physiopraxis 2017; 15(06): 1
DOI: 10.1055/s-0043-107956
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Bauchgefühl

Andrea Pötting

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Publication Date:
23 June 2017 (online)

Manchmal fügt sich eins zum anderen. Man liest, sieht oder hört etwas und kurz darauf gibt es einen Anlass, der damit zu tun hat. Während der Bearbeitung des Artikels „Screening als Verantwortung von Physiotherapeuten“ (S. 30) hatte ich ein solches Erlebnis. Der Beitrag sensibilisierte mich so, dass ich am nächsten Tag einen 38-jährigen Freund zum Arzt schickte.

Er hatte mir humpelnd die Tür geöffnet und war schlecht gelaunt im Zimmer verschwunden. Seine Frau erzählte, das käme vom Fußballspielen, aber er gehe einfach nicht zu seinem Physiotherapeuten – obwohl es schlimmer werde. Nachdem ich ihm drei Fragen zu seinem Schmerz gestellt hatte, hatte ich ein komisches Gefühl im Bauch. Mir kam der Artikel in den Sinn, in dem ein Arzt bei sich selbst fast eine Thrombose übersehen hätte. Und ich erinnerte mich daran, dass mir mein Freund vor einer Ewigkeit von seiner Faktor-5-Leiden-Mutation erzählt hatte. Ein genetisch bedingter Gerinnungsdefekt, der ihm bisher allerdings noch nie Probleme bereitet hatte. Ich drängte ihn, zu einem Arzt zu gehen. Und tatsächlich: Der Hausarzt schickte ihn sofort zum Phlebologen, der eine große Beinvenenthrombose diagnostizierte und die Behandlung einleitete.

In diesem Fall haben die Erzählung aus der Vergangenheit und mein Bauchgefühl mich zum Handeln veranlasst. Die Intuition ist immer ein guter erster Hinweisgeber. Besäße ich allerdings mehr Screeningkompetenzen, hätte ich vorab schon Puls- und Beinumfang gemessen, die Temperatur palpiert, den Wells-Score für Thrombosen eingesetzt und dann mit einem sichereren Gefühl meinen Freund zum Arzt geschickt.

Andrea Pötting

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Abb.: strichfiguren.de/fotolia.com