Hintergrund
Über zwei Millionen Menschen mussten sich 2014 in Deutschland intensivmedizinisch
behandeln lassen, davon waren knapp 400.000 beatmet und damit im künstlichen Koma.
[3] Der Grund für die Aufnahme auf einer
Intensivstation steht oft im Zusammenhang mit einer lebensbedrohlichen Situation und
die Patienten haben wegen der Unvorhersehbarkeit nicht die Möglichkeit, sich auf
diese Situation einzustellen. [4]
Zu wenig ist bekannt, welche Faktoren von den Intensivpatienten als Belastung
empfunden werden. [5] Es ist wichtig, das Erleben aus
Patientensicht zu erforschen, da oft erhebliche Diskrepanzen zwischen der Fremd- und
der Selbstwahrnehmung bestehen. [6] Aus Skandinavien
und Großbritannien sind qualitative Forschungsarbeiten zum Thema Erleben des
Intensivaufenthalts bekannt. Wenig wurde dazu in Deutschland veröffentlicht.
Bekannt ist, dass zwischen 31 und 81 % der Intensivpatienten ein Delir entwickeln,
das das Erleben und das Erinnern mitprägen kann. [7–9]
In einer kleinen Studie wurden Symptome von Intensivpatienten während des
Aufenthalts mit Durst, Müdigkeit und Unwohlsein oder Angst benannt. [10] Die meisten Studien erfassen die Erfahrung
allerdings retrospektiv. In qualitativen Interviews berichten Patienten
beispielsweise von Erinnerungslücken, Orientierungsbeeinträchtigungen und Träumen
und von Bemühungen, das Erlebte zu rekonstruieren. [4,]
[11] Die Rekonstruktion der Erlebnisse gelingt ihnen
mithilfe von Erzählungen ihrer Angehörigen. Es scheint wichtig zu sein, wie
Patienten das Erlebte bewerten und wie sie daraus eine Geschichte zusammenstellen,
die für sie einen Sinn ergibt. [12,]
[13] Es zeigt sich, dass nicht die tatsächlich
erinnerten Erlebnisse eine entscheidende Rolle spielen, sondern die persönliche
Bedeutungszumessung der Erfahrungen im Lebenskontext ausschlaggebend ist. [14]
Zeitgefühl und Wahrnehmung sind während der Zeit der kritischen Krankheit verändert
und führen dazu, dass Patienten schwer zwischen tatsächlich Erlebtem und
Halluzinationen unterscheiden können. [12]
Abhängig zu sein und nicht kommunizieren zu können führt bei beatmeten Patienten zu
Gefühlen von Sorge, Angst und Alleinsein. [15,]
[16] Kommunikationsschwierigkeiten während der Zeit
der Beatmung werden als große Belastung empfunden. Patienten, die nicht erfolgreich
kommunizieren können, fühlen sich eher hilflos und sind unzufrieden mit ihrer
Versorgung. Sie empfinden Kommunikationsschwierigkeiten als schrecklich und
angsteinflößend. [17]
Immer wieder wird die tragende Rolle der Angehörigen herausgestellt, die während des
Intensivaufenthalts und danach als begleitende Unterstützung eine Ressource sind für
den Lebenswillen, die Reorientierung und die Verarbeitung des Krankheitserlebens.
[14,]
[15,]
[18,]
[19]
Ergebnisse
Stichprobe
Im Befragungszeitraum befanden sich 233 Patienten auf der Station, die mehr als
vier Tage beatmet waren. Deren Durchschnittsalter betrug 61 Jahre. Von diesen
waren viele bei Verlegung nicht aufklärungsfähig, manche waren moribund oder
wurden zu weit weg verlegt und kamen deshalb für ein Interview nicht in Frage.
So verblieb eine Gelegenheitsstichprobe von acht Patienten, mit denen ein
Interview geführt werden konnte. Das Durchschnittsalter der Stichprobe betrug
44,6 Jahre (23–77 Jahre). Die durchschnittliche Verweildauer auf der
Intensivstation betrug 14,7 Tage (7–30 Tage), die durchschnittliche
Beatmungsdauer 7,7 Tage (3,9–11,6 Tage). Die Aufnahmegründe waren bei allen
ungeplanter Natur: Drei Patienten wurden wegen pneumogener Sepsis aufgenommen,
drei mit einer Grunderkrankung und Pneumonie und zwei wegen Reanimation bei
Kammerflimmern ([
Tab. 1
]).
Tab. 1
Patientenmerkmale.
Patient Nr.
|
m/w
|
Alter
|
Familien-stand
|
Diagnose
|
Dauer Aufenthalt in Tagen
|
Dauer Beatmung in Tagen/Stunden
|
Abkürzungen
Verh Verheiratet
ECMO
Extrakorporale Membran-Oxygenation
KHK
Koronare Herzkrankheit
ARDS Acute Respiratory
Distress Syndrome
PJP Pneumocystis jirovecii
Pneumonie
CML Chronisch Myeloische
Leukämie
ECLS Extracorporeal Life
Support
|
B1
|
m
|
53
|
Ledig
|
Pneumogene Sepsis, ECMO
|
12
|
7/20
|
B2
|
m
|
77
|
Verh
|
Reanimation bei Kammerflimmern/KHK
|
7
|
5/21
|
B3
|
w
|
51
|
Ledig
|
Pneumogene Sepsis, ARDS
|
12
|
11/15
|
B4
|
m
|
36
|
Ledig
|
Pneumonie, Endokarditis bei iv-Drogen-Abusus
|
21
|
10/23
|
B5
|
w
|
52
|
Verh
|
PJP, ARDS, metastasiertes Mamma-Carcinom
|
12
|
10/18
|
B6
|
w
|
41
|
Verh
|
Respiratorische Insuffizienz bei Blastenkrise und Erstdiagnose
CML
|
10
|
3/21
|
B7
|
m
|
24
|
Ledig
|
Legionellen-Pneumonie, ARDS, ECMO
|
30
|
5/21
|
B8
|
w
|
23
|
Ledig
|
Reanimation bei Kammerflimmern, ECLS
|
14
|
5/00
|
Datenerhebung
Alle Patienten wurden durch ein Mitglied des Projektteams kontaktiert und an
ihrem jeweiligen Aufenthaltsort besucht. Vier Interviews wurden bei den
Befragten zu Hause durchgeführt, zwei in einer Rehabilitationseinrichtung, eines
auf einer peripheren Station im selben Haus und eines auf der Intensivstation in
einem Nebenraum, da die Patientin gerade zu einem Ambulanztermin in der Klinik
war.
Fünf der Interviews fanden mit den Interviewpartnern allein statt, bei drei war
ein Familienmitglied im selben Raum anwesend. Diese wurden gebeten, sich am
Interview nicht zu beteiligen, und darauf hingewiesen, dass sie im Anschluss
Gelegenheit zum Reden erhalten würden.
Die Interviews dauerten im Durchschnitt 19 Minuten (13–28 Minuten).
Datenauswertung
Aus dem Textmaterial konnten neun Kategorien herausgearbeitet werden:
Erinnerungslücken, Umgebung/Orientierung, Phänomene, Kommunikation während
Beatmung, Ressourcen, Rekonvaleszenz, Gesundheitsempfinden, Verarbeitung und
Auswirkungen. Im Folgenden werden die Kategorien erläutert und mit wörtlichen
Zitaten aus den Interviews illustriert. Die Befragten sind dabei mit B1 bis B8
bezeichnet.
Erinnerungslücken Keiner der acht Befragten kann sich an die Aufnahme auf
der Intensivstation erinnern. Alle berichten, dass ihnen die ersten Tage in der
Erinnerung fehlen. B6 sagt: „Eine Woche ich haben Loch mit (…) meine
Leben.“
Wenn die Wahrnehmung der Zeit abhanden kommt, ist jegliche Orientierung
erschwert. Wo bin ich? Was ist real, was ist Traum? (rolffimages/Fotolia.com)
Die Erinnerung nach dem Aufwachen wird nicht als fixierter Zeitpunkt verstanden,
sondern als Prozess, in dem Erinnerung zunimmt. Nach der Wahrnehmung des
Wachseins ist über einen längeren Zeitraum das Zeitgefühl beeinträchtigt und
Phasen des Wachseins wechseln sich ab mit Phasen des Dämmerns. B5 sagt: „Es
ist alles immer so fließend gewesen. Ich war eigentlich nur, hab mich nur
wach gefühlt, wenn jemand da war (…).“
Deutlicher werden die Erinnerungen am Ende des Intensivaufenthalts. B4 sagt dazu:
„Richtig erinnern kann ich mich nur so zum Schluss.“
Umgebung/Orientierung Mit dem Wacherwerden nehmen die Patienten ihre
Umgebung wahr und erlangen Orientierung in Raum und Zeit. Das Zimmer,
Mitpatienten, Gegenstände, Orientierungshilfen wie eine Uhr, Pflegeroutine oder
Pflegerituale werden wahrgenommen. B5 gibt an, welche Bedeutung der freie Blick
zur Uhr für sie hatte: „Die war mir wirklich ganz wichtig, dass ich so ein
Zeitgefühl entwickeln konnte, denn an sich ist es schon eine nebulöse Zeit
gewesen.“
Auch Mitpatienten spielen eine Rolle. B5 erinnert sich „an die Besuche der
anderen Patienten. Da wurde dann auch einmal jemand abgeschaltet und das war
dann schon … das habe ich dann so irgendwie mitbekommen, das war schon was
Dramatisches.“
In dem Zusammenhang wird auch die Wahrnehmung des Tag-Nacht-Rhythmus beschrieben.
Tageslicht spielt eine wichtige Rolle: „Und auch das schmale Fenster oben,
dieses Oberlicht, nein, es war kein Oberlicht, ein höheres an der Wand,
höher, so das eben dann: hell, dunkel, das hat mir schon einmal Orientierung
gegeben.“
Phänomene In Bezug auf psychische Phänomene berichten die Befragten von
Träumen, Angst und Illusionen. B2 berichtet: „Dass ich halt Träume hatte,
furchtbare.“ Er erzählt dann weiter von einer Illusion: „Am Fenster
waren die Jalousien nicht ganz unten. Die habe ich als Schlange gesehen, die
Bewegungen, die da reinkommen.“
B8 spricht im Zusammenhang mit Träumen davon, „dass ich unter Wasser war und
dass irgendwie ein Labor war oder so, habe ich geträumt, und dass auch
Meerjungfrauen da waren.“
B5 berichtet von ihrem Bewusstseinszustand zwischen Realwelt und Traumwelt:
„Einmal hab ich geträumt, ich weiß nicht, hat sich alles so vermischt
zwischen Real und Traum. Dass ich das Gefühl hatte, jetzt werde ich
abgehängt, so von den Maschinen, so. Dann hab ich immer nein, nein, das will
ich nicht, das will ich nicht.“
Angst ist als Empfindung nicht unbestimmt, sondern mit konkreten Situationen oder
Befürchtungen verbunden. So berichtet ein Patient über Angst, als sein
Beatmungsgerät nicht richtig funktioniert. Eine weitere Patientin hat Angst vorm
Einschlafen, weil sie fürchtet, wieder reanimationspflichtig zu werden.
Physische Phänomene werden von den Befragten beschrieben mit Durst, Luftnot,
Unruhe, Schmerzen, Schwellungen und der Unfähigkeit, sich zu bewegen. Besonders
die Ödeme werden als unangenehm empfunden. B1 bemerkt diese erst mit der Zeit:
„Weil, ich hatte nicht gewusst, dass ich, ich weiß nicht mit was, dass
ich um 20 kg aufgepumpt worden bin, und dass ich über 100 kg gewogen
habe.“ Und er sagt, das Schlimmste sei gewesen, „dass du dich nicht
bewegen kannst“.
Schmerzen spielen in der Erinnerung eine untergeordnete Rolle. Das Phänomen Durst
ist für einen Befragten dahingehend ein Problem, dass er durch die
Kommunikationseinschränkung sein Bedürfnis nicht verständlich machen kann.
Kommunikation während Beatmung Viele der Befragten berichten darüber, wie
sie in der Zeit der Beatmung kommuniziert haben und welche Probleme dabei
auftauchten. B4 sagt, es sei das Schlimmste für ihn gewesen, „nicht zu reden.
Und den Pflegern klar zu machen, dass ich gerade Durst habe.“ Er
berichtet davon, dass es sehr lange gedauert habe, bis ihn jemand verstanden
habe. Auch seine Mutter habe einmal eine dreiviertel Stunde gebraucht, bis sie
erfasst habe, dass er die Bettpfanne brauchte.
Auch B5 leidet darunter, dass sie sich nicht mitteilen konnte: „Ich habe etwas
versucht zu erklären und keiner hat es verstanden.“ Ihre Wortwahl macht
ihre emotionale Beteiligung deutlich: „Und das war für mich entsetzlich, dass
ich auf einmal auch nicht mehr schreiben konnte.“
Ressourcen Als Ressourcen werden die pflegerische Betreuung, Angehörige
und persönliche Gegenstände genannt. Die pflegerische Betreuung leistete einen
wichtigen Beitrag zum Gefühl, sich versorgt und sicher zu wissen. So beschreibt
es B5: „Das waren schon auch Gespräche mit Pflegerinnen, die mir dann auch
Mut gemacht haben bzw. die auch immer gesagt haben: ,Das machen Sie so toll,
so super!‘“ Sie spricht davon, dass sie die Fürsorge der Pflegenden
gespürt hat: „Also, ich habe mich auch nie jetzt irgendwie auf einem fremden
Planeten gefühlt, sondern immer im Leben drin, also dass man wahrgenommen
wird und versorgt wird.“
Es wird von mehreren Befragten geäußert, dass schnell jemand da ist, wenn eine
Pflegende benötigt wird. Dies vermittele ein Gefühl von Sicherheit. B8 sagt
dazu: „Ich habe mich eigentlich auch sicher gefühlt hier. Also in guten
Händen so. Ich wusste, mir kann jetzt nichts passieren.“
Auch bei der Orientierung werden Pflegende als Ressource wahrgenommen. Patienten
berichten davon, dass ihnen immer wieder von den Pflegenden Tag und Uhrzeit
genannt werden.
Angehörige spielen eine zentrale Rolle und werden vielfach als Unterstützung und
Kraftquelle genannt. B8 sagt: „Ja, erst mal, dass meine Familie halt immer
hier war, meine Freunde. Mein Freund auch.“ Die Befragten geben auch an,
dass Angehörige bei der Orientierung helfen.
Für manche Befragten sind persönliche Gegenstände wichtig. Eine junge Patientin
berichtet davon, ihren MP3-Spieler benutzt zu haben. Eine andere hat einen
Holzengel von ihrem Pfarrer bekommen, der ihr dann ein Trost ist.
Rekonvaleszenz Die Zeit der Rekonvaleszenz bezieht sich auf den Zeitraum
nach der Entlassung von der Intensivstation bis zum Zeitpunkt des Interviews
sechs Wochen später. Diese Zeit ist geprägt vom langsamen Erkennen der eigenen
krankheitsbedingten Grenzen und vom Annehmen des Tempos in Bezug auf den
Genesungsfortschritt. An psychischen Problemen wird Antriebslosigkeit und
Interesselosigkeit genannt: „Ich hatte an gar nichts Interesse.“
B5 benutzt dafür auch das Wort Depression und sagt: „Das ganz tiefe Loch war
gleich dann auf der Station [Name periphere Lungenfachstation].“
Auch körperliche Probleme werden als belastend wahrgenommen. Persistierende Ödeme
sind bei der Mobilisation hinderlich und die Abhängigkeit von Sauerstoff wird
als Einschränkung empfunden. B3 sagt zum Thema Sauerstoff: „Weil das, ja,
beeinträchtigt einen. Hier ist es jetzt kein Problem, (…) auf Dauer ist es
schon eine Einschränkung.“
Gesundheitsempfinden Das subjektive Erleben des Gesundheitszustands zum
Zeitpunkt des Interviews wird von allen Befragten als schlechter als vorher
beschrieben. Gleichwohl sehen sie auch einen Fortschritt. B3 sagt: „Aber (…)
es sind einfach die, die Einschränkungen werden weniger.“ Die
Selbstständigkeit ist noch nicht komplett wiederhergestellt und einzelne
Bereiche bereiten noch Probleme: „Was du von früher kennst, das
Selbstständige, das, nein (…) noch lange nicht gut.“ (B1)
Kopfschmerzen, Schwäche und Ödeme werden als Probleme benannt. Allen ist bewusst,
dass die Rekonvaleszenz noch nicht abgeschlossen ist.
Verarbeitung Vielfache Bewältigungsstrategien werden von den Befragten
genannt wie beispielsweise Verdrängung, Fokus auf sich selbst, Blick nach vorn,
die Zuschreibung eines Sinns oder Gespräche. Sehr betont wurde die Wichtigkeit
der Gespräche mit Angehörigen, die schon während des
Intensivstationsaufenthalts, aber auch in der Zeit danach eine Stütze sind. B2
sagt: „Ich mein’, wir haben, (…) ich habe mit meiner Frau darüber
gesprochen.“
Die Befragten sind sehr mit sich selbst beschäftigt und richten ihren Blick nach
vorn. B1 sagt: „Habe mich eigentlich auf mich konzentriert und geschaut, dass
ich vorwärtskomme.“
Zum Zeitpunkt des Interviews will kein Befragter zusätzliche Gespräche. Alle
Befragten haben Angehörige, mit denen sie über das sprechen können, was sie
bewegt. Eine Patientin ist in der Rehabilitationseinrichtung in psychologischer
Betreuung, eine weitere überlegt dies für die Zukunft: „Aber so von der
Psyche, so psychologisch oder so, werde ich mir zuhause in [Name der
Heimatstadt] vielleicht mal noch jemanden suchen, mit dem ich da nochmal
darüber reden kann.“
Patienten berichten, dass sie zum Ende des Intensivaufenthalts wieder
mehr wahrnehmen. Die Orientierung kehrt zurück und die Tür zum
„normalen“ Leben öffnet sich wieder. (rolffimages/Fotolia.com)
Auswirkungen Der Intensivaufenthalt hat bei allen Befragten Spuren
hinterlassen. Die Befragten berichten davon, dass der Intensivaufenthalt als
unerwartetes Ereignis in ihr Leben trat und dieses Erlebnis ein Bewusstsein
geschaffen hat für zukünftige Gewichtungen im Leben. B4 sagt beispielsweise:
„Für mich ist Familie viel wichtiger geworden.“
Und B8 beschreibt, wie viel bewusster ihr Leben geworden ist: „Ich habe mich
gestern dann auch einfach mal mitten auf der Wiese mit ins Gras gelegt bei
dem Wetter. Und also ich merke schon, dass ich es mehr genieße alles
so.“
Die Befragten erwähnen auch, dass ihr Leben in Gefahr war. Mit den Worten von B8:
„Das hätte ja auch anders kommen können.“
Angehörige Angehörige machten Aussagen zu belastender Wartezeit, zu
fehlenden Informationen durch Ärzte und zu schlechter Überwachung nach der
Intensivstation. Die Angehörige von B2 war emotional sehr aufgewühlt und kämpfte
während des Interviews mit den Tränen.
Diskussion
Die Absicht dieser Untersuchung war, ein möglichst umfassendes Bild vom Erleben von
acht Intensivpatienten zu erhalten.
Beim Blick auf das Material fällt zunächst auf, dass alle Patienten eine
Erinnerungslücke haben, was die Aufnahme auf der Intensivstation und die ersten Tage
angeht. Dies deckt sich mit den Ergebnissen einer qualitativen Untersuchung auf
einer französischen internistischen Intensivstation [11] und auf einer schwedischen interdisziplinären Intensivstation. [20] Das mag damit begründet sein, dass die Aufnahme der
Patienten unvorhergesehen ist und sie sich in dieser Zeit in einem kritisch kranken
Zustand befinden, der eine Intubationsnarkose, Sedierung, Analgesie und vielfältige
Medikation notwendig macht. Die Inhalte dieser ersten Phase scheinen im weiteren
Verlauf für die Patienten keine Bedeutung zu haben, da in der Literatur und auch in
der vorliegenden Untersuchung keine Berichte darüber zu finden sind, dass
diesbezüglich später noch unangenehme Erinnerungen aufgetaucht wären.
Patienten sprechen davon, dass sie im Verlauf aufgewacht sind. Es folgt ein Prozess
der Orientierung und Wahrnehmung der Umgebung, der nicht linear ist. Bruchstückhafte
Wahrnehmungen und ein nicht vorhandenes Zeitgefühl machen diese Phase aus. Auch dies
deckt sich mit den Ergebnissen von Lof et al. [20] und
Chahraoui et al. [11] In dieser Phase scheinen
Orientierungshilfen besonders bedeutsam zu sein. In der vorliegenden Untersuchung
sind dies eine sichtbare Uhr, Pflegende und Angehörige, die verbal Orientierung
geben, und die Wahrnehmung des Tag-Nacht-Rhythmus durch Tageslichteinfall.
Sinneseindrücke werden zum Teil traumhaft oder illusionär verarbeitet. So hat eine
Patientin in der vorliegenden Untersuchung das plätschernde Geräusch ihres
Kühlaggregats traumhaft mit dem Gefühl verbunden, unter Wasser zu sein und
Meerjungfrauen zu sehen. Auch Gesprächsfetzen und Witze am Bett, die nicht richtig
zugeordnet werden können, werden aufgeschnappt und in das Erleben eingebaut. Es
lässt sich nur erahnen, was B5 gehört hat, als sie traumhaft verarbeitete, dass sie
das Gefühl hatte, von den Maschinen abgehängt zu werden.
Cutler et al. [14] beschreiben, wie durch Polypharmazie
und die physiologischen Veränderungen durch die kritische Krankheit das
Wahrnehmungsverständnis und entsprechend auch die Erinnerung sich ändern können. In
der vorliegenden Untersuchung wurden Schmerzen, Luftnot, Unruhe und Durst zwar
genannt, aber nicht als belastend beschrieben. Es lässt sich nicht sicher sagen, ob
diese physischen Phänomene tatsächlich so wenig auftraten oder ob die Patienten sich
nicht daran erinnern konnten.
Was die Befragten allerdings als große Belastung angaben, war die Erinnerung an die
Unfähigkeit zu sprechen durch die Beatmung. Dies ist in Übereinstimmung mit der
Literatur ein großer Stressfaktor, der hilflos und unzufrieden macht. [15–17] Die Belastung, Bedürfnisse wie Durst oder den
Wunsch nach einer Bettpfanne nicht artikulieren zu können, ist unbestritten immens.
Auch der fehlende kommunikative Austausch mit vertrauten Menschen ist mehr als nur
eine Unannehmlichkeit.
Im Gegensatz zu Ergebnissen von Wang et al., [19] deren
Patienten von unangenehmen Prozeduren und bitteren und beängstigenden Erfahrungen
insbesondere auch mit den Pflegenden sprechen, fühlten sich die Befragten in der
vorliegenden Untersuchung gut versorgt und sicher. Pflegemaßnahmen wurden nicht als
unangenehm erinnert. In diesem Zusammenhang scheint die pflegerische Beziehung ein
wichtiger Faktor zu sein. Besendorfer [4] schreibt,
dass bei einem vorhandenen Vertrauensverhältnis auch unangenehme pflegerische
Handlungen akzeptiert werden. Und Samuelson [21] hebt
hervor, dass Pflegende in ihrer Rolle einen entscheidenden Beitrag leisten können,
Erfahrungen und Erinnerungen positiv zu gestalten. Sie bilden damit eine wesentliche
Säule der Ressourcen, die einem Intensivpatienten zur Verfügung stehen.
Eine weitere wichtige Säule sind die Angehörigen. In Übereinstimmung mit der
Literatur sind Vertraute ein wichtiges Bindeglied zur Welt außerhalb der
Intensivstation, sie helfen bei der Orientierung und sind Motivatoren, wieder ins
Leben zurückzukehren. [14,]
[15,]
[18] Auch in der Zeit nach der Intensivstation spielen
Angehörige eine wichtige Rolle. In der vorliegenden Untersuchung wurde deutlich,
dass diese einen wesentlichen Beitrag leisten bei der Verarbeitung der Krankheit und
dass sie als Unterstützung während der Rekonvaleszenz ständig zur Seite stehen.
Schon während des Intensivstationsaufenthalts, aber auch in den sechs Wochen bis zum
Interview haben sich die Befragten von ihren Angehörigen wieder und wieder erzählen
lassen, was passiert ist. Möglicherweise hatte aus diesem Grund kein Befragter zum
Zeitpunkt des Interviews den Wunsch nach weiteren Gesprächen. Die vorhandenen
Strukturen wurden wohl als ausreichend wahrgenommen. Es lässt sich daher aus dieser
Befragung nicht ableiten, dass routinemäßig geplante Gespräche nach dem
Intensivstationsaufenthalt ein sinnvolles Angebot sein könnten.
Eine Studie zur Wirksamkeit von psychologischer Unterstützung noch während des
Intensivaufenthalts konnte zeigen, dass durch die Interventionen Angst, Depression
und das Risiko einer posttraumatischen Belastungsstörung vermindert werden konnten.
[22] Die genannten psychologischen Interventionen
wurden von einem Team aus Psychologen und geschultem Pflegepersonal durchgeführt,
die emotionale Unterstützung und Bewältigungsstrategien für wache Patienten und
deren Angehörige anboten. In der vorliegenden Untersuchung wurde das Angebot des
psychosomatischen Liaisondienstes während des Intensivstationsaufenthalts von den
Befragten wertgeschätzt. Auch Angehörige nahmen dieses Angebot wahr. Ein direkter
Einfluss der Gespräche des psychosomatischen Liaisondienstes auf das Erleben wurde
in der vorliegenden Befragung zwar nicht untersucht, jedoch ist dies scheinbar ein
Faktor, der zu positiven Erinnerungen beiträgt und die Verarbeitung unterstützt.
Insofern scheinen analog zur Untersuchung von Peris et al. [22] Bemühungen erfolgversprechend, schon während des Intensivaufenthalts
die Betreuung um psychische Interventionen zu erweitern.
Alle Befragten gaben an, dass der Intensivstationsaufenthalt ihre Haltung zum Leben
verändert habe. Das unerwartete Ereignis schaffte ein Bewusstsein für zukünftige
Prioritäten im Leben, beispielsweise die Familie wichtiger zu nehmen als die Arbeit.
Manche möchten ihrem Leben eine neue Richtung geben wie aufzuhören zu rauchen oder
ehrlicher zu sich selbst zu sein. Durch den Zeitpunkt der Untersuchung sechs Wochen
nach Entlassung von der Intensivstation hatten die Befragten der vorliegenden
Untersuchung schon Abstand zu ihrem Intensivstationsaufenthalt. In diesem Zeitraum
hatten die Befragten ihre Erinnerungen mithilfe von Informationen durch die
Angehörigen zu einer stimmigen, sinnvollen Geschichte rekonstruiert und reflektiert.
Dies wird vielfältig auch in der Literatur beschrieben. [4,]
[23] Es wird deutlich, dass das Geschehen komplex ist
und viele Einflussfaktoren mitbestimmend sind. Der Intensivstationsaufenthalt lässt
sich verstehen als Ausschnitt eines Krankheitsverlaufs, dessen Bedeutungsbeimessung
beim Betroffenen liegt. [14] Der existenzielle
Charakter dieser Erfahrung macht deutlich, welche entscheidende Rolle einfühlsame
und wertschätzende Pflege spielt und was dies auch für die Angehörigen bedeutet. Die
Bedeutung, die Patienten ihrem Intensivstationsaufenthalt geben, ist daher
wesentlich mitgeprägt von der Haltung der Pflegenden am Bett.
Die vorliegende Untersuchung konnte einen differenzierten Einblick geben in das
Erleben von beatmeten Patienten einer internistischen Intensivstation. Da sich
Intensivmedizin hin zu noch wacheren beatmeten Patienten entwickeln wird, [15,]
[18] ist es umso mehr erforderlich, mit diesen
Patienten erfolgreich zu kommunizieren und die umgebenden Faktoren angemessen zu
gestalten. Happ et al. [24] fanden heraus, dass etwa
die Hälfte der beatmeten Patienten von unterstützter Kommunikation und Logopädie
profitieren könnte. Patienten könnten sich so an Entscheidungen und an ihrer Pflege
kommunikativ beteiligen. Dies könnte neben einer bewussten und aufmerksamen Pflege
ein weiterer wesentlicher Faktor sein für eine positive Erinnerung von Patienten an
ihren Intensivstationsaufenthalt.