Sprache · Stimme · Gehör 2014; 38(04): 188
DOI: 10.1055/s-0034-1398737
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Schreiknötchen“

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Publication Date:
09 January 2015 (online)

 

    Begriffsverwirrung und -vielfalt

    „Schreiknötchen“ oder „Sängerknötchen“ sind in der Praxis gängige Begriffe. Fälschlicherweise werden oftmals andere gutartige Stimmlippenveränderungen zur Gruppe der „Knötchen“ gezählt. Eine verwirrende Angelegenheit für den Aussenstehenden. Der gebräuchliche Ausdruck „Schreiknötchen“ wird von den Betroffenen häufig gefürchtet, denn er suggeriert derbe Stimmlippenveränderungen, die sich nur schwer behandeln lassen.


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    Die sogenannten „Schreiknötchen“ präsentieren sich jedoch selten verhärtet und knotenartig. Der Begriff „Schreiknötchen“ wird daher von Stimmexperten durch „Phonationsverdickungen“, „korrespondierende Lamina propria Ödeme“ oder „phonationsbedingte Randverdickungen der Stimmlippen“ ersetzt.

    Phonationsverdickungen finden sich gehäuft im Kindesalter bei Knaben und im Erwachsenenalter vor allem bei jungen Frauen, die einer vermehrten Stimmbelastung im Berufsalltag ausgesetzt sind (Risikogruppe v. a. Lehrerinnen, Erzieherinnen).

    Ein Knötchen kommt nie allein

    Kennzeichnend für Phonationsverdickungen sind zunächst immer beidseitige korrespondierende Verdickungen. Sie befinden sich im Übergang des vorderen und mittleren Stimmlippendrittels am Stimmlippenrand. Sie werden typischerweise im Bereich der stärksten mechanischen Belastung bei der Stimmbildung (Phonation) gefunden. Die symmetrischen Phonationsverdickungen treten in unterschiedlicher Form und Grösse auf. Wegweisend für die Diagnose von Phonationsverdickungen ist der in der Stroboskopie auftretende sanduhrförmige Glottisschluss (‣ Abb. [ 1 ]).

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    Abb. 1 Sanduhrförmiger Glottisschluss bei Phonation.

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    Achtung: Zwei Knötchen sind noch lange keine Schreiknötchen

    Auf den ersten Blick lassen sich „Stimmlippenknötchen“ – auch von einem erfahrenen Untersucher – nicht immer eindeutig von anderen gutartigen Stimmlippentumoren unterscheiden. Gelegentlich imitieren einseitige Stimmlippenpolypen oder -zysten mit einer korrespondierenden schwielenartigen Veränderung der Stimmlippe das Bild von „Schreiknötchen“.


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    Wie entstehen nun diese „Schreiknötchen“?

    Ein lang anhaltender fehlerhafter und unökonomischer Stimmgebrauch führt zu einer dauerhaften Verletzung und zum Umbau der oberflächlichen Zellarchitektur der Stimmlippe. Das sichtbare Resultat für den Betrachter: „Schreiknötchen“. Das anhaltend veränderte Schwingungsverhalten der Stimmlippen, die die Organveränderung „Schreiknötchen“ begünstigt, führt zu einer hörbar heiseren und wenig belastbaren Stimme.


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    Kindliche „Schreiknötchen“

    Falsches und zu lautes Sprechen kann bei Kindern zu „Schreiknötchen“ führen. Die kindliche Stimmstörung wird in vielen Fällen als eine psychosomatische Kommunikationsstörung verstanden und sollte daher diagnostisch berücksichtigt werden. Im therapeutischen Setting ist zunächst eine Elternberatung sinnvoll. Eine Änderung des Elternverhaltens gegenüber dem Kind wirkt sich häufig positiv aus. Eine alleinige Stimmtherapie hat in den seltensten Fällen Erfolg beim Kind. Wesentliche Voraussetzungen für eine erfolgreiche therapeutische Mitarbeit: Alter ab 5 Jahre und eine differenzierte Selbstwahrnehmung. Treten psychodynamische Aspekte in den Vordergrund, sollte die Behandlung von professionellen Psychotherapeuten begleitet werden. Eine operative Entfernung ist bei Kindern nicht indiziert.

    Auch bei Kindern mit unklarer anhaltender Heiserkeit muss der Kehlkopf optisch beurteilt werden. Moderne flexible und starre optische Instrumente (Endoskope) gibt es mittlerweile auch für Kinder. Die Diagnose „Schreiknötchen“ lässt sich keinesfalls durch alleiniges Hören stellen! Eine vorschnelle Be- bzw. Verurteilung eines heiseren Kindes als „Schreiknötchen-Kind“ kann fatale gesundheitliche Konsequenzen haben.


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    Operationen von Phonationsverdickungen im Erwachsenenalter?

    Das Behandlungskonzept beinhaltet bei Erwachsenen in der Regel eine logopädische Stimmtherapie. Stimmtherapeutisch werden gezielt die zur Entwicklung der Phonationsverdickungen verantwortlichen funktionellen Faktoren berücksichtigt. Während der Therapie kann die Stimmqualität oft deutlich verbessert werden, ohne dass dabei die Phonationsverdickungen vollständig verschwinden müssen! Bei ausgeprägten Befunden und fehlendem Ansprechen auf die Stimmtherapie ist eine phonochirurgische Abtragung empfehlenswert.

    KD Dr. med. Jörg Edgar Bohlender, Zürich


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    Abb. 1 Sanduhrförmiger Glottisschluss bei Phonation.