ergopraxis 2017; 10(03): 12-13
DOI: 10.1055/s-0042-123355
Wissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Ethische Prinzipien für den Bereich Demenz – Verantwortungsvoll forschen

Lena Kroggel

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Publication Date:
02 March 2017 (online)

 

Für die Forschung mit an Demenz erkrankten Menschen gelten gewisse ethische Prinzipien. Katharina Maria Röse, Ergotherapeutin und Doktorandin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin identifizierte fünf Themen, die Ergotherapeuten in der Forschung als Denk- und Reflexionshilfe dienen.


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Lena Kroggel

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Lena Kroggel, Ergotherapeutin BSc, arbeitet seit 2015 in einem orthopädischen Rehabilitationszentrum in der stationären konservativen Skoliose-Intensiv-Rehabilitation. Seit 2016 schreibt sie regelmäßig für ergopraxis.

Akademisierung und Professionalisierung der Ergotherapie führen zu einem steigenden Bedarf an berufsspezifischer Forschung. Dabei stehen Ergotherapeuten vor ethischen Herausforderungen, für die es keine eindeutigen Lösungen gibt. Zum Beispiel bei der Frage, wie sie den Willen von unmündigen Personen berücksichtigen, die sie im Rahmen ihrer Studie beobachten möchten. Da es dazu kaum Studien gibt, müssen sich die Therapeuten selbst mit ethischen Fragen auseinandersetzen und ihr Handeln kritisch hinterfragen.

Ethische Reflexion bislang nur in der Praxis

Im Rahmen ihrer Dissertation durchsuchte Ergotherapeutin Katharina Maria Röse die Datenbanken PubMed, OTDBASE, Gerolit und Bibliothekskataloge verschiedener Universitäten [1]. Mit den Ergebnissen erstellte sie eine theoretische Basis über forschungsethische Prinzipien, ethische Aspekte im Rahmen gesundheitlicher Forschung und deren Umsetzung. Dabei stellte sie fest, dass sich ethische Reflexionen in der Ergotherapie primär auf berufspraktisches Handeln beziehen, nicht aber auf Forschungsmethoden.

Der Betroffene entscheidet selbst, ob er beobachtet werden möchte.


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Transfer in die Ergotherapieforschung

Um ihre Erkenntnisse auf Forschungsmethoden zu übertragen, führte Röse eine qualitative Studie über die Betätigung von Personen mit Demenz im Kontext Pflegeheim durch. Ihre Hauptfrage war: Welche Themenbereiche sind für eine ethische Reflexion in der ergotherapeutischen Forschung bedeutsam? Weiter untersuchte sie, wie Ergotherapeuten ethische Herausforderungen bewältigen können.

Sie besuchte zwei Pflegeheime, in denen sie 14 Menschen mit Demenz im mittleren und späten Krankheitsstadium in verschiedenen Betätigungssituationen im Aufenthaltsraum oder beim Spazierengehen beobachtete. Die Ergebnisse notierte sie als Feldnotizen. Zudem befragte sie 19 Mitarbeiter aus Ergotherapie, Betreuungsassistenz und Pflege.

Während der gesamten Untersuchung ließ sich Röse von der Ethikkommission der Alice Salomon Hochschule Berlin sowie dem Datenschutzbeauftragen der Charité-Universität Berlin beraten.


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Themen, die es zu berücksichtigen gilt

Bei der Auswertung identifizierte die Wissenschaftlerin fünf Themenbereiche, die Ergotherapeuten in der Forschung mit demenziell erkrankten Menschen berücksichtigen sollen:

  • Das Recht vulnerabler Personen auf die Möglichkeit zur Teilnahme an Forschung: Im fortgeschrittenen Stadium einer Demenz sind Erkrankte aufgrund kognitiver Einschränkungen hochgradig vulnerabel, also besonders verletzlich. Forschende müssen dies berücksichtigen, zum Beispiel indem sie auf überfordernde Interviews verzichten. Stattdessen eignen sich ethnografische Forschungsansätze, bei denen die Wissenschaftler zeitweise in das vertraute Umfeld Erkrankter eintauchen und beobachten.

  • Institutionelles Gatekeeping und Informed Consent: Für das Wohl von Menschen im Pflegeheim ist die Institution verantwortlich. Im ersten Schritt muss daher die Leitungsebene ihr Einverständnis zu einem Forschungsvorhaben geben. Röse informierte die Mitarbeiter umfassend über ihr Vorhaben und setzte sie als Gatekeeper ein. Diese wählen anhand von Ein- und Ausschlusskriterien wie das Krankheitsstadium, potenzielle Teilnehmer aus. Geeignete Personen müssen in leicht verständlicher Sprache informiert werden und ihr Einverständnis geben. Da die Geschäftsfähigkeit von Erkrankten nur bedingt besteht, unterschreiben gesetzliche Betreuer den Informed Consent, die schriftliche Einverständniserklärung. Aus ethischen Gründen bleibt aber die Einwilligung den Betroffenen überlassen und versteht sich als dialogischer Prozess. Täglich entscheidet der Betroffene selbst: Verlässt er zum Beispiel den Raum, schickt den Beobachter weg oder schließt die Augen, beendet dies die Beobachtung.

  • Beziehungsgestaltung mit Teilnehmern: Ethnografisch-teilnehmende Beobachtungen ermöglichen intensive Einblicke in die Erlebenswelt der Erkrankten. Ethische Reflexionen helfen dabei, die Privatsphäre und das psychische und soziale Wohl Betroffener zu schützen. Forschende sollen eine verantwortungsbewusste Beziehung zu den Erkrankten aufbauen. Dazu müssen sie sich gut mit dem Krankheitsbild auskennen. So können sie belastende Situationen umgehen, zum Beispiel indem sie keine verunsichernden Fragen stellen und schambesetzte Situationen wie die Körperpflege nicht beobachten. Vorsicht ist bei Rollenkonflikten geboten: Forschende können aufgrund ihres Berufsbildes ebenso Agierende im Feld sein. Trotzdem darf die Beobachterin keine therapeutischen Handlungen durchführen. Schwierig wird es, wenn das Verhalten anderer Mitarbeiter dem ergotherapeutischen Verständnis widerspricht, zum Beispiel bei einer unphysiologischen Lagerung. Solche Situationen bedürfen einer besonderen Reflexion.

  • Kontinuierliche Reflexion der Forschungsperspektive: Wissenschaftliche Erkenntnisse sollen die Lebenssituation der Beobachteten verbessern. Also sind Interpretation und Darstellung der Ergebnisse entscheidend. Kulturell geteilte und normative Perspektiven können die Interpretation beobachteter Verhaltensweisen beeinflussen. Zum Beispiel vernachlässigt eine rein biomedizinische Sicht auf Betätigung den Lebenskontext. Eine biopsychosoziale Sicht hingegen versteht Kontext, Betätigung und Person als Einheit. Je nach Perspektive werden Verhaltensweisen schnell pathologisiert und Menschen mit Demenz benachteiligt. Forschende sollen daher verschiedene Perspektiven vergleichen, theoretische Konzepte einbeziehen und kritisch reflektieren.

  • Wahrung von Vertraulichkeit und Anonymität: Die Ergebnisse müssen anonymisiert dargestellt werden. Gerade qualitative Studien enthalten viele Kontextinformationen, die Rückschlüsse auf reale Teilnehmer ermöglichen. Am besten anonymisiert man alle Daten bereits bei Feldnotizen, verfremdet institutionelle Besonderheiten und verzichtet auf heikle Daten.


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Denk- und Reflexionshilfe

Forschungs-ethische Prinzipien dienen als Denk- und Reflexionshilfe. Mit ihrer Hilfe können Ergotherapeuten ihre Forschungsmethoden ethisch hinterfragen und ihr Vorgehen fortlaufend reflektieren. Lena Kroggel

Ethikkodex der Ergotherapie [2]

Bislang besteht kein originärer Ethikkodex für die Ergotherapie, jedoch international gültige Dokumente von der World Federation of Occupational Therapists (WFOT) und des Council of Occupational Therapist in European Countries (COTEC).

Beide Dokumente wurden für die Ergotherapie als gültig erklärt. 2005 wurden daraus ein „Ethikkodex und Standards zur beruflichen Praxis der Ergotherapie“ vom DVE veröffentlicht. Die Hinweise auf ein ethisch korrektes Verhalten stehen zum kostenlosen Download auf der Homepage des DVE: https://dve.info/ergotherapie/ethik .

Da die Hinweise mittlerweile als veraltet gelten, wird das Dokument derzeit überarbeitet.

Forschungsethische Prinzipien [3]

Ein Forscher …

  • muss begründen, warum zu seinem Thema Forschung notwendig ist.

  • muss erklären können, was das Ziel seiner Forschung ist und unter welchen Umständen die Probanden daran mitwirken.

  • muss das methodische Vorgehen seines Vorhabens explizieren können.

  • muss einschätzen können, ob seine Forschungstätigkeit ethisch relevante positive oder negative Folgen für die Probanden hat.

  • muss vor der Realisierung seines Vorhabens die möglicherweise auftretenden Verletzungen und Schäden abschätzen.

  • muss aufgrund der von ihm gemäß Prinzip 5 eingeschätzten Risiken eine ethische Prävention initiieren.

  • darf keine falschen Aussagen über den Nutzen seiner Forschung abgeben.

  • muss die geltenden Datenschutzbestimmungen beachten.


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