Die Konsumforschung lehrt uns: Keineswegs fällen wir unsere Entscheidungen allein
aufgrund
rationaler Erwägungen. Selbst nach langem Überdenken und gründlichem Austarieren von
Für und
Wider entspringt der letzte, bestimmende Ausschlag unseren Emotionen – die uns nicht
zwingend in
die eigentlich vernünftigste Richtung leiten. Ist es bei dieser Erkenntnis überhaupt
sinnvoll,
die Bevölkerung durch gezielte Information zu mehr gesundheitsbewusstem Kaufverhalten
hinlenken
zu wollen? Wenn ja, welchen Beitrag vermag eine Kennzeichnung von Lebensmitteln zu
leisten?
Über das Ob und Wie wogt der Streit seit Jahren. Das Ziel ist klar: Der Verbraucher
soll
unmittelbar vor dem Erwerb neben dem ökologischen und ökonomischen unbedingt auch
den
gesundheitlichen Wert eines Produkts beurteilen und bewusst in seine Kaufentscheidung
einbeziehen können. Aber welche Informationen braucht er dazu? Ein breiter Katalog
zusätzlicher
Forderungen öffnet sich: Die Botschaft muss wissenschaftlich korrekt und zugleich
allgemein
verständlich sein, Wesentliches betonen, rasche Orientierung bieten, kurz und knapp
auf die
Verpackung passen und neben den Marketing-Informationen des Herstellers erkennbar
sein.
Längst haben sich deshalb Untersuchungen zum Käuferverhalten in der Ernährungswissenschaft
etabliert. Konsumforschung wird nicht mehr den Werbestrategen großer Unternehmen überlassen.
Die
traditionelle Verbraucherbefragung, anfällig gegenüber subjektiven Störfaktoren und
stets als
unzuverlässig angesehen, macht zunehmend objektiven Messmethoden Platz. Spezialbrillen
erfassen,
welche Verpackungsdetails den Käuferblick an sich ziehen und wie lange sie ihn fesseln
[[2], [5]]. In simulierten Läden plappern
Testkäufer in ein Mikrophon, was ihnen bei der Auswahl von Waren und der Betrachtung
ihrer
Verpackung durch den Kopf geht, etwa zu Gesundheitswert, Aufmachung oder Preis [[6]].
Die verbesserten Methoden erlauben eine wachsende Fülle von Ergebnissen. Einige davon
verblüffen.
So wurde in 19 Studien die Verzehrsmenge von Mahlzeiten verglichen, deren Energiegehalt
entweder
deklariert war oder nicht. Die Deklaration senkte die durchschnittliche Energieaufnahme
lediglich um 18 kcal [[4]]. Enttäuschend gering ist auch die
Bereitschaft des Verbrauchers, eine informative Nährwertkennzeichnung mitzufinanzieren.
7550
Konsumenten aus 16 europäischen Ländern würden im Mittel lediglich eine jährliche
Mehrausgabe
von $ 4,32 für diesen Zweck akzeptieren [[3]].
Dennoch sind sich Wissenschaft und Politik darin einig, dass jegliche Kennzeichnung
besser ist als
gar keine [1]. Deshalb existieren zahlreiche nationale Vorschriften. Die jeweiligen
Maßnahmen
variieren, selbst innerhalb der EU. Die gesetzgeberische Entwicklung ist aber weiterhin
im
Fluss. Über den aktuellen Stand berichtet das vorliegende Heft.
Noch immer unentschieden ist, welches Informationssystem die Kaufentscheidung für
ein „gesünderes“
Lebensmittel eher befördert: eine detaillierte Nährwertinformation oder ein summarisches
Symbol,
z. B. eine Verkehrsampel. Beide Ansätze werden in unterschiedlichen EU-Ländern verfolgt.
Welche
gesundheitlichen Auswirkungen auf Populationsebene eintreten, wird sich in einigen
Jahren
erweisen. Man darf hoffnungsvoll gespannt sein.
Prof. Dr. Hans-Joachim F. Zunft