Vor allem Bauwerke zeugen vom Wirken der Menschheit. In Gebäuden spiegeln sich wandelnde
technische Möglichkeiten, steigende Anforderungen an die Funktion und sich änderndes
ästhetisches Empfinden wider. Dies gilt, vielleicht sogar in besonderer Weise, auch
für (Augen-)Kliniken. Krankenhausbauten sind aber in erster Linie Orte der erhofften
Besserung der Gesundheit oder gar der Heilung. Deshalb verwundert es nicht, dass sie
in der Vergangenheit immer wieder als Motive für Ansichtskarten dienten. Aus einer
Sammlung von 20 Ansichtskarten der ersten beiden Tübinger Universitäts-Augenkliniken
sollen einige Beispiele präsentiert werden. Der Autor geht davon aus, dass die Sammlung
die große Mehrzahl, aber nicht alle der jemals produzierten Ansichtskarten der Tübinger
Augenkliniken umfasst.
Die erste Augenklinik befand sich in der Wilhelmstraße direkt gegenüber dem neuen
Universitätshauptgebäude von 1846 [1], [2], [3], [4]. Das Gebäude wurde primär nicht als Augenklinik errichtet, vielmehr 1872 vom ersten
Tübinger Ordinarius, Albrecht Eduard Nagel (1833 – 1895), erworben und als Klinik
eingerichtet. Im Jahre 1875 wurde diese vom Württembergischen Staat als Universitäts-Augenklinik
mit 28 Betten übernommen. Trotz eines Anbaus 1884/85 blieb die Kapazität stets hinter
dem Notwendigen zurück, die Klinik war deshalb nur bis 1908 in Betrieb. Das Gebäude
ist erhalten und beherbergt heute u. a. die Universitätskasse. Die Ansichtskarte ([Abb. 1]) zeigt die erste Universitäts-Augenklinik zusammen mit den damals existierenden,
anderen Kliniken.
Abb. 1 Erste Universitäts-Augenklinik Tübingen in der Wilhelmstraße (links unten). Da die
Spezialisierung in der Medizin erst 40 – 50 Jahre zuvor begonnen hatte, gab es seinerzeit
in Tübingen nur 6 Fachdisziplinen, die über ein eigenes Gebäude verfügten. Die Augenheilkunde
als ältere Disziplin gehörte dazu. Datierung und Poststempel vom Mai 1903.
Die 2. Tübinger Augenklinik wurde auf einer Anhöhe hinter dem Universitätshauptgebäude
errichtet und am 1. Januar 1909 mit 110 Betten in Betrieb genommen. Maßgeblicher Planer
war Gustav von Schleich (1851 – 1928) [2], [3], [5], [6], [7], der das Ordinariat 1895 von Nagel übernommen hatte und bis 1921 vertrat. Auf allen
Ansichtskarten ist diese heute unter Denkmalschutz stehende Augenklinik mit ihrer
repräsentativen, der Altstadt zugewandten Südseite fotografiert ([Abb. 2], [Abb. 3], [Abb. 4], [Abb. 5], [Abb. 6], [Abb. 7], [Abb. 8], [Abb. 9], [Abb. 10], [11]). Zum Teil erfolgte die Reproduktion wiederum gemeinsam mit anderen Kliniken ([Abb. 2 – 6]), zum Teil wurde die Augenklinik separat fotografiert ([Abb. 7].[Abb. 8], [9], [11]). Ansichtskarten von anderen Gebäudeperspektiven sind nicht bekannt. Auf den Ansichtskarten
ab 1930 ([Abb. 6] und [11]) ist der 1927/28 erbaute, gegenüber dem Hauptgebäude etwas flachere Anbau nach Westen
zu sehen. Ansonsten erfolgten bis zuletzt keine wesentlichen, äußerlich sichtbaren
Baumaßnahmen an der Klinik selbst. Lediglich einige Schornsteine wurden nach 1940
abgetragen. Der zwischen 1909 und 1921 angelegte Treppenaufgang (vgl. [Abb. 7] und [9]) ist bis heute erhalten.
Abb. 2 Wahrscheinlich, weil die neue 2. Augenklinik erst kurz zuvor in Betrieb genommen
worden war, wurde sie im Zentrum dieser Postkarte mit allen Kliniken platziert. Datierung
auf den Juli 1912.
Abb. 3 Tübinger Kliniken mit Augenklinik links unten. Der im Zentrum befindliche Äskulapstab
verdeutlicht, dass die einzelnen Kliniken Teil eines Klinikums sind. Die Zeilen der
Schreiberin wurden auf das Jahr 1920 datiert, jedoch stammt die Postkarte wegen des
Aufdrucks „Königliche Universitäts-Kliniken“ aus der Zeit vor Ende 1918, denn seit
der Abdankung König Wilhelms II. von Württemberg im November 1918 waren die Kliniken
nicht mehr „königlich“.
Abb. 4 Tübinger Kliniken mit neuer Augenklinik oben mittig. Neu hinzugekommen ist die Hautklinik.
Im Zentrum der Postkarte die Neue Aula als Sinnbild für die Universität, wodurch die
Bedeutung der Kliniken als akademische Einrichtungen unterstrichen wird. Die Karte
ist ungelaufen und deshalb ohne Datierung, dürfte aber aus den frühen 20er-Jahren
stammen.
Abb. 5 Tübinger Kliniken, nunmehr auch mit der Kinderklinik, auf kolorierter Postkarte.
Augenklinik erneut oben mittig. Im Zentrum Ansicht von Tübingen mit Neckarbrücke und
Österberg. Die Postkarte stellt damit den Bezug von Kliniken und Stadt her. Briefmarke
und Poststempel von 1930.
Abb. 6 Augenklinik oben Mitte links. Mit der berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik und
der Medizinischen Klinik sind Neubauten hinzugekommen, während alle anderen Kliniken
ihr äußerliches Gesicht noch bewahrt haben. Im Zentrum Ansicht des Tübinger Schlossbergs
mit Neckar, Stiftskirche und Schloss Hohentübingen. Damit unterstreicht auch diese
Postkarte die „Symbiose“ von Kliniken und Stadt. Undatiert, ca. 1965.
Abb. 7 Postkarte mit der neuen, 2. Augenklinik als einzigem Gebäude. Der Schreiber berichtete
von seinem Aufenthalt in der Klinik. Mit dem Kreuz wurde sehr wahrscheinlich das Krankenzimmer
markiert, in dem der Patient lag. Poststempel vom 21. Dezember 1909. Es dürfte sich
daher sehr wahrscheinlich um die erste Postkarte der Klinik, die am 1. Januar des
gleichen Jahres in Betrieb genommen worden war, handeln.
Abb. 8 Weitgehend identische Perspektive wie in [Abb. 7]. Datierung und Poststempel vom August 1917. Da der Erste Weltkrieg zu dieser Zeit
noch tobte und es sich beim Schreiber um einen Angehörigen oder Patienten des in der
Klinik befindlichen Reservelazaretts handelte, wurde die Postkarte als „Feldpost“
verschickt.
Abb. 9 Kolorierte Postkarte mit ähnlicher Ansicht wie in [Abb. 7] und [8]. Poststempel vom 21. Mai 1921.
Abb. 10 Postkarte mit Blick vom Schlossberg auf die Tübinger Altstadt und die Augenklinik
leicht oberhalb des Zentrums. Die Augenklinik ist hier „eher zufällig“ auf dem Bild.
Man erkennt aber gut, dass sie für das Stadtbild prägend ist. Datierung und Poststempel
vom November 1930. Da der Anbau nach Westen noch nicht zu sehen ist, muss die Karte
aber aus der Zeit vor 1928 stammen.
Aus den Postkarten wird der grundsätzliche Wandel im Krankenhausbau ersichtlich. War
es bis in die Weimarer Republik hinein noch üblich, dass jede medizinische Fachdisziplin
ihr eigenes Gebäude hatte, so wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend Großbauten
populär, die verschiedene Fachdisziplinen unter einem Dach vereinten. Die im deutschen
Kaiserreich errichteten „Fach-Kliniken“ zeichneten sich durch eine dezentrale Versorgung,
also z. B. eigene Küche und Wäscherei, sowie, auf den Ansichten gut zu sehen, großzügige
Grünanlagen in der Umgebung aus [3], [5], [6], [7]. Während die Krankenhausbauten der „Jetztzeit“ meist außerhalb des Stadtzentrums
gelegen sind, bestand seinerzeit noch eine räumliche Nähe zur Universität in der Stadtmitte,
die dem „akademischen Selbstverständnis“ sicherlich zuträglich war.
Die Ansichtskarten sind zum Teil vorn, vor allem aber auf der Rückseite beschrieben.
Die Karten, die mehrere Kliniken zeigen, wurden i. d. R. von Patienten anderer Kliniken
oder auch von Besuchern Tübingens genutzt, während die Postkarten, welche die Augenklinik
separat zeigen, zumeist von Augenpatienten oder von Mitarbeitern der Klinik verwendet
wurden.
Die letzte Postkarte von der 2. Augenklinik wurde ca. 1980 vom Verlag „Gebrüder Metz“
in Tübingen produziert und bis 2015 an der Pforte der Klinik verkauft. Sie konnte
aus urheberrechtlichen Gründen nicht publiziert werden. Die Perspektive war nahezu
die gleiche wie die von [Abb. 11].
Abb. 11 Zweite Universitäts-Augenklinik Tübingen, nunmehr mit dem 1927/28 erfolgten Anbau
nach Westen. „Tante Klara“ mit Absender „Univers. Augenklinik Saal F“ führte auf der
Karte aus: „Muss etwa 3 – 4 Wochen hier bleiben. Werde tüchtig in Kur genommen. Man
kann hier allerhand sehen. Ich habe hier noch viele Leidensgenossen“. In der Tat betrug
die stationäre Verweildauer in allen Augenkliniken damals – in der Zeit vor Operationsmikroskop,
brauchbarem Nahtmaterial und wirksamen Pharmaka – sehr oft viele Wochen. Datierung
auf den Februar 1940.
Gustav Schleichs Klinik von 1909 wurde am 20. Oktober 2016 für den Patientenverkehr
geschlossen. Das Gebäude wird nach der Renovierung geisteswissenschaftliche Institute
der Universität beherbergen, im Tübinger Volksmund aber voraussichtlich „die Augenklinik“
bleiben. Ob es der Neubau auf dem Schnarrenberg jemals auf eine Ansichtskarte schaffen
wird, bleibt abzuwarten. Das Internet, die heute nur kurze stationäre Verweildauer
und der Umstand, dass Krankenhausaufenthalte in der Universitätsstadt Tübingen ganz
anders als vor Jahrzehnten heute keine wirklichen, berichtenswerten „Highlights“ im
Leben mehr sind, sorgen dafür, dass auf Ansichtskarten verfasste „freundlichste Grüße
aus der Augenklinik“ im Wesentlichen nur noch nette, historische Reminiszenzen sind.