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DOI: 10.1055/s-0034-1398468
Systematische Reviews und overviews – Den Überblick behalten
Subject Editor:
Publication History
Publication Date:
08 January 2015 (online)
- Durch therapeutische Fragen inspiriert
- Mit System zum Ziel
- Reviews überblicken
- Alles eine Frage des Maßstabs
- Schnell fündig werden
Systematische Übersichtsarbeiten informieren Ergotherapeuten über den aktuellen Forschungsstand zu einem Thema oder einer Intervention. Doch Review ist nicht gleich Review. Eine Qualitätsprüfung lohnt sich, um die Ergebnisse einordnen zu können.
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Evidenzbasiertes Arbeiten gehört in der Ergotherapie zum guten Ton. Therapeuten sollen die beste verfügbare Evidenz nutzen, um ihr Vorgehen zu begründen [1, 2]. Dieser Anspruch hat es allerdings in sich. Es reicht nämlich nicht aus, dass sie ihre Arbeit mit irgendeiner Studie untermauern. Sie benötigen die aussagekräftigsten wissenschaftlichen Beweise, die zu finden sind. Dieser Herausforderung können Ergotherapeuten begegnen, indem sie verschiedene Ressourcen nutzen – neben Leitlinien und HTA-Berichten (ergopraxis 4/2014 und 2/2014) zum Beispiel systematische Reviews bzw. Übersichtsarbeiten. Darin sammeln die Forscher Studien zu einer bestimmten therapeutischen Frage und werten sie systematisch aus [3, 4]. Damit liefern sie nicht nur Informationen über den aktuellen Forschungsstand. Sie können Ergotherapeuten auch dazu anregen, das eigene Vorgehen zu hinterfragen, neue Sichtweisen zu entdecken oder auf wirkungsvolle Therapiemethoden aufmerksam zu werden.
Durch therapeutische Fragen inspiriert
Systematische Reviews setzen sich mit den unterschiedlichsten Fragestellungen auseinander [5]. So nutzten die beiden israelischen Ergotherapeuten Sara Rosenblum und Kineret Sharfi dieses Studiendesign, um Aktivitäten und Partizipation lernbehinderter Erwachsener zu charakterisieren [6]. Und ein Forschungsteam um den Gesundheitswissenschaftler Robin Saxon ging der Frage nach, welchen Einfluss erweiterte Rollen von Ergotherapeuten, Logopäden und Physiotherapeuten auf die Gesundheitsversorgung haben [7].
Ein systematisches Review ist eine Literaturübersicht.
Das Studiendesign systematischer Übersichtsarbeiten eignet sich, um die Wirksamkeit von Interventionen zu beleuchten. Das American Journal of Occupational Therapy präsentierte 2014 beispielsweise eine Serie systematischer Reviews zur Effektivität der Ergotherapie bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Parkinson oder Multiple Sklerose [8–12].
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Mit System zum Ziel
So unterschiedlich die Fragestellungen auch sein mögen, die Forscher durchlaufen in der Regel immer einen ähnlichen Prozess [5, 15]. Vor allem dann, wenn sie der Cochrane Collaboration angehören. In diesem internationalen Netzwerk erstellen, aktualisieren und verbreiten sie systematische Reviews nach einem einheitlichen Muster [4, 16]. Von ihrer Literaturrecherche hängt ab, ob sie tatsächlich die bestverfügbare Evidenz identifizieren. Dabei legen sie Einschlusskriterien für die Studien fest sowie Datenbanken, Suchbegriffe oder -kombinationen [4, 17]. Von hochwertigen systematischen Reviews darf man erwarten, dass sie die methodische Qualität und das Design der einbezogenen Studien systematisch bewerten und in der Schlussfolgerung berücksichtigen [3, 4]. Idealerweise wählen die Forscher eine geeignete Form, um relevante Daten zu synthetisieren. Dabei können sie die Daten beschreibend synthetisieren oder quantitativ in einer Metaanalyse zusammenführen. Forscher um Lynn Legg bündelten zum Beispiel die Daten aus neun randomisierten kontrollierten Studien mit insgesamt 1.258 Teilnehmern. Ihr wichtigstes Ergebnis: Alltagsbezogene Ergotherapie verbessert die ADL-Performance von Klienten nach Schlaganfall. Vor ihrer Metaanalyse stellten die Forscher mithilfe statistischer Heterogenitätstests sicher, dass sich die Effekte in den einzelnen Studien nicht zu stark voneinander unterscheiden [18]. Ob ein systematisches Review diese und andere Qualitätskriterien erfüllt, lässt sich beispielsweise mit AMSTAR ermitteln: A measurement tool to assess reviews [19] („AMSTAR“).
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Reviews überblicken
Die Übersichtsarbeiten müssen sich nicht zwangsläufig auf Primärstudien beschränken. Im Gegenteil. Je nach Evidenzlage bietet es sich für die Forscher an, ausschließlich systematische Reviews einzubeziehen. Die internationale Literatur spricht dann auch von einem „systematic overview“, „systematic review over reviews“ oder „systematic meta-review“ [4, 13, 14]. Auf diese Weise können sie auf eine umfassende Datenbasis zurückgreifen, um die vorhandene Evidenzqualität einzuschätzen.
Systematische Reviews anhand dieser 11 Qualitätskriterien bewerten:
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> Haben die Forscher vorab Einschlusskriterien und Forschungsfrage festgelegt?
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> Fand eine doppelte Studienselektion und -extraktion statt?
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> Haben die Forscher Graue Literatur, also unveröffentlichte Texte, einbezogen?
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> Fand eine umfassende Literaturrecherche statt?
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> Führt die Arbeit ein- und ausgeschlossene Studien auf?
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> Werden die wichtigsten Charakteristika der eingeschlossenen Studien präsentiert?
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> Haben die Forscher die methodische Qualität der eingeschlossenen Studien bewertet?
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> Haben sie die methodische Qualität in den Schlussfolgerungen berücksichtigt?
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> Haben sie angemessene Methoden gewählt, um die Ergebnisse miteinander zu kombinieren?
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> Haben sie überprüft, ob Publikationsbias vorliegen?
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> Haben sie Interessenkonflikte im systematischen Review und den zugrunde liegenden Studien thematisiert?
(frei übersetzt von Florence Kranz)
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Alles eine Frage des Maßstabs
Den Weg der Overviews wählten auch der Physiotherapeut Neil O’Connell und seine Kollegen, um die Wirksamkeitsnachweise zur Behandlung des komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS) zu untersuchen. Sie kamen zu dem Schluss, dass sich die Wirkung von Physio- und Ergotherapie sowie motorische Imaginations- oder Spiegeltherapie nur mit einer geringen Evidenzqualität belegen lässt. Dabei berücksichtigten sie ein systematisches Review von Daley et al. (2009), demzufolge die motorische Imaginationstherapie mit sehr guter Evidenz schmerzreduzierend wirkt. Das heißt, die Forscher haben einfach nur unterschiedliche Maßstäbe angelegt. So reicht es für Daley et al. bereits aus, dass akzeptable randomisierte kontrollierte Studien (RCT) die schmerzlindernde Wirkung der motorischen Imaginationstherapie belegen. Der systematische Overview von Neil O’Connell stuft hingegen die Evidenzqualität deutlich herunter, da die beiden zugrunde liegenden RCT-Studien nur wenige Teilnehmer einschließen und methodische Schwächen haben. Es lohnt sich also, auf die jeweiligen Bewertungskriterien zu achten. Nur so lassen sich die Ergebnisse tatsächlich einordnen.
Die Wirksamkeit von Interventionen einschätzen
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Schnell fündig werden
Wer nach systematischen Reviews oder Overviews sucht, wird in der Cochrane Library, der CRD-Database der University of York oder der Trip Database fündig. Diese Datenbanken haben sich auf „high quality evidence“ spezialisiert. Natürlich kann man auch andere elektronische Datenbanken wie PubMED, ScienceDirect oder PsycInfo für die Recherche nutzen. Das gewünschte Studiendesign lässt sich in der Regel in den Suchmasken eingrenzen. Häufig zeigen schon die Abstracts, ob sich eine tiefere Auseinandersetzung mit den Arbeiten lohnt. Meistens kommt man jedoch nicht drum herum, sich durch die englischsprachigen Volltexte zu kämpfen. Wem das zu mühsam ist, dem bietet die EBP-Datenbank des DVE einen guten Service. Sie enthält deutsche Zusammenfassungen systematischer Reviews inklusive Bewertungen. So kann man sich einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand verschaffen, ohne viel Zeit zu verlieren.
Recherchiert man in den genannten Datenbanken, entsteht schnell der Eindruck: Die Ergotherapie ist auf dem Vormarsch. Schließlich existieren immer mehr Beweise für ihre Wirksamkeit. Im interdisziplinären Vergleich gibt es allerdings noch einiges aufzuholen.
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