Dialyse aktuell 2015; 19(S 01): s24-s25
DOI: 10.1055/s-0036-1571393
Forum der Industrie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Wenn das Gleichgewicht kippt … – Phosphatkontrolle – ein zentraler Baustein der CKD-MBD-Therapie

Stephanie Schikora
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Publication Date:
25 January 2016 (online)

 

Gefäßverkalkung, eine Verminderung der Knochendichte und Frakturen sind Prozesse, die im Verlauf des Lebens vermehrt auftreten, konstatierte Prof. Jorge Jannata-Andia, Oviedo (Spanien). Besonders betroffen sind jedoch Patienten mit einer eingeschränkten Nierenfunktion. Finden sich in der Normalbevölkerung bei rund 60 % der Menschen über 75 Jahren Kalkablagerungen in der Aorta [1] und erleiden 30 % der Männer und 35 % der Frauen in diesem Alter Wirbelkörperfrakturen [2], treten bei Patienten mit einer chronischen Niereninsuffizienz im Stadium 3–4 nicht vertebrale Frakturen 2- bis 3-mal häufiger, im Stadium 5 sogar 3- bis 6-mal häufiger auf als bei Gesunden. Dabei sind im Stadium 5 sowohl eine geringe Knochendichte [4] als auch eine verstärkte Gefäßverkalkung [5] mit einer erhöhten Mortalität assoziiert.

Die „Knochen-Gefäß-Achse“

„Bis vor Kurzem“, so Jannata-Andia, „wurde diese Assoziation jedoch unterschätzt und Osteoporose und Gefäßverkalkung galten als nicht modifizierbare Alterserkrankungen.“ Immer mehr aktuelle Daten verweisen jedoch darauf, dass beides nicht einfach eine Konsequenz des Älterwerdens ist. Vielmehr scheinen sie über biologische Signalwege wie den "Wnt-pathway" direkt miteinander in Verbindung zu stehen [6]. Demzufolge ist die Progression der Gefäßverkalkung mit einem verstärkten Verlust an Knochendichte und vermehrten Frakturen assoziiert [7].

Normalerweise stehen der Kalzifizierungsgrad der Gefäße und der Mineralisationsgrad der Knochen im Gleichgewicht. Höheres Alter [8] [9], eine Verschlechterung der Nierenfunktion [10] und/oder ein zu hoher Phosphatspiegel [10] sind jedoch Faktoren, die dieses Gleichgewicht stören und zu einer zunehmenden Kalzifizierung der glatten Gefäßmuskulatur und einer entsprechend abnehmenden Knochendichte beitragen [Abb. 1].

Die wichtigsten Schlüssel in diesem fortschreitenden Prozess sind insbesondere erhöhte Phosphat- und Kalziumkonzentrationen [11], die einen synergistischen Effekt auf die Gefäßkalzifizierung haben: Die Bildung von Hydoxylapatit-Nanokristallen induziert

  • die Apoptose der Muskelzellen,

  • ihre osteochondrozytische Differenzierung,

  • die Down-Regulation der Inhibitoren der Kalzifizierung,

  • Alterung und

  • Zelltod.

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Abb. 1 Alter, eine nachlassende Nierenfunktion oder hohe Phosphatspiegel bringen die sensible Assoziation zwischen Gefäßkalzifizierung und die Knochenmineralisierung aus dem Gleichgewicht.

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Phosphatbinder als effiziente Therapieoption

Mit der Gabe von Phosphatbindern lässt sich jedoch die Ablagerung von Kalzium in den glatten Gefäßmuskelzellen (VSMC: „vascular smooth muscle cells“) signifikant reduzieren [12]. „Insbesondere bei Patienten mit bereits bestehenden kardiovaskulären Kalzifizierungen sollte nach den Empfehlungen der NKF/K-DOQITM-Leitlinie jedoch die Gabe von kalziumhaltigen Phosphatbindern vermieden werden“, warnte Cozzolino [13]. Besser geeignet in dieser Situation sind kalziumfreie Phosphatbinder wie beispielsweise Lanthankarbonat (Fosrenol®).

Prof. Markus Ketteler, Coburg, präsentierte in diesem Zusammenhang eine Metaanalyse mit 11 randomisierten, kontrollierten Studien, welche die Effekte einer Gabe von kalziumhaltigen und kalziumfreien Phosphatbildern überprüften. Insgesamt ließ sich die Gesamtmortalität der Patienten durch die Gabe eines kalziumfreien Phosphatbinders signifikant um 22 % reduzieren (Risk Ratio (RR): 0,78; Konfidenzintervall (CI): 0,61–0,98) [14].

Ketteler verwies auch auf placebokontrollierte Studiendaten von Block et al., der die Effekte verschiedener Phosphatbinder bei Patienten mit moderater Niereninsuffizienz verglich. Innerhalb eines Zeitraums von 9 Monaten konnte durch die Gabe von 3 unterschiedlichen Phosphatbindern im Gesamtkollektiv die Serumphosphatwerte signifikant reduziert werden – allerdings förderten sie in dieser Studie zugleich die vaskuläre Kalzifizierung. Am geringsten jedoch veränderte sich der Kalzifizierungsgrad der Koronararterie unter der Gabe von Lanthankarbonat [15].

Generell sollten bei der Wahl eines geeigneten Phosphatbinders potenziell bestehende Komorbiditäten einer Störung des Mineral- und Knochenstoffwechsels bei chronischer Nierenerkrankung (CKD-MBD: „chronic kidney disease – mineral bone disorder“) berücksichtigt werden, dies wird unter anderem in den KDIGO-Leitlinien (s. Kasten) gefordert [3]. Insbesondere die Kenntnis des Kalzifizierungsgrads der Herzklappen [11] sei für das Management dieser Patienten von besonderer Bedeutung, so Cozzolino. Er verwies auch auf den Wert einer Vitamin-D-Ersatztherapie parallel zur Gabe von Phosphatbindern bei diesen Patienten. Denn bei einer Serumkonzentration von Vitamin D unter einem Wert von 75 nmol/l verringert sich die intestinale Kalziumabsorption und die Parathormonwerte steigen an [16].


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Nahrungskarenz reicht zur Kontrolle der Phosphatspiegel meist nicht aus

Der primäre Ansatz zur Kontrolle der Phosphatspiegel muss sicherlich zunächst die Reduktion der Aufnahme von Phosphat aus der Nahrung sein – zum einen, der Verzicht auf Lebensmittel, die reich an natürlichem Phosphat sind, allem voran jedoch ein Verzicht auf verarbeitete Fleischprodukte wie Wurst und Schinken oder auch Schmelzkäse, also Lebensmittel mit einem hohen Gehalt an Zusatzstoffen. Denn diese Stabilisatoren, Konservierungs-, Verdickungs- und Säuerungsmittel oder Emulgatoren sind frei löslich und werden fast vollständig in den Körper aufgenommen, konstatierte Ketteler. Natürliche Phosphate aus Kartoffeln, Fleisch oder Getreideprodukten usw. sind dagegen organisch gebunden und gelangen nur zu 40–60 % ins Blut [Abb. 2].

Der Phosphatgehalt eines Nahrungsmittels muss jedoch nicht deklariert werden. Die Kennzeichnungsvorschriften sehen auch für Zusatzstoffe keine Mengenabgaben vor. So bleiben die Verbraucher im Unklaren darüber, wie groß die Menge der (zugesetzten) Phosphate überhaupt ist. Damit haben sie auch keine Chance, gezielt Lebensmittel mit geringen Mengen an Phosphatzusätzen auszuwählen.

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Abb. 2 Auf Linseneintopf mit Wiener Würstchen sollten CKD-MBD-Patienten aufgrund des hohen Phosphatanteils besser verzichten.(Bild: Thieme Verlagsgruppe)

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Optimale medikamentöse Therapie als Ergänzung

Umso wichtiger ist die Reduktion der Serum-Phosphat-Spiegel mit Phosphatbindern, um das Fortschreiten der Niereninsuffizienz zu verlangsamen und damit die Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse und die Mortalität der betroffenen Patienten zu senken, betonte Cozzolino. Im Sinne der Adhärenz der Patienten warb Ketteler für den Einsatz von Phosphatbindern mit niedriger Tablettenlast. Denn mit im Schnitt 19 Tabletten pro Tag liege diese bei Dialysepatienten deutlich höher als bei anderen chronischen Erkrankungen [19]. Mit 49 % den größten Anteil daran haben die Phosphatbinder [19].

Eine so hohe Tablettenlast wirkt sich jedoch schnell negativ auf die Adhärenz der Patienten und damit auch auf die Senkung des Phosphatspiegels aus. Die Hyperphosphatämie stelle aber in allen Stadien der chronischen Niereninsuffizienz ein hohes Risiko bezüglich Kalzifikation und Mortalität dar. Bei einer Verordnung von Lanthankarbonat müssen jedoch von den kalziumfreien Kautabletten oder Pulversachets ggf. nicht mehr als 3 pro Tag eingenommen werden.

Update für KDIGO-Leitlinie ist in Arbeit

Die bereits im Jahr 2009 publizierte KDIGO-Leitlinie (KDIGO: Kidney Disease: Improving Global Outcomes) bedarf inzwischen ganz klar einer Überarbeitung, darauf verwies Prof. Markus Ketteler, Coburg. Bereits 2013 hatte sich eine Konferenz mit den Kontroversen zu der Leitlinie befasst. 74 Experten aus 5 Kontinenten und 19 Ländern vereinbarten schon damals eine Durchsicht der seit 2009 publizierten Literatur rund um das Management der Hyperphosphatämie – einem laut Ketteler wesentlichen Aspekt bei der Revision der Leitlinie [17].

Denn in den letzten Jahren hat sich die Wahrnehmung von und der Umgang mit dem Gleichgewicht zwischen Kalzium und Phosphat verändert. Ordnete man zur Erstellung der Leitlinie eher dem Parathormon die zentrale Stelle im Gleichgewicht zwischen Phosphat, Kalzium, Vitamin D und Parathormon zu, rückte in den letzten Jahren mehr und mehr das Phosphat an diese zentrale Stelle [18].

Darüber hinaus gebe es neue Sicherheitshinweise in Bezug auf den Kalziumspiegel oder auch unerwartete neue Erkenntnisse zu den unterschiedlichen Konsequenzen verschiedener Maßnahmen zur Senkung des Serum-Phosphat-Spiegels sowohl im Prädialyse- als auch im Dialysestadium bei Erwachsenen [17].

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Shire Deutschland GmbH, Berlin.

Die Beitragsinhalte stammen vom interaktiven, digitalen und globalen Online-Event „Shire Global Knowledge Exchange Meeting: Further insights into the clinical management of CKD-MBD“, veranstaltet von der Shire Deutschland GmbH, Berlin, am 25.09.2015

Die Autorin ist Redaktionsleiterin und Programmplanerin im Karl Demeter Verlag im Georg Thieme Verlag.


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Abb. 1 Alter, eine nachlassende Nierenfunktion oder hohe Phosphatspiegel bringen die sensible Assoziation zwischen Gefäßkalzifizierung und die Knochenmineralisierung aus dem Gleichgewicht.
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Abb. 2 Auf Linseneintopf mit Wiener Würstchen sollten CKD-MBD-Patienten aufgrund des hohen Phosphatanteils besser verzichten.(Bild: Thieme Verlagsgruppe)