Aktuelle Neurologie 2018; 45(07): 558
DOI: 10.1055/s-0043-123917
Buchbesprechung
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Taschenatlas Neurologie

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Publication Date:
07 September 2018 (online)

Mein Glückwunsch an den Verlag, die beiden neurologischen Autoren und den Grafiker zu diesem rundum gelungenen Buch, das seit seinem ersten Erscheinen 2000 neben der jetzt vorgelegten 4. deutschen Auflage zwischenzeitlich in zahlreiche Fremdsprachen übersetzt wurde, u. a. ins Englische, Russische und Chinesische. Die vierte Auflage wurde im Vergleich zur dritten von 2009 komplett überarbeitet und aktualisiert, was erfreulicherweise aber nicht zu einer Umfangserweiterung des ohnehin für manche Kitteltasche schon zu umfangreichen Buches geführt hat. Reinhard Rohkamm hat als neuen Mit-Autor seinen Nachfolger als Chefarzt der Neurologie am Nordwest-Krankenhaus Sanderbusch in Sande gewinnen können.

Die Qualität der Abbildungen ist auch in didaktischer Hinsicht hervorragend und diese brauchen den Vergleich zu denjenigen von Frank Netter, die vielen Lesern noch von den früher ebenfalls bei Thieme erschienenen Atlanten (ich war seinerzeit Herausgeber der beiden Neurologie-Bände) bekannt sein werden, in keiner Weise zu scheuen. Im Gegenteil, waren letztere doch teilweise schon etwas arg „amerikanisch“ und „angestaubt“!

Inhaltlich sei mir verziehen, dass ich lediglich den Epilepsieteil einer genaueren Prüfung unterzogen habe. Erfreulicherweise berücksichtigt er weitgehend die neue Klassifikation der Anfallsformen und Epilepsien der Internationalen Liga gegen Epilepsie (ILAE) von 2017. Dabei wird der bezüglich der deutschen Termini problematische Punkt der Unterscheidung fokaler Anfälle danach, ob eine Einschränkung des Bewusstseins vorliegt oder nicht (bisher „komplex-fokal“ bzw. „einfach-fokal“) elegant umschifft (Tab. 4.7, S. 260). Mein Vorschlag für das englische „impaired awareness“ bzw. „aware“ lautet „nicht bewusst erlebt“ bzw. „bewusst erlebt“, und die korrekte Referenz für die Tabelle ist Fisher et al. 2017 (und nicht 2014). Bei den myoklonisch-astatischen Anfällen (S. 262) hat die ILAE inzwischen auch das zugehörige Doose-Syndrom akzeptiert, schlägt aber vor, pathophysiologisch korrekter von myoklonisch-atonischen Anfällen zu sprechen. Sowohl das Dravet-Syndrom als auch das Panayiotopoulos-Syndrom könnten bei der nächsten Auflage zumindest kurz erwähnt werden. Dasselbe gilt für Perampanel in Tabelle 6.81 auf S. 487. In Tabelle 6.80 auf S. 486 sollte im unteren Teil eine deutlichere Differenzierung zwischen Reflex-Epilepsien und akuten symptomatischen Anfällen (bislang unter „Epilepsie durch provozierende Faktoren“) erfolgen, und der Begriff der „kryptogenen Epilepsie“ wurde von der ILAE ersatzlos gestrichen.

Diese Hinweise sind konstruktiv-kritisch gemeint und schmälern den Wert des Buches nicht. Ich empfehle es vorbehaltlos nicht nur Neurologen, sondern auch Kolleginnen und Kollegen anderer Disziplinen, weil es das Verständnis komplexer Sachverhalte durch die gelungene Kombination von Text und Bild erheblich erleichtert. Die Ausstattung ist Thieme-Standard, der gegenüber der Vorauflage unveränderte Preis ist angemessen.

Günter Krämer, Zürich