PSYCH up2date 2017; 11(02): 91-92
DOI: 10.1055/s-0043-102249
Editorial
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Auf dem Weg zu einer neuen Musterweiterbildungsordnung

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Publication Date:
21 March 2017 (online)

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Fritz Hohagen

2010 hat der Deutsche Ärztetag den Auftrag zu einer grundlegenden Novellierung der Musterweiterbildungsordnung (MWBO) aller medizinischer Fachbezeichnungen gegeben. Es ist die größte Veränderung der MWBO seit Jahrzehnten und wird auf weitere Jahrzehnte die medizinische Weiterbildung bestimmen. Grundgedanke der Novellierung ist eine kompetenzbasierte und nicht – wie bisher – eine modular bestimmte MWBO. Gleichzeitig soll die neue MWBO die wissenschaftliche und klinische Weiterentwicklung des jeweiligen Faches widerspiegeln. Nach strukturellen Vorgaben der Bundesärztekammer war es die Aufgabe der Berufsverbände und Fachgesellschaften, einen ersten Entwurf einzureichen, der 2013 von den anderen Fachgesellschaften und Berufsverbänden kommentiert und in den Landesärztekammern diskutiert wurde. Diese Diskussion ist umso wichtiger, als die MWBO von größter Bedeutung für die Identität eines Faches ist. Sie definiert die Kompetenzbereiche, grenzt zu Nachbardisziplinen ab und bestimmt die Qualität klinischen Handelns und definiert nicht zuletzt die Abrechenbarkeit ärztlicher Leistungen. Gleichzeitig muss sie praktikabel und von allen Weiterbildungsstätten in der Fläche umsetzbar sein.

In den darauffolgenden Jahren wurde von der Bundesärztekammer vor allem die Systematik der MWBO überarbeitet und 2016 vorgestellt. Damit war die Vorlage für den 2. Entwurf der MWBO definiert. In der Zwischenzeit hatten sich Unterarbeitsgruppen der Landesärztekammern mit den eigereichten Vorschlägen beschäftigt und einen Entwurf erarbeitet. Dieser ging 2016 wiederum den jeweiligen Fachgesellschaften und Berufsverbänden zu. Eine Unterarbeitsgruppe, für die die Landesärztekammer Brandenburg die Schirmherrschaft übernommen hatte, beschäftigte sich mit der MWBO der „psychosozialen Fächer“. Diese Version wurde von den wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Berufsverbänden intensiv überarbeitet. Beispielsweise führte die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin einen Workshop durch, zu dem alle relevanten Gruppierungen des Faches eingeladen wurden. Diese Arbeit war insofern von größter Wichtigkeit, als der Entwurf der Bundesärztekammer ganz erheblichen Verbesserungsbedarf zeigte. Im Gebiet der Psychiatrie und Psychotherapie waren beispielsweise wichtige diagnostische Verfahren wie Bildgebung, Elektrophysiologie sowie Liquordiagnostik, spezielle Gerontopsychiatrische Diagnostik sowie wichtige therapeutische Interventionen wie Psychopharmakotherapie, sozialtherapeutische Interventionen, Palliativmedizin und Behandlung von Traumafolgestörungen nicht oder nur ungenügend aufgeführt. Zwischenzeitlich liegt eine Weiterentwicklung des Entwurfs nach gründlicher Überarbeitung vor, der in einem Workshop mit der Bundesärztekammer diskutiert und noch einmal verändert wurde. Diese Version wird zurzeit in den Gremien der Bundesärztekammer und in den Landesärztekammern erneut besprochen und im Dialog mit den Fachgesellschaften und Berufsverbänden in eine endgültige Version überführt. Hierbei ergibt sich Klärungsbedarf zum Neurologiejahr. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hatte vorgeschlagen, die Pflichtrotation zwischen Neurologie und Psychiatrie ganz fallen zu lassen und durch die Möglichkeit zu ersetzen, dass Neurologen auch das Pflichtjahr in der Inneren Medizin bzw. Anästhesiologie ableisten können. Hintergrund hierfür ist, dass viele neurologische Kliniken Stroke Units vorhalten und bei der Arbeit auf diesen Stationen intensivmedizinische Kenntnisse von großer Bedeutung sind. Auf der anderen Seite sprachen sich die niedergelassenen Neurologen für die Beibehaltung der Pflichtrotation zwischen Neurologie und Psychiatrie aus. Die Diskussion zum Rotationsjahr zwischen Neurologie und Psychiatrie ist somit noch offen. Weiterer Diskussionsbedarf ergibt sich mit dem Fach Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Die neue Weiterbildungsordnung wird auch das Verhältnis von Psychiatrie und Psychosomatik weiter definieren – im Methodenbereich der Psychotherapie und im Diagnosespektrum der Erkrankungen und Störungen. Auch die neue MWBO wird den großen diagnostischen Überlappungsbereich beider Fächer nicht aufheben. Die seit über zehn Jahren diskutierte Idee eines „Common trunks“ konnte sich auch in der jetzigen Diskussion nicht durchsetzen. Auch die psychosomatische Medizin eröffnet für die Weiterbildungskandidaten mehrere Möglichkeiten einer Rotation und will ebenfalls das obligatorische Pflichtjahr in der Psychiatrie aufgeben. Darüber hinaus sollen längere Weiterbildungszeiten im ambulanten Setting ermöglicht werden.

Auf dem deutschen Ärztetag 2018, möglicherweise aber auch erst 2019 soll die endgültige Version der neuen Musterweiterbildungsordnung verabschiedet werden. Damit wären dann sämtliche medizinische Fächer neu beschrieben und ein Meilenstein gesetzt, der die nächsten 10 bis 20 Jahre die Weiterbildung aller medizinischen Disziplinen bestimmt. Wir befinden uns also noch mitten in diesem umfassenden Neudefinitionsprozess, der die Zukunft aller Fächer, natürlich auch die des Faches Psychiatrie und Psychotherapie prägen wird.

Fritz Hohagen