Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2015; 50(6): 416-424
DOI: 10.1055/s-0041-101788
Fachwissen
Anästhesiologie: Topthema
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der suchtkranke Patient in der Anästhesie – Patienten mit Benzodiazepin-abhängigkeit

The addicted patient in anaesthesia – benzodiazepine dependence
Christine Schneemilch
,
Michael Brinkers
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Publication Date:
06 July 2015 (online)

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Zusammenfassung

Als Folge der demografischen Entwicklung wird sich der Anteil ältere Patienten, die sich operativen Eingriffen unterziehen und anästhesiologisch betreut werden müssen, zunehmend erhöhen. Der Verbrauch von Benzodiazepinen nimmt nachweislich mit steigendem Lebensalter zu und damit wächst auch die Gefahr der Abhängigkeit mit einem hohen Risiko an Nebenwirkungen wie kognitive Störungen, Delir und Stürzen. Eine langfristige Einnahme kann auch bei Niedrigdosierungen perioperative Entzugssymptome hervorrufen. Der vorliegende Artikel weist auf Besonderheiten und Komplikationen hin, die v. a. bei Patienten im höheren Lebensalter mit einer kritischen Benzodiazepineinnahme verbunden sind.

Abstract

As a result of the demographic change, the proportions of elderly patients undergoing operations and anesthesia are increasingly important. The consumption of benzodiazepines evidently rises with increasing age. Associated with the increasing consumption in the elderly is the risk of cognitive impairment, delirium, falls and fractures. Also long-term benzodiazepine use in low-dose may induce perioperative withdrawal syndrome. The following article will present characteristics and complications accompanied by critical benzodiazepine use especially in the elderly patients.

Kernaussagen

  • Alle Benzodiazepinderivate und Non-Benzodiazepine weisen ein erhöhtes Abhängigkeitspotenzial auf.

  • Benzodiazepine haben eine große therapeutische Breite. In Verbindung mit Alkohol oder Drogen (sekundäre Hochdosisabhängigkeit) kann es zu letalen Folgen kommen.

  • Das Risiko unerwünschter Wirkungen ist bei älteren Patienten als besonders hoch einzuschätzen.

  • Patienten mit kritischer Benzodiazepineinnahme (Niedrigdosisabhängigkeit) fühlen sich selten abhängig oder süchtig.

  • Das Auftreten von Entzugssymptomen ist abhängig von den pharmakokinetischen Eigenschaften des Präparats. Kenntnis von Präparat, Dauer der Einnahme und Dosierung sind wichtig.

  • Im Prämedikationsgespräch ist unbedingt verstärkt nach der Einnahme psychotroper Substanzen zu fragen, da körperliche Abhängigkeitssymptome meist fehlen.

  • Bei psychischen Komorbiditäten ist eine Mitbetreuung durch einen psychiatrischen Fachkollegen empfehlenswert.

  • Bei Adipositas und älteren Patienten ist die Wirkdauer durch Umverteilungen im Organismus und eine veränderte Metabolisierungsrate verlängert.

  • Patienten mit Benzodiazepinabhängigkeit sind postoperativ durch das Auftreten von kognitiven Störungen, Delir und Entzugssymptomatik gefährdet.

  • Eine Weiterführung der Benzodiazepineinnahme in Kombination mit Clonidin kann der Entwicklung einer postoperativen Entzugssymptomatik vorbeugen.

Ergänzendes Material