie wird in der Regel zehn Minuten lang durchgeführt. Im Anschluss werden die Augen für fünf Minuten geschlossen. Dann, möglichst von einer erhöhten Position aus, in die Ferne auf eine grüne Landschaft, Bäume, Büsche oder Gräser blicken. Die Eigenmassage soll nicht nur vor Myopie und Ermüdung schützen, sondern auch anderen Augenerkrankungen vorbeugen. Als weitere lokale Punkte eignen sich präventiv zur Selbstmassage:

  • Ma 1 (Cheng Qi, Tränensammler): bei allen Arten von Sehstörungen und Augenerkrankungen wie Bindehautentzündungen, Kurz- und Weitsichtigkeit, Altersstar; die Sicht klärend, die Benetzung der Augen regulierend

  • San Jiao 23 (Si Zhu Kong, Seidenbambusloch): unterstützt die Augen

  • Gb 1 (Tong Zi Lao, Pupillenknochenloch): bei Augenerkrankungen aller Art, insbesondere Schleier vor den Augen, Nachtblindheit, Kurzsichtigkeit, Juckreiz im Bereich des inneren Augenwinkels, Kopfschmerzen

  • Gb 14 (Yang Bai, Yang-Weiß [5]): bei Augenbrennen, Krämpfen im Bereich der Augenmuskulatur, Verminderung des Sehvermögens; Wind zerstreuend, Sicht klärend

  • M-HN-6 (Yu Yao, Fischbauch): vorbeugende und unterstützende Behandlung bei Sehstörungen

Auch im Qigong nehmen eine Reihe von Übungen Einfluss auf die Augen, zum Beispiel aus den 8 Brokaten die Übungen „Auf den Adler zielen“, „Mit Verachtung hinter sich schauen“, „Die Fäuste ballen“ und „Mit den Augen funkeln“.


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Erfolgreich in der begleitenden Therapie und Prävention

Viele Augenkrankheiten lassen sich mithilfe der TCM begleitend therapieren, besonders wenn funktionelle Störungen oder Entzündungsprozesse beteiligt sind. Bei organischen Veränderungen wie der Myopie liegt die Domäne der TCM in der Prävention. Hierzu gehört grundsätzlich eine allgemein gesunde Lebensweise mit ausgeglichener Work-Life-Balance, vollwertiger Ernährung, ausreichend Schlaf und möglichst viel Bewegung an der frischen Luft (Lichtfaktor). Darüber hinaus bietet die chinesische Medizin die Möglichkeit spezifischer Massagen zur Belebung der Sehfähigkeit und spezieller Übungen aus dem Qigong, um die Sehkraft zu erhalten und müde Augen zu vertreiben.

Dieser Artikel ist online zu finden:
http://dx.doi.org/10.1055/s-0044-100070


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Dr. rer. nat. Martina Bögel

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Liethberg 6
24576 Bad Bramstedt

E-Mail: martinaboegel@agtcm-therapeut.de
Internet: http://martinaboegel.agtcm-therapeut.de


Martina Bögel studierte Biologie mit abschließender Promotion in Hamburg und war von 1991–2015 in der medizinischen Forschung tätig. Seit 2012 arbeitet sie als Heilpraktikerin in eigener Praxis und als Qigong-Trainerin. Sie erwarb AGTCM-Diplome in Akupunktur, Tuina und Chinesischer Arzneimittellehre. Martina Bögel leitet einen AGTCM-Qualitätszirkel in Hamburg und engagiert sich in der Qualitätskommission für Aus- und Weiterbildung (QAW) der AGTCM e. V. Außerdem ist sie als TCM-Referentin auf Patientenforen aktiv.

No conflict of interest has been declared by the author(s).

  • Verwendete Literatur

  • 1 Zhong K. Akupunkturbehandlung bei der juvenilen Myopie. Chin. Med 1992; 3: 72-78
  • 2 Wei Ml, Liu P, Li N, Liu M. Acupuncture for slowing the progression of myopia in children and adolescents. Cochrane Database Syst Rev 2011; 9: CD007842
  • 3 Fatrai A, Uhrig S. Chinesische Medizin in der Augenheilkunde. Wiesbaden: Tipani; 2012
  • 4 Focks C. Leitfaden Chinesische Medizin. München: Urban & Fischer; 2010
  • 5 Deadman P, Al-Khafaji M, Baker K. Großes Handbuch der Akupunktur. Bad Kötzting: Systemische Medizin; 2002

  • Verwendete Literatur

  • 1 Zhong K. Akupunkturbehandlung bei der juvenilen Myopie. Chin. Med 1992; 3: 72-78
  • 2 Wei Ml, Liu P, Li N, Liu M. Acupuncture for slowing the progression of myopia in children and adolescents. Cochrane Database Syst Rev 2011; 9: CD007842
  • 3 Fatrai A, Uhrig S. Chinesische Medizin in der Augenheilkunde. Wiesbaden: Tipani; 2012
  • 4 Focks C. Leitfaden Chinesische Medizin. München: Urban & Fischer; 2010
  • 5 Deadman P, Al-Khafaji M, Baker K. Großes Handbuch der Akupunktur. Bad Kötzting: Systemische Medizin; 2002

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Abb. 1 Eine Pflanze aus der Gattung der Froschlöffel. Froschlöffelwurzel gelten in der TCM als Feuchtigkeit ausscheidendes und umwandelndes Arzneimittel. Foto: © AdobeStock / talpik
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Abb. 2 Akupunkturpunkte der Magen-Leitbahn: Ma 1, auch Tränensammler genannt, spielt sowohl in der Begleitbehandlung als auch in der Prävention von Augenerkrankungen eine Rolle. Er befindet sich am Orbitarand auf einer senkrechten Linie durch die Pupillenmitte beim Blick geradeheraus. Cave: Den Punkt Ma 1 sollten nur Therapeuten anwenden, die eine klinische Supervision erhalten haben. Alternativ kann auch ein Akupressur-Pflaster verwendet werden. Quelle: Hecker HU et al. Praxis-Lehrbuch Akupunktur. 2. überarb. und erweit. Aufl. Stuttgart: Haug; 2016. Foto: © Ullrich + Company