Aktuelle Neurologie 2018; 45(03): 167-177
DOI: 10.1055/s-0043-125352
Leitlinie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Myotone Dystrophien, nicht dystrophe Myotonien und periodische Paralysen[*]

Guideline Myotonic Dystrophies, Non-Dystrophic Myotonias and Periodic Paralyses
Christiane Schneider-Gold
1   Neurologische Klinik St.-Josef-Hospital, Ruhr-Universität Bochum
,
Frank Weber
6   Leiter Fachabteilung I Forschung/Wissenschaft/Erprobung, Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe, Fürstenfeldbruck
,
Benedikt Schoser
3   Friedrich-Baur-Institut, Neurologische Klinik, Klinikum der Universität München
,
Gisa Ellrichmann
1   Neurologische Klinik St.-Josef-Hospital, Ruhr-Universität Bochum
,
Stefan Quasthoff
4   Neurologische Klinik der Universität Graz, Österreich
,
Frank Lehmann-Horn
2   Institut für Angewandte Physiologie der Universität Ulm
,
Michael Sinnreich
5   Neuromuskuläres Zentrum, Neurologische Klinik und Poliklinik, Universitätsspital Basel, Schweiz
› Institutsangaben
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
23. Februar 2018 (online)

Preview

Zusammenfassung

In der Behandlung der myotonen Dystrophien, nicht dystrophen Myotonien und periodischen Paralysen haben sich in den letzten Jahren einige neue Aspekte ergeben, die in der aktualisierten Leitlinie zu myotonen Dystrophien, nicht dystrophen Myotonien und periodischen Paralysen zusammenfassend dargestellt sind.

Nach wie vor besteht eine europaweit nur sehr eingeschränkte Verfügbarkeit von Mexiletin, welches in Deutschland nur noch über die Auslandsapotheke aus z. B. Japan, den USA oder Kanada in einer Dosierung von 100 mg oder 200 mg bezogen werden kann, wenngleich die Wirksamkeit von Mexiletin bei myotoner Dystrophie Typ 1 in einer amerikanischen Studie erneut bestätigt wurde (Logigian et al., 2010).

In einer rezenten Studie konnte gezeigt werden, dass der Carboanhydrasehemmer Dichlorphenamid sowohl bei hypokaliämischer als auch bei hyperkaliämischer periodischer Paralyse die Attackenfrequenz senkt, allerdings war der Unterschied bei der hyperkaliämischen Lähmung nicht signifikant (Sansone et al., 2016). Bei dieser Studie handelt es sich um die Kombination zweier randomisierter Untersuchungen über 9 Wochen, kombiniert mit einer einjährigen Extensionsphase, bei der alle Teilnehmer Dichlorphenamid erhielten. Die Studie wurde gegen Placebo durchgeführt; der ursprünglich geplante Vergleich mit Acetazolamid wurde abgebrochen, weil die an der Studie teilnehmenden Patienten Dichlorphenamid aufgrund subjektiv besserer Wirksamkeit vorzogen und deshalb keine Gruppe für einen Vergleich Dichlorphenamid/Acetazolamid gebildet werden konnte. Die Hauptnebenwirkungen waren Parästhesien, Nierensteinbildung und eine Verlangsamung des Denkens. Die Studie erlaubte keine Rückschlüsse auf die Beziehung zwischen Wirksamkeit und Genotyp; die häufigste Mutation war T704 M (Nav1.4) bei der hyperkaliämischen Lähmung und R528H (Cav1.1) und R1239H (Cav1.1) bei der hypokaliämischen Lähmung. Ein Patient in der hypokaliämischen Gruppe mit der Mutation pR222 W (Nav1.4) verschlechterte sich. Dichlorphenamid ist inzwischen als Keveyis in den USA im Handel. In der Europäischen Union ist Dichlorphenamid (noch) nicht zugelassen; es hat aber den Status einer „orphan drug“ und ist somit verordnungsfähig.

In einer doppelblinden randomisierten placebokontrollierten Studie mit 22 Patienten mit nicht dystrophen Myotonien konnte gezeigt werden, dass Lamotrigin in einer Dosierung von 300 mg/d die myotone Symptomatik signifikant gegenüber dem Ausgangsbefund verbesserte (Anderson G et al., 2017).

Eine offene Behandlungsstudie mit Ranolazin, einem Piperazinderivat, in einer Dosierung von 2 × 500 mg bei 13 Patienten mit Chloridkanalmyotonie ergab eine signifikant reduzierte EMG-Myotonie, eine nach Patientenangaben signifikant reduzierte Muskelsteifigkeit und geringer auch reduzierte Muskelschwäche und eine reduzierte Myotonie in den klinischen Tests (Arnold WD et al., 2017).

Abstract

In the last years several new therapeutic options and strategies in the treatment of myotonias, myotonic dystrophies and periodic paralyses have been published. All relevant novel aspects in the treatment of muscle ion channel diseases are summarized in the respective guideline of the German Society of Neurology which has been updated very recently. The most important points are:

Mexiletine is no more available in Germany, but it is still possible to get retarded 100 mg or 200 preparations from Japan, the U.S. or Canada. The positive effects of mexiletine in the treatment of myotonic symptoms even in myotonic dystrophy type I have convincingly been shown in a double-blind placebo controlled study (Logigian et al., 2010).

In a very recent study dichlorphenamide, a carboanhydrase inhibitor, was shown to be effective in hypo- and hyperkalemic periodic paralyses leading to significant reduction of the frequency of attacks (Sansone et al., 2016). In this study two randomized placebo-controlled studies over a time period of 9 weeks followed by a one year extension phase with application of dichlorphenamide in all patients were combined. The comparative actazolamide arm of the study had to be closed because most patients preferred dichlorphenamide for less subjective side effects. The main side effects reported under dichlorphenamide were paraesthesias, reduced velocity of thinking, and development of renal stones. The study did not allow for retrieving conclusions regarding the relation of efficacy and genotype. The most frequent mutations were T704 M (Nav1.4) in hyperkalemic periodic paralysis and R528H (Cav1.1) and R1239H (Cav1.1) in hypokalemic paralysis. One patient with hypokalemic periodic paralysis and a pR222 W (Nav1.4) mutation showed deterioration of his symptoms while taking dichlorphenamide.

Dichlorphenamide is now available in the US, in Europe it has not been finally approved so far; but the classification as „orphan drug“ allows for prescription.

Another recent double-blind placebo controlled study showed significant improvement of myotonic symptoms as compared to baseline in 22 patients with nondystrophic myotonia treated with either lamotrigine 300 mg daily (Anderson G et al., 2017).

In a recently published open observational study ranolazine, 2 × 500 mg was shown to significantly reduce clinical and EMG myotonia and to improve muscle weakness in 13 patients with chloride channel (Arnold WD et al., 2017). 

* Den Leitlinientext zusammen mit der Interessenkonflikterklärung finden Sie auch auf www.dgn.org sowie www.awmf.de.