PPH 2016; 22(02): 115
DOI: 10.1055/s-0042-104015
Rund um die Psychiatrie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Für Sie gelesen: Aktuelle Pflegeliteratur zum Thema

Contributor(s):
Silvia Denner
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Publication History

Publication Date:
22 March 2016 (online)

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(BundesArbeitsGemeinschaft)

Der vierte Band der Schriftenreihe der Bundesarbeitsgemeinschaft Leitender Mitarbeiter/-innen kinder- und jugendpsychiatrischer Kliniken und Abteilungen e. V. (BAG) befasst sich mit dem Thema des professionellen Umgangs mit Aggressionen und Gewalt im Kontext von psychiatrischer Unterbringung, Betreuung sowie Behandlung von Kindern und Jugendlichen.

Dies ist ein immer wieder aktuelles und komplexes Thema, das nicht nur die Kinder- und Jugendpsychiatrie betrifft. Junge Menschen mit aggressiv-dissozialem Verhalten sind für Jugendhilfe, Strafvollzug sowie Schule ein ebenso schwieriges Klientel und bringen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an die Grenzen ihrer Belastbarkeit.

Häufig pendeln diese Jugendlichen zwischen den verschiedenen Hilfesystemen und deren Einrichtungen, da es immer wieder zu Eskalationen kommt. Zum Teil werden sie gegen ihren Willen gerichtlich untergebracht. Um diesen jungen Menschen, die in ihren Biografien häufig selbst Gewalt und Vernachlässigung erfahren haben, besser gerecht zu werden, müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend qualifiziert werden. Hier setzt das Buch an.

Nach einem sehr differenzierten und facettenreichen Beitrag zum Thema Freiheit werden im ersten Teil dieses Buches verschiedene Deeskalationsmodelle vorgestellt. Deeskalationsprogramme sind zwar auch an den Schulen und in der Jugendhilfe bekannt und werden dort teilweise praktiziert, finden aber nach der im Buch aufgeführten BAG-Umfrage in der Kinder- und Jugendpsychiatrie eine besonders hohe Verbreitung und Akzeptanz. So werden in der überwiegenden Zahl der befragten Kliniken Schulungsprogramme für die Mitarbeiter angeboten.

In den nachfolgenden Beiträgen werden einzelne Deeskalationstrainings ausführlich besprochen. Der Leser kann sich so einen Eindruck verschaffen über die Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede der Trainings. Darüber hinaus erfährt man viel über die Erfahrungen aus der praktischen Anwendung, der Umsetzung und der Evaluierung auf den jeweiligen Stationen. Alle Beiträge berichten von guten Erfahrungen mit der Anwendung deeskalierender Umgangsweisen, schlussfolgern aber, dass die Konzepte den jeweiligen Interessen und Bedürfnissen der Patienten, der Mitarbeiter und der Organisation angepasst werden müssen.

Die Beiträge zum zweiten Teil des Buches befassen sich mit medizinischen und juristischen Aspekten des Freiheitsentzugs in der Kinder- und Jugendpsychiatrie wie auch der Jugendhilfe. Der Leser erfährt viel über die Voraussetzungen für freiheitsentziehende Maßnahmen und erhält praktische Empfehlungen zum Vorgehen bei der Betreuung und Behandlung.

Über die grundlegenden Kenntnisse hinaus werden in den Beiträgen einzelne Themen besonders fokussiert. Diese beinhalten unter anderem, wie sich die geschlossene Unterbringung auf die Psychodynamik von spezifischen Störungen im Kindes- und Jugendalter auswirkt. Des Weiteren erfolgt eine Diskussion über die Zusammenhänge von psychischer Störung und Delinquenz und die daraus folgenden Konsequenzen für die Kinder- und Jugendpsychiatrie, Jugendhilfe, Schule und Justiz. Zwei Beiträge befassen sich mit der Bedeutung, dem Einsatz und der Gestaltung von Time-Out-Räumen.

Sicherlich ist für viele Leser die Diskussion um freiheitsentziehende Maßnahmen in der Jugendhilfe sehr interessant. Hierzu werden Fragen und Fakten dargeboten, die Klärung bringen sollen, inwieweit der Freiheitsentzug als Rahmenbedingung für eine erfolgreiche Pädagogik in der Jugendhilfe angebracht ist.

Das Buch bietet einen sehr lesenswerten Überblick über die theoretischen Grundlagen sowie den praktischen Umgang mit Deeskalation und Freiheitsentzug in den Arbeitsfeldern von Pflege und Pädagogik. Die Beiträge weisen zwar kleine Wiederholungen und Überschneidungen auf, die aber bei der Aufgabe, vielfältige Aspekte durch unterschiedliche Berufsgruppen zu beleuchten, unvermeidbar sind.

Der Leser hat in diesem Buch eine wertvolle Sammlung von Studienergebnissen, Erfahrungen, Anleitungen und praktischen Beispielen in der professionellen Auseinandersetzung mit diesem schwierigen Thema. Für Studierende und Praktiker der Pflege und Pädagogik sicherlich eine lohnende Anschaffung.

Prof. Dr. Silvia Denner