Rehabilitation (Stuttg) 2015; 54(06): 361
DOI: 10.1055/s-0035-1569333
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Rehabilitation bei vulnerablen Zielgruppen

Rehabilitation in Vulnerable Groups
M. Schmidt-Ohlemann
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Publication Date:
16 December 2015 (online)

Die Flüchtlingsströme, die derzeit nach Europa gelangen, stellen in vielfacher Hinsicht eine Herausforderung dar, so auch für das System der Rehabilitation. Es ist zu erwarten, dass bei einer nicht unbedeutenden Zahl von Geflüchteten gesundheitliche Beeinträchtigungen vorliegen, die zusätzlich zu Herkunfts-, Sprach- und anderen Barrieren Teilhabe und Inklusion im Wege stehen können. Auch bei dieser Personengruppe können Leistungen der medizinischen Rehabilitation erforderlich sein, um z. B. ein Operationsergebnis zu sichern oder selbständige Mobilität zu ermöglichen. Hier gilt es, rechtzeitig Bedarfe zu erkennen, geeignete Angebote zu entwickeln und dafür zu sorgen, dass deren Inanspruchnahme nicht an Zugangsbarrieren scheitert.

Schwarz et al. befassen sich in ihrem Beitrag mit der Rehabilitation der Personen mit Migrationshintergrund, die schon länger in Deutschland leben und bereits einen Anspruch auf Rehabilitationsleistungen erworben haben. Bei dieser Gruppe wird einerseits ein hoher, zumindest aber durchschnittlicher Rehabilitationsbedarf vermutet, andererseits ist eine geringere Inanspruchnahme als bei Vergleichsgruppen zu beobachten. Der Beitrag identifiziert Barrieren für die Inanspruchnahme und eröffnet Handlungsoptionen für eine bessere Zugänglichkeit. Erhebliche Herausforderungen stellen sich z. B. in der psychosomatischen Rehabilitation und im Hinblick auf die Passung der Konzepte für diese Personengruppe.

Auch der Beitrag von Hasseler beschäftigt sich mit einer vulnerablen Personengruppe mit besonderen Problemen bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen, nämlich Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen. In einer kleinen qualitativen Studie werden Defizite in der gesundheitlichen Versorgung anhand subjektiver Erfahrungen erhoben. Der Gesetzgeber hat dem aktuell mit der Einfügung von §+119 c und §+43 b in das SGB V schon Rechnung getragen. Demnach sollen medizinische Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger oder mehrfacher Behinderung analog zu den Sozialpädiatrischen Zentren eingerichtet werden.

Das Problem der multiresistenten Erreger in Rehabilitationseinrichtungen wird von Heudorf et al. wieder aufgenommen und in Teil II weiter analysiert. Die ärztliche Risikoanalyse wird als zentrales Instrument vorgestellt und Hygienemaßnahmen werden abgeleitet, die den Umgang mit dieser Rehabilitandengruppe in vielen Einrichtungen deutlich erleichtern dürften.

2 Beiträge befassen sich mit Fragen des Outcome: Deck et al. untersuchen den gesundheitlichen und beruflichen Status bei abgelehntem Reha-Antrag und kommen zu dem Ergebnis, dass sich die Gruppe mit abgelehntem Antrag nicht von der mit genehmigtem Antrag unterscheidet. Bethge und Streibelt vergleichen Voll- und Teilqualifizierungen in der beruflichen Rehabilitation und finden keine relevanten Unterschiede im Hinblick auf die resultierende berufliche Situation. Die weitreichenden Folgerungen beider Studien werfen möglicherweise noch methodische Fragen im Hinblick auf das genutzte Matching-Verfahren auf.

Anschließend rückt die subjektive Dimension von Rehabilitation in den Mittelpunkt: Hammerschmidt et al. analysieren die von Patienten mit koronarer Herzerkrankung oder chronischen Rückenschmerzen artikulierten Rehabilitationsziele und kommen zu dem Ergebnis, dass entgegen mancher Skepsis die freitextlichen Zielformulierungen der Rehabilitanden im Vorfeld durchaus eine gute Grundlage für partizipative Zielvereinbarungen sein können. Somit könnte die Prüfung der Erreichung der subjektiven Ziele eine wichtige Rolle bei der Untersuchung der Ergebnisqualität spielen. Es folgt ein methodischer Beitrag: Deck et al. berichten über Einschränkungen der Teilhabe in der Bevölkerung und liefern Normdaten für den IMET auf der Basis eines Bevölkerungssurveys.

Der Beitrag zur Fort- und Weiterbildung (CME) „Rehabilitation bei Patienten mit Amputationen an den unteren Extremitäten“ von Greitemann gibt einen umfassenden Überblick über die vielfältigen Möglichkeiten der Versorgung ohne und vor allem mit Prothesen. Mit zahlreichen praxisrelevanten Hinweisen werden die Interventionen des möglichst erfahrenen Rehabilitationsteams illustriert.

Die Herausgeber wünschen Ihnen eine anregende Lektüre und freuen sich, Sie auch im Neuen Jahr als Leserinnen und Leser wieder begrüßen zu können. Wir freuen uns besonders, wenn Sie sich mit eigenen Beiträgen an der wissenschaftlichen Diskussion zur Rehabilitation beteiligen, und laden Sie dazu herzlich ein. Dabei soll Rehabilitation durchaus in einem weiten Sinne verstanden werden.

Mit den besten Wünschen für einen schönen Jahresausklang und ein gutes Jahr 2016 sowie mit herzlichen Grüßen

Ihre Herausgeber