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DOI: 10.1055/s-0042-121998
Die kleinen Titanen der Implantologie
Publication History
Publication Date:
09 January 2017 (online)
- Der Implantat-Werkstoff Nr. 1 besitzt viele Vorteile
- Sichere Insertion durch Drehmomentbegrenzung
- Spezialthema Sofortimplantation
Wenn ein Material dauerhaft im Körper verbleiben soll, kommt automatisch das Thema „Biokompatibilität“ auf die Agenda. Im Falle von Dentalimplantaten hat sich Titan als bewährter Standard durchgesetzt. Für Mini-Implantate (z. B. MDI, condent, Hannover) wird Grad-5-Titan verwendet – ein Blick auf die werkstoffwissenschaftlichen Gründe und die Bedeutung für die Praxis.
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Der Werkstoff Titan ist noch gar nicht so alt, jedenfalls was seine Verwendung in der Medizin angeht. Seit gut 50 Jahren erweitert sich stetig das Indikationsspektrum. Dazu gehören z. B. künstliche Hüft- und Kniegelenke, Dentalimplantate und prothetische Konstruktionen wie z. B. implantatgetragene Suprastrukturen.
Wenn man von Titan spricht, ist nicht das 100-prozentig reine Metall gemeint. Vielmehr enthält der Werkstoff stets geringe Mengen an Spurenelementen, z. B. Eisen, Sauerstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff und Stickstoff. Insbesondere Eisen und Sauerstoff spielen für die Klassifizierung nach dem US-amerikanischen Standard ASTM (Akronym für „American Society for Testing and Materials“) eine Rolle, wonach es Grad-1-Titan, Grad-2-Titan,… bis Grad-35-Titan gibt. Für konventionelle Dentalimplantate werden üblicherweise Grad-1- bis Grad-4-Titan verwendet.
Der Implantat-Werkstoff Nr. 1 besitzt viele Vorteile
Für Titan sprechen seine hohe Festigkeit, Korrosionsbeständigkeit und Biokompatibilität. Nach allem, was man heute weiß, löst dieser Werkstoff keine allergischen Reaktionen oder sonstige Unverträglichkeiten aus. Dass er sich selbst im biologisch als ungemütlich geltenden Milieu der Mundhöhle (z. B. hohe Dichte an Mikroorganismen, Säure-Attacken etc.) so konsequent neutral verhält, liegt wesentlich an der passivierenden Oxidschicht, die sich bei Kontakt mit Luft, Wasser und Körperflüssigkeiten schützend auf Titan-Oberflächen bildet.
Die dabei entstandenen Strukturen werden vom umgebenden Gewebe gut akzeptiert – als so „natürlich“, dass das Implantat fest mit dem Knochen verwächst. Dies lässt sich durch eine bei der Herstellung gezielt angelegte Rauigkeit der Oberfläche noch fördern, was durch Sandstrahlen und Säureätzung erreicht wird. Die meisten Hersteller bevorzugen mittlere Rauigkeiten, weil man auf diese Weise im Allgemeinen den höchsten BIC-Wert (= Knochen-Implantat-Kontaktfläche) realisiert.
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Sichere Insertion durch Drehmomentbegrenzung
Speziell bei Mini-Implantaten kommt Grad-5-Titan zum Einsatz. Dabei sind 6% Aluminium (Al) und 4% Vanadium (V) zulegiert, weshalb diese Variante auch als Ti-6Al-4V bezeichnet wird. Durch diese Zusammensetzung wird eine höhere Stabilität als bei Grad 1 bis 4 erreicht.
Grad-5-Titan weist eine gute Beständigkeit gegen korrosive Medien sowie eine besonders hohe Festigkeit, Zähigkeit und Bruchgrenze auf. Diese liegt bei 48 Ncm und hat eine ganz praktische Bedeutung, wenn man sich das Insertionsprotokoll für MDI vergegenwärtigt: Zur Insertion ist nicht zwingend eine Aufklappung der Gingiva nötig. Mit einer 1,1-mm-Pilotfräse wird die Kortikalis perforiert; in Knochen der Dichte D1 zieht man zur Vorbohrung die Größe 1,3 mm heran. Meist genügen in der Tiefe 3-4 mm beziehungsweise ein Drittel der Implantatgewindelänge.
Für den Unterkiefer werden in der Regel MDIs mit 1,8 oder auch 2,1 mm Durchmesser gewählt. Vier Längen – zwischen 10 und 18 mm – stehen zur Verfügung. Die gewählten Varianten werden selbstschneidend bis zu ihrer endgültigen Position manuell in den Knochen eingedreht. Die Insertion erfolgt langsam. Bewährt haben sich – vor allem im dichten Knochen – Viertelumdrehungen mit jeweils anschließenden Pausen von 5–6 s. Bei steigendem Widerstand tauscht man den anfänglich benutzten Initialschrauber für eine größere Kraftausübung gegen den Flügelschrauber oder die Ratsche aus.
Der wichtigste Tipp für die Praxis lautet: Das Drehmoment soll dabei auf 40 Ncm begrenzt werden. Auf diese Weise bleibt man sicher unter der Bruchgrenze des Grad-5-Titans.
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Spezialthema Sofortimplantation
Wird beim Eindrehen die erforderliche Primärstabilität (=Eindrehmoment von 35 Ncm) erreicht, kann das betreffende Mini-Implantat sofort belastet werden.Andernfalls muss eine progressive Belastung erfolgen, wobei die Prothese des Patienten um die MDI-Kugelköpfe großräumig ausgeschliffen und mit weichem Unterfütterungsmaterial gefüllt wird. Bis zur vollen Belastung ist in diesem Fall die übliche Einheilzeit für klassische Implantate anzusetzen, wie histologische Studien zur Osseointegration nahelegen (Sahin S et al. J Dent 2002; 30: 271–282).
Grad-5-Titan verbindet die bekannte Bioverträglichkeit mit besonders hoher Festigkeit und Bruchgrenze – genau die richtige Qualität für Mini-Implantate. Der Rat an den Behandler: beim Eindrehen ein Drehmoment von höchstens 40 Ncm ausüben, um sicher unterhalb der Bruchgrenze zu bleiben. Gemäß Studien darf man von einer 1- bis 5-Jahres-Überlebensrate zwischen 89 und 100% ausgehen (Mundt T. Quintessenz 2016; 67: 813–823).
Christian Ehrensberger
Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit der condent GmbH, Hannover.
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