PPH 2016; 22(02): 114
DOI: 10.1055/s-0042-104012
Rund um die Psychiatrie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Für Sie gelesen: Aktuelle Pflegeliteratur zum Thema

Contributor(s):
Christoph Müller
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Publication Date:
22 March 2016 (online)

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(Thieme Verlag)

Mit juristischem Sachverstand können Pflegende und Mediziner nur selten glänzen. Abhilfe schafft nun der Jurist Tim Oehler. Er legt mit dem Buch „Rechtslage und Fallstricke bei psychischen Erkrankungen“ ein Kompendium vor, das die Tragweite der Rechte in Zusammenhang mit seelischem Leiden darstellt. Es ist zwar, so verrät es bereits der Umschlagstext, geschrieben, um das nötige juristische Hintergrundwissen für die Erstellung von Sachverständigengutachten an die Hand zu geben. Doch das Buch leistet mehr. Es sorgt in einer verständlichen Sprache für das nötige Fingerspitzengefühl, das nötig erscheint, wenn Pflegende und Mediziner mit juristischen Fragestellungen beschäftigt sind.

Tim Oehler macht an den Beispielen von Burnout und Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen und Anpassungsstörungen deutlich, welche sozial- und arbeitsrechtlichen, versicherungsrechtlichen und zivilrechtlichen Probleme auf betroffene Menschen zukommen könnten. Dies erweckt natürlich den Eindruck, dass das Buch wirklich als Horizonterweiterung verstanden werden kann.

Konkret weckt es beispielweise die Neugierde, wenn Tim Oehler sich ausführlich mit dem Phänomen Mobbing beschäftigt. Er stellt nochmals klar, dass es bei Mobbing um „ein systematisches Anfeinden, Schikanieren und Diskriminieren von Beschäftigten untereinander oder durch Vorgesetzte“ geht, „das über gewöhnliche, von jedermann zu bewältigende berufliche Schwierigkeiten hinausgeht“. Mobbing sei typischerweise geprägt durch eine im Verlauf erfolgende Zunahme des auf die Opfer ausgeübten Drucks.

Aus der beruflichen Praxis ist es bekannt, dass dem Mobbing-Phänomen allzu schwierig auf rechtlichem Terrain zu begegnen ist. Oehler veranschaulicht, was Darlegungs- und Beweislast, was Feststellen des Verschuldens und immaterieller Schaden bedeuten können.

Während der Lektüre gewinnt man den Eindruck, dass Oehler keine juristische Fragestellung vergessen zu haben scheint. So filigran wie die Juristerei alltäglich arbeitet, erscheint diese Behauptung natürlich vermessen. Oehler scheint jedoch auch die leisen Töne zu beachten im lauten Konzert rechtlicher Problematisierungen.

Schauen wir uns kurz ein Beispiel an, wo im individualarbeitsrechtlichen Kontext spürbar wird, wie wichtig eine Sensibilität für juristische Fragen ist. So berichtet Oehler über das Beispiel einer aktiven nebenberuflichen Organistin, die hauptberuflich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegen hatte. Oehler reportiert, dass im Rahmen psychischer und physischer Überlastung Blutuntersuchungen diesen Befund objektiv verifizieren konnten. Auf ärztlichen Rat hin wurde die Orgelspielerin aufgefordert, Dinge zu tun, die ihr Freude bereiteten, um den Serotonin-Spiegel zu erhöhen. So konnte medizinisch auf einen scheinbar juristischen Konflikt geantwortet werden.

Diese Leistung gelingt Tim Oehler noch an vielen anderen Beispielen in dem Buch „Rechtslagen und Fallstricke bei psychischen Erkrankungen“. Wer in Pflege und Medizin Berührungspunkte mit juristischen Fragen hat, der muss Tim Oehlers Buch im Regal stehen haben.

Christoph Müller