Schlüsselwörter
stabile koronare Herzerkrankung - medikamentöse Therapie - PCI - Bypasschirurgie
Keywords
stable coronary artery disease - medical therapy - PCI - bypass surgery
Die medikamentöse Therapie hat bei stabiler KHK zentralen Stellenwert [1]. In den letzten Jahren wird die Frage nach einer zusätzlichen Revaskularisierung
zunehmend diskutiert. Insbesondere in den USA ist die Interventionsrate bei symptomfreien
oder oligosymptomatischen Patienten rückläufig. Welche Patienten mit stabiler Angina
pectoris weiterhin von einer operativen Revaskularisierung profitieren, zeigt dieser
Beitrag.
Weniger Interventionen | Medikamentös wird die stabile KHK mit einer Kombination aus einem Cholesterinsenker
(meist einem Statin) und einem Plättchenaggregationshemmer (meist 100 mg Acetylsalicylsäure)
behandelt [2]. Die Indikation zur Revaskularisierung wird in den letzten Jahren zunehmend kritisch
hinterfragt – zumindest bei oligosymptomatischen Patienten. In den USA sind die Zahlen
für Interventionen bei stabiler KHK seit Jahren rückläufig. Dies betrifft vor allem
Bypassoperationen. In Massachusetts geht parallel auch die Rate an Perkutanen Koronarinterventionen
(PCI) zurück [3]. In Deutschland hat sich dieser Trend bei der PCI noch nicht durchgesetzt.
Ursachen für den Rückgang | Für die zunehmend zurückhaltend gestellte Indikation spielen folgende Faktoren eine
Rolle:
-
Die Häufigkeit von Myokardinfarkten hat insgesamt abgenommen – am ehesten aufgrund
verbesserter primärer und sekundärer Präventionsmaßnahmen [4].
-
Im Publikationsjahr der COURAGE-Studie ist die Zahl der elektiven PCIs am stärksten
gesunken. Die Studie hatte gezeigt, dass die PCI und die medikamentöse Therapie bezüglich
harter Endpunkte (Myokardinfarkt, kardialer Tod) äquivalent sind [5].
-
In den USA wurde zudem genauer überprüft, ob revaskularisierende Maßnahmen angemessen
sind. Dies hat den weiteren Rückgang begünstigt [6].
In der instabilen Situation ist die schnelle Revaskularisierung aber weiterhin unumstritten
die Methode der Wahl.
Gründe für eine Revaskularisierung
Gründe für eine Revaskularisierung
Symptome beseitigen | Das vorrangige Ziel bei stabiler KHK ist es, die Symptomatik zu beseitigen. Die Koronarrevaskularisation
ist diesbezüglich effektiv – und wirkt schneller als die medikamentöse Therapie [7]. Insbesondere bei Patienten mit starken Angina-pectoris-Beschwerden ist die Revaskularisierung
daher aus symptomatischen Gründen sinnvoll.
Prognose verbessern | Oft sind die thorakalen Missempfindungen nicht sehr ausgeprägt. In erster Linien
verunsichern sie den Patienten in psychologischer Hinsicht: Sie erinnern daran, dass
eine bedrohliche Herzerkrankung vorliegen kann. Bei diesen Patienten kann ein aufklärendes
Gespräch über das meist niedrige Infarkt-und Todesrisiko dazu führen, dass die Beschwerden
keine unangemessenen Ängste auslösen. Hier steht die Prognose im Vordergrund der Indikationsstellung.
Randomisierte Studien aus den 1980 er Jahren haben gezeigt, dass eine Bypassoperation
die Prognose bei oligosymptomatischen, stabilen Patienten mit angiografischer Hochrisiko-Konstellation
verbessern kann [8–10].
Unter angiografischer Hochrisiko-Konstellation vesteht man eine
-
≥ 50 %-ige Stenose des linken Hauptstamms,
-
koronare Dreigefäßerkrankung mit ≥ 70 %-igen proximalen Stenosen der drei koronaren
Hauptäste oder ≥ 70 %-iger proximaler Stenose des Ramus interventricularis anterior
(RIVA) und
-
eine weitere ≥ 70 %-ige Stenose eines großen Koronarasts.
Es muss allerdings berücksichtigt werden, dass sich die medikamentöse Vergleichstherapie
zum damaligen Zeitpunkt völlig von heutigen Standards unterscheidet.
Revaskularisierung – ja oder nein?
Revaskularisierung – ja oder nein?
Kosten und Nutzen | Die Wahl der optimalen Therapieoption hängt vom individuellen Nutzen-Risiko-Verhältnis
ab. Zu den Risiken einer Revaskularisierung gehören periprozeduraler Tod, Myokardinfarkt
und Schlaganfall. Diese sind abzuwägen gegen die Vorteile, wie
-
eine verbesserte Lebensqualität und
-
eine verbesserte Prognose durch eine langfristig geringere Sterbe-, Myokardinfarkt-
und Schlaganfallrate.
Für den ansonsten gesunden, aktiven Patienten ist das Behandlungsziel in aller Regel,
die Brustschmerzen vollständig zu beseitigen und eine intensive physische Aktivität
wieder zu ermöglichen.
Bei diesen Patienten hat die Revaskularisierung zunächst Vorteile, die aber im Vergleich
mit der medikamentösen Therapie nach einem Jahr nicht mehr nachweisbar sind [7]. Für einen Teil der älteren Patienten mit ausgeprägter Angina pectoris und Hochrisikoprofil
stehen häufig die heftigen Symptome im Vordergrund. Werden diese reduziert, sind die
Tätigkeiten des täglichen Lebens wieder möglich – wenn auch verlangsamt.
Patienten mit niedrigem Risiko | Patienten mit geringem Risiko für die gefürchteten Ereignisse Myokardinfarkt oder
Koronartod profitieren prognostisch nicht von einer Revaskularisierung [2]. Diese Patienten
-
sind in der Regel gut belastbar,
-
haben wenig oder keine objektiv nachweisbare Ischämie und
-
haben angiografisch lediglich eine Ein- oder Zweigefäßerkrankung (oft mit distalen
Stenosen) ohne Beteiligung des proximalen RIVA.
Patienten mit mittlerem Risiko | Bei ihnen ist
-
die Belastbarkeit evtl. eingeschränkt,
-
die Ischämie nicht sehr ausgeprägt (Bildgebung: < 10 % des linksventrikulären Myokards)
und
-
es liegt angiografisch keine Hochrisiko-Konstellation vor.
Auch hier gibt es keine überzeugenden Daten die zeigen, dass die Revaskularisierung
einen prognostischen Gewinn bringen kann – über eine Verbesserung der Symptomatik
hinaus.
Patienten mit hohem Risiko | Hochrisikopatienten sind hingegen
Bei diesen Patienten kann eine Bypassoperation die Prognose signifikant verbessern
– auch im Vergleich zur heutigen medikamentösen Standardtherapie (Abb.
[
1
]) [11].
Abb. 1 Ereignisfreies Überleben ohne Tod, Myokardinfarkt oder Schlaganfall nach operativer
Revaskularisierung bzw. medikamentöser Therapie. In der randomisierten BARI 2D-Studie
[11] war die Überlebenswahrscheinlichkeit für Patienten nach Bypassoperation signifikant
besser als bei alleiniger medikamentöser Behandlung. Einschlusskriterien waren Diabetes
mellitus und KHK (angiografisch ≥ 50 %-ige Stenose einer größeren epikardialen Koronararterie
und pathologischem Belastungstest bzw. ≥ 70 %-iger Stenose bei typischer Angina pectoris).
Mit freundlicher Genehmigung [11].
Leitlinien-Empfehlungen | Die ESC-Leitlinien legen fest, in welchen Situationen eine Revaskularisierung aufgrund
von prognostischen Vorteilen sinnvoll ist (Tab.
[
1
]) [12]. Die US-Leitlinien fordern für die Indikation zur Revaskularisierung eine > 70 %-ige
statt > 50 %-ige Stenose (außer bei Stenosen des linken Hauptstamms).
Tab. 1
Indikationen zur Revaskularisation bei Patienten mit stabiler Angina pectoris oder
stummer Ischämie (aus: Windecker S et al. 2014 ESC / EACTS Guidelines on Myocardial
Revascularization. Eur Heart J 2014; 35: 2541–619 mit Genehmigung der ESC).
Therapieziel
|
Ausmaß der KHK (anatomisch bzw. funktionell)
|
Empfehlungsklasse
|
Empfehlungsgrad
|
Prognoseverbesserung
|
Hauptstammstenose (> 50 %)[a]
|
I
|
A
|
Jede proximale RIVA-Stenose > 50 %[a]
|
I
|
A
|
Zwei- oder Dreigefäßerkrankung mit Stenosen > 50 % mit eingeschränkter LV-Funktion
(LVEF < 40 %)[a]
|
I
|
A
|
Große Ischämiezone (> 10 % des LV)
|
I
|
B
|
Letzte verbleibende offene Koronararterie mit Stenose > 50 %
|
I
|
C
|
Symptomverbesserung
|
Jede Stenose > 50 %[a] mit einschränkender Angina oder Angina-Äquivalent, wenn eine medikamentöse Therapie
keine Besserung bringt
|
I
|
D
|
KHK = Koronare Herzkrankheit, LV = linker Ventrikel, LVEF = linksventrikuläre Ejektionsfraktion,
RIVA = Ramus interventricularis anterior
a mit dokumentierter regionaler Ischämie oder fraktioneller Flussreserve (FFR) ≤ 0,80
bei Durchmesser-Stenosen < 90 %
Studien haben gezeigt, dass Bypassoperationen die Prognose im Vergleich zur alleinigen
medikamentösen Therapie verbessern können [15]. Für die PCI liegen keine Daten vor.
Voruntersuchungen | Gemäß den aktuellen ESC-Leitlinien (Tab.
[
1
]) muss vor der Revaskularisierung nachgewiesen werden, dass die Stenose-Konstellation
auch wirklich die Ischämie verursacht. Dies kann entweder mit einem bildgebenden Verfahren
oder durch die Messung der fraktionellen Flussreserve (FFR) erfolgen [2]
[12]. Ein pathologisches Belastungs-EKG erlaubt keine anatomische Zuordnung der Ischämie
zu einem bestimmten Gefäß. Derartige Veränderungen können auch durch epikardiale Erkrankungen
der Koronararterien ausgelöst werden, die häufig von einer mikrovaskulären Funktionsstörung
begleitet werden [16].
Bypass-Operation oder PCI?
Bypass-Operation oder PCI?
Vorteile der OP | Für die Koronarrevaskularisation kommen sowohl die perkutane interventionelle Therapie
als auch die operative Bypassversorgung in Betracht. Der unbestreitbare Vorteil der
Koronaroperation ist die exzellente Langzeitoffenheitsrate (abhängig vom verwendeten
Graftmaterial). Eine erneute Koronarbehandlung über die medikamentöse Therapie hinaus
ist in den nächsten Jahren nur selten notwendig. Selbst im Falle eines Bypassverschlusses
wird das Bypass-überbrückte, native Koronargefäß häufig noch eingeschränkt perfundiert.
Im Gegensatz zum koronaren Stentverschluss kommt es bei einem Bypassverschluss nicht
zwangsläufig zu einem akuten Myokardinfarkt.
Diese Vorteile führen bei Patienten mit Dreigefäßerkrankung oder Hauptstammstenose
bereits im ersten Jahr, stärker aber noch in den folgenden Jahren nach der Operation
zu einer
-
signifikant geringeren Myokardinfarktrate (3,8 vs. 9,7 % bei PCI; p < 0,0001) und
-
signifikant geringeren erneuten Revaskularisierungswahrscheinlichkeit (13,7 vs. 25,9 %;
p < 0,0001) [17]).
Die Gesamtsterblichkeit gegenüber PCI ist ebenfalls reduziert (11,4 vs. 13,9 % ; p = 0,10).
Nachteil der Bypassoperation ist eine leicht erhöhte, prozedurbedingte zerebrale Insultrate
(3,7 vs. 2,4 %; p = 0,09) [17].
Komplexität entscheidet| Der Vorteil der Koronaroperation gegenüber der PCI wird bei Patienten mit Dreigefäßerkrankung
oder Hauptstammstenose umso größer, je schwerer die koronare Herzkrankheit ist. Um
die Komplexität der Erkrankung zu beschreiben, wurde der Syntax-Score etabliert. Dieser
berücksichtigt sowohl die Anzahl als auch die Ausprägung der koronaren Verengungen.
-
Methode der Wahl bei Patienten mit komplexer koronarer Herzerkrankung (Syntax-Score
> 22) ist – bei vertretbarem operativem Risiko – die chirurgische Koronarrevaskularisation
[12].
-
Beide Revaskularisierungsstrategien kommen in Frage für Patienten mit
-
Bei der koronaren Ein- und Zweigefäßerkrankung ohne proximale RIVA-Stenose liefert
die PCI gleichwertige Ergebnisse [18]. Aufgrund der geringeren Morbidität bevorzugen die Leitlinien hier die PCI [12].
Kommen beide Therapieverfahren in Frage, sollten dem Patienten die Nachteile beider
Verfahren dargestellt werden, d. h.
Komorbiditäten berücksichtigen | Komorbiditäten können das Risiko einer konventionellen Operation soweit erhöhen,
dass andere Behandlungsstrategien die bessere Option sind, z. B.
Patienten mit Diabetes mellitus haben in aller Regel eine diffusere und komplexere
atherosklerotische Erkrankung der Koronargefäße. Entsprechend sind die Ergebnisse
der operativen Revaskularisierung mittel- und langfristig besser als durch PCI [19]. Bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz ist die Datenlage uneinheitlich.
Mehrere Studien haben einen Überlebensvorteil nach Bypassoperation gezeigt, während
es in anderen Studien keinen Unterschied zwischen Bypassoperation und PCI gab [13]
[20].
Gemeinsam festlegen | Idealerweise sollte die weitere Therapie interdisziplinär in einem sogenannten „Heart
Team“ besprochen werden. Hierzu gehören konservative Kardiologen, Katheter-Interventionalisten
und Herzchirurgen. Bei der Therapiempfehlung berücksichtigt werden sollte
Die technische Ausführung der koronaren Bypassoperation beeinflusst das Ergebnis signifikant.
Die ESC- / EACTS-Richtlinien enthalten hierzu erstmals detaillierte Empfehlungen [12].
Die Empfehlung des „Heart Teams“ muss dem Patienten in verständlicher Form vermittelt
werden [13]. Für ein solches Gespräch muss ausreichend Zeit zur Verfügung stehen. Aus diesem
Grund empfiehlt die europäische Leitlinie zur Myokardrevaskularisation die Diagnostik
und Therapie zeitlich zu trennen.
Cave Die diagnostische Herzkatheteruntersuchung sollte nicht mit der Katheterintervention
kombiniert werden [12].
Zu einer umfassenden Information gehört, dass der Patient über den zu erwartenden
Verlauf und mögliche Komplikationen der verschiedenen Therapieverfahren aufgeklärt
wird. Das Gespräch muss aber natürlich auch die individuellen Erwartungen und Wünsche
des Patienten berücksichtigen.
Welches Bypassmaterial?
Autologes Material im Vorteil | Künstliche Bypassmaterialien haben nach wie vor keine akzeptablen Durchgängigkeitsraten.
Deshalb wird für die koronare Bypasschirurgie nur autologes Graftmaterial verwendet.
In Anbetracht der langen Überlebenszeiten nach einer Bypassoperation und der guten
Ergebnisse von Zweit- und Drittoperationen muss dabei sparsam mit diesen autologen
Gefäßen umgegangen werden.
Komplette Revaskularisierung | Die komplette Koronarrevaskularisation ist der inkompletten überlegen hinsichtlich
Beschwerdefreiheit und Überleben [12]
[21]
[22]. Eine verbindliche Definition für die Vollständigkeit der Koronarrevaskularisation
(„completeness-of-revascularisation“) gibt es allerdings nicht. Basierend auf der
chirurgischen Praxis versteht man im Allgemeinen unter kompletter Revaskularisierung
die Bypassversorgung aller epikardialen Gefäße
-
mit einem Durchmesser > 1,5 mm und
-
mit einer Stenose von > 50 % in mindestens einer angiografischen Ebene [23].
Nach einer Sternotomie sind die Koronargefäße gut erreichbar, weshalb hier die komplette
Revaskularisierung angestrebt werden sollte.
Auswahl der Gefäße | Folgende Parameter der zu revaskularisierenden Koronararterien beeinflussen die Langzeitoffenheit
der Bypässe:
-
der Lumen-Durchmesser,
-
der Stenosegrad proximal der Anastomose,
-
das versorgte Koronarstromgebiet mit zugehörigem Myokard und
-
manchmal die lokalen Gefäßwandverhältnisse im Anastomosenbereich.
Für die Revaskularisierung kommen autologe arterielle und venöse Gefäße in Frage.
Das dominierende venöse Graft ist die V. saphena magna. Bei den Arterien kommen die
beiden Aa. thoracicae internae (ITA; auch Aa. mammariae genannt) und Aa. radiales
in Frage. Die V. saphena parva und die A. gastroepiploica werden nur noch selten in
der Bypasschirurgie verwendet.
Brustwandarterien | Die Langzeitoffenheitsraten der ITA übertreffen die aller anderen Bypassgefäße deutlich:
Nach 10 Jahren sind noch ca. 90 % der ITA-Grafts durchgängig. Dementsprechend wird
heute für die Versorgung des RIVA der ITA-Bypass gefordert [7]. Werden beide Brustwandarterien verwendet, sinken die Risiken für Myokardinfarkt
und eine erneute Koronarrevaskularisation. Dadurch steigt die Überlebenswahrscheinlichkeit.
Die positiven Effekte sind unabhängig vom Alter der Patienten und der linksventrikulären
Funktion [24]
[25]. Dies gilt auch für Diabetiker [26]. Die europäischen Leitlinien empfehlen deshalb, bei Patienten < 70 Jahre beide ITA
zu verwenden [7].
Die rechte und linke innere Brustwandarterie eignen sich am besten für die koronare
Bypasschirurgie.
Werden beide Brustwandarterien genutzt, steigt allerdings das Risiko für tiefe sternale
Wundinfektionen bzw. für Sternumdehiszenzen leicht an. Grund dafür ist die eingeschränkte
Durchblutung des Brustbeins. Risikofaktoren für diese Komplikationen sind
Die Datenlage hierzu ist allerdings widersprüchlich. Bei diesen Patienten sind Nutzen
und Risiko der beidseitigen ITA-Verwendung abzuwägen. Verschiedene Methoden des Thoraxverschlusses
und der Infektionsprophylaxe werden getestet, um die Inzidenz von tiefen Wundheilungsstörungen
zu reduzieren.
Arteria radialis | Als weiteres arterielles Bypassmaterial kommt die A. radialis beider Arme als freies
Graft in Frage. Die Offenheit in situ ist zwar schlechter als bei ITA (Abb.
[
2
]), im Langzeitverlauf den Venengrafts aber überlegen [27]. Da diese Arterie in aller Regel eine starke, katecholaminsensible Lamina muscularis
hat, neigt sie zur Spastik. Das ist für die Auswahl der koronaren Empfängergefäße
wichtig. Diese müssen ausreichend groß sein und eine mindestens 70 %-ige vorgeschaltete
Stenose aufweisen. Ansonsten kann es durch eine zu geringe Flussmenge durch die A.
radialis zu einem Verschluss des Grafts kommen [28].
Abb. 2 Bypass-Durchgängigkeitsraten über 15 Jahre aus retrospektiven Daten des Beth Israel
Medical Center, New York (1851 konsekutive Patienten, von denen 278 symptomatische
Patienten eine Koronarangiographie erhielten). LITA = linke Arteria thoracica interna,
RA = Arteria radialis, SV(RA) = Venenbypass bei Patienten mit zusätzlichem Radialis-Bypass,
SV(SV) = Venenbypass bei Patienten ohne zusätzlichem Radialis-Bypass. Mit freundlicher
Genehmigung [27].
Vena saphena magna | Das in Deutschland immer noch am häufigsten verwendete Graftmaterial ist die V. saphena
magna. Diese kann simultan zur Thorakotomie entnommen werden, was letztlich OP-Zeit
spart. Ferner ist sie in großer Länge verfügbar, wodurch zahlreiche Einzelgrafts möglich
sind. Die technisch anspruchsvolleren sequenziellen Anastomosen werden dadurch vermieden.
Bypässe mit zarten, schmalkalibrigen Venen können durchaus lange durchgängig bleiben.
Dennoch sind nach 10 Jahren knapp die Hälfte – und nach 15 Jahren die überwiegende
Anzahl – der Venenbypässe wieder verschlossen [27].
Endoskopische Graftentnahme | Die endoskopische Entnahme von A. radialis und V. saphena magna ist im Vergleich
zur konventionellen offenen Technik deutlich schonender. Hierdurch können Wundheilungsstörungen
drastisch minimiert werden. Allerdings ist das Verfahren deutlich teurer und wird
in Deutschland nicht im DRG-System abgebildet.
Mit oder ohne Herz-Lungenmaschine?
Mit oder ohne Herz-Lungenmaschine?
Operationstechniken | Die Diskussion um die beste Strategie der koronaren Bypassoperation wird unter den
Herzchirurgen sehr intensiv geführt. Der Vorteil eines Eingriffs mit Herz-Lungenmaschine
(HLM) besteht darin, das Herz während der Bypassanlage ruhigzustellen. Bei der Operation
am schlagenden Herzen kommt hingegen ein spezieller Haltearm zum Einsatz. Dieser saugt
sich auf dem Bereich des Herzens fest, an dem die Koronaranastomose ausgeführt wird,
und legt diesen still. Währenddessen muss der Rest des Herzens das notwendige Schlagvolumen
generieren. Diese Technik wird OPCAB („off-pump-coronary-artery bypass“) genannt.
Vorteile der OPCAP | Bei der OPCAP-Methode muss die – nicht selten verkalkte – Aorta nicht kanüliert werden.
Dadurch wird vermieden, dass sich Kalkpartikel lösen, die wiederum zu Schlaganfällen
führen können. Vor allem aber hat das Blut des Patienten keinen Fremdoberflächenkontakt
mit dem Schlauchsystem der HLM. Dieser kann das Entzündungssystems des Körpers aktivieren
und ein SIRS („systemic-inflammatory-response-syndrome“) unterschiedlicher Schweregrade
verursachen.
OP ohne Aortenkontakt | OPCAB erlaubt als einzige Technik eine Operation ohne Berührung der Aorta („Aortic-no-touch-Technik).
Die linke ITA kann dabei als in-situ-Graft verwendet werden und wird weiterhin aus
der A. subclavia gespeist. Das kann die Inzidenz neurologischer Komplikationen reduzieren.
Um eine komplette Revaskularisierung zu ermöglich, kann die rechte ITA oder die A.
radialis seitlich mit der linken ITA vereinigt werden (Abb.
[
3
]).
Abb. 3 Koronarangiogramm mit Kontrastmittelinjektion in die linke A. thoracica interna (LITA)
nach vierfachem total-arteriellen Bypass in OPCAB-Technik. LITA (weiße Pfeile), Anastomosen
(gelbe Pfeile), rechte A. thoracica interna (RITA, grüne Pfeile). End-zu-Seit-Anastomose
von RITA an LITA (1), Seit-zu-Seit- Anastomose von LITA an Ramus diagonalis (2), End-zu-Seit-Anastomose
LITA an Ramus interventricularis anterior (3), Seit-zu-Seit-Anastomose RITA an Ramus
marginalis sinister (4). End-zu-Seit-Anastomose RITA an Ramus posterolateralis (5).
Studienlage | Drei der vier prospektiv randomisierten, multizentrischen Studien der letzten Jahre
haben keine wesentlichen Unterschiede zwischen der konventionellen und der OPCAB-Technik
festgestellt. Der kombinierte Enpunkt bestand aus Tod, Myokardinfarkt, Apoplex und
erneuter Revaskularisierung [29–32]. Die einzige Studie, die eine Überlegenheit der HLM-Operationen nachgewiesen hat,
war methodisch angreifbar [29]. Meta-Analysen und Datenbankauswertungen zufolge ist die Off-pump-Koronarrevaskularisation
mit HLM hinsichtlich
-
Mortalität,
-
Schlaganfallrate,
-
Nierenversagen und
-
Nachblutung
tendenziell vorteilhafter [33]
[34]. Die erneute Revaskularisierung ist hingegen nach On-pump-Eingriffen ohne HLM etwas
seltener.
Für einen erfolgreichen OPCAB-Eingriff scheint es entscheidend zu sein, die notfallmäßige
Konversion zu einem HLM-Eingriff zu vermeiden [35]. Dafür sind die regelmäßige Durchführung und Erfahrung essenziell.
Welcher Operations-Zugang?
Welcher Operations-Zugang?
Sternotomie | Der dominierende Zugang für die operative Koronarrevaskularisation ist die komplette
Sternotomie. Diese erlaubt es, alle betroffenen Koronararterien vollständig zu versorgen.
Zu den postoperativen Komplikationen gehören tiefe Wundheilungsstörungen oder eine
Pseudarthrose des Sternums. Dies kann mit anhaltenden Schmerzen oder einem deutlich
verlängertem Krankenhausaufenthalt verbunden sein.
Seitliche Thorakotomie | Die Revaskularisierung über eine linksseitige, anterolaterale Thorakotomie ist eine
attraktive Alternative zur Sternotomie. Etabliert ist dieses Verfahren für sogenannte
MIDCAB-Eingriffe („minimally-invasive-coronary-artery-bypass“). Hierbei wird der RIVA
minimalinvasiv mit der linken ITA revaskularisiert. Einige wenige Zentren gewinnen
zunehmend mehr Erfahrung, auch Koronargefäße der Seiten- und Hinterwand über diesen
Zugang zu versorgen. Als zweites Bypass-Graft kommen dafür die A. radialis oder die
V. saphena magna zum Einsatz, die dann seitlich an die linke ITA inseriert werden.
Hybrideingriffe
Die Vorteile vereinen | Koronare Hybrideingriffe kombinieren die minimalinvasive arterielle koronare Bypasschirurgie
und die PCI. Das Verfahren wird angewandt, um eine speziellen Untergruppe von koronaren
Mehrgefäßerkrankungen zu behandeln. Die Idee ist es, das Beste beider Methoden zu
vereinen:
Letztere sind für Koronargefäße außer dem RIVA besser geeignet als Venenbypässe [36].
Studienlage | Das Kombinationsverfahren wurde Mitte der 1990er Jahre eingeführt. Seither gibt es
nur eine kleine randomisierte Studie, die Hybrideingriffe mit der koronaren Bypasschirurgie
vergleicht. In dieser Studie unterschieden sich die Ergebnisse zwischen den beiden
Gruppen nicht [37]. Derzeit wird die Indikation für einen Hybrideingriff daher nur durch das „Heart
Team“ gestellt [12].
Konsequenz für Klinik und Praxis
-
Bei stabiler KHK ist primär die medikamentöse Behandlung die Therapie der Wahl.
-
Eine zusätzliche Revaskularisierung kann erwogen werden, um die Symptome zu lindern
und die Prognose zu verbessern.
-
Insbesondere Hochrisikopatienten für Myokardinfarkt oder Koronartod können von der
Revaskularisierung profitieren.
-
Bei komplexer koronarer Anatomie verbessert die Bypassoperation die Prognose der Patienten
im Vergleich zur PCI.
-
Moderne Techniken haben die Invasivität des chirurgischen Eingriffs deutlich verringert.