Gesundheitswesen 2018; 80(08/09): 711-718
DOI: 10.1055/s-0042-121602
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Rolle von niedersächsischen Kommunen für die zukünftige ärztliche Versorgung – Eine Befragung der Bürgermeister und Landräte

The Role of Municipalities in Lower Saxony for Future Physician's Care – A Survey of Mayors and District Administrators
Bertolt Kuhn
1   Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover
,
Jost Steinhäuser
2   Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck, Institut für Allgemeinmedizin, Lübeck
,
Sveja Eberhard
3   AOK Niedersachsen, Stabsbereich Gesundheitspolitik und Versorgungsforschung, Hannover
,
Rolf Hufenbach
4   Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen, Unternehmensbereich Vertragsärztliche Versorgung, Hannover
,
Volker Eric Amelung
1   Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
15 May 2017 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund/Zielsetzung Die flächendeckende ambulante ärztliche Versorgung ist in ländlichen Regionen durch eine abnehmende Niederlassungsbereitschaft zunehmend bedroht. Kommunen sehen sich daher z. T. gefordert, ärztliche Niederlassungen mit eigenen Mitteln zu unterstützen. Ziel dieser Studie war es, die kommunale Perspektive auf die ambulante Versorgungssituation zu erheben und die Rolle und Einflussnahme der Kommunen zu untersuchen.

Methodik Die Bürgermeister (n=411) und Landräte (n=38) in Niedersachsen erhielten im September 2015 einen selbst entwickelten schriftlichen Fragebogen (Vollbefragung).

Ergebnisse Die Rücklaufquote des Fragebogens lag bei 72%. Die hausärztliche Versorgung schätzen 30% der Befragungsteilnehmer als ungenügend ein, 71% die sonstige fachärztliche Versorgung. Zwei Drittel sahen lokale Probleme mit der Nachbesetzung von Arztpraxen. 42% der Bürgermeister und 65% der Landräte gaben an, bereits Unterstützungsmaßnahmen für ambulante Ärzte geleistet zu haben. Zu den am häufigsten bisher durchgeführten Maßnahmen gehörten finanzielle Zuschüsse, Beratungsleistungen sowie der Aufbau von Kooperationen und Netzwerken. Das Modell eines MVZ in kommunaler Trägerschaft hielt ein Drittel für geeignet.

Schlussfolgerung Von den Kommunalverantwortlichen werden für ärztliche Niederlassungen verbreitet sowohl Nachbesetzungsprobleme als auch ein kommunaler Unterstützungsbedarf wahrgenommen. Ein beträchtlicher Anteil der Kommunen hat bereits unterschiedliche Unterstützungsmaßnahmen umgesetzt. Eine Beteiligung der Kommunen an der ambulanten Gesundheitsversorgung als Träger eines MVZ wird überwiegend kritisch bewertet.

Abstract

Background Comprehensive outpatient medical care is being increasingly threatened due to the decreasing willingness of physicians to establish their practices in rural areas. Partly, municipalities feel impelled to support doctors setting up their practices with their own resources. The aim of this study was to get the community perspective on the ambulatory care situation and to examine the role and influence of the local authorities.

Methods The mayors (n=411) and district administrators (n=38) in Lower Saxony received a self-developed written questionnaire in September 2015 (comprehensive survey).

Results The response rate was 72%. Availability of general practitioners was considered as inadequate by 30% of those surveyed and 71% described specialist care as being insufficient. Two-thirds of respondents saw local problems with filling vacant doctors’ offices. 42% of mayors and 65% of district administrators said they had already supported outpatient doctors. The most frequent measures carried out so far included financial support, consulting services and the development of cooperation and networks. The majority considered the model of medical care centers being operated under municipal sponsorship to be unsuitable in principle.

Conclusions Local governments prevalently see problems with filling vacant doctors’ offices as well as a need for local support. A significant proportion of municipalities has already implemented various support measures. Community participation in the outpatient care with medical care centers under municipal sponsorship is assessed rather critically.

 
  • Literatur

  • 1 Beske F. Sechs Entwicklungslinien in Gesundheit und Pflege – Analyse und Lösungsansätze. Kiel 2011
  • 2 Robert Koch-Institut . (Hrsg.) Gesundheit in Deutschland. Berlin: 2015
  • 3 Hoffmann W, van den Berg N, Berlin C et al. Expertise zur aktuellen Situation der medizinischen Versorgung in der Planungsregion Vorpommern. Abschlussbericht. Greifswald 2011
  • 4 Schmacke N. Die Zukunft der Allgemeinmedizin in Deutschland. Potenziale für eine angemessene Versorgung. Bremen: 2013
  • 5 Barth N, Linde K, Schneider A. Niederlassungsmotive – Die Bereitschaft zur Niederlassung in eigener Praxis von Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin. Das Gesundheitswesen 2015; 77
  • 6 Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen . Bedarfsgerechte Versorgung − Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche. Bern: Verlag Hans Huber; 2014
  • 7 Ono T, Schoenstein M, Buchan J. Geographic imbalances in doctor supply and policy responses. Paris 2014
  • 8 Kittel B, Kaczynski A, Bethge S et al. Was braucht der neue Landarzt? – Ein Analytic Hierarchy Process (AHP). Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2015
  • 9 Steinhäuser J, Joos S, Szecsenyi J. et al. Welche Faktoren fördern die Vorstellung sich im ländlichen Raum niederzulassen?. Zeitschrift für Allgemeinmedizin 2013; 89: 10-15
  • 10 Günther O, Kürstein B, Riedel-Heller S. et al. The role of monetary and nonmonetary incentives on the choice of practice establishment: A stated preference study of young physicians in Germany. Health Research and Educational Trust 2010; 45: 212-229
  • 11 Steinhäuser J, Annan N, Roos M. et al. Lösungsansätze gegen den Allgemeinarztmangel auf dem Land – Ergebnisse einer Online-Befragung unter Ärzten in Weiterbildung. Dtsch med Wochenschr 2011; 136: 1715-1719
  • 12 Gebbink A.. Einzigartiges Projekt gegen den Ärztemangel. WAZ 23: 03 2015;
  • 13 Einig K.. Anpassungsstrategien zur regionalen Daseinsvorsorge. Empfehlungen der Facharbeitskreise Mobilität, Hausärzte, Altern und Bildung. Berlin: 2015
  • 14 Langer A, Ewert T, Hollederer A. et al. Literaturüberblick über niederlassungsfördernde und -hemmende Faktoren bei Ärzten in Deutschland und daraus abgeleitete Handlungsoptionen für Kommunen. Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2015; 20: 11-18
  • 15 Amt für regionale Landesentwicklung Leine-Weser . Hausärzte gewinnen. Informationen für Kommunen zur Sicherung der hausärztlichen Versorgung. Hildesheim: 2016
  • 16 Geuter G, Ewert T, Deiters T et al. Optimierung der kommunalen Gesundheitsversorgung: Erste Erfahrungen des Kommunalbüros für ärztliche Versorgung des Landes Bayern. Gesundheitswesen 2016
  • 17 Kuhn B, Amelung VE.. Gemeinden unter Druck – Welche Rolle kann die Kommune bei der Lösung von ambulanten ärztlichen Versorgungsproblemen spielen?. GuS 2015; 69: 16-24
  • 18 Burgi M.. Kommunale Verantwortung und Regionalisierung von Strukturelementen in der Gesundheitsversorgung. Baden-Baden: Nomos; 2013
  • 19 Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz) GKV-VSG; 22.07.2015
  • 20 Schnack D. Ärztehaus Büsum. Vorzeigeobjekt am Nordseestrand. Ärztezeitung 2015; 18
  • 21 Steinhäuser J, Scheidt L, Szecsenyi J. et al. Die Sichtweise der kommunalen Ebene über den Hausärztemangel. Eine Befragung von Bürgermeistern in Baden-Württemberg. – Gesundheitswesen 2012; 74: 612-617
  • 22 Obermann K, Müller P, Woerns S. Ärztliche Versorgung und Zugang zu ärztlichen Leistungen. Eine deutschlandweite Befragung der Landkreise 2013
  • 23 Kuckartz U.. Einführung in die computergestützte Analyse qualitativer Daten. 2. Aufl. Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwiss; 2007
  • 24 Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) . Indikatoren und Karten zur Raum- und Stadtentwicklung. Bonn: INKAR; 2016
  • 25 Landesamt für Statistik Niedersachsen . Verzeichnis der Bürgermeister und Landräte in Niedersachsen. Stand: 01.01.2015 Hannover: 2015
  • 26 Landesamt für Statistik Niedersachsen . Bevölkerung und Katasterfläche in Niedersachsen (Gebietsstand: 31.12.2015). LSN-Online: Tabelle A100001G Hannover: 2016
  • 27 Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Bedarfsplanung in der vertragsärztlichen Versorgung – Fortschreibung Nr. 02/2015. II. Allgemeine fachärztliche Versorgung (§ 12 BPL-RL) Fachgruppe Augenärzte; 11.12.2015
  • 28 Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Bedarfsplanung in der vertragsärztlichen Versorgung – Fortschreibung Nr. 02/2015. II. Allgemeine fachärztliche Versorgung (§ 12 BPL-RL) Fachgruppe Kinderärzte; 11.12.2015
  • 29 Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Bedarfsplanung in der vertragsärztlichen Versorgung – Fortschreibung Nr. 02/2015. I. Hausärztliche Versorgung (§ 11 BPL-RL); 11.12.2015
  • 30 Schäfer M. Kommunalwirtschaft. Eine gesellschaftspolitische und volkswirtschaftliche Analyse. Wiesbaden: Gabler; 2014
  • 31 Schmidt R, Vollmöller T. Kompendium öffentliches Wirtschaftsrecht. 3. Aufl. Berlin: Springer; 2007
  • 32 Gibis B, Heinz A, Jacob R. et al. Berufserwartungen von Medizinstudierenden. Ergebnisse einer bundesweiten Befragung. Dtsch Arztebl International 2012; 109: 327-332
  • 33 Reischmann M.. Gemeinde zieht eigenes Hausarzt-MVZ auf. Medical Tribune 2016; 51: 20
  • 34 Scheidt L, Joos S, Szecseny J et al. Überversorgt? Unterversorgt? – Die Sicht von Bürgermeistern in Baden-Württemberg: Ein Beitrag zur Diskussion um die wohnortnahe medizinische Versorgung. Gesundheitswesen 2015; Online