Fortschr Neurol Psychiatr 2018; 86(01): 18-19
DOI: 10.1055/s-0043-124006
Editorial
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Fahreignung bei neurologischen Erkrankungen

Driving ability with neurological diseases
Claus-W. Wallesch
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Publication Date:
17 January 2018 (online)

Die Beurteilung der Fahreignung ist bei neurologischen, aber auch z. B. internistischen Erkrankungen ein wichtiges Thema. Jeder in der Patientenversorgung tätige Arzt sollte die für sein Fachgebiet einschlägigen „Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung“ [1] kennen, da er Patienten ggf. über ihre fehlende Fahrtauglichkeit aufklären muss und dies für eventuelle Schadensfälle zur eigenen Entlastung auch dokumentieren sollte. Im Bereich der Inneren Medizin finden sich detaillierte Angaben z. B. zu Herzerkrankungen und Diabetes mellitus. Am häufigsten sind Neurologen und Nervenärzte mit dem Problem der Fahrtauglichkeit bei Anfallsleiden konfrontiert. Die entsprechende Leitlinie wurde zuletzt 2009 revidiert und wurde von Bauer und Neumann [2] dargestellt und kommentiert. Auf sie wird in diesem Heft nicht eingegangen.

Das vorliegende Schwerpunktheft der Fortschritte befasst sich mit neurologischen Erkrankungen und Defiziten, bei denen die Beurteilung der Fahrtauglichkeit weniger geläufig ist als bei Epilepsien. Darunter ist die Beurteilung der Fahrtauglichkeit nach Schlaganfall neurologischer Alltag. Marx [3] stellt dar, dass fahrtauglichkeitsrelevante Funktionen ggf. durch Kompensationsleistungen wieder intakt sein müssen und geht detailliert auf das oft nur kursorisch bedachte Thema des Wiederholungsrisikos nach Schlaganfall ein.

Ebenfalls schlaganfallrelevant ist die neuroophthalmologische Fahreignungsdiagnostik, deren Inhalte Neurologen weniger geläufig sein dürften, weil sie eine augenärztliche Stellungnahme einholen bzw. empfehlen können. Rohrschneider [4] stellt die Prinzipien dar. Eine wichtige Botschaft ist, dass auch Patienten mit unvollständigen homonymen Hemianopsien sowie mit Doppelbildern bei bestimmten Befundkonstellationen Fahrzeuge der Gruppe 1 führen dürfen.

Dass Personen, bei denen eine Demenz nach ICD- oder DSM-Kriterien festgestellt wurde, nicht fahren dürfen, liegt auf der Hand, auch wenn die Begutachtungsleitlinien [1] nur bei einer „ausgeprägten“ Demenz von Fahruntauglichkeit ausgehen. In den Begutachtungsleitlinien findet sich auch der bemerkenswerte Satz zu organischen Psychosyndromen: „Schwere Ausprägungsgrade nannte man bisher Demenz, heute werden alle hirnorganischen Psychosyndrome so genannt“ (S. 74). Dieses Kapitel der Begutachtungsleitlinien bedarf angesichts der Bedeutung des Themas dringend einer Überarbeitung. Schmidtke [5] zeigt auf, wie eine solche strukturiert sein und welche Kriterien Anwendung finden könnten.

Ebenfalls schwierig ist das Thema der Fahreignung bei M.Parkinson (und anderen Systemdegenerationen mit Parkinsonsymptomatik). Motorische Beeinträchtigung, Sehstörungen, kognitive Veränderungen, Wesensänderung und medikamentöse Einflüsse erfordern eine individuelle Beurteilung der Fahreignung, die in der Verantwortung des behandelnden Neurologen oder Nervenarztes liegt. Hier sind die Begutachtungsleitlinien [1] eindeutiger als bei Demenzen: „Die Fähigkeit, Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 sicher zu führen, ist nur bei erfolgreicher Therapie oder in leichteren Fällen der Erkrankungen gegeben. Sie setzt die nervenärztliche/ neurologische und, je nach den Umständen, psychologische Zusatzbegutachtung voraus“ (S. 47). Buhmann et al. [6] gehen detailliert auf die Problematik ein und widmen sich auch der Fahrtauglichkeit unter tiefer Hirnstimulation. Der Neurologe/Nervenarzt steht im Spannungsfeld zwischen einer Einschränkung der Teilhabe und den Auswirkungen der Krankheit und ihrer Behandlung. Konflikte dürften nicht selten sein.

Die Leserinnen und Leser der Fortschritte werden dieses Schwerpunktheft mit Gewinn lesen.