Schlüsselwörter
Pseudoaneurysma - Aneurysma spurium - A. radialis - transradiale Koronardiagnostik
- hämodynamisches Monitoring - Ultraschall-gesteuerte manuelle Kompression
Keywords
Pseudoaneurysm - Aneurysma spurium - radial artery - transradial angiography - hemodynamic
monitoring - ultrasound-guided manual compression
Transradiale Punktionen werden immer häufiger durchgeführt. Nach dem Eingriff können
Komplikationen wie das Pseudoaneurysma auftreten – so auch im Falle des hier vorgestellten
Patienten. Obwohl eine Ultraschall-gesteuerte manuelle Kompression des Aneurysmas
weniger Risiken birgt, entschieden sich die behandelnden Ärzte für eine chirurgische
Resektion.
Anamnese | Ein 78-jähriger Patient (167 cm; 76 kg) mit paroxysmalem Vorhofflimmern klagt über
Gangunsicherheit, Anarthrie und Schwindel. In einem auswärtigen Krankenhaus wurde
kürzlich eine erfolgreiche Kardioversion eines Vorhofflatterns durchgeführt. Das dort
angefertigte Blutbild war unauffällig. Es gab keine Hinweise für eine Gerinnungsstörung.
Als die neurologische Symptomatik begann, wurde der Patient rasch in unsere Klinik
verlegt.
Thrombuslyse | Computertomografisch zeigt sich ein thrombotischer Verschluss der A. basilaris und
der angrenzenden Aa. cerebri posteriores bds. Der Patient erhält eine Lysetherapie
mit 86 mg Actilyse i. v. Im Anschluss steigen die Leukozyten vorübergehend auf max.
12 400 / μl an. Ein Infektfokus findet sich nicht.
Angiografie | Anschließend führen wir eine digitale Subtraktionsangiografie (DSA) der Kopf- und
Halsgefäße mit Zugang über die A. femoralis communis links durch. Dabei findt sich
eine offene A. basilaris mit einem langstreckig umspültem Thrombus in der A. cerebri
posterior P2 links. Der Patient hat einen Apoplex. Er wird intubiert auf der Intensivstation
überwacht.
Transradiale Punktion | 2 cm oberhalb des Handgelenks punktieren wir die A. radialis rechts und legen einen
2,7 French großen arteriellen Zugang mit einer Länge von 8 cm. Zur Steuerung der niedrigdosierten
Katecholamintherapie erfolgt eine blutige Blutdruckmessung, die nach 5 Stunden beendet
werden kann. Bald darauf wird der Patient komplikationslos extubiert. Der arterielle
Zugang wird nach weiteren 16 Stunden entfernt, nachdem die hämodynamisch invasive
Überwachung beendet ist. Aufgrund der systemischen Lysetherapie wird nach 10-minütiger
manueller Kompression vorübergehend ein Kompressionsverband angelegt. Der Patient
wird auf die Stroke Unit verlegt.
Körperliche Untersuchung | Zwei Tage später hat sich an der ehemaligen Punktionsstelle über der A. radialis
rechts eine schmerzlose, pulsierende Raumforderung mit auskultatorischem Strömungsgeräusch
gebildet (▸ [
Abb. 1
]). Die Motorik und Sensibilität der Finger sind nicht beeinträchtigt. Der Blutdruck
über der A. brachialis beidseits beträgt 135 / 80 mmHg.
Abb. 1 Post-Lyse aufgetretenes Pseudoaneurysma der A. radialis rechts, 3 Tage nach Entfernung
der Schleuse, die im Rahmen der invasiven Blutdruckmessung zur intensivmedizinischen
Versorgung des Patienten angelegt wurde.
Oszillografische Untersuchung | Der Kapillarpuls ist bei allen Fingern der rechten Hand unauffällig.
Duplexsonografie | Nahe am Aneurysmahals lässt sich ein 2 cm großes Pseudoaneurysma der distalen A.
radialis mit ausgedehnter Teilthrombosierung darstellen. Der Abstand zur Haut beträgt
2 mm und die Thrombuslast umfasst ca. 20 % (▸ [
Abb. 2
]).
Abb. 2 Dopplersonografische Darstellung des Pseudoaneurysmas (Ps) der A. radialis (Ar) mit
einer Ausdehnung von ca. 2 cm, einer Thrombuslast (Thr) von ca. 20 % und naher Lokalisation
zum Aneurymsahals (Ha).
Therapie und Verlauf
Chirurgischer Eingriff | Am 3. Tag nach Entfernung der 3-French-Schleuse wird die Aneurysmahöhle chirurgisch
eröffnet und die Perforationsstelle der A. radialis übernäht. Postoperativ sind die
Motorik und Sensibilität der Hand und Finger nicht beeinträchtigt. Die Wundheilung
verläuft regelrecht (▸ [
Abb. 3
]). Da es immer wieder zu paroxysmalem Vorhofflimmern kommt, wird die orale Antikoagulation
mit Apixaban 2 × 5 mg 2 Tage nach der operativen Versorgung fortgesetzt.
Abb. 3 Dopplersonografische Verlaufskontrolle der A. radialis 2 Tage nach operativer Resektion
des Aneurysmasacks mit dicroter Pulswellenamplitude und ohne Hinweise auf ein Lokalrezidiv.
Lichtplethysmografie | In allen Fingern der rechten Hand sind die Pulskurven regulär, mit prominenten Amplituden
und dikroten Wellen.
Duplexsonografie | Wir finden keinen Hinweis auf ein Rezidiv des Aneurysmas oder eine Nahtinsuffizienz
(▸ [
Abb. 4
]). Der Diameter der rechtsseitigen A. radialis beträgt 2,0 × 2,8 mm. Es zeigt sich
ein biphasisches Signal ohne Alising und es liegt keine Flussbeschleunigung in der
A. radialis und A. ulnaris vor. Insgesamt sind die Flussverhältnisse in der A. brachialis
und A. subclavia normal. Der weitere klinische Verlauf ist unauffällig.
Abb. 4 Lokalbefund 2 Tage nach operativer Resektion des Aneurysmasacks.
Laborbefunde | Prä-operativ und zum Zeitpunkt der Entlassung liegen die Leukozyten im Normbereich.
Das CRP stieg zwischenzeitlich bis auf 31 mg / l an. Bei der Entlassung beträgt der
CRP-Wert 9 mg / l. Die Gerinnung ist bei einem Quick von 61 % (INR 1,32) minimal.
Zum Zeitpunkt der Operation lag der Wert bei 68 % (INR 1,23). Der Hb Wert war im Verlauf
durchgehend im Normbereich.
Nachuntersuchung | Nach 3 Monaten bestätigt eine Kontrolluntersuchung eine regelrechte, reizlose und
trockene Narbe über dem rechten Handgelenk (▸ [
Abb. 5
]). Motorik und Sensibilität der Hand und Finger sind weiterhin uneingeschränkt. Duplexsonografisch
beträgt der Gefäßdiameter der A. radialis rechts 2,0 × 2,8 mm. Eine Striktur wird
nicht nachgewiesen. Das biphasische Flusssignal liegt bei 58 cm / s.
Abb. 5 Lokalbefund 3 Monate nach operativer Resektion des Aneurysmasacks und regelrechter
Beweglichkeit, Motorik und Sensibilität der Hand (bis auf die Narbe).
Diskussion
Komplikationen beim Pseudoaneurysma | Ein Pseudoaneurysma wird auch als falsches Aneurysma oder Aneurysma spurium bezeichnet.
Es entsteht durch eine Störung der Kontinuität der drei Wandschichten des arteriellen
Gefäßes und beschreibt ein perivaskuläres, noch nicht vollständig thrombosiertes Hämatom
mit anatomischer und hämodynamischer Verbindung zur Arterie. Dieses wird vom umliegenden
Gewebe begrenzt, wobei eine Pseudowand aus Fibrin entsteht. Pseudoaneurysmen der Unterarmarterien
sind in der Regel gut zu beherrschen. Dennoch können folgende Komplikationen auftreten
[2]:
-
lokale Pulsationen
-
Schmerzen der Hand
-
thrombotische Verschlüsse der Handarterien
-
motorische Schwäche oder neurologische Schädigungen der Hand
-
Fingernekrosen mit Amputationsgefahr
Weiterhin besteht die Gefahr eines relevanten Blutverlustes bzw. der Ruptur des Pseudoaneurysmas.
Punktion der A. radialis | Die Anlage von Verweilkanülen erfolgt vor allem auf den internistischen und anästhesiologischen
Intensivstationen bei intubierten und hämodynamisch instabilen Patienten mit Katecholaminbedarf
– wie im beschriebenen Fall. Entsprechend den Empfehlungen der aktuellen Leitlinien
der European Society of Cardiology (ESC) wird dieser Zugangsweg künftig auch vermehrt
im Rahmen von Herzkatheteruntersuchungen gewählt werden [3]. Im Vergleich zu den relativ kleinen 3-French-Schleusen, die im Rahmen der Intensivüberwachung
eingeführt werden, kommen hierbei zur Anwendung:
Studienlage | In einer prospektiven Studie (The Leipzig prospective vascular ultrasound registry
in radial artery catheterization) konnten bei transradial geführten Herzkatheteruntersuchungen
mit überwiegend diagnostischer Koronarangiografie folgende Komplikationen beobachtet
werden [4]:
Das Aneurysma spurium ist mit einer Rate von 0,2–0,4 % eine seltene Komplikation [5], [6]. Nach klinischer Manifestation erfolgt durch die Duplexsonografie die Beurteilung
der Lage, Größe und Ausdehnung von Hämatomen und dem Koagulationsstatus des Blutes
in der Hämatomhöhle.
Therapie | Als therapeutische Maßnahmen stehen zur Verfügung:
-
Ultraschall-gesteuerte manuelle Kompression des Aneurysmsas [7], [8]
-
offen chirurgische Versorgung der Perforationsstelle mit Resektion der Aneurysmahöhle
[9]
Die Thrombin-Injektion hingegen ist wegen des geringen Diameters des Pseudoaneurysmas
der A. radialis und des kurzen Aneurysmahalses nicht zu empfehlen [10]. Welche Maßnahme ergriffen wird, hängt von mehreren Faktoren ab:
-
Risiko der Thrombusverschleppung in die Aa. metatarsale oder Aa. digiti
-
Thrombuslast im Aneurysmasack
-
Nähe der Thrombusmasse zum Aneurysmahals
-
Breite des Aneurysmahalses
-
Expertise vor Ort
Ultraschall-geführt oder operativ? | Bei der chirurgischen Versorgung können folgende Komplikationen auftreten:
-
Narbenstrikturen
-
Blutungen
-
periphere arteriellen Embolien
-
Gefäßrupturen
-
Wundinfektionen
-
Radikulopathien
-
sekundäre Stenosierung der A. radialis
-
relevante Sensibilitätsstörungen an der Naht- bzw. Narbenstelle
Daher bleibt diese Methode den klinisch instabilen Patienten und den großen Aneurysmata
mit lokalen Komplikationen, wie einer ungünstigen Lokalisation der Thrombuslast im
Aneurysma, vorbehalten. Das Ultraschall-gestützte Verfahren ist die effektivere und
kostengünstigere Therapiemöglichkeit. Sie führt zu einer kürzeren Liegedauer der Patienten
und zu weniger Langzeitkomplikationen. Bislang liegen für beide Methoden keine repräsentativen
Daten zum Erfolg in großen Serien vor.
Entscheidung für die chirurgische Therapie | In unserem Fall haben wir wegen der ausgedehnten Thrombuslast und der Nähe des Thrombus
zum Aneurysmahals die offene chirurgische Resektion der Aneurysmahöhle gewählt. Das
Ziel war dabei, die Gefahr einer möglicherweise notwendigen zweiten Lysetherapie zu
vermeiden. Denn aufgrund der bereits durchgeführten systemischen Lyse im Rahmen der
Basilaristhrombose hätte es zur thrombembolischen Verschleppung und Verlegung der
distal gelegenen Aa. metatarsale oder Aa. digiti kommen können.
Konsequenz für Klinik und Praxis
-
Pseudoaneurysmen der A. radialis treten nach invasivem hämodynamischen Monitoring
auf den Intensivstationen zunehmend häufiger auf. Ein Grund hierfür liegt in der Zunahme
transradialer Punktionen im Rahmen diagnostischer Koronarangiografien sowie perkutanter
Koronarangioplastien (PTCA) mit großlumigeren Schleusen als Zugangsweg.
-
Als sichere Therapieoptionen stehen bislang die operative Resektion oder die Ultraschall-geführte
manuelle Kompression zur Verfügung. Jedoch liegen derzeit keine größeren Vergleichstudien
beider Methoden vor.
Der Beitrag wurde gemäß folgendem Erratum korrigiert:
Bei der Kasuistik „Pseudoaneurysma nach transradialer Punktion bei systemischer Lyse
einer Basilaristhrombose“ aus Heft 3 gab es einen Schreibfehler im englischen Titel.
Korrekt muss es heißen: „Pseudoaneurysm after transradial puncture in systemic lysis
of basilar artery thrombosis“.