intensiv 2018; 26(01): 1
DOI: 10.1055/s-0043-120852
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

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Publication Date:
05 January 2018 (online)

Mehr oder weniger sind wir alle verführbar, den Mitmenschen zu quälen. Auch die sind es, die solches weit von sich weisen. Sie wissen nur nicht, was sie tun.

(Alexander Mitscherlich (1908–1982), deutscher Arzt, Psychoanalytiker und Publizist)

Liebe Leserinnen und Leser,

Gewalt ist ein alltägliches Phänomen, es stößt ab und fasziniert zugleich. Mit Entsetzen nehmen wir die Gräueltaten in Kriegsgebieten wahr, voller Abscheu und Unverständnis sehen wir die Ausbreitung von Terror mitten in unseren westlichen Gesellschaften. Zugleich sitzen wir zu Millionen jeden Sonntag vor dem Bildschirm und lassen uns im „Tatort“ von mehr oder weniger spektakulären Mordfällen unterhalten, eine ganze Sparte von Literatur lebt von der Faszination für das Grausame und Morbide. Mord und Totschlag sind also ständig präsent. Und doch sind Gewaltakte in Pflegebeziehungen etwas, was wir lange Zeit nicht wahrhaben wollten und verdrängt haben. Wir sind schockiert von den Berichten über Patiententötungen in Krankenhäusern und Altenheimen, nehmen mit Abscheu wahr, dass die Gewalt gerade auch in Helferbeziehungen alltäglich zu sein scheint. Dabei beginnt es ja meistens ganz subtil, mit der Verrohung der Sprache, einer distanzierten und kühlen Handlungsweise, dem Nicht-Wahrnehmen der Bedürfnisse des Patienten.

In diesem Schwerpunkt widmen wir uns diesem sensiblen Thema mit zwei Beiträgen. Der erste Beitrag stammt von mir und ist als Einführungs- und Übersichtstext gedacht. Es geht hier zunächst um die Klärung grundlegender Begriffe, um die Formen der Gewalt und des Machtmissbrauchs, aber auch um deren Ursachen und mögliche Präventionsansätze.

Der Text von Prof. Dr. Karl H. Beine thematisiert die extremste Form der Gewalt an Schutzbefohlenen: die Tötung von Patienten. Lange haben wir geglaubt und uns eingeredet, dass diese extreme Ausübung von Gewalt nur ganz vereinzelte Fälle von überforderten und frustrierten Kollegen sind. Doch die Realität sieht wohl etwas anders aus. Prof. Beine schildert einige Tötungsserien weltweit und in Deutschland, der Fall Niels H. spielt dabei eine herausragende Rolle. Im weiteren Text werden Täterprofile und Motive herausgearbeitet und letztendlich wird deutlich, dass „Persönlichkeitseigenschaften und situative Gegebenheiten“ der gemeinsame Nährboden für solche Gewaltexzesse sind. Umso wichtiger ist das Nachdenken über präventive Maßnahmen.

Für eine vertiefte Auseinandersetzung mit Patiententötungen sei auf das in dieser Ausgabe besprochene Buch „Tatort Krankenhaus“ von Beine und Turczynski hingewiesen.

Ich wünsche allen eine zum Nachdenken anregende Lektüre und verbleibe als Ihr

Heiner Friesacher