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DOI: 10.1055/s-0043-1762659
Verdrängung der Fachexpertise aus der Eingliederungshilfe Umgang mit dem BTHG aus Sicht der Sozialpsychiatrischen Dienste NRW und Hessen
Die Veränderungen, die die Umsetzung des BTHG mit sich gebracht hat und weiterhin mit sich bringt, sind auch für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) in Nordrhein-Westfahlen und Hessen spürbar. Für die Gruppe der Menschen mit psychischen Störungen erfolgte diese Planung zumeist mit Beteiligung des Sozialpsychiatrischen Dienstes (SpDi) oder unter dessen Federführung. Die Expertise des SpDi war im Rahmen der Hilfeplanung, den Hilfeplankonferenzen, ein fester Bestandteil. Es konnten so individuelle Hilfeplanungen erfolgen, das Bedarfserhebungs-Instrument war der IBRP. Die Betroffenen und meist alle an einer eventuellen Leistungserbringung beteiligten Personen waren anwesend und konnten ihre Expertise aus den einzelnen Bereichen beisteuern.
In NRW wurden „Empfehlungen der Hilfeplankonferenz an den Kostenträger“ aufgrund von IBRP und dem darin beschriebenen Behinderungsbild abgegeben, dies bildete auch Grundlage für das Vorliegen einer seelischen Behinderung. Über die Zeit kam es in Teilen NRW’s dazu, dass nur noch „besondere Fälle“ in den Hilfeplankonferenzen besprochen wurden, nämlich die, die eines besonderen Beratungsbedarfes bedurften. Mit der Einführung des BTHG bauten beide überörtlichen Sozialhilfeträger eigene Fachdienste für Hilfeplanung und zur Feststellung der wesentlichen Behinderung auf. Mit dem 1.1.2020 fanden keine HPKs mehr statt, die Gebietskörperschaften erfahren auf keinem Wege mehr etwas über das Geschehen in der EGH, außer durch Berichte der Leistungserbringer in PSAG oder GPV.
In Hessen erfolgten die Hilfeplanung ebenfalls im Rahmen der Hilfeplankonferenzen, an denen der überörtliche Sozialhilfeträger, der Landeswohlfahrtsverband Hessen (LWV Hessen) selbstverständlich beteiligt war. In gemeinsamer Beratung und meist offenem Austausch wurde mit allen Beteiligten auf Basis des IBRP die Hilfe für die Betroffenen geplant. In Hessen wurde im September 2018 das Gesetz zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes vom Landtag angenommen und ein Landesrahmenvertrag geschlossen. Das Bedarfserhebungsinstrument wurde der ITP Hessen, um den eingeschlagenen Weg der integrierten und personenzentrierten Bedarfsermittlung und Teilhabeplanung in der Eingliederungshilfe fortzusetzen. Der ITP wurde durch den „Personenzentrierte integrierte Teilhabeplan“ (PIT) abgelöst wurde. Die Umstellung der einzelnen Kreise und kreisfreien Städte erfolgte in Hessen stufenweise und ist seit 01.01.2022 mit der Stufe 7 abgeschlossen. Nun erfolgt die Hilfeplanung nach dem Lebensabschnittsmodell entweder durch den örtlichen Sozialhilfeträger (Kinder und Jugendliche und ältere Personen, die erstmals einen Antrag auf Leistungen der Eingliederungshilfe stellen) oder den LWV Hessen, der für die Bedarfsermittlung erwachsener Personen zuständig ist.
Die Fachexpertise des Gesundheitsamtes mit den Mitarbeiter*innen des SpDi ist fast gänzlich aus der Hilfeplanung verdrängt worden. Der überörtliche Sozialhilfeträger oder der örtliche Sozialhilfeträger führen die Ermittlung der Bedarfe durch. Die Bedarfsermittlung und Hilfeplanung erwachsener Personen im mittleren Lebensabschnitt erfolgt durch den überörtlichen Sozialhilfeträger durch Hilfeplaner*innen oder Mitarbeiter*innen des sogenannten Fachdienstes, wenn erstmalig ein Antrag auf Eingliederungshilfe gestellt wird.
Dieses Vorgehen hat, neben dem Phänomen der Verdrängung der fachlichen Expertise des ÖGD aus dieser Hilfeplanung, auch den Nachteil, dass es möglich ist, dass Personen mit besonderen Hilfebedarfen erst spät(er) mit dem SpDi in Kontakt kommen bzw. dass der SpDi an dem Prozess der Hilfeplanung und Hilfegestaltung nicht mehr unmittelbar einbezogen ist und mitwirken kann. Der Weg der Hilfegestaltung bleibt für den ÖGD ungewiss, was auch die Koordination von Hilfen vor Ort, welche durch die Psychiatriekoordination erfolgen soll, schwieriger werden lässt.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
08. März 2023
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Georg Thieme Verlag
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