Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2017; 24(06): 265-266
DOI: 10.1055/s-0043-122716
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ausgewählte Meldungen und aktuelle Entwicklungen

Neues aus der Reisemedizin
Unn Klare
1   Behnkenhagen
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Publication Date:
12 December 2017 (online)

Akutes Enzephalitissyndrom durch Tsutugamushifieber

Jedes Jahr leiden Indien und benachbarte Staaten unter Enzephalitisausbrüchen, bei denen Zehntausende erkranken und Hunderte Todesopfer zu beklagen sind. Dabei sind die möglichen Krankheitsursachen mindestens ebenso vielfältig wie die beobachteten Ausbruchsgeschehen: Regional gibt es deutliche Unterschiede bei der Saisonalität, den beobachteten Risikofaktoren und Mortalitätsraten.

Gemein ist diesen Enzephalitiserkrankungen, die unter der Bezeichnung akutes Enzephalitissyndrom (AES) zusammengefasst werden, ein akut einsetzendes Fieber, eine Änderung des mentalen Zustands (z. B. Unfähigkeit zu sprechen, Verwirrtheit, Delirium oder Koma) und/oder Krampfanfälle (Fieberkrämpfe außer Acht lassend). Meist sind Kinder unter 15 Jahren betroffen.

Neuer Höchstwert dieses Jahr

Allein dem indischen Gesundheitsministerium wurden in den Jahren 2010–2016 insgesamt 62 000 AES-Fälle gemeldet, mit einer Mortalitätsrate von knapp 14%. Dieses Jahr scheint hier ein neuer Höchstwert erreicht zu werden. So wurden bis Ende Oktober bereits mehr als 12 000 Erkrankungen gemeldet. Die indischen Bundesstaaten Uttar Pradesh, West Bengalen und Assam sind dabei regelmäßig am stärksten betroffen.

In der Vergangenheit galt das Japanische-Enzephalitis-Virus dabei als bedeutendster Erreger, der vor allem während des Monsuns zu hohen Fallzahlen führte. Und trotz massiven Impfbemühungen ist dieses Virus in einigen Regionen, wie etwa Assam, auch heute noch für 30–40 % der registrierten AES-Fälle verantwortlich. In Uttar Pradesh dagegen lag der Anteil der Japanischen Enzephalitis in den vergangenen Jahren bei nur 4–12 %.


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Verschiedenste Ursachen

Für die übrigen Fälle wurden verschiedenste Ursachen nachgewiesen und vermutet, denen je nach Region, Beobachtungszeitraum (und verantwortlichem Wissenschaftler) eine unterschiedlich große Bedeutung zugeschrieben wird. Als relativ gesichert kann angesehen werden, dass durch kontaminiertes Trinkwasser übertragene Enteroviren für einen beträchtlichen Teil der Infektionen verantwortlich sind; sie können das ganze Jahr hindurch zu Erkrankungen führen. Darüber hinaus werden unter anderem verschiedene Viren, Toxoplasmose, Leptospirose, klassisches Fleckfieber, Pilzinfektionen, Hitzschläge und Vergiftungen durch Pestizide oder pflanzliche Alkaloide aus Litschisamen als saisonal auftretende Ursachen diskutiert.


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Tsutsugamushifieber

Eine relativ neue Vermutung ist, dass das durch Milben übertragene Tsutsugamushifieber für einen Großteil der Enzephalitisfälle verantwortlich sein könnte. So verursachte das Bakterium Orientia tsutsugamushi in den Jahren 2014–2016 jeweils über 60 % der AES-Infektionen des einzigen überregionalen Krankenhauses im Distrikt Gorakhpur (Uttar Pradesh), die Japanische Enzephalitis war dagegen für weniger als 10 % der dortigen Enzephalitisfälle verantwortlich. Dieser Zusammenhang zwischen AES und Tsutsugamushifieber konnte zwar bisher in anderen Regionen noch nicht bestätigt werden, die Wahrscheinlichkeit ist aber groß, dass dies vor allem daran liegt, dass der Krankheit in den vergangenen Jahrzehnten von der medizinischen Forschung nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde – Paris et al. bezeichnen das Tsutsugamushifieber als die vermutlich häufigste unterschätzte, vernachlässigte, schwere, gleichzeitig aber leicht zu behandelnde Erkrankung weltweit.

Anfang bis Mitte des letzten Jahrhunderts verursachte das Tsutsugamushifieber noch recht regelmäßig Erkrankungen in Asien und im pazifischen Raum. Nach dem 2. Weltkrieg verschwand es dann aber fast vollständig und meldete sich erst in den 1990er Jahren mit einzelnen Fällen zurück. Seither steigen die Fallzahlen wieder deutlich an – heutzutage geht man von circa einer Million Fällen und 150 000 Todesopfern pro Jahr aus. Und auch das Endemiegebiet vergrößert sich anscheinend. Traditionell ist das Vorkommen auf ein Dreieck zwischen Nordaustralien, Nordjapan und Afghanistan/Pakistan begrenzt, zuletzt wurden aber auch weiter nördlich in Nepal und sogar von Chiloé (Südamerika) und vom Horn von Afrika Verdachtsfälle gemeldet.


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Schwer abzuschätzen: Fallzahlen und Verbreitung

Genaue Fallzahlen und Verbreitungsgebiete sind schwer abzuschätzen, da die möglichen Symptome sehr divers und die Diagnosemöglichkeiten in den betroffenen Gebieten oft beschränkt sind. Die meisten Infektionen verlaufen vermutlich subklinisch oder mild. Nur die wenigsten entwickeln tatsächlich eine Enzephalitis. Die Symptome bei den schwereren Verläufen ähneln in der Regel eher denen von Denguefieber, Malaria oder Paratyphus, etwa die Hälfte dieser Patienten entwickelt außerdem eine oft schwere Lungenentzündung. Das charakteristischste Merkmal – eine Papel mit schwarzem Schorf an der Bissstelle der Milbe – tritt bei nur weniger als 50 % der Patienten auf und ist oft auch unscheinbar und leicht zu übersehen. So kommt es häufig zu Fehldiagnosen – zumal der oft genutzte serologische Weil-Felix-Test nur eine Sensitivität von etwa 33 % hat und ein Nachweis durch Immunfluoreszenz in den betroffenen Gebieten meist nicht durchzuführen ist.

Sollte sich jedoch bestätigen, dass das Tsutsugamushifieber tatsächlich für einen Großteil der AES-Fälle verantwortlich ist, wäre das für die betroffenen Regionen ein Hoffnungsschimmer: Im Gegensatz zur Japanischen Enzephalitis ist die Behandlung des Fiebers mit Antibiotika (meist Doxycyclin) recht einfach und erfolgversprechend, auch wenn erste Resistenzen aufgetreten sind.


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