So viel steht fest: Die Akademisierung der Ergotherapie lässt sich nicht mehr aufhalten.
Viele Therapeuten fragen sich, ob sie einen akademischen Grad erwerben möchten. Haben
sie bereits eine Ausbildung absolviert, können sie ein Bachelorstudium draufsetzen.
Oder sie entscheiden sich direkt für ein grundständiges Studium.
Der klassische Weg
„Nach meiner Ausbildung verfügte ich über ein gutes Grundwissen. Das reichte mir aber
nicht.“ So wie Claudia Klein geht es vielen Ergotherapeuten, die nach ihrer Ausbildung
ein Bachelorstudium aufnehmen. Claudia wollte vor allem mehr über ergotherapeutische
Modelle, Forschung und Clinical Reasoning erfahren. Dafür wählte sie ein Studium an
der Zuyd Hogeschool im niederländischen Heerlen aus. Sie hatte vom guten Ruf dieser
Hochschule gehört und wollte vom fortschrittlichen Denken der Niederländer profitieren.
Nicht immer entscheiden sich ausgebildete Ergotherapeuten für ein fachspezifisches
Studium. Manche möchten ihren Blickwinkel erweitern und sich für neue Aufgaben qualifizieren.
Wie Verena Kawaletz, die an der IB Hochschule Berlin Gesundheitswissenschaften studierte.
Verena reizte vor allem die interdisziplinäre Ausrichtung des Bachelorstudiengangs.
Außerdem wollte sie ihre beruflichen Perspektiven verbessern. Für sie spielten aber
auch pragmatische Gründe eine Rolle: Sie konnte am Studienzentrum in ihrem Wohnort
studieren und hatte somit kurze Anfahrtswege und geringere Kosten.
Ergotherapie studieren
Möchte man wie Claudia nach der Ausbildung einen Bachelorgrad in Ergotherapie erwerben,
hat man Glück. Denn normalerweise erkennen fachspezifische Bachelorstudiengänge die
Ausbildungsleistungen teilweise an. Dadurch bleibt das Studium von kurzer Dauer. Einige
Hochschulen bieten außerdem die Möglichkeit, parallel zur Ausbildung bereits einzelne
Module abzuschließen. Ergotherapie-Bachelorstudiengänge zielen vor allem darauf ab,
die bereits erworbenen berufspraktischen Kompetenzen durch methodisches und wissenschaftliches
Know-how zu vertiefen [1-3]. Einige ergänzen den fachspezifischen Unterricht durch
gesundheitswissenschaftliche und -ökonomische Lehrinhalte. Ziel ist der reflektierte
Praktiker, der sein therapeutisches Vorgehen fundiert begründen und eine Praxis oder
Ergotherapieabteilung leiten kann [1, 2].
Um ein Ergotherapiestudium aufzunehmen, muss man nicht wie Claudia zwischen Deutschland
und den Niederlanden hin- und herpendeln. Es gibt auch Hochschulen in Deutschland,
zum Beispiel die HAWK Hildesheim, die Hochschule Osnabrück und private Fachhochschulen.
Wer sich an einer staatlichen Hochschule bewerben will, braucht eine Hochschulzugangsberechtigung.
Außerdem muss er eine Einstufungsprüfung absolvieren. Es gibt aber Ausnahmen. Beispielsweise,
wenn der Bewerber seine Ausbildung an einer kooperierenden Berufsfachschule absolviert
und bereits an Zusatzangeboten der Hochschule teilgenommen hat [1, 2].
Abb.: privat
» Wer berufsbegleitend studiert, lernt die theoretischen Inhalte viel leichter. «
Verena Kawaletz
Abb.: privat
» Wenn man etwas wirklich will, nimmt man alles in Kauf. «
Claudia Klein
Neben dem Job studieren
Einige Hochschulen stellen dem Bewerber frei, ob er sein Studium in Voll- oder Teilzeit
durchführen möchte. Für viele Ergotherapeuten kommt nur die berufsbegleitende Variante
in Frage, da sie Studium und Lebensunterhalt durch ihre Arbeit finanzieren müssen.
Auch Verena und Claudia haben sich für diesen Weg entschieden. Verena arbeitete neben
ihrem Studium Vollzeit in einer ambulanten Reha. Zusätzlich zur vereinbarten Arbeitszeit
baute sie regelmäßig Überstunden auf, die sie während der Präsenzphasen freinehmen
konnte. Tagsüber gestaltete sie also ergotherapeutische Therapien für Klienten. Abends
und an den Wochenenden setzte sie sich an ihre Studienunterlagen, bereitete die Präsenzphasen
vor oder verfasste Hausarbeiten. Bei Claudia sah es ähnlich aus. Sie arbeitete gleichzeitig
als Ergotherapeutin in einer Praxis und in einem Zentrum für junge Körperbehinderte.
Statt den empfohlenen 20 Stunden lag ihre wöchentliche Arbeitszeit oft weit über 40
Stunden. Sonst wäre ihr nicht genügend Geld zum Leben geblieben. Das bedeutete: Drei
Jahre lang kaum Freizeit und ein Minimum an sozialen Kontakten. Dank ihres guten Zeitmanagements
hielt sie aber durch: „Wenn man etwas wirklich will, nimmt man alles in Kauf.“ Trotz
Doppelbelastung sehen sich Claudia und Verena klar im Vorteil. Sie konnten die gelernte
Theorie direkt mit ihren praktischen Erfahrungen verknüpfen. Verena weiß: „So lernt
man die theoretischen Inhalte viel leichter.“
Ohne Umweg ins Studium
Mittlerweile kann man Ergotherapie auch grundständig studieren; also ohne vorherige
Ausbildung. Diese Möglichkeit reizte Annika Froese, nachdem sie ihr Abitur abgeschlossen
hatte. Sie verglich verschiedene Studienangebote miteinander und bewarb sich an der
Hochschule für Gesundheit in Bochum. Die Entscheidung fiel ihr leicht. Denn im Gegensatz
zu privaten Hochschulen fallen an dieser staatlichen keine Studiengebühren an, sondern
nur Semester- bzw. Sozialbeiträge [4]. Eine Hürde musste sie allerdings überwinden:
den Numerus clausus. Der lag bei 1,7; ihr Notendurchschnitt im Abitur bei 1,9. Sie
bewarb sich trotzdem und bekam im Nachrückverfahren einen Studienplatz.
Greta Teitge hat ihr Studium an der Hochschule für Gesundheit gerade beendet und zwei
Abschlüsse gleichzeitig erworben: das staatliche Examen und den Bachelor of Science.
Der Vorteil liegt für sie auf der Hand: „Das staatliche Examen ermöglicht es mir,
in Deutschland als Ergotherapeutin tätig zu sein. Mit meinem Bachelorgrad kann ich
im Ausland arbeiten und ein Masterstudium aufnehmen.“ Die Kombination der beiden Abschlüsse
heißt aber auch, dass Studenten wie Annika innerhalb von dreieinhalb Jahren alle erforderlichen
Kompetenzen erwerben müssen: praktische, methodische und wissenschaftliche [5]. Dafür
ermöglicht das grundständige Studium von Anfang an eine Ausbildung auf akademischem
Niveau. Die Studenten gehen also bereits mit anderen Voraussetzungen in ihre studienbegleitenden
Praktika. Das komprimierte Programm hat aber auch seinen Preis, weiß Annika: „Es gibt
nur wen ig Semesterferien.“
Abb.: privat
» In meinen Praktika musste ich immer wieder betonen, dass ich nach dem Studium als
‚normale‘ Ergotherapeutin tätig sein möchte. «
Greta Teitge
Abb.: privat
» Das grundständige Studium ermöglicht eine Ausbildung auf akademischem Niveau – für
Semesterferien bleibt da nicht viel Zeit. «
Annika Froese
Der Aufwand lohnt sich!
So unterschiedlich ihre Wege auch verliefen, alle vier Frauen ziehen eine positive
Bilanz. Verena rechnet sich nach ihrer Elternzeit Chancen auf eine bessere Position
und mehr Gehalt aus. Außerdem hat sie durch ihr Studium gelernt, wissenschaftlich
zu arbeiten und kritischer zu denken. Das schätzen auch die anderen drei an ihrem
Studium. Annika und Greta finden es besonders hilfreich, therapeutische Entscheidungen
fundiert begründen zu können. Auch um dem Ruf der Basteltante entgegenzuwirken.
In der Praxis stoßen sie meist auf positive Resonanz. Einige Berufspraktiker haben
aber auch Vorbehalte gegenüberdem grundständigen Studium, erzählt Greta: „In meinen
Praktika musste ich immer wieder betonen, dass ich nach dem Studium als ‚normale‘
Ergotherapeutin tätig sein möchte und großen Respekt vor der Berufserfahrung der Kolleginnen
habe.“ Neben ihrer praktischen Arbeit als Ergotherapeutin kann sie sich vorstellen,
berufsbegleitend ein Masterstudium zu absolvieren und in die Lehre einzusteigen. Diese
Idee hat es auch Claudia angetan. Ihren Wunsch, zu unterrichten, entwickelte sie im
Bachelorstudium. Ein halbes Jahr nach ihrem Abschluss nahm sie bereits eine Dozentenstelle
an einer ergotherapeutischen Berufsfachschule auf. Ihr Fazit: „Das Studium hat mir
viele Türen geöffnet, und dafür bin ich dankbar.“