Z Geburtshilfe Neonatol 2016; 220(05): 194
DOI: 10.1055/s-0042-117097
Journal Club
Neonatologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

RSV-Prophylaxe – Nutzen von Palivizumab bei späten Frühgeborenen

Further Information

Publication History

Publication Date:
20 October 2016 (online)

Hintergrund: Palivizumab ist ein monoklonaler Antikörper gegen das Humane Respiratorische Synzytial-Virus (HRSV oder RSV, englisch: Human Respiratory Syncytial Virus) der bei Hochrisikokindern die Häufigkeit schwerer RSV-Infektionen vermindern kann. Dabei empfiehlt die US-amerikanische pädiatrische Fachgesellschaft in ihren Leitlinien von 2014 keinen routinemäßigen Einsatz bei ansonsten gesunden Frühgeborenen ab der 29. Woche. Eine Gruppe von texanischen Medizinern untersuchte den Einfluss einer Palivizumab-Gabe bei späten Frühgeborenen.

Methoden: Im Rahmen ihrer Studie werteten Harold Farber und seine Mitarbeiter die Daten aus 9 Medicaid-Programmen in Texas aus. Sie schlossen insgesamt mehr als 14 000 Frühgeborene mit einem Gestationsalter zwischen der 29. und 36. Woche ohne chronische Erkrankungen ein. Die Kinder waren in den Jahren 2012, 2013 und 2014 jeweils zwischen April und Dezember zur Welt gekommen und dementsprechend während der folgenden RSV-Infektionssaison (Oktober–März) maximal 6 Monate alt. Farber et al. suchten zunächst nach Palivizumab-Verschreibungen für diese Kinder. Danach setzen sie die Verordnung des Medikaments in Beziehung zu Krankenhausaufnahmen wegen einer gesicherten RSV-Infektion und zu Krankenhausaufnahmen wegen einer Bronchiolitis anderer Ursachen. Die Auswertung erfolgte stratifiziert nach Gestationsalter für Kinder der 29.–32. Woche (n = 2031) bzw. der 33.–36. Woche (n = 12 066).

Ergebnisse: Dabei fanden die Wissenschaftler bei fast der Hälfte der jüngeren Kinder (41,5 %) und bei 3,7 % der älteren Kinder mindestens eine Verschreibung für Palivizumab. Bei den zwischen der 29. und 32. Woche geborenen Kindern ergab sich weiterhin eine geringere Rate von Klinikaufnahmen wegen einer RSV-Infektion (3,1  gegenüber 5,0 % bei Kindern ohne Palivizumab-Rezept). Allerdings stand dem eine häufigere Klinikaufnahme wegen Bronchiolitiden ohne RSV-Diagnose gegenüber (3,3  vs. 1,9 %). Bei den zwischen der 33. und 36. Woche geborenen Kindern fand sich für beide Outcomes kein Unterschied in Abhängigkeit von einer Palivizumab-Verordnung.

Fazit

Nach diesen Daten gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Gabe von Palivizumab bei späten Frühgeborenen, die ansonsten gesund sind, einen Gesamtnutzen aufweist, meinen die Autoren. Die gehäuften stationären Behandlungen wegen einer Bronchiolitis anderer Genese widersprechen zwar den Ergebnissen früherer Studien. Allerdings waren darin auch Kinder mit chronischen pulmonalen und kardialen Erkrankungen behandelt worden, und Kinder ohne Palivizumab-Gabe waren als Vergleichsgruppe ausgeschlossen. Weitere Untersuchungen sollten klären, ob das Medikament bei anderen respiratorischen Virusinfektionen außer RSV Vorteile bietet.

Kommentar

Byington CL, Munoz FM. Palivizumab prophylaxis for healthy preterm infants: More data supporting [...]. Pediatrics 2016; 138: e20161494

Carrie Byington und Flor Munoz würdigen zunächst die Untersuchung der Texaner. Wichtig scheint ihnen vor allem, dass die zur Zulassung von Palivizumab in den USA führende Studie (IMPACT) in den Jahren 1996 und 1997 durchgeführt wurde. In den seitdem vergangenen fast 20 Jahren haben sich viele Gegebenheiten bei der Behandlung Frühgeborener geändert: Unter anderem sind durch verbesserte Präventionsmaßnahmen chronische Lungenerkrankungen bei diesen Kindern seltener geworden. Da diese Patientengruppe von der Vermeidung einer RSV-Infektion besonders profitiert, gibt es heute möglicherweise weniger Kinder, denen Palivizumab Vorteile bietet.

Weiterhin scheinen die vermehrten Klinikaufnahmen wegen sonstiger Bronchiolitiden biologisch plausibel: Wenn die Replikation des RSV durch Palivizumab verhindert wird, kommen andere respiratorische Viren, wie Coronavirus, Humanes Metapneumovirus, Rhinoviren u. a. vermehrt zum Zuge. Die Bedeutung dieses Befunds ist noch unklar, aber möglicherweise kommt es bei Säuglingen und Kleinkindern nach Bronchiolitis aufgrund einer Rhinovirusinfektion im späteren Alter gehäuft zu asthmaähnlichen Symptomen.

Insgesamt bestätigen die Daten von Farber et al. die Empfehlungen der American Academy of Pediatrics, die bei ansonsten gesunden Frühgeborenen ab der 29. Woche keine Indikation für eine Verordnung von Palivizumab sieht.

Dr. Elke Ruchalla, Bad Dürrheim