Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2017; 22(06): 269-270
DOI: 10.1055/s-0043-103808
Herausgeberkommentar
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart

Schwerpunkte der künftigen Gesundheitspolitik: Integrierte Versorgung, Finanzierung und Digitalisierung

Key Points of Future Health Poliy: Integrated Care, Financing and Digitization
Volker Ulrich
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Publication Date:
19 December 2017 (online)

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe kann auf eine arbeitsreiche Amtszeit verweisen: 28 Gesetze brachte er in den letzten vier Jahren durchs Kabinett. Damit war Minister Gröhe deutlich produktiver als seine beiden Amtsvorgänger Philipp Rösler und Daniel Bahr. Beide schafften zusammen 19 Gesetze, obwohl zwischen 2009 und 2013 die gesetzlichen Krankenkassen von einem Milliardendefizit bedroht waren. Nun geht es aber nicht nur um die Zahl der Gesetze, sondern vor allem um deren Inhalt und Qualität. Mit der Einführung des prozentualen Zusatzbeitrags, des Innovationsfonds, aber auch den Anstrengungen zur Wiederbelebung der Digitalisierung wurde versucht, Dynamik in die Suche nach Versorgungs- und Prozessverbesserungen zu bringen. Und dennoch: Die Überwindung von Schnittstellen, Sektoren- und Professionsgrenzen sowie die konsequente und kosteneffiziente Ausrichtung des Gesundheitssystems auf die Bedürfnisse der Patienten waren eine Dauerbaustelle der Gesundheitspolitik und werden auch in den nächsten vier Jahren die entscheidenden Herausforderungen bleiben.

Mit Blick auf die Finanzierung stellt die Weiterentwicklung des Morbi-RSA ein großes Thema dar. Wie immer bei Nullsummenspielen gibt es Beharrungstendenzen, da die Krankenkassen, die vom jetzigen Ausgleich profitieren, Änderungen sehr skeptisch sehen oder sogar ablehnen. Um voranzukommen, sollte sich die Reform am eigentlichen Ziel eines Risikostrukturausgleichs in einer solidarischen Krankenversicherung orientieren, nämlich an der Herstellung von Risikoäquivalenz, um einen funktionsfähigen Wettbewerb zwischen den Krankenkassen zu ermöglichen. Grundsätzlich muss sich jeder Reformvorschlag an diesem Ziel messen lassen. Am sinnvollsten scheint daher die Umsetzung eines Reformpaketes, das mehrere Instrumente enthält, um Fehlanreize zu vermeiden und einen Beitrag für faire Wettbewerbsbedingungen zu leisten. Allerdings gibt es auch noch Reformbaustellen außerhalb des eigentlichen Morbi-RSA, welche die Politik aufgreifen sollte: Dazu rechnen die Vereinheitlichung der Aufsicht oder die Begrenzung von Kodieranreizen.

Von Interesse bleibt auch, wie sich das Thema Bürgerversicherung weiterentwickeln wird. Erst am Ende des Wahlkampfes hat dieses Thema etwas Fahrt aufgenommen, allerdings ohne dass neue Erkenntnisse hinzugekommen wären. Gleich versichert heißt eben noch lange nicht gleich gut versichert. Hamburg scheint mit seinem Vorschlag für eine Kofinanzierung der Krankenkassenbeiträge für Beamte ohne Nachahmer zu bleiben. Bereits vor über 10 Jahren scheiterte die damalige rotgrüne Bundesregierung mit dem Versuch, eine staatliche Beteiligung an den Beiträgen GKV-versicherter Beamter einzuführen. Wenn man heute ein Krankenversicherungssystem auf der grünen Wiese neu zu konzipieren hätte, spräche vieles für einen einheitlichen Krankenversicherungsmarkt. Wir haben in Deutschland aber ein sehr gutes, leistungsfähiges und resilientes duales Krankenversicherungssystem, für das eine Weiterentwicklung lohnt. Die Bürgerversicherung löst hierbei keines der drängenden Probleme, die uns in absehbarer Zukunft herausfordern werden (demographischer Wandel, technischer Fortschritt, Umlagesystem).

Seit mindestens 10 bis 15 Jahren treiben Politik, Krankenkassen und Industrie die Digitalisierung des Gesundheitswesens voran. Die Vernetzung der Akteure im Gesundheitswesen ist ein zentraler Schwerpunkt der kommenden Jahre. Dabei geht es nicht nur um neue Technologien, sondern auch um Maßnahmen zur Verbesserung von Prävention und Versorgung. Menschen können unabhängig von ihrem Wohnort mit medizinischen Geräten ausgestattet werden, die täglich zentrale Daten an ein Telemedizinzentrum oder an den behandelnden Haus- oder Facharzt übertragen. Insbesondere das Hochlohnland Deutschland kann aus einer stärkeren Beteiligung an globalen gesundheitsrelevanten Informations- und Kommunikationstechnologien auch wirtschaftlich Vorteile ziehen. Allerdings hinkt Deutschland mit Blick auf Digitalisierungsfragen hinterher, so dass sich das Potenzial der Digitalisierung noch nicht entfalten kann, wie auch die endlosen Diskussionen über die elektronische Gesundheitskarte (eGK) zeigen. Will man die Vorteile der Digitalisierung umsetzten, bedarf es weiterer gemeinsamer Anstrengungen, da Insellösungen keine langfristigen Erfolge versprechen und ohne die nötige Interoperabilität keine größeren Wirkungen zu erwarten sind. In Deutschland hat der Gesetzgeber mit dem E-Health-Gesetz enge zeitliche Vorgaben gemacht und es bleibt spannend, welche Auswirkungen etwa bei Nichteinhaltung der Fristen damit einhergehen.

Prof. Dr. Volker Ulrich