Fortschr Neurol Psychiatr 2017; 85(08): 446-447
DOI: 10.1055/s-0043-112225
Fokussiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mehr Hirnblutungen unter SSRI als unter trizyklischen Antidepressiva

Contributor(s):
Lars Kellert
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Publication History

Publication Date:
25 August 2017 (online)

Hintergrund

In Industrieländern gehören Antidepressiva zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten überhaupt. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) werden aufgrund Ihrer besseren Verträglichkeit im Vergleich zu den klassischen trizyklischen Antidepressiva gerne bevorzugt eingesetzt. Es ist bekannt, dass SSRI die Rate an Blutungen – v. a. im Gastrointestinaltrakt – erhöhen. Das ist pathophysiologisch plausibel, da SSRI nicht nur im Zentralnervensystem wirken, sondern auch im peripheren Blut. Dort blockieren sie auch die Aufnahme von Serotonin in die Thrombozyten. Dadurch kann es zur Störung der Thrombozytenfunktion mit reduzierter Thrombozytenaggregation und damit zu einer erhöhten Blutungsneigung kommen.


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Methode

Es handelt sich um eine retrospektive Kohortenanalyse aus dem sog. United Kingdom‘ s Clinical Practice Research Datalink (CPRD), wo Daten einer Kohorte von ca. 12 Millionen Patienten aus über 650 Praxen eingegangen sind. Die Parameter enthalten neben demographischen Daten auch Informationen über Krankenhausaufenthalte und Arzneimittelverordnungen. Für die vorliegende Analyse wurden Daten von Patienten ausgewertet, die zwischen den Jahren 1995 und 2014 ein Antidepressivum verordnet bekommen haben. Innerhalb der vorliegenden Analyse erfolgte ein matching von Patienten mit und ohne Antidepressivum in Bezug auf demographische Daten. Hirnblutungen wurden definiert als intrazerebrale (parenchymatöse) Blutungen, Subdural- und Subarachnoidalblutungen.


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Ergebnisse

Von den insgesamt über 1,3 Millionen Patienten mit Einnahme eines Antidepressivums erhielten 773 364 (56,7 %) ein SSRI, 534 587 (39,2 %) ein trizyklisches Antidepressivum und 56 039 (4.1 %) ein anderes Präparat. 63.2 % der Patienten waren Frauen, im Durschnitt ca. 48 Jahre alt. Über einen durchschnittlichen Beobachtungszeitraum von 5,8 Jahren trat bei 3036 Patienten eine Hirnblutung auf. Das entspricht einer Inzidenz von 3,8 auf 10 000 Personenjahren. Das Risiko einer Hirnblutung war unter SSRI im Vergleich zur Einnahme von trizyklischen Antidepressiva erhöht (RR 1,17, 95 % CI 1.02–1.35). Innerhalb der ersten 30 Tage nach Beginn einer Therapie mit SSRI war das Risiko nochmals höher (RR 1,44, 95 % CI 1.04–1.99). In der Kombination von SSRI und einer bestehenden oralen Antikoagulation war das Risiko noch weiter erhöht (RR 1,73 95 % CI 0.89– 3.39). Hingegen steigerte die kombinierte Einnahme eines SSRI und eines Thrombozytenfunktionshemmers steigerte das Blutungsrisiko nicht.


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