Fortschr Neurol Psychiatr 2016; 84(01): 34-37
DOI: 10.1055/s-0042-100867
Facharztfragen
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Fragen aus der Facharztprüfung Neurologie

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Publication Date:
15 February 2016 (online)

Wie viele Kopfschmerzformen werden derzeit nach der neuesten Klassifikation der International Headache Society (IHS) unterschieden?
Antwort:

Über 200 Formen, die in 4 Hauptgruppen eingeteilt werden.

Die 4 Hauptgruppen sind:

  • primäre Kopfschmerzen (Migräne, Cluster- Kopfschmerzen etc.)

  • symptomatische Kopfschmerzen

  • Neuralgien

  • nicht klassifizierbare Formen

Kommentar:

Da Schmerzen durch technische Messverfahren bisher nicht objektivierbar sind, bedarf es einer einheitlichen Symptomdefinition und Charakterisierung. Besonders wichtig sind die Definitionen der einzelnen Kopfschmerzerkrankungen für die Durchführung von klinischen Studien.

Wie viel Prozent der Bevölkerung sind von einer Migräne betroffen?
Antwort:

Abhängig von Geschlecht und Alter variieren die Angaben zwischen 5 und 15 %.

Kommentar:

Betroffen sind:

  • ca. 12 – 15 % der Frauen

  • ca. 5 – 7 % der Männer

  • ca. 5 – 8 % aller Kinder

Interessanterweise sind die diese Zahlen in fast allen Ländern sehr ähnlich.

Wie entsteht nach der derzeit gängigen Theorie eine Migräneattacke?
Antwort:

Am ehesten durch einen temporären Ausfall eines antinozizeptiven Systems im Hirnstamm (PAG = periaquäduktales Grau) und die sekundäre Freisetzung von vasoaktiven Neuropeptiden durch Aktivierung des trigeminovaskulären Systems.

Komentar:

Der temporäre Ausfall des antinozizeptiven Systems ist wahrscheinlich genetisch bedingt und wird durch diverse Außenreize getriggert. Migräne wird heute als heterogene Ionenkanalerkrankung verstanden.

Wie viel Prozent der Migränepatienten sind von einer Aura betroffen?
Antwort:

Etwa 10 – 15 % aller Migränepatienten.

Kommentar:

Dabei ist die visuelle Aura am häufigsten, sensible Auren des Gesichts und der Extremitäten sind etwas seltener. Noch seltener kommen motorische Defizite oder Wortfindungsstörungen vor.

Welches sind die wichtigsten Differenzialdiagnosen einer Migräneaura?
Antwort:

Die transient ischämische Attacke (TIA) sowie einfach fokale (epileptische) sensible Anfälle.

Kommentar:

Sensible Symptome, insbesondere an den Extremitäten, sind zum Teil differenzialdiagnostisch schwer voneinander zu trennen. Hilfreich ist hierbei meist die Frage, ob die Ausfallserscheinungen plötzlich an der gesamten Extremität (transient ischämische Attacke) oder langsam auftraten und wandernden Charakter hatten (Migräneaura). Auch sensible Anfälle kommen plötzlich, persistieren für Sekunden oder wenige Minuten, können aber in kurzen Abständen (Minuten, Stunden) rezidivieren, was bei Auren eine Rarität darstellt. Weder TIAs noch Anfälle sind von Kopfschmerzen begleitet.

Wie kann eine Migräneaura von einer transienten ischämischen Attacke klinisch unterschieden werden?
Antwort:

Anhand der Dauer und des Befallmusters.

Kommentar:

Sensible Auren wandern häufig entlang einer Extremität von peripher nach proximal und bleiben 20 – 60 Minuten, aber nur selten länger bestehen. Die TIA tritt in den meisten Fällen apoplektiform auf, besteht für einige Stunden und zeigt keine Wanderungstendenz.

Welche Vorteile haben Triptane (5-HT1B/D-Agonisten) gegenüber herkömmlichen Ergotaminderivaten bei der Behandlung der akuten Migräneattacke?
Antwort:

Triptane sind wesentlich spezifischer im Hinblick auf ihre Rezeptorbindung, binden ausschließlich an Serotoninrezeptoren und nicht an dopaminerge Rezeptoren oder ɑ-adrenerge Rezeptoren, an die Ergotaminderivate ebenfalls binden.

Kommentar:

Durch diese spezifischere Rezeptorbindung ist auch die initiale Wirkung auf Übelkeit und Erbrechen wesentlich besser als bei Ergotaminderivaten, die die Übelkeit zunächst verstärken können.

Welche Darreichungsformen und Triptane sind am besten geeignet für Patienten mit frühzeitigem Erbrechen?
Antwort:

Alle Darreichungsformen, die nicht primär über den Gastrointestinaltrakt resorbiert werden, also Nasensprays, subkutane Formulierungen und Suppositorien bieten sich hier an. Unter den Triptanen gibt es Sumatriptan und Zolmitriptan als Nasenspray und Sumatriptan subkutan oder als Suppositorium. Seit 2011 wird Sumatriptan sogar in einem nadelfreien subkutanen Pen und seit 2012 in den USA als transdermaler Patch angeboten.

Kommentar:

Im Einzelnen sind dies in Deutschland:

  • Zolmitriptan Nasenspray 5 mg

  • Sumatriptan Nasenspray 20 mg

  • Sumatriptan 6 mg subkutan

  • Sumatriptan Suppositorien 25 mg

Welches sind die wichtigsten Differenzialdiagnosen einer Migräneattacke?
Antwort:

Die Subarachnoidalblutung, die intrazerebrale Blutung sowie der Cluster-Kopfschmerz.

Kommentar:

Subarachnoidalblutungen zeichnen sich in den meisten Fällen durch stärkste Kopfschmerzen bisher nicht gekannter Intensität (auch bei Migränepatienten) aus und können ferner mit Meningismus, Übelkeit und Erbrechen einhergehen. Cluster-Kopfschmerzen sind von kürzerer Dauer (30 – 180 min) und zeigen autonome Begleiterscheinungen in Form von Rhinorrhö, Lakrimation und Myosis.

Wann ist bei Patienten mit Migräneattacken eine zusätzliche diagnostische Bildgebung angezeigt?
Antwort:

Bei der Erstdiagnose und erneut bei Änderungen der Schmerzcharakteristik (DD Subarachnoidalblutung!) sowie dem erstmaligen Auftreten von Aurasymptomen im Alter von über 50 Jahren.

Kommentar:

Grundsätzlich sollte bei der Erstdiagnose einmalig eine Bildgebung zum Ausschluss symptomatischer Ursachen erfolgen. Im weiteren Verlauf der Migräne sind bildgebende Untersuchungen – abgesehen von den oben genannten Fällen – nicht notwendig.

Mit welchen Untersuchungen kann eine Migräne diagnostiziert werden?
Antwort:

Es gibt keine technische Untersuchung, mit der eine Migräne diagnostiziert werden kann. Die Diagnose erfolgt ausschließlich durch die Anamnese.

Kommentar:

Alle Zusatzuntersuchungen dienen dem Ausschluss symptomatischer Ursachen.

Wann ist eine prophylaktische Behandlung bei Migränepatienten notwendig?
Antwort:

Grundsätzlich bei 2 – 3 und mehr Attacken pro Monat.

Kommentar:

Darüber hinaus kann eine Prophylaxe sinnvoll sein, wenn die Attacken von langer Dauer sind oder eine wirksame Akutmedikation nicht zur Verfügung steht.

Welches sind die Mittel der ersten Wahl bei der prophylaktischen Behandlung der Migräne?
Antwort:

Nach den Therapieleitlinien der DGN: Betablocker, der Kalziumantagonist Flunarizin, Valproinsäure sowie Topiramat.

Kommentar:

Von den Betablockern kommen Metoprolol, Propranolol oder Bisoprolol zum Einsatz.

Nach welchen Kriterien sollte die Prophylaxe bei Migränepatienten ausgewählt werden?
Antwort:

Die Prophylaxe sollte im Wesentlichen nach der individuellen Situation des Patienten so ausgewählt werden, dass Nebenwirkungen vermieden werden oder – besser – dass man sich bekannte Nebenwirkungen von Präparaten sinnvoll zunutze macht. Ferner sollte sich die Auswahl der Medikation an der ggf. bereits bestehenden Medikation orientieren.

Kommentar:

Substanzen, die zu einer Gewichtszunahme führen, sollten wenn möglich bei bereits übergewichtigen Patienten vermieden werden; Medikamente, die müde machen, sollten nur Patienten mit Schlafstörungen erhalten. So wird die Compliance der Patienten erhöht und ein Therapieerfolg wahrscheinlicher.

Welche besondere Gefahr besteht bei der langfristigen und hochfrequenten Einnahme einer Akutmedikation (z. B. über 10 – 15 Einzeldosen im Monat)?
Antwort:

Neben den spezifischen Nebenwirkungen der einzelnen Präparate kann sich durch die hochfrequente Einnahme von Substanzen der Akutmedikation ein medikamenteninduzierter Dauerkopfschmerz entwickeln.

Kommentar:

Die Gefahr der Entwicklung eines medikamenteninduzierten Kopfschmerzes besteht grundsätzlich für alle Präparate. Allerdings unterscheiden sich die notwendigen Einnahmedauern und erforderlichen Gesamtdosen.

Wie lange dauern die Schmerzattacken beim Cluster-Kopfschmerz und mit welchen autonomen Symptomen ist typischerweise zu rechnen?
Antwort:

Die eigentliche Schmerzphase dauert ca. 15 – 45 Minuten, kann in Einzelfällen aber auch bis zu 3 Stunden anhalten. Typische autonome Begleitsymptome sind Rhinorrhö, Lakrimation, Myosis und Schwellung des ipsilateralen Augenlides.

Kommentar:

Vereinzelt können die autonomen Begleiterscheinungen auch über die Schmerzphase hinaus andauern. Insbesondere Pupillenveränderungen können mehrere Stunden bis Tage bestehen bleiben.

Welches sind die wichtigsten Differenzialdiagnosen bei einem Cluster-Kopfschmerz?
Antwort:
  • Migräneattacken: Diese dauern definitionsgemäß länger als 4 Stunden.

  • paroxysmale Hemikranie: Diese Attacken sind kürzer als Cluster-Attacken, sie dauern lediglich 3 – 10 Minuten und können bis zu 30-mal am Tag auftreten. Die paroxysmale Hemikranie reagiert gut auf Indometacin, sodass der erfolgreiche Einsatz von Indometacin als diagnostisches Kriterium verwendet werden kann.

Kommentar:

Andere Kopfschmerzformen wie Schmerzen infolge einer Subarachnoidalblutung, intrazerebralen Blutung oder Karotisdissektion sind in der Regel gut abgrenzbar, da sie länger als 1 Stunde bestehen.

Wie wird eine akute Cluster-Attacke behandelt?
Antwort:

Mit Sauerstoff oder Triptanen in schnell anflutender Darreichungsform (Sumatriptan subkutan, Zolmitriptan Nasenspray). Als weitere Option besteht die intranasale Applikation von Xylocain, die jedoch nur bei weniger als 50 % der Patienten erfolgversprechend ist und vorher ausführlich geübt werden sollte.

Kommentar:
  • Sauerstoff über eine Maske (mindestens 7 – 101/min oder mehr)

  • Sumatriptan 6 mg subkutan oder Zolmitriptan Nasenspray 5 mg

  • Xylocainspray oder -lösung(4 %ig) ins ipsilaterale Nasenloch

Welches sind die Mittel der ersten Wahl bei der prophylaktischen Behandlung des Cluster-Kopfschmerzes?
Antwort:
  • Verapamil in hohen Dosierungen bis 720 mg (langsam aufdosieren)

  • Lithiumcarbonat 300 – 600 mg je nach Plasmaspiegel

  • Topiramat 100 – 200 mg

Kommentar:

Das früher übliche und gut wirksame Methysergid (Deseril) ist leider seit Mitte 2003 nicht mehr im Handel, kann aber weiterhin relativ günstig über die Auslandsapotheke bezogen werden. Die Dosis beträgt 1 – 12 mg/d. Methysergid ist ein Ergotaminderivat, kann Fibrosen verursachen und sollte nicht länger als 6 Monate verabreicht werden.

Wie kann eine Cluster-Phase unterbrochen werden?
Antwort:

Grundsätzlich kann versucht werden, eine Cluster-Phase durch einen Kortisonstoß zu unterbrechen.

Kommentar:

Die Dosierung hierzu wird nicht einheitlich gehandhabt. Methylprednisolon 100 mg über 3 – 5 Tage findet sich in vielen Empfehlungen. Die Autoren bevorzugen die intravenöse Gabe von 500 – 1000 mg Methylprednisolon über 3 – 5 Tage.

Welche Substanzen sind beim Cluster-Kopfschmerz unwirksam?
Antwort:

Betablocker, Natriumkanalblocker wie Carbamazepin, Antikonvulsiva wie Phenytoin und nicht steroidale Antirheumatika.

Kommentar:

Im Gegensatz zum Cluster-Kopfschmerz reagiert die paroxysmale Hemikranie gut auf Indometacin, sodass der erfolgreiche Einsatz von Indometacin als differenzialdiagnostisches Kriterium verwendet werden kann.

Wie wird ein Cluster-Kopfschmerz diagnostiziert?
Antwort:

Auch der Cluster-Kopfschmerz wird ausschließlich anhand der typischen Anamnese diagnostiziert.

Kommentar:

Ein technisches Untersuchungsverfahren zur Diagnosebestätigung existiert nicht.

Sollte beim Cluster-Kopfschmerz eine bildgebende Zusatzuntersuchung durchgeführt werden?
Antwort:

Grundsätzlich sollte bei der Erstdiagnose eine Bildgebung erfolgen.

Kommentar:

Sofern die bildgebende Untersuchung unauffällig bleibt und die darauffolgenden Cluster-Phasen klinisch identisch ablaufen, ist eine weitere Bildgebung nicht notwendig.

In welchem Alter tritt klassischerweise eine Trigeminusneuralgie erstmalig auf?
Antwort:

Klassischerweise nach dem 60. Lebensjahr.

Kommentar:

Die Trigeminusneuralgie sollte initial auf einen Trigeminusast beschränkt sein. Die Dauer des Schmerzereignisses sollte nur wenige Sekunden betragen. Am häufigsten sind der 2. und der 3. Trigeminusast betroffen.

Eine 35-jährige Patientin kommt in Ihre Sprechstunde und klagt über einen kurzen heftigen, mehrmals am Tag auftretenden, streng einseitigen Kopfschmerz, der in das mittlere Gesichtsdrittel zieht. Welche Diagnose stellen Sie und welche diagnostischen Untersuchungen veranlassen Sie?
Antwort:

Die klinische Symptomatik spricht am ehesten für eine Trigeminusneuralgie. Die Patientin ist jedoch für eine klassische Trigeminusneuralgie zu jung, sodass hier eine symptomatische Ursache vermutet werden muss. Bei der Patientin sollte daher in jedem Fall eine Kernspintomografie durchgeführt werden.

Kommentar:

Die wahrscheinlichste Differenzialdiagnose bei jungen Patienten mit Trigeminusneuralgien ist eine beginnende Multiple Sklerose mit einer Läsion im Bereich der trigeminalen Hirnstammkerne.

Wie therapieren Sie eine Trigeminusneuralgie?
Antwort:

Klinisch bewährt hat sich die Gabe von Natriumkanalblockern wie Carbamazepin, Lamotrigin, Phenytoin oder auch Zonegran.

Kommentar:

Eine Dauertherapie mit Phenytoin ist aufgrund der Nebenwirkungen heute nicht mehr angezeigt, allerdings kann in schwerwiegenden Fällen durch eine intravenöse Aufdosierung mit Phenytoin eine schnellere Schmerzreduktion erfolgen (nach einigen Tagen erfolgt die Umstellung auf ein moderneres Präparat).

Welche Kopfschmerzformen sind Indometacin-sensibel?
Antwort:

Ausschließlich die paroxysmale Hemikranie sowie die Hemicrania continua.

Kommentar:

Um die Indometacin-Sensibilität ausreichend zu testen, sollten Patienten für ca. 3 Tage mit jeweils 3-mal 100 mg täglich behandelt werden.

Welche Kopfschmerzformen sind typischerweise lageabhängig?
Antwort:

Das Liquorunterdrucksyndrom (insbesondere nach Lumbalpunktionen und Spinalanästhesie) sowie der Pseudotumor cerebri.

Kommentar:

Während beim Liquorunterdrucksyndrom die Symptome im Stehen schlimmer als im Liegen sind, ist es bei der benignen intrakraniellen Hypertension (Pseudotumor cerebri) genau umgekehrt. Hier sind die Symptome im Liegen am unangenehmsten und im Stehen am besten zu ertragen.

Welche Symptome sind beim Pseudotumor cerebri neben den Kopfschmerzen noch zu erwarten?
Antwort:

Die Beschwerden sind beim Pseudotumor cerebri langsam fortschreitend. Der Schmerz ist holozephal, typischerweise retroorbital gelegen. Nicht selten zeigen sich bilaterale Stauungspapillen, in fortgeschrittenen Fällen treten außerdem ein progredienter Visusverlust sowie Abduzensparesen und Tinnitus auf. Der Liquordruck ist typischerweise über 20 ml Wassersäule erhöht.

Kommentar:

Das Krankheitsbild betrifft überwiegend junge übergewichtige Frauen. Ein Pseudotumor cerebri bei schlanken Patienten ist eine echte Rarität und sollte an der Diagnose zweifeln lassen.

Wie wird der Pseudotumor cerebri zweckmäßigerweise behandelt?
Antwort:

Akut erfolgt die Behandlung durch Entnahme von 20 – 40 ml Liquor. Zusätzlich zur Liquorentnahme sollte die Patientin unbedingt versuchen, ihr Gewicht deutlich zu senken. Die Reduktion der Kopfschmerzen wird bereits Minuten nach der Liquorentnahme verspürt.

Kommentar:

Jüngste Studien konnten gut belegen, dass eine Gewichtsreduktion die beste Langzeitwirkung hat. Der Zusammenhang zwischen Körpergewicht und Entwicklung eines Pseudotumors ist unklar. Weiterhin können auch ein Kortisonstoß oder die Behandlung mit Indometacin Besserung bringen. Die Dauerbehandlung kann mit Acetazolamid (500 – 1000 mg/d) erfolgen.