physiopraxis 2018; 16(05): 4-5
DOI: 10.1055/s-0043-124922
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Publication Date:
18 May 2018 (online)

Brandbrief – Physiotherapeuten am Limit – „Die Resonanz zeigt: Ich bin alles andere als allein“

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Abb.: privat

Heiko Schneider führt seit 2010 eine Praxis in Frankfurt am Main mit zeitweise sieben Angestellten. Fachkräftemangel und die schlechte Vergütung durch die Krankenkassen hinterließen Spuren. Inzwischen beschäftigt er nur noch eine Rezeptionskraft. In seinem Brandbrief geht er auf die prekäre Situation von Physiotherapiepraxen in Deutschland ein und liefert Fakten dazu: bit.ly/Brandbrief_Schneider.

Auf Facebook war der Zuspruch auf den Brandbrief enorm. Eine Physiotherapeutin meint:

„Der Herr trifft den Nagel auf den Kopf!!!“

Herr Schneider, was hat dazu geführt, dass Ihre Praxis von einer Schließung bedroht ist?

In erster Linie der Fachkräftemangel. Ich konnte keine Kollegen mehr finden und musste die Praxis „gesundschrumpfen“. Je kleiner die Praxis, umso mehr Arbeitsleistung muss ich selbst erbringen. Ich kenne Arbeit unter zehn Stunden pro Tag eigentlich gar nicht. Und natürlich die ständig steigenden Preise. Die Miete ist in Frankfurt exorbitant hoch.

Das heißt, Ihr Terminkalender ist gefüllt, doch Sie können über die Vergütung der GKV-Leistungen nicht Ihre Kosten decken?

Mein Terminkalender ist seit acht Jahren gefüllt. In dieser Zeit war ich nur dreimal im Urlaub.

Wird die von den Verbänden ausgehandelte Erhöhung von bis zu 30 Prozent in drei Jahren ausreichen, um Ihre Situation zu verbessern?

Nein. Es gibt eine Ifo-Studie, die vor längerer Zeit bewiesen hat, dass sich die Löhne niedergelassener Therapeuten zu den in den Klinik Arbeitenden um 50 Prozent unterscheiden. 30 Prozent werden uns nicht retten. Erst eine Erhöhung von 50 Prozent würde es uns erlauben, wieder Rücklagen bilden zu können. Die Kassen tun das seit Jahren ohne Rechtsgrundlage und gönnen uns Therapeuten nicht einmal die Butter auf dem Brot.

Der Brandbrief ging an Bundesbehörden, GKV, Politik und Presse. Welche Resonanz haben Sie darauf erfahren?

Von Politikern habe ich bisher leider nur vereinzelt Resonanz erhalten. Der Sozialverband VdK hat sich sehr schnell bei mir gemeldet und will den Brandbrief nun auf Bundesebene diskutieren. Auch der GKV-Spitzenverband hat sich gemeldet, wobei ich hier nicht ganz sicher bin, ob die GKV den Brief richtig verstanden hat. Der HR greift in der Sendung „defacto“ voraussichtlich am 7. Mai das Thema auf und interviewt mich hierzu; er will zeigen, dass tragende Säulen des Gesundheitswesens an die Wand gefahren werden. Es haben sich sehr viele Physio- und Ergotherapeuten gemeldet. Was mir Kollegen da schreiben, ist unfassbar und zeigt die prekäre Situation von uns allen, dass Praxisinhaber zum Teil weniger verdienen als manch Angestellter. Etliche haben bereits ihre Praxen schließen müssen. Die Resonanz zeigt: Ich bin alles andere als allein.

Wie geht es bei Ihnen weiter?

Meinen Brandbrief sehe ich als Auftakt. Ich bin nicht der Typ, der aufgibt. Die über hundert Briefe der Kollegen haben mich so berührt, dass ich diese nun persönlich nach Berlin bringen möchte. Aus eigener Kraft kann ich mir im Moment kein Bahnticket leisten, aber ich habe gesunde Füße und Beine und werde mit dem Rad dorthin fahren. In bestimmten Städten mache ich Zwischenstopps, um mit Kollegen zu sprechen. Für die Aktion ist eine Facebook-Seite eingerichtet: „Therapeuten am Limit“. Ich freue mich über Unterstützung in jeglicher Weise, in Form von Briefen an therapeuten-am-limit@gmx.de oder Spenden. Ich werde voraussichtlich im Juni starten und etwa eine Woche unterwegs sein. Wer mich auf einzelnen Etappen begleiten möchte, kann das gerne tun. Die letzte wird von Potsdam nach Berlin führen.

Das Gespräch führte Elke Oldenburg.