ergopraxis 2017; 10(07/08): 14-16
DOI: 10.1055/s-0043-106227
Wissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Internationale Studienergebnisse


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Publication Date:
04 July 2017 (online)

 
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Abb.: Picture-Factory/fotolia.com (nachgestellte Situation)

40 %
der Erwachsenen in Deutschland geben an, mindestens eine chronische Erkrankung zu haben.

Gesundheitswesen 2017; 79: 29–35

Für Menschen mit chronischen Erkrankungen – Bewegungsempfehlungen

Menschen mit chronischen Krankheiten profitieren von körperlicher Aktivität: Krankheitssymptomatik, Krankheitsverlauf, körperliche Leistungsfähigkeit, gesundheitsbezogene Lebensqualität und das psychosoziale Wohlbefinden verbessern sich. Um Betroffenen Orientierungspunkte zu bieten, entwickelten Klaus Pfeifer und Wolfgang Geidl vom Lehrstuhl „Bewegung und Gesundheit“ an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg eine generische Bewegungsempfehlung.

Im ersten Schritt ermittelten sie sechs chronische Erkrankungen, die in Deutschland bei Männern und Frauen die höchste Krankheitslast darstellen: chronisch obstruktive Atemwegserkrankungen, klinisch stabile ischämische Herzerkrankungen, Zustand nach Schlaganfall, Typ-2-Diabetes-mellitus, klinische Depressionen und chronischer nichtspezifischer Rückenschmerz. Sie ergänzten die Arthrose von Hüfte und Knie, da die Krankheit eine hohe Lebenszeitprävalenz hat und mit starken Einschränkungen einhergeht.

Mittels systematischer Literaturrecherche fanden die Forscher 37 originäre Bewegungsempfehlungen und 18 Metaanalysen über die Effekte von körperlicher Aktivität bei chronischen Erkrankungen. Die Ergebnisse nutzten sie, um sieben erkrankungsspezifische Empfehlungen zu erstellen. Anschließend ermittelten sie krankheitsübergreifende Gemeinsamkeiten und formulierten eine generische Bewegungsempfehlung. Denn für alle sieben Krankheitsbilder ist körperliches Training effektiv: Betroffene erzielen positive Gesundheitseffekte in Symptomatik, Krankheitsverlauf und körperlicher Leistungsfähigkeit, wenn sie alle motorischen Hauptbeanspruchungsformen (Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und Koordination) ausüben. Am häufigsten wird eine Kombination aus ausdauerorientierten und kräftigenden Aktivitäten empfohlen. Aussagen über Dosis und Umfang sind heterogen und ähneln jenen für gesunde Erwachsene.

Die Forscher empfehlen mindestens 150 Minuten wöchentliches Ausdauertraining und mindestens zweimal wöchentliches Krafttraining. Dabei sollen Betroffene alle großen Muskelgruppen mit 15–20 Wiederholungen und 2–4 Serien trainieren. Allerdings bestehen für Menschen mit chronischen Krankheiten erhöhte Risiken wie ein Herzinfarkt. Um diese zu vermeiden, müssen sie vor Trainingsbeginn eine medizinische Untersuchung durchlaufen. Daraufhin bestimmt der untersuchende Arzt die Belastungsintensität und ob eine Betreuung durch eine Person aus einem der Bewegungsfachberufe erforderlich ist. Diese passt jede Aktivität individualisiert an, damit das körperliche Training risikoarm und effektiv erfolgt.

lk

Gesundheitswesen 2017; 79: S29–S35


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Wirkt sich positiv auf den Rehaprozess aus – Partizipative Entscheidungsfindung

In welchem Maß Ärzte bzw. Therapeuten ihre Patienten in die Zielformulierung einbeziehen, schwankt in der Literatur erheblich. Treffen sie Entscheidungen gemäß Partizipativer Entscheidungsfindung (PEF, englisch: shared decision-making), wirkt sich das positiv auf den Rehaprozess aus. Das ermittelten Forscher um die Physiotherapeutin Alice Rose vom Rehabilitationszentrum in Bristol, England.

In ihrem systematischen Review wollten sie herausfinden, inwiefern Patienten in die Zielformulierung involviert werden und welche Vorteile und Barrieren das PEF hat. Dazu analysierten sie 15 Artikel zu PEF im Zielsetzungsprozess in der Erwachsenenrehabilitation. Die Forscher fanden heraus, dass das Maß, wie stark Patienten involviert werden, sehr variiert. Lediglich in drei Studien hielten sich die Beteiligten an die PEF. In den anderen 12 Studien war die Zielformulierung mehr therapeuten-geleitet: Abhängig vom Wunsch des Patienten partizipierten sie mehr oder weniger.

Jene, die involviert waren, berichteten, dass sie das Gefühl hatten, die Behandlung mehr beeinflussen zu können. Sie konnten besser mit ihrer Situation umgehen und konstruktiv über ihre Zukunft nachdenken. Eine Minderheit berichtete, dass es ihnen schwerfiel, einzuschätzen, welche Ziele erreichbar seien, und den Zielsetzungsprozess nachzuvollziehen. Sie wünschten sich, dass der Therapeut als Experte die Ziele alleine setzt. Die Therapeuten bewerteten das PEF als vorteilhaft. Sie fanden zum Beispiel, dass sich die Patienten mehr engagierten, eine höhere Motivation zeigten und sich zufriedener äußerten. Drei Studien berichteten sogar von größeren Verbesserungen im Barthel-Index und der Functional Independence Measure (FIM). Als negative Punkte nannten die Therapeuten beispielsweise, dass PEF mehr Zeit in Anspruch nehme – Zeit, die für die aktive Rehabilitation fehle. Einige Therapeuten berichteten, dass ihnen Kommunikationsfähigkeiten fehlten, um die Patienten adäquat zu involvieren. Den Einsatz von Entscheidungshilfen wie das Canadian Occupational Performance Measure (COPM) fanden die befragten Patienten hilfreich. Trotzdem überforderte PEF manche Patienten. In diesen Fällen sahen sie sich nicht in der Lage, ihre Rehabilitation mitzugestalten oder ihre Fähigkeiten selbst einzuschätzen.

Die Forscher schlussfolgern, dass die Kommunikationsfähigkeiten von Ärzten und Therapeuten mehr geschult werden müssten, damit sie Patienten besser unterstützen und somit die Partizipative Entscheidungsfindung erfolgreich umsetzen können.

lk

Patient Educ Couns 2017; 100: 65–75


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Ergotherapeuten gefordert! – Elektronische Hilfsmittel

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Abb.: amelaxa/fotolia.com (nachgestellte Situation)

Menschen mit erworbener Hirnschädigung sind oft lebenslang auf Unterstützung angewiesen, zum Beispiel um ADL-Tätigkeiten zu verrichten. Elektronische Hilfsmittel (engl.: Electronic Assistive Technology, EAT) können ihre Partizipation und Autonomie verbessern. Ergotherapeuten sind gefordert, die Hilfsmittel an die Bedürfnisse der Betroffenen anzupassen und sie im Umgang mit diesen zu schulen. Zu diesem Ergebnis gelangen Forscher um die Ergotherapeutin Prof. Louise Farnworth von der Monah University Australia.

Die Forschungsgruppe untersuchte, welche Art von elektronischen Hilfsmitteln Menschen mit Hirnschädigung nutzen, wie zufrieden sie damit sind und inwiefern sie Partizipation und mögliche Barrieren beeinflussen. Dazu rekrutierten sie 22 Personen mit einer erworbenen Hirnschädigung, die in unterstützenden Einrichtungen lebten und elektronische Hilfsmittel nutzten. Mit der „Psychosocial Impact of Assistive Device Scale (PIADS)“ erfragten die Forscher, wie die Hilfsmittel die Betroffenen beispielsweise Richtung Selbstwirksamkeit beeinflussen. Die Zufriedenheit mit den Hilfsmitteln erhoben die Forscher mit der „Quebec User Evaluation of Satisfaction with assistive Technology (QUEST) 2.0“. Die Auswertung zeigte, dass die Teilnehmer 49 technische Geräte nutzten. Primär waren das handelsübliche Handys (13 Teilnehmer) oder Computer (11 Teilnehmer). Im Bereich Partizipation berichteten die Befragten durchweg von Verbesserungen. Beispielsweise nutzten sie elektronische Hilfsmittel, um via Skype am Leben ihrer Familie teilzunehmen. In den iADLs nannten sie Vorteile zum Beispiel beim Online-Shopping. Elektronische Hilfsmittel verliehen ihnen mehr Selbstbewusstsein, Selbstkontrolle und Sicherheit. Die Teilnehmer waren durchweg mit ihren Produkten zufrieden, vor allem mit spezialisierten Produkten wie Kommunikationshilfen. Als Barrieren nannten sie unter anderem zu wenig Unterstützung im Umgang mit elektronischen Hilfsmitteln, einen limitierten Internetzugang und fehlende Adaptionen.

Vereinfacht stellte sich der Gebrauch dar, wenn die Betroffenen bereits vor der Hirnschädigung elektronische Hilfsmittel nutzten.

Die Forscher schlussfolgern, dass elektronische Hilfsmittel die Partizipation von Menschen mit einer Hirnschädigung verbessern. Ergotherapeuten sollten sich mit den Geräten auseinandersetzen, um diese ggf. zu adaptieren und die Betroffenen zu schulen.

lk

Br J Occup Ther 2017; 80; 89–98


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Erworbene Hirnschäden

Weltweit erleiden jedes Jahr über 10 Mio. Menschen eine Hirnverletzung. Ursache ist meist ein Unfall; aber auch Infektionen, Substanzmissbrauch oder Sauerstoffmangel können eine Hirnschädigung bedingen. Hirnschädigungen sind weltweit die Hauptursache für Tod oder Behinderung.

Lancioni G, Singh N, Hrsg. Assistive Technology for People with Diverse Abilities. Berlin: Springer; 2014


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Elektronische Hilfsmittel

Unter elektronische Hilfsmittel fallen alle möglichen Dienste oder Systeme, die es dem Individuum ermöglichen, Aufgaben zu bewerkstellen, die es sonst nicht erfolgreich oder sicher durchführen könnte. Dazu gehören zum Beispiel Handys oder Tablets. Sie bieten unter anderem:

  • Online-Services wie Online-Shopping, -Banking, -Navigation

  • Kompensation und Training kognitiver Defizite, zum Beispiel in Form von Kalendern oder Erinnerungsfunktionen

  • Kommunikation und soziale Verbindungen, zum Beispiel auf Plattformen wie Facebook

  • Reduktion der Abhängigkeit von anderen, Hilfe zu mehr Selbstständigkeit

  • Hilfe im Notfall, zum Beispiel durch Notruffunktion

Br J Occup Ther 2017; 80; 89–98


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