Eine hektische Handbewegung nach der Blutabnahme, ein Stich mit der Kanüle, ein roter
Fleck unter dem Handschuh – Nadelstichverletzungen sind ein beständiges Risiko für
Ärzte und Pfleger, sich eine Infektion mit gefährlichen Pathogenen einzuhandeln, die
im schlimmsten Fall chronisch wird.
Manche Kliniken verpassen sich daher sogar ein Quäntchen mehr an Sicherheit, noch
über die gesetzlichen Vorschriften hinaus. So werden schon seit Anfang 2002 in der
Unfallchirurgie der Universität Göttingen alle Notfallpatienten auf Hepatitis B und
C (HBV, HCV), sowie auf das Aids-Virus (HIV) getestet. Binnen 40 Minuten nach der
Aufnahme eines Patienten bringt der Schnelltest das Ergebnis, rechtzeitig genug, dass
sich Ärzte und Pfleger auf eine besondere Gefährdungslage einstellen können, wie PD
Dr. med. Klaus Dresing, von der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie Göttingen
auf dem letzten DKOU berichtete. Zu dem Zeitpunkt lagen die Testergebnisse von über
18 000 Patienten vor: Die Infektionsrate bei den Notfallpatienten war höher als im
Durchschnitt der Bevölkerung [1].
Man könne sich als Chirurg zwar nicht einpacken, so Dresing. Aber zu besonderen Vorsichtsmaßnahmen
greife man bei betroffenen Patienten schon: Immer mit Schutzbrille und doppelten Handschuhen.
Ein minimal-invasiver Eingriff kommt bei diesen Patienten eher nicht in Betracht,
denn dabei sei das Verletzungsrisiko höher. Auch eine Jet-Lavage gibt es im Zweifel
nicht und der Chirurg taste eher nicht Knochen oder verletzte Weichteilstrukturen
mit den Fingern ab [2]. Dresing: „Wir sind der Meinung, solch ein Screening bei Patienten in der Notaufnahme
ist erforderlich, um Chirurgen bestmöglich zu schützen.“ Vorausgesetzt allerdings,
der Patient stimmt dem Test auch zu – bei bewusstlosen Patienten wird das Einverständnis
in der Göttinger Ambulanz stillschweigend vorausgesetzt.
Stellt sich die Frage nach der Größenordnung des Problems. Und, so die positive Nachricht,
das Risiko, sich derart über Verletzungen im Krankenhaus zu infizieren, sinkt für
Ärzte und Pfleger seit Jahren. Ganz unabhängig von Extratests und Spezialmaßnahmen.
Positiver Trend der Statistiken
Nadelstichverletzungen (NSV) ist der Terminus, an dem sich Betroffene, Versicherer,
Arbeitgeber bis hin zum Gesetzgeber seit Jahrzehnten mit Vorschriften und Präventionsmaßnahmen
abarbeiten – offenbar nicht ohne Erfolg. Der Begriff meint nicht nur einen ungewollten
Stich mit einer Kanüle, mit der man gerade dem Patienten Blut abgenommen hat, er steht
generell für Verletzungen an stechenden oder schneidenden Werkzeugen – Skalpell, Nahtklammer
und so fort.
Bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) mit
Hauptsitz in Hamburg steigt die Zahl der gemeldeten NSV. Doch die Experten deuten
dies eher als gutes Zeichen, als steigende Meldeaktivität (Siehe das Interview ab
Seite 427). Die BGW versichert Berufsunfälle von insgesamt rund 8,0 Millionen Beschäftigen
in nicht-staatlichen Einrichtungen des Gesundheitsdienstes und der Wohlfahrtspflege.
Darunter sind rund 3,2 Millionen Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, viele
Ärzte und Pfleger in nicht-staatlichen Krankenhäusern oder Rehakliniken, sowie über
ihre Kammern versicherte niedergelassene Ärzte. Mediziner und Pflegekräfte, die in
staatlichen Kliniken arbeiten, sind über die Unfallkassen versichert.
Und zugleich deutet die BGW-Statistik auf eine Abnahme der tatsächlichen Infektionen
bei Beschäftigten: 52 Verdachtsfälle auf eine berufsbedingte Neuinfektion an HCV gingen
2013 bei den BGs ein. 26 Fälle wurden als Berufskrankheit anerkannt. Vor wenigen Jahren
waren die Zahlen noch zehnmal so hoch (siehe [Abb. 1]) [9].
Abb. 1 Hepatitis C als Berufskrankheit – über die BGW anerkannte und angezeigte Fälle zwischen
2004 – 2013.
Weit unter 100 Neuinfektionen an HCV, HBV und HIV taxieren Experten jährlich hierzulande
bei Beschäftigten im Gesundheitswesen insgesamt (siehe das Interview ab Seite 427).
Allein bei HCV wurden dem Robert Koch-Institut 2013 bundesweit hingegen 5173 Neuinfektionen
gemeldet (2014 waren es 5824 und 2015 4887 [3]). Damit wird auch klar, dass Betroffene im Gesundheitswesen nur einen sehr kleinen
Anteil bei den neu gemeldeten HCV-Infektionen stellen, gleiche Relationen gelten für
HBV und HIV. Die Hauptursachen einer Infektion bleiben andere – so steckt sich bei
HCV über zwei Drittel derer, für die der Ansteckungspfad eruierbar ist, am infizierten
Spritzenbesteck an.
Auch nach Zahlen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, die die Werte aus
der BGW und den Unfallkassen zusammen führt, sinkt das Risiko für Beschäftigte im
Gesundheitswesen, sich berufsbedingt an HCV anzustecken [3], die Statistik umfasst „Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst,
in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit
der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war“. 2014 wurden danach
insgesamt 60 Verdachtsfälle einer Neuansteckung mit HCV entschieden, 45 als Berufskrankheit
anerkannt. Das ist ein leichter Anstieg im Vergleich zu 2013 (54 entschiedene Fälle,
34 Anerkennungen), aber die Zahlen sind auch in diesem Tabellenwerk seit gut 10 Jahren
massiv auf dem Rückzug [4].
Ähnliche Nachrichten gibt es bei HIV. 82 Fälle einer HIV-Infektion sind bis Ende 2013
in Deutschland bei Beschäftigten im Gesundheitswesen überhaupt als Berufskrankheit
anerkannt worden. 20 bei Ärzten, 45 bei Pflegern. Seit 1996 gehen die Zahlen der Neumeldungen
zurück [5].
Nach Zahlen aus einigen Literaturstudien haben Beschäftigte im Gesundheitswesen durchaus
ein erhöhtes Risiko auf Infektionen. Die Daten aus 44 Studien aus den Jahren 1989
bis 2014, von einer AG um Prof. Albert Nienhaus im letzten Jahr ausgewertet, zeigen:
Beschäftigte im Gesundheitswesen haben eine deutlich höhere Infektionsrate mit HCV,
HBV und HIV als die Allgemeinbevölkerung [6]. Dabei haben Ärzte mit einer Odds Ratio von 2,2 ein höheres Risiko als Krankenpflegepersonal
mit 1,7. Besonders hoch fällt das Risiko für Labormitarbeiter aus (Odds Ratio von
3,2). Offenkundig birgt die labortechnische Aufbereitung der Proben Kontaminationsrisiken.
Auch wenn die Metaanalyse Studien aus aller Welt poolte, gibt sie laut Nienhaus einen
Anhaltspunkt für die Lage auch in Deutschland. Dabei könnten solche Zahlen zu Prävalenzen
allerdings einen sinkenden Trend bei Neuinfektionen womöglich noch nicht abbilden.
Vor allem aber bleibt es bei der Devise: Jede Infektion ist eine zu viel. Ein in den
letzten Jahren stetig verfeinertes Netz an Vorschriften, Tipps und Tricks zum Thema
behält weiterhin seine Gültigkeit.
Dreh- und Angelpunkt ist die hiesige Biostoffverordnung, konkretisiert durch Technische
Regeln, allen voran die Technische Regel für Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheitswesen
und in der Wohlfahrtspflege (TRBA) 250 (Download unter [7]).
Gefährdungsbeurteilungen, Unterrichtungen der Angestellten, Prophylaxepläne, klare
Regelung von Zuständigkeiten im Betrieb – Arbeitgeber müssen für maximale Sicherheit
für die Beschäftigten eine Fülle an Sicherheitsmaßnahmen im Krankenhaus und Arztpraxis
umsetzen.
So müssen in „Arbeitsbereichen mit erhöhten Infektionsrisiken oder erhöhter Unfallgefahr
spezielle “Sicherheitsgeräte“ eingesetzt werden. Als da wären: nadelfreie Infusionssysteme
und Spritzen mit Rückschlagventil, Kunststoffkanülen, stumpfe Kanülen, oder Rundkörpernadeln
bei Nähten. Solche teuren, aber sicheren Systeme sind vor allem in Rettungsdienst,
Notfallaufnahme, generell beim Umgang mit dementen oder besonders aggressiven Patienten,
und generell beim Legen von Venenkathetern, Blutentnahmen oder Punktionen Pflicht
(Details finden sich etwa in der Broschüre der BGW – M612: Download unter [8]).
Bis ins Detail regelt die TRBA 250 den Umgang mit Erregern – auch und gerade im OP.
Die Vielzahl an verschärften Sicherheitsvorschriften nebst besserer medizinischer
Kontrolle Betroffener dürfte ihren Teil dazu beitragen, dass die Zahl der Neuinfektionen
sinkt. Ein Übriges tut der technologische Fortschritt – Impfmöglichkeit gegen HBV,
gute Therapieoptionen bei HCV und auch bei HIV.
So droht heute Niemandem mehr, der sich mit HCV, HBV oder HIV angesteckt hat, ein
pauschales Berufsverbot. Spätestens seit das Bundesarbeitsgericht Ende 2013 die Kündigung
eines mit HIV-infizierten Pharmazeutisch-Technischen Assistenten durch ein Unternehmen
für nichtig erklärte, hat sich die Sicht auf die Beschäftigung von Menschen mit einer
HIV-Infektion deutlich versachlicht. Das beklagte Unternehmen hatte seinem Mitarbeiter
mit der Begründung gekündigt, er könne in der Produktion im Reinraum wegen seiner
ansteckenden Krankheit nicht mehr eingesetzt werden. Das Gericht kassierte die Kündigung
als Diskriminierung wieder ein, die HIV-Infektion sei einer Behinderung gleichzusetzen,
die Kündigung sei damit ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz,
zumindest so lange wie der Arbeitgeber durch „angemessene Vorkehrungen“ den Einsatz
des Arbeitnehmers trotz Behinderung sicher stellen könne (Az.: AZR 190/12).
Auch für Ärzte und Pflegepersonal sind diese „angemessenen Vorkehrungen“ heute klar.
Richtschnur sind bei HIV die Empfehlungen der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung
der Viruskrankheiten (DVV) e. V. und der Gesellschaft für Virologie (GfV) e. V. Sie
sehen außerhalb des chirurgischen beziehungsweise invasiven Spektrums gar keine Einschränkungen
für die Arbeit Betroffener. Ein Chirurg, der in den OP will, muss allerdings eine
Viruslast unter 51 Kopien HI-Viren pro Milliliter Blut haben, und sich regelmäßig
arbeitsmedizinisch untersuchen lassen.
Bernhard Epping
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