retten! 2016; 5(03): 165
DOI: 10.1055/s-0042-110646
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Opiatgabe im Rettungsdienst - Retten unter dem Damoklesschwert

Romy Greiner
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Publication Date:
12 July 2016 (online)

Der Patient leidet unter akuter Atemnot (SpO2 = 77 %), deshalb fordert ein Rettungsassistent in Baden-Württemberg den Notarzt nach – es ist jedoch keiner abkömmlich. Weil Basismaßnahmen und Sauerstofftherapie keine nennenswerte Verbesserung bringen und sein Rettungsdienstbereich keine weniger invasive Maßnahme vorhält, entscheidet sich der Rettungsassistent, dem Patienten 2 mg Morphium zu verabreichen. Er klärt ihn über die erweiterte medikamentöse Therapie auf, der Patient willigt ein. Tatsächlich steigt die Sauerstoffsättigung auf 87 %; der Patient wird nach Voranmeldung für die Intensivstation ins Krankenhaus transportiert, wo die Ärzte die Opiattherapie weiterführen. Sie beschreiben den Patienten als gut versorgt. Der Rettungsassistent will nun den Morphiumverbrauch im BtM-Buch vermerken – und sieht sich plötzlich mit der Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen konfrontiert: Laut seinem Arbeitgeber habe er eine Straftat begangen, indem er illegal Betäubungsmittel entnahm. Per Selbstanzeige schaltet der Rettungsassistent die Staatsanwaltschaft ein. Sein Argument: Er habe zwar gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) verstoßen, dies sei jedoch gerechtfertigt – und nicht illegal – gewesen. Außerdem besäße er in der Schweiz eine ärztlich geprüfte Kompetenz der eigenverantwortlichen Gabe von 20 mg Morphium und habe das Medikament schon hundertfach verabreicht. Hat er recht?

Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren schließlich ein: Die Rechtfertigung des Verstoßes gegen das BtMG liege nahe. Sie betont allerdings auch, dass die Verabreichung eines Betäubungsmittels durch einen Nicht-Arzt objektiv wie subjektiv den Straftatbestand des § 29 I Nr. 6 lit. a) Alt. 1 BtMG erfüllt. Jan Gregor Steenberg, der Anwalt des Rettungsassistenten: „Diese Feststellung sollte alle Rettungsdienstbereiche, welche derzeit eine Opiatgabe im Rahmen einer SOP durch paramedizinisches Personal vorsehen, aufhorchen lassen. Eine SOP oder ein ähnliches Instrument wird derzeit eine grundsätzliche Strafbarkeit nicht aufheben. Auch wenn vereinzelt Staatsanwaltschaften eine andere Meinung vertreten haben, so muss davon ausgegangen werden, dass im Zweifel eine Strafbarkeit bestehen bleibt.“

Fazit: Es bleibt dabei – paramedizinisches Personal (auch der Notfallsanitäter!) ist bei der Gabe von Betäubungsmitteln weit von der Rechtssicherheit entfernt. Bis der Gesetzgeber hier endlich Klarheit geschaffen hat, bleibt allen Beteiligten nur eins: Ihre Kunst zu beherrschen, bis sie sie endlich auch offiziell anwenden dürfen. Die beste Grundlage dafür halten Sie gerade in den Händen. Ich wünsche Ihnen also viel Spaß beim Lesen, Verstehen und Lernen – damit Sie Ihre Kunst perfektionieren können!

Ihre

Romy Greiner